Blutrache

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Die Blutfehde oder Blutrache, in Süditalien Vendetta genannt, ist ein noch heute weit verbreitetes, wenn auch das extremste Mittel, um bei einer Fehde den „Rechtsausgleich“ zwischen den verfeindeten Streitparteien herbeizuführen und die Familienehre nach einem als gültig angesehenen Ehrenkodex wieder herzustellen. Ein aus der Familie oder dem Clan Ausgestoßener ist völlig recht- und schutzlos. Die Blutfehde wurzelt in einer patriarchalischen Gesellschaftsform, die noch stark aus der Empfindungsseele lebt und weitgehend durch die Blutsverwandtschaft bzw. die Gruppenseele bestimmt wird, wie es etwa bei den Germanen der Fall war. Noch heute ist die Blutrache bei etwa islamischen Völkerschaften eine Methode der Wahl. Doch kann man sich daraus etwa in Afghanistan durchaus auch freikaufen.

"In früherer Zeit umfaßte die Menschheit viele kleine Gruppen. Wenn wir die «Germania» des Tacitus lesen, so finden wir darin viele blutsverwandte kleine Stämme aufgezählt, für welche die Blutsverwandtschaft etwas Besonderes bedeutete. Bei den Patriarchen des Alten Testamentes wird immer im selben Stamme geheiratet, da rollt immer dasselbe Blut in den Adern; da reicht das Gedächtnis des Nachkommen bis zu den Vorfahren hinauf. Der Nachkomme erinnert sich der Vorfahren so, wie wir uns unserer Kindheit erinnern. Neunhundert Jahre nach Adam erinnerten sich die Nachkommen noch an Adams Erlebnisse. So erklären sich die hohen Altersangaben in der Bibel. Solange man sich erinnern konnte, hieß das durch die Generationen hindurchreichende Ich zum Beispiel «Adam». Ein gemeinsames Ich lebt im Stamme und es lebt im Blute. Darum kann nur mit Blut gesühnt werden, wenn Blut vergossen wurde. Und der ganze Stamm rächt sich für das Blut eines einzelnen Stammesgenossen durch die Blutrache." (Lit.: GA 097, S. 138)

"Noch Tacitus erzählt, daß die alten Völker, die Heruler, die Cherusker, sich gefühlt haben mehr als Volksstamm denn als ein einzelner Mensch. Aus diesem Gefühl heraus, daß der Einzelne zur Stammes gruppe gehörte, der Stammesgemeinschaft sich zurechnete, stammen auch noch gewisse Gebräuche wie die Blutrache." (Lit.: GA 098, S. 95)

"Heute meint der Mensch, wenn er sein Ich ausspricht, das Wesen seiner Persönlichkeit, wie es sozusagen in seiner Haut eingeschlossen ist. Damals fühlte der Mensch sich gegenüber seinem Stamme so, wie ein Glied sich an unserem Organismus fühlt. Er fühlte sich in erster Linie als Sugambrer, Heruler, Brukterer, Cherusker, und erst in zweiter Linie als ein persönliches Ich. Viele Zustände in dieser alten Zeit werden Sie besser begreifen, wenn Sie diese radikale Änderung der Persönlichkeit ins Auge fassen, wenn Sie sich klarmachen, daß zum Beispiel gewisse Formen der Blutrache, der Familienrache, der Stammesrache ihre vollständige Erklärung finden in dem gemeinsamen Bewußtsein des Stammes, in dem Bewußtsein einer Art von Gruppenseele. Die Menschen empfanden sich eben als Gruppen von gemeinsamem Blut, wodurch eine Tötung an dem ganzen Stamme des Mörders gerächt wurde wie an ihm selbst. Und wenn wir noch weiter zurückgehen bis in die klassische alttestamentliche Zeit, in die Zeit des jüdischen Volkes, so wissen wir, daß der einzelne Jude sich durchaus als ein Glied des ganzen jüdischen Volkes fühlte, daß er, wenn er «Ich» aussprach, sich nicht als Repräsentant seines persönlichen Ichs fühlte, sondern daß er das Blut des ganzen jüdischen Volkes fühlte, wie es in den Generationen herabgeströmt ist seit dem Vater Abraham: «Ich und der Vater Abraham sind eins!» In diesem Bewußtsein fühlte sich der Angehörige des Volkes geborgen und gewürdigt. Er fühlte diese Gruppenseele im Blut weit hinauf, bis zum Vater Abraham. Und wenn wir noch weiter zurückgehen in urferne Zeiten der Erde, so finden wir das Gruppenseelenhafte noch viel deutlicher ausgeprägt. Da erinnert sich der Einzelne gedächtnismäßig an das, was die Vorfahren getan haben, bis zu dem Urahn hinauf. Jahrhunderte hinauf reicht die Erinnerung des Nachkommen." (Lit.: GA 102, S. 100)

"Der Mensch entwickelte sich auch aus einer solchen Gruppenseelenhaftigkeit heraus, aber so, daß er nach und nach seinen Körper verfeinert hat und zur Entwickelung der Individualität gekommen ist. Wir können das historisch verfolgen. Lesen wir die «Germania» des Tacitus. In den Zeiten, die da geschildert werden, die für die germanischen Gegenden die Zustände in dem ersten Jahrhunderte nach Christus wiedergeben, finden wir, wie das Bewußtsein des einzelnen vielmehr noch im Gemeinsamkeitsbewußtsein aufgeht, wie noch der Stammesgeist herrscht, wie der Cherusker zum Beispiel sich noch als Glied seines Stammes fühlte. Dieses Bewußtsein ist noch so stark vorhanden, daß der einzelne für einen anderen derselben Gruppe Rache nimmt. Es rindet in der Sitte der Blutrache seinen Ausdruck. Da war also noch eine Art Gruppenseelenhaftigkeit vorhanden." (Lit.: GA 106, S. 163)

Siehe auch

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Das christliche Mysterium, GA 97 (1998), ISBN 3-7274-0970-3 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Natur- und Geistwesen – ihr Wirken in unserer sichtbaren Welt, GA 98 (1996), ISBN 3-7274-0980-0 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  3. Rudolf Steiner: Das Hereinwirken geistiger Wesenheiten in den Menschen, GA 102 (2001), ISBN 3-7274-1020-5 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  4. Rudolf Steiner: Ägyptische Mythen und Mysterien, GA 106 (1992), ISBN 3-7274-1060-4 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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