Henri Bergson

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Henri Bergson, 1927

Henri-Louis Bergson (* 18. Oktober 1859 in Paris; † 4. Januar 1941 ebenda) war ein französischer Philosoph und Nobelpreisträger für Literatur 1927. Er gilt neben Friedrich Nietzsche und Wilhelm Dilthey als bedeutendster Vertreter der Lebensphilosophie.

Leben und Karriere

Henri Bergson (wie er sich als Autor nannte) wurde in Paris geboren. Er war ein Sohn des polnischstämmigen jüdischen Komponisten Michał Bergson und einer englischen Mutter, die aus einer irischen jüdischen Familie stammte. Seine frühe Kindheit verlebte er überwiegend in London, bevor er mit acht Jahren, eher anglo- als frankophon, wieder nach Paris kam.

Hier besuchte er von 1868 bis 1878 das Lycée Fontanes, wo er 1877 den Schulpreis für Mathematik erhielt, mit einer Problemlösung, die er anschließend sogar in einer mathematischen Fachzeitschrift veröffentlichen durfte. Dennoch entschied er sich nach dem Baccalaureat für ein Literatur- und Philosophiestudium und bewarb sich mit Erfolg um einen Studienplatz an der École normale supérieure (ENS), der Pariser Elitehochschule für die Lehramtsfächer.

Nach dem Studienabschlussexamen (licence) im Fach Literatur absolvierte er 1881 erfolgreich die Rekrutierungsprüfung (agrégation) für das Amt eines Gymnasialprofessors im Fach Philosophie und bekam eine Stelle an einem Gymnasium in Angers zugewiesen. 1883 wurde er nach Clermont-Ferrand versetzt. Neben seiner Unterrichtstätigkeit fand er, wie damals viele seiner Berufskollegen, Zeit zum wissenschaftlichen Arbeiten. So publizierte er 1884 eine Edition von ausgewählten Passagen aus den Werken des Lukrez, der er eine textkritische Studie und Ausführungen über die Philosophie des Autors beifügte und die in der Folgezeit mehrfach nachgedruckt wurde. Zugleich arbeitete er an einer ersten größeren Schrift, die er 1889 unter dem Titel Essai sur les données immédiates de la conscience (dt. Zeit und Freiheit, 1911) an der Pariser Sorbonne als Dissertation („thèse d’État“) einreichte. Mit dieser wurde er nach erfolgreich absolviertem Prüfungsverfahren, zu dem auch das Vorlegen einer kurzen, lateinisch verfassten „thèse supplémentaire“ gehörte, zum docteur des lettres promoviert (was in etwa einer deutschen Habilitation entsprach).

Nach der Promotion und der Publikation seiner thèse, die er seinem obersten Dienstherrn, dem Bildungsminister, widmete (der allerdings auch sein Philosophieprofessor an der École Normale Supérieure gewesen war), hatte Bergson Anspruch auf den Wechsel an ein Gymnasium in Paris. Nach einer kurzen Zwischenstation am dortigen Collège Rollin erhielt er 1890 eine Stelle am renommierten Lycée Henri IV. 1892 heiratete er und wurde später Vater einer Tochter.

1896 publizierte er seine zweite größere Schrift, Matière et mémoire (dt. Materie und Gedächtnis, 1908), in der er auch die neueste Hirnforschung berücksichtigte. Im Anschluss hieran wurde er 1897 als maître de conférences mit Vorlesungen an der École Normale Supérieure betraut und kurz darauf dort zum Professor ernannt.

Henri Bergson lehrte ab 1900 am Collège de France

1900 druckte die Revue de Paris den Essay Le Rire (dt. Das Lachen, 1914), der 1901 sehr erfolgreich auch in Buchform erschien. Hierin versucht Bergson eine Theorie des Komischen zu entwickeln, stimmt vor allem aber auch das Hohelied des künstlerischen Schöpfertums an und wurde damit zum Propheten einer ganzen Generation symbolistischer Literaten und Künstler.

Im selben Jahr 1900 wurde er auf den Lehrstuhl für Griechische Philosophie am Collège de France berufen, der prestigereichsten aller französischen Bildungsinstitutionen. 1901 wählte ihn die Académie des sciences morales et politiques zum Mitglied.

Inzwischen begann er auch außerhalb Frankreichs Anerkennung zu finden: Auf dem ersten internationalen Philosophen-Kongress in Paris im August 1900 durfte er einen der Vorträge halten. Dessen Titel, Sur les origines psychologiques de notre croyance à la loi de causalité (Über die psychologischen Ursprünge unseres Glaubens an das Gesetz der Kausalität), bringt gut die nicht-rationalistische Tendenz Bergsons zum Ausdruck.

1903 publizierte er den programmatischen längeren Aufsatz Introduction à la métaphysique (dt. Einführung in die Metaphysik, 1909). Entgegen dem allgemein gehaltenen Titel führt dieser vor allem in sein eigenes Denken ein. 1904 hielt er auf dem zweiten internationalen Philosophen-Kongress in Genf den Vortrag Le Cerveau et la pensée: une illusion philosophique (Das Gehirn und das Denken: eine philosophische Illusion).

Im selben Jahr wechselte er im Collège de France auf den Lehrstuhl für moderne Philosophie. Damit hatte er, 45-jährig, den Höhepunkt seiner beruflichen Karriere erreicht.

1907 erschien seine dritte große Schrift: L’Évolution créatrice (dt. Die schöpferische Entwicklung, 1912). Sie war als kritischer Beitrag zur Evolutionstheorie gedacht, die Bergson für zu deterministisch hielt. Sie fand auch über die Fachwelt hinaus Verbreitung. Diese Schrift wurde mit 21 Auflagen in zehn Jahren sein bekanntestes und meistgelesenes Werk. Sie verschaffte ihm einen festen Platz unter den in Frankreich häufigen und geachteten philosophischen Schriftstellern. Neben Le Rire war L’Évolution sicher der wichtigste Grund dafür, dass Bergson später für den Literaturnobelpreis in Frage kommen konnte.

1908 traf er in London William James, einen amerikanischen Philosophen, mit dem er schon in brieflichem Kontakt gestanden hatte. James war angetan von seinem 17 Jahre jüngeren französischen Kollegen und dessen Ideen. In der Folge trug er viel dazu bei, ihn in der anglophonen Welt bekannt zu machen. Bergson seinerseits hat für eine Übersetzung von James ins Französische ein Vorwort geschrieben, in dem er zugleich seine Skepsis hinsichtlich der Philosophie des Pragmatismus nicht verbirgt.

Im April 1911 besuchte Bergson den internationalen Philosophen-Kongress in Bologna. Dort hielt er den Vortrag L'Intuition philosophique (Die philosophische Intuition). Dieser Titel deutet die wichtige Rolle an, die die Intuition – verstanden als eine präzise philosophische Methode – in seinem Denken spielt. Im selben Jahr wurde er nach England eingeladen, unter anderem nach Oxford, wo er über das Thema La Perception du changement (Die Wahrnehmung des Wandels) sprach. Dort erhielt er seine erste Ehrendoktorwürde. Weitere Stationen führten ihn nach Birmingham und London, wo er über Vie et conscience (Leben und Bewusstsein) bzw. La Nature de l’âme (Die Natur der Seele) dozierte.

1913 folgte er einer Einladung der New Yorker Columbia University und las dort über Spiritualité et liberté (Geistigkeit und Freiheit). Vorträge in anderen amerikanischen Städten folgten. Im Herbst wurde ihm der Vorsitz der British Society for Psychical Research angetragen, wo er sich mit dem Vortrag Phantoms of Life and Psychic Research einführte.

1914 war ein besonders erfolgreiches Jahr für Bergson. Er wurde in seiner Eigenschaft als ein bedeutender französischer Autor, dessen Schriften inzwischen auch in zahlreiche andere Sprachen übersetzt wurden, in die Académie française aufgenommen, darüber hinaus zum Vorsitzenden der Académie des sciences morales et politiques gewählt sowie zum „Offizier“ der Ehrenlegion und zum „Offizier der Volksbildung“ (officier de l'Éducation nationale) ernannt.

Als im selben Jahr (ähnlich wie es schon vorher manche sozialistischen Politiker und Gewerkschafter getan hatten) eine Bewegung liberaler „Neo-Katholiken“ ihre Vorstellungen mit Ideen Bergsons zu stützen versuchte, wurden dessen drei Hauptwerke vom Vatikan auf den Index gesetzt.

Nach Beginn des Ersten Weltkriegs (1. August 1914) engagierte sich auch Bergson als Patriot mit Artikeln und Vorträgen. Er versuchte damit, die Moral der französischen Truppen zu stärken, die Position Frankreichs zu verklären und dem Deutschen Reich Imperialismus vorzuwerfen. Nach dem Eintritt der USA in den Krieg 1917 reiste er als Mitglied einer diplomatischen Delegation dorthin und warb auf einer Vortragtournee für die Sache Frankreichs.

1919 gaben Freunde eine schon vor dem Krieg geplante zweibändige Sammlung kürzerer Texte heraus, die um den zentralen Begriff der „force mentale“ (geistige/mentale Kraft) kreisen. Sie erschien unter dem Titel L’Énergie spirituelle (dt. Die seelische Energie, 1928).

1920 erhielt Bergson den Ehrendoktortitel der Universität Cambridge. Im Herbst durfte er seine Pflichtvorlesungen am Collège de France an einen Vertreter (Édouard Le Roy) delegieren, um sich ganz seinem Schaffen als Autor widmen zu können.

1921 gab er seinen Lehrstuhl am Collège de France auf. Nebenher war er 1921 Gründungsmitglied und erster Präsident der Commission Internationale de la Coopération Intellectuelle (einer Vorläuferinstitution der UNESCO, die im Rahmen des neuen Völkerbundes in Genf aktiv war).

1927 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Bergson konnte aber nicht zur Entgegennahme nach Stockholm reisen. Seit 1925 plagten ihn rheumatische Schmerzen, die seinen Körper lähmten und deformierten. [Seine stellvertretend durch den französischen Minister Armand Bernard verlesene Dankesrede findet sich unter http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/literature/laureates/1927/bergson-speech.html]

Krankheitsbedingt mehr und mehr zurückgezogen, vollendete er 1932 sein letztes größeres Werk, Les deux sources de la morale et de la religion (Die beiden Quellen der Moral und Religion, 1933). Seine Überlegungen zum Zusammenhang von Gesellschaft, Moral und Religion wurden mit der gebührenden Achtung aufgenommen, aber nur noch wenig diskutiert.

Gedenktafel im Panthéon

Spätestens mit den Deux sources hatte er sich christlich-mystischen Vorstellungen angenähert und dachte daran, katholisch zu werden. Er nahm jedoch Abstand davon, weil er angesichts des auch in Frankreich anschwellenden Antisemitismus seine jüdischen Wurzeln nicht verleugnen wollte. Entsprechend verzichtete er 1940 demonstrativ auf alle seine Auszeichnungen, Titel und Mitgliedschaften und ließ sich als Jude eintragen, als das Vichy-Regime des Marschalls Philippe Pétain diese gesetzlich zu diskriminieren begann.

An seinem Grab sprach seinem Wunsch gemäß ein katholischer Priester das Totengebet.

Werk

Bergsons markantestes Philosophem ist der Begriff des „élan vital“,[1] den er in seiner Philosophie des Lebendigen (Die schöpferische Entwicklung, frz. zuerst 1907, dt. 1912) in genauer Kenntnis der Lebenswissenschaften seiner Zeit entfaltet. Ein weiteres Hauptwerk ist das 1896 erschienene Buch Materie und Gedächtnis, in dem Bergson eine neue, weder idealistische noch empiristische Theorie der Wahrnehmung und der Beziehung von Körper und Geist entfaltet. Hier reagiert Bergson auf die zeitgenössische Psychologie. Er setzt sich weiterhin mit der Physik seiner Zeit auseinander (Durée et Simultanité, 1922) sowie mit der Ethnologie und Soziologie (Die beiden Quellen der Moral und der Religion, 1932). In all dem entwickelt er einen durchlaufenden Gedanken: den, das Neue als Neues zu sehen, und dafür die klassische repräsentationslogische und identitätslogische Philosophie und ihre Wirkung auf die einzelnen Wissenschaften durch eine neue, dem Werden als Charakteristikum des (sozialen) Lebens angemessene Philosophie zu ersetzen. Bergson war ein Philosoph der Wissenschaften, genauer: ein Denker des Wissens des Lebendigen, um es mit Georges Canguilhem zu formulieren.

Während Immanuel Kant Raum und Zeit noch als gleichberechtigte Formen unserer Anschauung betrachtet, sind sie für Bergson wesensverschieden. Der Raum ist für ihn eine in sich homogene Summe von Punkten, die von Objekten eingenommen werden kann. Die rational und analytisch verfahrende Naturwissenschaft, so Bergson, betrachtet nur diesen Raum bzw. Teile davon. Wenn sie vorgibt, Zeit zu messen, misst sie in Wahrheit nur Bewegung im Raum, also die aufeinanderfolgenden Veränderungen der räumlichen Lage der Objekte. Die derart physikalisch verstandene Zeit ist eine "fragmentierte" Zeit. Die Zeit, vor allem die der lebendigen Dinge, dagegen ist für Bergson nicht in Abschnitte einteilbar; sie ist wesentlich die unteilbare Bewegung selbst, das ständige, unvorhersehbare und irreversible Anders-Werden, oder die „Dauer“ (la durée). Auch die anorganische Materie hat ihre Dauer: sie unterliegt der Entropie. Vor allem aber im Bereich des Lebendigen – mit dem sich das Hauptwerk Evolution créatrice auseinandersetzt – gilt, dass die Entwicklung nicht in Abschnitte einteilbar und virtuell nebeneinanderzulegen ist, sondern im ununterbrochenen Schaffen von Neuem besteht.

Bergson trennt Materie und Leben nicht absolut: das Leben bedarf schließlich der anorganischen Materie, deren Energie es sich zunutze macht; zudem partizipieren beide an der Dauer. Andererseits sind beide doch entgegengesetzt: die anorganische Materie ist Energieverfall, das Leben Aufschwung. Diesen beiden Seinssphären sind verschiedene Formen der Erkenntnis zugeordnet: Der Raum bzw. die anorganische Materie wird durch den analytischen Verstand erfasst, die Dauer durch die philosophische Methode der Intuition, anders gesagt durch den Versuch, die Dinge sub specie durationis zu verstehen, durch Prozessbegriffe, die sich an die Bewegung anschmiegen. Die Wissenschaften der anorganischen Natur, die Technik und die alltäglichen Wissensformen bedienen sich zu Recht der analytischen Methode: sofern sie dazu da sind, sich der 'Materie zu bemeistern'. Die Philosophie hingegen, vielleicht auch die Lebenswissenschaften brauchen eine andere Methode, wollen sie das Leben adäquat verstehen.

Bergson bedient sich des Begriffs élan vital (das mit 'Lebenskraft' nur schlecht übersetzt ist, da Bergson keine 'Kraft' annimmt), um die Entwicklung des Lebendigen zu charakterisieren: das für ihn im Gegensatz zur Entropie-Tendenz der anorganischen Materie steht. Der „élan vital“ bezeichnet den 'Aufschwung' als die gemeinsame Bewegung der lebendigen Dinge (der Arten, Gattungen, Individuen), die mit einer zunehmenden Explosivität, energetischen Potentialität und Beweglichkeit sowie entsprechender kognitiver Aktivität einhergeht. Mit dem Darwinismus setzt sich Bergson hier sehr genau auseinander; er bezeichnet ihn – wie auch den Neodarwinismus, den Neolamarckismus und den Neofinalismus – als 'mechanistisch': diese Theorien verstehen nicht, das Neue zu denken, für sie ist der Zufall stets nur ein Stellvertreter kausaler Prozesse; sie sehen 'alles als gegeben' an. Bergson schlägt an der Stelle des von Herbert Spencer übernommenen Evolutionsgedankens und anstelle der Deszendenz-Theorie Darwins und anderer Evolutionsbiologien die Theorie der 'schöpferischen Entwicklung' vor: und mit ihr eine andere Sicht auf dieselben empirischen Phänomene. Bergson betont im Übrigen stets, dass er 'absolut' auf dem Boden der Evolutionsbiologie stehe.

Der Bergsonismus, die frühe Rezeption Bergsons vor allem in Frankreich, hat ihre eigene Dynamik entfaltet; sie hat die Differenziertheit von Bergsons Argumentation und dessen genaue Kenntnis der zeitgenössischen Wissenschaften ignoriert. Nach Einschätzung seines Schülers Jean Guitton etwa hat Bergson wesentlich dazu beigetragen, das moderne Denken wieder für Phänomene der Religion zu öffnen. Auch wird bis heute - bedingt durch diese frühe Rezeption - Bergsons Philosophie als 'Antiintellektualismus', 'Antirationalismus', als 'Zerstörung der Vernunft' missverstanden.

Guitton sagt aber auch: „Mehr als jeder andere hatte Bergson die großen begrifflichen Veränderungen geahnt, die die Quantentheorie mit sich bringen sollte. In seinen Augen, wie in der Quantenphysik, ist die Realität weder kausal noch lokal: Raum und Zeit sind Abstraktionen, reine Illusionen“.[2] Die mathematische Zeit ist eine Form des Raumes. Die Zeit, die zum Wesen des Lebens gehört, nennt Bergson - wie oben erwähnt - Dauer. Dieser Begriff ist fundamental und wird in seinem ganzen Werk immer wieder erwähnt, zuerst in seiner 1889 erschienenen Dissertation Essai sur les donnés immédiates de la conscience (dt. Zeit und Freiheit, 1911). Bergson hat im übrigen einmal bemerkt, jeder, der wahrhaft Philosoph sei, verfolge in seinem ganzen Leben einen einzigen Gedanken: den er stets erneut zu formulieren suche.[3] Dieser Gedanke - die Zeit angemessen zu denken - zieht sich durch Bergsons ganzes Werk.

In "Materie und Gedächtnis" wird die Beziehung zwischen Geist und Materie neu gefasst, und das heißt, weder idealistisch noch realistisch: durch die Analyse des Gedächtnisses (der gelebten Zeit), welches "der genaue Schnittpunkt von Geist und Materie" ist.

Monografien zu Bergson existieren insbesondere von Frédéric Worms; die Annales bergsoniennes sowie die umfangreichen Nachworte und Lektüren in der Édition critique, die bei PUF erschien. Ebenso eine Interpretation von Gilles Deleuze (Bergson zur Einführung). Auch der kurze Artikel Bergson im Werden von Maurice Merleau-Ponty zeigt die Bedeutung Bergsons.

Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet Bergson zunächst in Vergessenheit. Lange galt er allenfalls bei Philosophiehistorikern als lohnendes Studienobjekt, auch wenn das hohe Niveau seines Denkens weiterhin unbestritten ist.[4] Seit kurzem – befeuert u. a. durch die Neuinterpretation von Gilles Deleuze und durch das hundertjährige Jubiläum des Hauptwerkes – gibt es weltweit eine Renaissance der Philosophie Bergsons, die vielen wie kaum eine andere geeignet scheint, eine Philosophie des biologischen Zeitalters zu ermöglichen: des Zeitalters, das sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts konstatieren. Zudem hat Deleuze dank Bergson eine ganze neue Philosophie entfaltet, deren internationale Resonanz beträchtlich ist: einen 'neuen Vitalismus', wie er sagt, oder eine 'Philosophie der Differenz'.

Werke

  • 1889: Essai sur les donées immédiates de la conscience. Alcan, Paris, OCLC 409378290 (Thèse lettres Université Paris 1889, 182 Seiten). Online
  • 1896: Matière et mémoire. Essai sur la relation du corps à l'esprit. Alcan, Paris Online
    • dt: Materie und Gedächtnis. Eine Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist. Übers. Julius Frankenberger. Diederichs, Jena 1908, Nachdruck dieser Übersetzung mit einer Einleitung von Erik Oger, Meiner, Hamburg 1991
  • 1900: Le rire. Essai sur la signification du comique. Alcan, Paris. Online
    • dt.: Das Lachen. Übers. Julius Frankenberger & Walter Fränzel. Diederichs, Jena 1921.
    • Das Lachen. Ein Essai über die Bedeutung des Komischen. Übersetzt Roswitha Plancherel-Walter. Arche, Zürich 1972, Nachdruck dieser Übersetzung: Luchterhand, Darmstadt 1988; Neudruck Meiner, Hamburg 2011.
  • 1907: L'Evolution créatrice. Alcan, Paris. Online
    • dt.:Schöpferische Entwicklung. Übers. v. Gertrud Kantorowicz. Diederichs, Jena 1921, Nachdruck Coron-Verlag, Zürich, als Band für das Jahr 1927 der Reihe Nobelpreis für Literatur. Online
    • neu übersetzt von Margarethe Drewsen: Schöpferische Evolution. Felix Meiner, Hamburg 2013, ISBN 978-3-7873-2240-4 (Rezension).
  • 1919: L'Energie spirituelle. Essais et conférences. Alcan, Paris Online
    • dt.: Die seelische Energie. Aufsätze und Vorträge. Übersetzt Eugen Lerch. Diederichs, Jena 1928.
  • 1922: Durée et simultanéité. A propos de la théorie d'Einstein. Alcan, Paris Online
  • 1932: Les deux sources de la morale et de la réligion. Alcan, Paris Online
    • dt.: Die beiden Quellen der Moral. Übersetzt Eugen Lerch. Diederichs, Jena 1932. Nachdruck Fischer, Frankfurt am Main 1992 u.ö.
  • 1934: La pensée et le mouvant. Essais et conférences. Alcan, Paris Online
    • dt.: Denken und schöpferisches Werden. Aufsätze und Vorträge. Übers. Leonore Kottje; Einleitung Friedrich Kottje, Hain, Meisenheim am Glan 1948, Nachdruck: Signet, Frankfurt 1985 sowie EVA, Hamburg 1993
  • 1959: Œuvres. Anmerkungen André Robinet, Einleitung Henri Gouhier. Paris: Presses Universitaires de France (enthält sämtliche zu Lebzeiten in Buchform veröffentlichen Texte außer "Durée et simultanéité")
  • 1972: Mélanges. Anmerkungen von André Robinet, in Zusammenarbeit mit Rose-Marie Mossé-Bastide, Martine Robitnet und Michel Gauthier; Vorwort Henri Gouhier. Presses Universitaires de France, Paris (enthält "Durée et simultanéité" sowie zahlreiche Texte, die von Bergson nicht in Buchform veröffentlicht wurden)

Siehe auch

Literatur

Einführung
  • Gilles Deleuze: Henri Bergson zur Einführung („Le bergsonisme“). 4. Aufl. Junius, Hamburg 2007, ISBN 978-3-88506-336-0 (übersetzt von Martin Weinmann)
  • Vladimir Jankélévitch: Bergson lesen. Turia und Kant, Wien 2004, ISBN 3-85132-383-1 (Vorwort, Anmerkungen und Bibliographie von Françoise Schwab, übersetzt von Jürgen Brankelien; Teilübersetzung von Jankélévitchs Anthologie Premières et dernières pages)
  • Leszek Kołakowski: Henri Bergson. Ein Dichterphilosoph. Piper, München 1985, ISBN 3-492-05204-5
Vertiefung
  • Heike Delitz: Bergson-Effekte. Aversionen und Attraktionen im französischen soziologischen Denken. Velbrück, Weilerswist 2015, ISBN 978-3-95832-043-7
  • Pierre-Alexandre Fradet: Derrida-Bergson. Sur l'immédiateté. Hermann, Paris 2014. ISBN 978-2-7056-8831-8
  • Henri Gouhier: Bergson dans l'histoire de la pensée occidentale. Vrin, Paris 1989, ISBN 2-7116-1006-3
  • Henri Hude: Bergson. 2. Aufl. Editions Karéline, Paris 2009, ISBN 978-2-35748-037-7
  • Vladimir Jankélévitch: Henri Bergson. 3. Aufl. P.U.F., Paris 2008, ISBN 978-2-13-056875-9 (Quadrige)
  • Peter Mennicken: Die Philosophie Henri Bergsons und der Geist der modernen Kunst. Dissertation, Universität Köln 1921
  • Emil Ott: Henri Bergson. Der Philosoph moderner Religion. Teubner, Leipzig 1914 (Aus Natur und Geisteswelt; 480)
  • Alexis Philonenko: Bergson ou de la philosophie comme science rigoureuse. Editions du Cerf, Paris 1994, ISBN 2-204-04924-7 (Passages)
  • Marc Rölli (Hrsg.): Ereignis auf Französisch. Von Bergson bis Deleuze. Fink, München 2004, ISBN 3-7705-3939-7
  • Philippe Soulez, Frédéric Worms: Bergson. Biografie. P.U.F., Paris 2002, ISBN 2-13-053176-8 (Quadrige; 385)
  • Peter Spateneder: Leibhaftige Zeit. Die Verteidigung des Wirklichen bei Henri Bergson. Kohlhammer, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-17-019694-0 (zugl. Dissertation, Universität Regensburg 2005)
  • Matthias Vollet: Die Wurzel unserer Wirklichkeit. Problem und Begriff des Möglichen bei Henri Bergson. Alber, Freiburg/B. 2007, ISBN 978-3-495-48234-6 (zugl. Dissertation, Universität Mainz 2004)
  • Mirjana Vrhunc: Bild und Wirklichkeit. Zur Philosophie Henri Bergsons. Fink, München 2002, ISBN 3-7705-3644-4 (zugl. Dissertation, Universität Berlin 1999)
  • Frédéric Worms: Introduction à Matière et Mémoire. de Bergson. Suive d'une breve introduction aux autres livres de Bergson. P.U.F., Paris 1998, ISBN 2-13-048955-9
Aufsätze
  • Dietrich Heinrich Kerler: Henri Bergson und das Problem des Verhältnisses zwischen Leib und Seele. Kritische Anmerkungen zu Bergson’s Buch „Materie und Gedächtnis“. Ulm 1917.
  • Frank Kessler: Henri Bergson und die Kinematographie. In: KINtop. Jahrbuch zur Erforschung des frühen Films, 2003, Band 12, S. 12–16
  • Rupert Sheldrake, David Lorimer: Dialog über Henri Bergson. In: Tattva Viveka, Bd. 7 (1997).

Weblinks

Commons: Henri Bergson - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wikisource: Henri Bergson – Quellen und Volltexte (français)

Einzelnachweise

  1. Henri Bergson: L’évolution créatice, 1907, S. 59–64.
  2. Jean Guitton: Gott und die Wissenschaft, dt. 1993, S. 23.
  3. Henri Bergson: Denken und schöpferisches Werden. Aufsätze und Vorträge. Übers. Leonore Kottje; Einleitung Friedrich Kottje, Hain, Meisenheim am Glan 1948, 131 (wörtlich: „Ein Philosoph, der dieses Namens würdig ist, hat im Grunde immer nur eine einzige Sache im Auge gehabt.“)
  4.  Lexikonredaktion des Verlages F.A.Brockhaus (Hrsg.): Nobelpreise. Chronik herausragender Leistungen. Mannheim 2001, ISBN 3-7653-0491-3, S. 275.
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