Muhyī d-Dīn Ibn ʿArabī

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Darstellung Ibn Arabis

Ibn al-Arabi, kurz Ibn Arabi oder al-Arabi, mit vollem Namen Muhyī d-Dīn Abū ʿAbd Allāh Muhammad ibn ʿAlī Ibn ʿArabī al-Hātimī at-Tāʾī (arab. محي الدين أبو عبد الله محمد بن علي بن عربي الحاتمي الطائي‎, DMG Muḥyī d-Dīn Abū ʿAbd Allāh Muḥammad ibn ʿAlī Ibn ʿArabī al-Ḥātimī aṭ-Ṭāʾī; * 7. August 1165 in Murcia; † 16. November 1240 in Damaskus), war einer der bekanntesten Sufis und wird wegen seines großen Einflusses auf die allgemeine Entwicklung des Sufismus auch asch-schaich al-akbar („Der größte Meister“) bzw. latinisiert Magister Magnus genannt.[1] Vielen gilt er als Advokat religiöser Toleranz.

Herkunft

Ibn Arabi stammt aus einer berühmten Familie im maurischen Spanien. Sein Vater war ein einflussreicher Mann, zu dessen Freunden unter anderem der Philosoph und Arzt Averroes (Ibn Rushd) sowie Abd al-Qadir al-Dschilani zählten. Die Familie pflegte aber nicht nur gute soziale und kulturelle Beziehungen, sondern es war auch eine starke Religiosität vorhanden. Einige Onkel Ibn Arabis waren ebenfalls Sufis.

Jugend

Nach der Besetzung Murcias durch die Almohaden übersiedelte die Familie des damals achtjährigen Ibn Arabi nach Sevilla.[1] Dort erhielt er eine traditionell-muslimische Erziehung: Er studierte den Koran und seine Auslegungen, die Tradition des Propheten Muhammad (Sunna), das islamische Gesetz (Schari'a), arabische Grammatik und hörte Vorträge der berühmtesten Lehrer seiner Zeit.

Er wurde auch von zwei als heilig angesehenen Frauen erzogen, Schams Umm al-Fuqara aus Marchena und Munah Fatima bint Ibn al-Muthanna aus Córdoba. Beide waren zu der Zeit schon sehr alt, letztere über 90 Jahre.

Einige Jahre später verheiratete sich Ibn Arabi mit einer Frau namens Maryam bint Muhammad ibn Abdun. Diese war eine sehr beliebte und einflussreiche Person und teilte mit ihrem Ehemann den Wunsch, den Weg des Sufismus zu gehen.

Reisen

Im Jahr 1193 verließ Ibn Arabi die iberische Halbinsel und reiste nach Tunis. Auf dieser Reise berichtete er, mehrere Erlebnisse mit Chidr, dem mythischen Gefährten von Moses und spirituellen Führer der Mystiker, gehabt zu haben. Von ihm persönlich habe er die Chirqa, das Gewand der Sufis, erhalten. Das Umhängen des Mantels ist ein Einweihungsritual, mit dem Sufi-Schüler von ihrem Meister initiiert werden.

Aufgrund der andauernden Kämpfe in Nordafrika entschied er sich noch im selben Jahr, nach Andalusien zurückzukehren. Dabei traf er auf dem Weg nach Sevilla in der Stadt Tarifa auf al-Qalafat, um mit ihm über die Verdienste der Armut und des Reichtums zu diskutieren.

Ibn Arabis Kenotaph im Glaskasten in seinem Grabbau (Qubba) im Distrikt al-Salihiya am Nordrand von Damaskus am Fuß des Dschabal Qāsiyūn. Das Grabmal im Vordergrund gehört seinem Schüler Dschunaid

In den Jahren 1195 und 1197 bereiste er Fès, wo sein Ruf eine große Anzahl an Schülern und Bewunderern anzog. Anschließend kehrte er in seine Geburtsstadt Murcia zurück; auf dem Weg dorthin verweilte er in Granada und besuchte die Sufi-Schule von Almería, die von Ibn al-Arif gegründet wurde.

1202 unternahm Ibn Arabi eine weite Reise in den Orient, wobei er Alexandria, Kairo und schließlich Mekka besuchte, wo es nicht lange dauerte, bis sich die Nachricht seiner Ankunft in der ganzen Stadt verbreitete.[1] Dort traf er auf die wichtigsten Persönlichkeiten des Sufismus jener Zeit, bis er 1205 Mekka verließ und nach Bagdad ging. Anschließend bereiste er ganz Ägypten, um danach 1207 erneut nach Mekka zu gehen.

Ibn Arabi besuchte auch die Stadt Konya (heute Türkei), wo seine Weisheit und Spiritualität bei den Einheimischen einen großen Eindruck hinterließen. Sein Aufenthalt in dieser Stadt ist für den östlichen Sufismus bis nach Indien von Bedeutung.

Im Jahr 1223 beschloss Ibn Arabi, sich in Damaskus niederzulassen, wo er bis zu seinem Tod 1240 lebte.[1]

Lehre

Ibn Arabi betonte mehrmals, dass der fiqh und dessen Madhhab sowie die Theologie als Richtungen nur vorübergehend seien und er nicht ihr Befolger. Diese seien nur vorübergehende Einrichtungen, um zu einem höheren Ziel zu gelangen, wie dem Verzicht auf weltlichen Dinge.[2] Speziell seine Interpretation des Tauhīd machte ihn später zu einem Angriffspunkt seiner Gegner. Insbesondere seine Lehre von der wahdat al-wudschūd ("Einheit des Seins"). Sie geht von einer körperlichen Einheit zwischen Schöpfer und Schöpfung aus. Nūr ad-Dīn ar-Rānīrī wirft ihm in diesem Zusammenhang noch vor, die Erschaffenheit der Welt von Gott, die im Koran hervorgeht, zu leugnen.[3] Allgemeinhin bezeichnen seine Gegner die Theorie als kufr. Ibn Taimiyya vergleicht sie in diesem Zusammenhang mit der Dreifaltigkeit im Christentum.[4]

Sufis, die den Tauhid anders interpretierten als ibn Arabi, stellten die Lehre des Wadschibatul wudschūd auf. Diese stellt fest, dass das "Wesen Gottes" nichts anderem gleicht und in keiner Einheit mit einer Schöpfung existiert.[5] Die „Einheit mit Gott“ wird hier vielmehr damit erklärt, die Auflösung des eigenen Willens in Gottes Willen, die Aufgabe des eigenen Egos zu erlangen. Um dorthin zu gelangen, bedarf es einer großen Anstrengung (dschihad) als Kampf gegen das eigene Innere, das sogenannte „niedere Ego“ (an-nafs al-ammara). Als höchste Stufe gilt das „reine Ich“ (an-nafs al-safiya), das jedoch nur von wenigen Sufis erreicht werden könne. siehe: Aʿyān thābita

Ibn Arabi vertrat ferner die Auffassung, dass Jesus, im Islam gemeinhin bekannt als Isa ibn Maryam, nicht, wie eine große Anzahl der islamischen Richtungen glaubt, mit dem Körper in den Himmel emporgehoben wurde. Allein die Seele Jesu sei von Gott in den Himmel emporgehoben worden und er also eines natürlichen Tode gestorben.

Werke

Ibn Arabi hat während seiner Reisen und in den letzten Jahren seines Lebens eine fast unübersehbare Menge von Werken verfasst, die fast alle islamischen Mystiker nach ihm mehr oder weniger stark beeinflusst haben. Man sagt, es gebe keine größere Liebeslyrik als die seine und kein Sufi habe mit dem inneren Sinn seines Lebens und seines Werkes die orthodoxen Theologen mehr beeindruckt als er.

Eine kleine Auswahl seiner Werke:

  • ʿAnqāʾ muġrib („Der Sagenhafte Greif des Westens“); bedeutendes Frühwerk zum Begriff des Siegels der Heiligen (Jesus) und der Idee des Vollkommenen Menschen, die Übersetzung ins Deutsche (Wolfgang Herrmann) stützt sich auf die englische Übersetzung von Gerald T. Elmore (eingebettet in dessen Monografie Islamic Sainthood in The Fullness of Time) und ist 2012 bei Edition Shershir erschienen, ISBN 978-3-906005-09-6
  • Turjumān al-Ashwāq („Deuter der Sehnsüchte“); 61 mystische Liebesgedichte, Vers für Vers von Ibn Arabi selbst kommentiert, Band 1 einer auf zwei Bände angelegten Übersetzung des gesamten Werks (inkl. aller Kommentare) aus dem Arabischen erschien 2013 bei Edition Shershir, ISBN 978-3-906005-12-6 (Übersetzer: Wolfgang Herrmann)
  • al-Futūḥāt al-Makkīya („Die mekkanischen Offenbarungen“)
  • Fuṣūṣ al-ḥikam („Ringsteine der göttlichen Weisheit“); 1947 zuerst ins Deutsche übersetzt von Hans Kofler, erschien 1970 als Das Buch der Siegelringsteine der Weisheitssprüche in der Grazer Akademischen Druck- und Verlagsanstalt (2. Auflage 1986, ISBN 3-201-01333-1). 1955 erfolgte eine (unvollständige) Übersetzung ins Französische durch Titus Burckhardt; diese französische Übersetzung wurde von Wolfgang Herrmann ins Deutsche übersetzt und 2005 als Die Weisheit der Propheten von Chalice in Zürich (ISBN 3-905272-71-7) verlegt.[6]
  • Rūḥ al-quds fī munāṣaḥat an-nafs („Der Geist der Heiligkeit, der die Seele leitet“)
  • al-Durrah al-fāḳhirah fī dhikr man intafaʻtu bi-hi fī ṭarīq al-ākhirah („Die vollkommene Perle, die Geschichten von denjenigen erzählt, die mir auf dem Weg in die andere Welt geholfen haben“)
  • Lubbul Lubb („Der innerste Kern“) und Kitāb al-Ajwibah („Wer sich selbst kennt...“); beide Texte auf Deutsch erschienen unter dem Titel Der verborgene Schatz ISBN 3-905272-72-5
  • Risālat al-anwār („Reise zum Herrn der Macht“) und Kapitel 367 aus den Futūḥāt al-Makkīya („Meine Reise verlief nur in mir selbst“); beide Texte mit ausführlichen Kommentaren auf Deutsch erschienen unter dem Titel Reise zum Herrn der Macht ISBN 978-3-905272-73-4

Rezeption

Die Lehren Ibn ʿArabīs bildeten schon zu seinen Lebzeiten, aber auch in den Jahrhunderten danach ein äußerst kontroverses Thema unter den muslimischen Gelehrten. Zahlreiche Gelehrte schrieben nach seinem Tod Kommentare zu seinen Werken und erklärten deren mystische Begrifflichkeit, darunter auch mehrere führende Gelehrte des frühen osmanischen Staates wie Dawūd al-Qaisarī (gest. 1350), der Leiter der ersten osmanischen Madrasa, Scheich Bedreddin (gest. 1416), osmanischer Rechtsgelehrter und Rebell, und Mollā Fanārī (gest. 1430), der erste Schaich al-Islām des Osmanischen Reiches.[7] Sie sahen in ihm den größten spirituellen Meister.

Andere muslimische Gelehrte, insbesondere solche aus dem Orthodoxen Islam, betrachteten Ibn ʿArabī als Ketzer oder sogar Apostaten.[8] Als bekanntester Gegner gilt Ibn Taimiya. Auf dessen Lehren stützen sich viele ähnlich denkende Gelehrte nach ihm, beispielsweise Ibn Qayyim al-Dschauziya, Imam Birgivi oder Muhammad ibn Abd al-Wahhab. Etwa im gleichen Zeitraum wie Ibn Taimiya wirkte Ibn Kathīr, der auch als Gegner des ibn Arabi gilt. Als weitere nennenswerte Gegner können Nūr ad-Dīn ar-Rānīrī, Kadızade Mehmed und ʿAlī al-Qārī genannt werden.[9] Es gibt nur wenige die eine neutrale Haltung zu ibn Arabi bewahren, wie manch Gelehrte der Deobandi. Im Mittelalter stammten die meisten Gegner ibn Arabis aus dem Lager der Hanbaliten die der Athari Theologie folgten und aus dem Lager der Orthodoxen Maturidiyyah. Heute können insbesondere die Anhänger des Salafismus, die sich in ihren Ansichten stark an die Hanbaliten anlehnen als Gegner betrachtet werden.

Siehe auch

Literatur

Primärtexte

  • Die vollkommene Harmonie. O. W. Barth, München 2002. ISBN 978-350-261302-2
  • Urwolke und Welt: mystische Texte des „Größten Meisters“. dt. Übers. Alma Giese. Beck, München 2002, ISBN 3-406-48055-1
  • Richard Gramlich: Islamische Mystik, sufische Texte aus zehn Jahrhunderten. Kohlhammer, Stuttgart 1992, ISBN 3-17-011772-6
  • Journey to the Lord of Power: A Sufi Manual on Retreat, engl. Übers. Rabia Harris. Inner Traditions, Rochester, VT 1991.
  • Die Weisheit der Propheten: Die Fusus al-Hikam nach der Übertragung von Titus Burckhardt. Chalice Verlag, 2005, ISBN 978-3-905272-71-0.
  • Muhyiddin Ibn Arabi; A commemorative volume. [Ed. by Stephen Hirtenstein and Michael Tiernan for the Muhyiddin Ibn Arabi Society]. Element, Shaftesbury 1993.

Sekundärliteratur

  • C. Addas: Quest for the Red Sulphur: The Life of Ibn ‘Arabî. The Islamic Texts Society, Cambridge UK 1993
  • C. Addas: Andalusi Mysticism and the Rise of Ibn `Arabi. In: Salma Jayyusi (Hrsg.): The Legacy of Muslim Spain. E. J. Brill, Leiden 1992, 909–933.
  • W. C. Chittick: The Sufi Path of Knowledge: Ibn al-‘Arabî's Metaphysics of Imagination. State University of New York Press, Albany 1989.
  • Selahattin Akti: Gott und das Übel: Die Theodizee-Frage in der Existenzphilosophie des Mystikers Muhyiddin Ibn Arabi. Chalice Verlag, Xanten 2016, ISBN 978-3-942914-15-4.
  • W. C. Chittick: Ibn ‘Arabî” and “The School of Ibn ‘Arabî. In: S. H. Nasr, O. Leaman (Hrsg.): History of Islamic Philosophy. Routledge, London 1996, S. 497–523.
  • W. C. Chittick: Ibn ‘Arabi: Heir to the Prophets. Oneworld, Oxford 2005; deutsche Übersetzung unter dem Titel Ibn Arabi: Erbe der Propheten von Peter Finckh. Edition Shershir, 2012, ISBN 978-3-906005-01-0
  • W. C. Chittick: Imaginal Worlds: Ibn al-'Arabi and the Problem of Religious Diversity. State University of New York, 1994; deutsche Übersetzung unter dem Titel Bildhafte Welten: Ibn al-'Arabi und die Frage der religiösen Vielfalt von Peter Finckh, Edition Shershir, 2015, ISBN 978-3-906005-14-0
  • Stephen Hirtenstein: Der grenzenlos Barmherzige – Das spirituelle Leben und Denken des Ibn Arabi. Erste deutschsprachige Biografie Muhyiddin Ibn Arabis. ISBN 978-3-905272-79-6
  • M. Asín Palacios: El Islam cristianizado, Madrid 1931, franz. Übers. L’Islam christianisé: Étude sur le Soufisme d’Ibn ‘Arabî de Murcie. Guy Trédaniel, Paris 1982.
  • Fateme Rahmati: Der Mensch als Spiegelbild Gottes in der Mystik Ibn ´Arabis. Harrassowitz, Wiesbaden 2007
  • Annemarie Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam. Die Geschichte des Sufismus. Diederich, München 1985
  • M. H. Yousef: Ibn ‘Arabi – Time and Cosmology. Routledge, London 2007.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 The Meccan Revelations. World Digital Library, , abgerufen am 14. Juli 2013.
  2. Mohammed Rustom: Review of Michel Chodkiewicz’s An Ocean without Shore. (PDF; 18 kB)
  3. Charles Kurzman (Hrsg.): The Proposed Political, Legal and Social Reforms. Taken from Modernist Islam 1840–1940: A Sourcebook. Oxford University Press, New York 2002, S. 281
  4. Who was Ibn ‘Arabi? islam-qa.com
  5. sozlerkosku.com sk:“Allah’ın Varlığı, Zatının İcabıdır” Sözü Ne Demektir?
  6. Fateme Rahmati: Der Mensch als Spiegelbild Gottes in der Mystik Ibn ʿArabīs (= Studies in Oriental religions. Volume 55). Harrassowitz, Wiesbaden 2007, S. 6.
  7. Mustafa Tahrali: A General Outline of the Influence of Ibn 'Arabi on the Ottoman Era. In: Journal of the Muhyiddin Ibn ʿArabi Society, 26, 1999, S. 43–54.
  8. Al-Suyuti, Tanbih al-Ghabi fi Tanzih Ibn ‘Arabi (S. 17–21)
  9. Zubair Ali Zai: The Takfeer of Ibn Arabee. (PDF; 42 kB). Trns. Abu Khuzaimah Ansaari. Maktabah Ashaabul Hadeeth, 2009.
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