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Tastsinn
Der Tastsinn (lat. tactus) ist einer der zwölf physischen Sinne, von denen Rudolf Steiner in seiner Sinneslehre gesprochen hat. Zu unterscheiden ist dabei die einfache taktile Wahrnehmung, bei der wir nur passiv spüren, dass wir berührt werden[1], und die aktive und wesentlich komplexere haptische Wahrnehmung (von griech. ἁπτός haptόs „fühlbar“), mittels der wir die Gegenstände der Außenwelt gezielt durch tastendes „Begreifen“ erforschen. Dabei spielt auch der Eigenbewegungssinn eine wesentliche Rolle. Der Psychologe Max Dessoir prägte 1892 für die wissenschaftliche Erforschung der Funktionen des Tastsinns den Begriff Haptik[2].
Der Tastsinn ist vornehmlich auf die Wahrnehmung des festen Erdelements gerichtet. Er enstand laut Rudolf Steiner erst während der Erdentwicklung und war auf den früheren Weltentwicklungsstufen noch nicht vorgebildet.
„Der Tastsinn entstand erst mit dem Mineralreich, das Mineralreich ist aber ein Ergebnis der Erdenentwickelung. In demselben Sinne, wie wir auf der Erde den Tastsinn durch das Mineralreich entwickelt haben, gab es ihn auf dem Monde nicht, der hatte dort ebensowenig einen Sinn wie der Lebenssinn.“ (Lit.: GA 170, S. 120)
Der Tastsinn vermittelt durch die Berührung mit der Außenwelt vor allem in dem damit verbundenen inneren Erleben unser Ich-Gefühl, unsere eigene Ich-Wahrnehmung, die nicht mit der Wahrnehmung des Ich-Sinns verwechselt werden darf, die auf ein fremdes, uns gegenüberstehendes Ich gerichtet ist. Obwohl der Tastsinn der am meisten periphere aller Sinne ist, vermittelt er letztlich nur Innenerlebnisse, die wir allerdings bei der Berührung mit der Außenwelt haben. Ursprünglich sollten wir überhaupt nicht die Außenwelt durch den Tastsinn spüren, sondern nur unser Ich. Gleichsam sollte sich unser Ich durch den ganzen Organismus erstrecken und diesen gleichsam von innen abtasten und dadurch zum Ich-Erlebnis kommen. Es geht also um ein Erlebnis unserer ganzen Leibesgestalt von innen her. Luzifer hat diese Wahrnehmung aber auf die Außenwelt abgeleitet, wodurch unser Ich-Erlebnis (das nicht mit dem Erlebnis des Ego verwechselt werden darf, in dem sich die Eigenheiten des Astralleibes ausleben) getrübt wurde und schließlich fast ganz verlöschen würde.
„Wodurch erleben wir während des Tagwachens das Ich-Bewußtsein? Machen Sie sich klar, wie eigentlich doch dieses Ich-Bewußtsein zusammenhängt mit allen äußeren Wahrnehmungen und allem äußeren Erleben. Wenn wir mit der Hand so durch die Luft fahren, verspüren wir nichts. Im Augenblick, wo wir aufstoßen, verspüren wir etwas. Aber wir verspüren eigentlich das eigene Erlebnis, verspüren dasjenige, was wir durch unsere Finger erleben. Im Stoßen an die Außenwelt werden wir unser Ich gewahr. Und in anderem Sinn werden wir beim Aufwachen eigentlich dadurch unser Ich gewahr, daß wir aus dem Schlafbewußtsein heraus untertauchen in unseren physischen Leib, zusammenstoßen mit unserem physischen Leib. In diesem Zusammenstoßen mit dem physischen Leib wird das Ich-Bewußtsein eigentlich vor die Seele gerufen.“ (Lit.: GA 174a, S. 86)
Auch in den Neurowissenschaften wurde mittlerweile erkannt, welche Bedeutung die Wahrnehmung der Körpergrenze für das Selbsterleben hat. Dabei spielt auch der Eigenbewegungssinn eine wesentliche Rolle:
„Dies setzt zunächst einmal voraus, dass Individuen einen unmittelbaren Bezug zu ihrem eigenen Körper haben, ein sogenanntes »Kernselbst«, das ihnen eine ganz basale Abgrenzung ihres Körpers gegenüber der Außenwelt erlaubt. Tatsächlich wird diese Annahme durch die Forschung bestätigt; Siegler sieht sogar »zwingende Belege dafür, dass Säuglinge schon in den ersten Lebensmonaten eine rudimentäre Vorstellung vom Selbst besitzen«.[3] Dieses Kernselbst ergibt sich aus der direkten Interaktion des Kindes mit der Umwelt. Entscheidend ist dabei zum einen die Erfahrung, etwas bewirken zu können,[4] zum anderen die körperlichen Empfindungen, die mit eigenen Handlungen einhergehen, zum Beispiel die Anspannung meiner Muskeln, die Reibung von Kleidern auf der Hautoberfläche, der Widerstand von Objekten, die im Wege stehen und so fort.“ (Lit.: Pauen, S. 148)
Tastqualitäten
Die wichtigsten Tastqualitäten sind (als Gegensatzpaare):
- spitz vs. dumpf
- scharf vs. stumpf
- glatt ws. rauh
- hart vs. weich
- schwer vs. leicht
- feucht vs. trocken
Literatur
- Dietrich Rapp, Hans-Christian Zehnter: Die zwölf Sinne in der seelischen Beobachtung – Eine Exkursion. Sentovision, Basel 2019, ISBN 978-3037521083
- Robert F. Schmidt, Hans-Georg Schaible: Neuro- und Sinnesphysiologie, 5. Auflage, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006, ISBN 978-3540257004, eBook ISBN 978-3540294917
- Albert Soesman: Die zwölf Sinne. Tore der Seele. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1995; 6. überarb. A. 2007, ISBN 978-3-7725-2161-4
- Karsten Massei: Zwiegespräche mit der Erde: Ein innerer Erfahrungsweg, Futurum Verlag, 2014 ISBN 978-3856362461
- Johannes Weinzirl (Hrsg.), Peter Heusser (Hrsg.): Bedeutung und Gefährdung der Sinne im digitalen Zeitalter, Wittener Kolloquium für Humanismus, Medizin und Philosophie, Band 5, Königshausen u. Neumann 2017, ISBN 978-3826059919
- Michael Pauen: Was ist der Mensch? Die Entdeckung der Natur des Geistes. Deutsche Verlags-Anstalt, 2007, ISBN 978-3-421-04224-8
- Siegler, Robert, Judy DeLoache und Nancy Eisenberg: Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter, Spektrum, Heidelberg 2005
- Rudolf Steiner: Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte, GA 170 (1992), ISBN 3-7274-1700-5 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
- Rudolf Steiner: Mitteleuropa zwischen Ost und West, GA 174a (1982), ISBN 3-7274-1741-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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