Biografie

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Die Biografie (griech. βιογραφία, von βίος bíosLeben“ und -grafie) ist, äußerlich betrachtet, die Beschreibung des Lebens einer Person, gegebenenfalls in Form einer selbst verfassten Autobiografie (von griech. αὐτός autós „selbst“).

Aus geisteswissenschaftlicher Sicht ist die Biografie aber weit mehr als eine bloß äußere Lebensbeschreibung eines Menschen. Sie ist vielmehr die im Erdenleben sichtbar werdende Spur seiner unvergänglichen Individualität, seines Ichs, das sich im Zuge wiederholter Erdenleben entwickelt und dessen Schicksal einerseits maßgeblich durch seine Taten in früheren Inkarnationen mitbestimmt wird, andererseits aber auch aus voller Freiheit fruchtbare Keime für die Zukunft schafft.

„Als physischer Mensch stamme ich von anderen physischen Menschen ab, denn ich habe dieselbe Gestalt wie die ganze menschliche Gattung. Die Eigenschaften der Gattung konnten also innerhalb der Gattung durch Vererbung erworben werden. Als geistiger Mensch habe ich meine eigene Gestalt, wie ich meine eigene Biographie habe. Ich kann also diese Gestalt von niemand anderm haben als von mir selbst. Und da ich nicht mit unbestimmten, sondern mit bestimmten seelischen Anlagen in die Welt eingetreten bin, da durch diese Anlagen mein Lebensweg, wie er in der Biographie zum Ausdruck kommt, bestimmt ist, so kann meine Arbeit an mir nicht bei meiner Geburt begonnen haben. Ich muß als geistiger Mensch vor meiner Geburt vorhanden gewesen sein. In meinen Vorfahren bin ich sicher nicht vorhanden gewesen, denn diese sind als geistige Menschen von mir verschieden. Meine Biographie ist nicht aus der ihrigen erklärbar Ich muß vielmehr als geistiges Wesen die Wiederholung eines solchen sein, aus dessen Biographie die Meinige erklärbar ist. Der andere zunächst denkbare Fall wäre der, daß ich die Ausgestaltung dessen, was Inhalt meiner Biographie ist, nur einem geistigen Leben vor der Geburt (beziehungsweise der Empfängnis) verdanke. Zu dieser Vorstellung hätte man aber nur Berechtigung, wenn man annehmen wollte, daß, was auf die Menschenseele aus dem physischen Umkreis herein wirkt, gleichartig sei mit dem, was die Seele aus einer nur geistigen Welt hat. Eine solche Annahme widerspricht der wirklich genauen Beobachtung. Denn was aus dieser physischen Umgebung bestimmend für die Menschenseele ist, das ist so, daß es wirkt wie ein später im physischen Leben Erfahrenes auf ein in gleicher Art früher Erfahrenes. Um diese Verhältnisse richtig zu beobachten, muß man sich den Blick dafür aneignen, wie es im Menschenleben wirksame Eindrücke gibt, die so auf die Anlagen der Seele wirken wie das Stehen vor einer zu verrichtenden Tat gegenüber dem, was man im physischen Leben schon geübt hat; nur daß solche Eindrücke eben nicht auf ein in diesem unmittelbaren Leben schon Geübtes auftreffen, sondern auf Seelenanlagen, die sich so beeindrucken lassen wie die durch Übung erworbenen Fähigkeiten. Wer diese Dinge durchschaut, der kommt zu der Vorstellung von Erdenleben, die dem gegenwärtigen vorangegangen sein müssen. Er kann denkend nicht bei rein geistigen Erlebnissen vor diesem Erdenleben stehenbleiben.“ (Lit.:GA 9, S. 72f)

Normalerweise verschlafen wir allerdings mit unserem Tagesbewusstsein die Kräfte, die in unser Karma aus früheren Erdenleben hereinspielen. Im tiefen Schlaf gehen wir in der Zeit tatsächlich rückwärts bis zu unserer früheren Inkarnation, nur werden uns diese Erlebnisse normalerweise nicht bewusst. Das gelingt erst, wenn wir durch geistige Schulung die Fähigkeit der Intuition erworben haben (Lit.: GA 234, S. 107f).

„Das Karma ist ja etwas, was in allem Erleben der Menschen unmittelbar wirksam ist, was sich aber verbirgt hinter den äußeren Erlebnissen in alldem, was zum Unbewußten und Unterbewußten der menschlichen Seele gerechnet werden muß. Wenn man eine Biographie liest, so müßte das eigentlich, falls das Lesen mit wirklichem innerem Anteil an demjenigen geschieht, was erzählt wird, es müßte das Lesen einer Biographie ganz besonders geartete Empfindungen beim Leser hervorrufen. Wenn ich beschreiben soll, wozu man beim Lesen einer Biographie kommen kann, so ist es dieses: Wer eine Biographie mit wirklicher Aufmerksamkeit verfolgt, der wird sich sagen müssen: Immer wieder und wieder kommen in einer Biographie Ansätze vor zum Darstellen von Lebensereignissen, die nicht eigentlich in einer fortdauernden Erzählungsentwickelung begründet sind. Man hat, wenn man eine Biographie vor sich hat, eigentlich das Leben eines Menschen nur in einer gewissen Weise vor sich. Ins Leben eines Menschen spielen nicht nur diejenigen Tatsachen hinein, die er im Wachzustande erlebt, also: erster Tag - jetzt kommt die Nacht; zweiter Tag - jetzt kommt die Nacht; dritter Tag - jetzt kommt die Nacht und so fort, sondern es ist so, daß wir ja nur äußerlich erfühlen können, was an den Tagen geschehen ist, falls wir nicht eine geisteswissenschaftliche Biographie schreiben, was ja unter Umständen gegenüber der heutigen Zivilisation eigentlich eine völlige Unmöglichkeit ist. Wir schreiben also in die Biographie das hinein, was an den Tagen während des Wachzustandes des Menschen geschehen ist, über den wir die Biographie schreiben.

Was aber das Leben eigentlich formt, was dem Leben Gestalt gibt, was dem Leben die schicksalsmäßigen Impulse einpflanzt, das ist ja nicht sichtbar in den Tagesereignissen, das spielt als Impulse zwischen den Tagesereignissen in der geistigen Welt, wenn der Mensch selber in dieser geistigen Welt vom Einschlafen bis zum Aufwachen drinnen ist. Im wirklichen Leben sind diese Schlafesimpulse durchaus darinnen; wenn wir die Biographien erzählen, sind sie nicht darinnen. Was bedeutet denn das Erzählen einer Biographie?

Nichts Geringeres eigentlich bedeutet es gegenüber dem Leben des Menschen, als wenn wir zum Beispiel die Raffaelsche Sixtinische Madonna nehmen, sie an die Wand hängen, gewisse Flächen mit weißem Papier verkleben, so daß man sie nicht sieht und nur gewisse Flächen übrigbleiben. Derjenige, der das anschaut, muß doch das Gefühl bekommen: Da muß ich noch etwas anderes sehen, wenn das ein Ganzes sein soll.

Dieses Gefühl müßte eigentlich jeder haben, der unbefangen eine Biographie liest. Es kann ja der heutigen Zivilisation gegenüber nur im Stile angedeutet werden, aber das sollte auch geschehen. Es sollte im Stile angedeutet werden. Es sollte angedeutet werden, daß immerzu in das Leben des Menschen Impulse hineinspielen, die gewissermaßen aus dem Unpersönlichsten des seelisch-geistigen Erlebens heraufkommen. Dann, wenn wenigstens das geschieht, meine lieben Freunde, dann wird man schon sich zu dem Gefühl hinaufschulen, daß aus einer Biographie Karma sprechen muß. Es wäre ja natürlich abstrakt, wenn man so sprechen wollte, daß man in einer Biographie irgendeine Szene aus dem Leben eines Menschen erzählte und dann sagte: Nun ja, das kommt aus einem vorigen Erdenleben, da war es so, und das gestaltet sich jetzt so herein. - Das wäre ja natürlich abstrakt. Das würden die meisten Menschen wahrscheinlich sehr sensationell finden, aber damit würde in Wahrheit keine höhere Geistigkeit erreicht werden, als sie erreicht wird durch unsere Philisterbiographien, wie sie im heutigen Zeitalter geschrieben werden; denn alles, was im heutigen Zeitalter auf diesem Gebiete geleistet wird, ist Philisterwerk.

Nun kann man dasjenige, was da in der Seele eintreten soll, dadurch in sich besonders heranerziehen, daß man, ich möchte sagen, eine gewisse Liebe gewinnt für tagebuchartige Aufzeichnungen der Menschen. Tagebuchartige Aufzeichnungen können zwar sehr philiströs geschrieben sein, aber wenn sie nicht gedankenlos geschrieben oder gelesen werden, wird derjenige, der nicht selbst ein Philister ist, in der tagebuchartigen Aufzeichnung selbst eines Philisters beim Übergang von einem Tag zu dem anderen Empfindungen haben, die schon heranreichen zu dem Erfühlen des Karma, der schicksalsmäßigen Zusammenhänge.“ (Lit.:GA 236, S. 255ff)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.