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Lobrede auf die neue Ritterschaft
Die Lobrede auf die neue Ritterschaft (lat. Liber ad milites templi de laude novae militiae) ist eine von Bernhard von Clairvaux an die „geistlichen Soldaten“, die Tempelritter, gerichtete Schrift, in der er das weltliche Rittertum anprangerte und für ein geistliches Rittertum plädierte, das er im Templerorden verwirklicht sah. Bernhard hob darin die Bedeutung der Stätten des Heiligen Landes hervor, gab eine theologische Rechtfertigung des mit Waffengewalt ausgeführten Kampfes für die christliche Religion und warnte die Ritterschaft zugleich vor Ausschweifungen und Lastern im Zuge der Kampfhandlungen.
Auf dem Konzil von Troyes 1129, an dem Bernhard mitwirkte, wurde der um 1119[1] von Hugo von Payns, Gottfried von Saint-Omer und sieben weiteren französischen Ritter[2] gegründete Templerorden von der Kirche offiziell anerkannt und erhielt seine Ordensregeln, die auf denen des Benedikt von Nursia gründeten und in die auch Berhards „Lobrede“ mit aufgenommen wurde.
Text
VORREDE
Bernhard, nur dem Namen nach Abt von Clairvaux, (grüßt) Hugo, den Ritter und Meister der Ritterschaft Christi: Kämpfe den guten Kampf!
Einmal und wohl auch ein zweites und drittes Mal, wenn ich mich nicht täusche, liebster Hugo, hast du mich gebeten, Dir und Deinen Waffenbrüdern eine Predigt der Ermunterung zu schreiben und gegen die feindliche Macht der Tyrannen meinen Griffel zu schwingen, da es mir nicht erlaubt ist, dies mit der Lanze zu tun. Du behauptest, es sei von nicht geringem Nutzen, dass ich Euch mit einer Schrift ermutige, wenn ich es mit Waffen schon nicht tun kann. Ich habe es eine Zeitlang aufgeschoben, nicht weil ich die Bitte abschlagen wollte, sondern damit man mich nicht beschuldige, meine Zustimmung leichtfertig und voreilig gegeben zu haben. Denn ich stünde als Prahler da, wenn ich mir in meiner Unerfahrenheit das anmaßte, was ein Besserer besser auszuführen vermöchte, und eine an sich äußerst notwendige Angelegenheit wäre durch mich nicht zur Genüge behandelt. Da ich aber jetzt sehe, dass ich vergeblich auf jemanden gewartet habe, habe ich schließlich das mir Mögliche getan, um nicht den Anschein zu erwecken, eher unwillig als unfähig zu sein. Der Leser möge beurteilen, ob ich entsprochen habe. Auch wenn jemand daran entweder keinen Gefallen findet, oder die Arbeit den Anforderungen nicht genügt, liegt es doch nicht an mir, der ich Deinem Wunsch entsprochen habe, so gut ich konnte.
I. MAHNREDE AN DIE TEMPELRITTER
1. Überall in den Ländern und in jener Gegend die Christus in Menschengestalt und als aufstrahlendes Licht aus der Höhe besucht hat hört man seit kurzem, es sei eine neue Schar von Rittern aufgetreten. Dort von wo er in der Kraft seines Armes die Fürsten der Finsternis verscheuchte will er auch ihre Anhänger, die Söhne des Unglaubens zersprengen und vernichten durch die Hand seiner starken Streiter. Er schafft auch heute seinem Volk Erlösung und errichtet uns das Horn des Heils im Hause seines Knechtes David. Es handelt sich sage ich um ein neues der Welt noch unbekanntes Rittertum das einen zweifachen Kampf zugleich unermüdlich kämpft nämlich den gegen Fleisch und Blut und den gegen die bösen Geister des himmlischen Bereiches. Wenn man nur mit Körperkraft einem körperlichen Feind Widerstand leistet so sehe ich das allerdings weder als wunderbar an noch halte ich es für eine Seltenheit. Aber auch dann, wenn man in tapferer Gesinnung den Lastern und Dämonen den Krieg erklärt, scheint mir das nicht so großartig zu sein auch wenn es lobenswert ist denn man sieht ja, dass die Welt voll von Mönchen ist. Aber wenn beide Menschen in einer Person, ein jeder sich kraftvoll mit dem Schwert umgürtet, sich ehrenvoll durch sein Zingulum auszeichnet wer würde einen solchen nicht aller Bewunderung für höchst würdig erachten zumal es sich ja um Außergewöhnliches handelt? Ein solcher ist jedenfalls ein unerschrockener Ritter allenthalben gefeit; er umgibt seinen Leib mit dem Panzer aus Eisen seine Seele aber mit dem des Glaubens. Da er nun durch beiderlei Waffen geschützt ist, fürchtet er weder Teufel noch Menschen. Nicht einmal vor dem Tode ist dem bange der sich zu sterben sehnt. Denn was könnte der im Leben oder im Tode fürchten dem Christus Leben und Sterben Gewinn ist? Er setzt sich treu und freudig für Christus ein; aber mehr sehnt er sich danach aufgelöst zu werden und bei Christus zu sein: Das ist nämlich besser. Schreitet also sicher voran ihr Ritter und vertreibt unerschrocken die Feinde des Kreuzes Christi in der Gewissheit, dass weder Tod noch Leben euch von der Liebe Gottes trennen kann die sich in Christus Jesus offenbart. In jeder Gefahr wiederholt für euch das Wort: „Ob wir leben oder ob wir sterben wir gehören dem Herrn.“ (Röm 14,8) Wie ehrenvoll kehren die Sieger aus der Schlacht zurück! Wie selig sterben sie als Märtyrer im Kampf! Freue dich, starker Kämpfer, wenn du im Herrn lebst und siegst! Aber noch mehr frohlocke und rühme dich, wenn du stirbst und dich mit dem Herrn vereinst. Das Leben ist fruchtbringend (an Werken), und der Sieg ist ruhmvoll. Beiden aber wird ein seliges Sterben zu Recht vorgezogen. Denn wenn schon die „selig sind, die im Herrn sterben" (Offb 14,13), sind es dann nicht vielmehr jene, die für den Herrn sterben?
2. Ob nun einer auf seinem Lager oder auf dem Schlachtfeld stirbt, der Tod seiner Heiligen wird ohne Zweifel kostbar in den Augen des Herrn sein. In der Tat aber ist der Tod im Kampf um so kostbarer, je ruhmvoller er ist. O sicheres Leben, wenn das Gewissen rein ist! Ja, ich sage, sicher ist ein Leben dann, wo der Tod ohne Furcht erwartet, ja sogar voll Wonne ersehnt und mit Hingabe empfangen wird! O wahrhaft heiliger und sicherer Heeresdienst und von einer zweifachen Gefahr gänzlich frei, in die diese Art Menschen (die Ritter) oft zu geraten pflegt, wenn nicht Christus allein die Ursache des Kampfes ist. Denn sooft du dich in weltlichem Heeresdienst in den Kampf stürzt, ist allerdings zu befürchten, dass du entweder den Feind zwar leiblich, dich aber seelisch tötest - oder dass du von ihm zugleich dem Leib und der Seele nach getötet wirst. Die Gefahr oder der Sieg des Christen wird nämlich nach der inneren Gesinnung und nicht nach dem Kriegsglück beurteilt. Wenn nun die Sache des Kämpfenden eine gerechte ist, da wird ihr Ausgang nicht schlecht sein können, wie auch der Zweck nicht als gut beurteilt werden kann, wo ihm kein guter Beweggrund und keine rechte Absicht vorausgehen. Wenn es so kommt, dass du selber in der Absicht, einen anderen zu töten, getötet wirst, stirbst du als Mörder. Wenn du die Oberhand gewinnst und in der Absicht zu siegen und dich zu rächen, von ungefähr einen Menschen tötest, dann lebst du als Mörder. Es nützt aber weder dem Toten noch dem Lebenden, weder dem Sieger noch dem Besiegten, ein Mörder zu sein. Unglücklich der Sieg, bei dem du einen Menschen besiegst, dabei aber dem Laster unterliegst und dich vergeblich rühmst, einen überwunden zu haben, während du von Zorn und Hochmut beherrscht wirst. Es gibt freilich auch solche, die einen Menschen umbringen, nicht so sehr aus Rachsucht oder aus Siegesbegehren, sondern nur, um einer Gefahr zu entrinnen. Aber nicht einmal diesen Sieg würde ich gut nennen, da es von den beiden Übeln das leichtere ist, dem Leibe nach zu sterben als der Seele nach. Nicht aber weil der Leib getötet wird, stirbt auch die Seele, sondern „die Seele, die gesündigt hat, die wird sterben." (Ez 18,4)
II. DAS WELTLICHE RITTERTUM
3. Was ist der Zweck, was die Frucht dieser weltlichen, ich nenne sie nicht Ritterschaft, sondern Verderbtheit, wenn dabei sowohl der Tötende eine Todsünde begeht als auch der Getötete ewig zugrunde geht? In der Tat - ich bediene mich der Worte des Apostels: „Der Pflüger wie der Drescher sollen ihre Arbeit in der Erwartung tun, ihren Teil zu erhalten." ( 1Kor 9,10) Welch staunenerregender Irrtum also, ihr Ritter, welch unerträgliche Raserei, Kriegsdienst zu leisten unter so vielen Auslagen und Mühen! Bei keinem anderen Sold als entweder Tod oder Verbrechen! Ihr bedeckt eure Pferde mit seidenen Decken und eure Panzer mit allen möglichen Überhängen und Tüchern; ihr bemalt die Speere, die Schilder und die Sättel; die Zügel und Sporen schmückt ihr ringsum mit Gold und Silber und Edelsteinen; mit so großer Pracht eilt ihr in beschämender Raserei und schamlosem Stumpfsinn in den Tod. Sind das militärische Abzeichen oder nicht vielmehr weibischer Putz? Meint ihr vielleicht, dass der Dolch des Feindes vor dem Gold zurückscheut, die Edelsteine schont und die Seide nicht zu durchbohren vermag? Schließlich gibt es für den Kämpfenden, was ihr ganz sicher öfters erfahrt, drei Bedingungen, die besonders notwendig sind, nämlich: Der tapfere und fleißige Ritter sei umsichtig, um sich selbst zu schützen; er sei frei zur Bewegung und beherzt zum Treffen. Ihr aber lasst euren Haarschmuck nach Weiberart wachsen, wodurch ihr euch noch die Sicht erschwert; ihr verwickelt eure Schritte in lange, kostspielige Hemden, ihr versenkt eure zarten und feinen Hände in weite und wallende Ärmel. Obendrein ist das ein ganz leichtfertiger und frivoler Grund, warum man einen solchen und so gefährlichen Kriegsdienst auf sich nimmt - was das Gewissen eines Bewaffneten noch mehr schrecken sollte. Nur die unvernünftige Leidenschaft des Zorns oder die Gier nach eitlem Ruhm oder die Begierde nach irdischem Besitz erregen und wecken unter euch Kämpfe und Streitigkeiten. Bei solchen Anlässen gewährt weder das Töten noch das Sterben Sicherheit
III. DAS NEUE RITTERTUM
4. Die Ritter Christi aber kämpfen mit gutem Gewissen die Kämpfe des Herrn und fürchten niemals weder eine Sünde, weil sie Feinde erschlagen, noch die eigene Todesgefahr. Denn der Tod, den man für Christus erleidet oder verursacht, trägt keine Schuld an sich und verdient größten Ruhm. Hier nämlich wird für Christus, dort Christus (selbst) erworben. Er nimmt wahrlich den Tod des Feindes als Sühne gern an und bietet sich noch lieber seinem Streiter als Tröster dar. Ein Ritter Christi, sage ich, tötet mit gutem Gewissen, noch ruhiger stirbt er. Wenn er stirbt, nützt er sich selber, wenn er tötet, nützt er Christus. „Denn nicht ohne Grund trägt er das Schwert, er steht im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der Böses tut, zum Ruhm aber für die Guten." (Röm 13,4; 1Petr 2,14) Ja. wenn er einen Übeltäter umbringt, ist er nicht ein Menschenmörder, sondern sozusagen ein Mörder der Bosheit, und mit Recht wird er als Christi Rächer gegen die Missetäter und als Verteidiger der Christenheit angesehen. Wenn er aber selbst umgebracht wird, ist es klar, dass er nicht untergegangen, sondern ans Ziel gelangt ist. Der Tod, den er verursacht, ist Christi Gewinn; wenn er ihn erleidet, sein eigener. Der Christ rühmt sich, wenn er einen Ungläubigen tötet, weil Christus zu Ehren kommt. Wenn ein Christ stirbt, offenbart sich die Hochherzigkeit des Königs, da der Ritter zur Belohnung geführt wird. Ja, über ihn wird der Gerechte frohlocken, wenn er die Vergeltung sieht. Über ihn „sagen die Menschen: Gibt es denn für den Gerechten einen Lohn? Gewiss, es gibt einen Gott, der auf Erden Gericht hält." (Ps 57,11f) Allerdings dürfte man die Heiden nicht töten, wenn man sie auf einem anderen Weg von den maßlosen Feindseligkeiten und von der Unterdrückung der Gläubigen abhalten könnte. Nun aber ist es besser, dass sie beseitigt werden, als dass das Zepter des Frevels auf dem Erbland der Gerechten lasten soll, damit die Gerechten nicht etwa ihre Hände nach Unrecht ausstrecken.
5. Was also? Wenn mit dem Schwert dreinzuschlagen für den Christen in keinem Fall erlaubt ist, warum hat dann der Vorläufer Christi den Soldaten auferlegt, sie sollen mit ihrem Sold zufrieden sein, anstatt ihnen den Kriegsdienst ganz und gar zu verbieten. Wenn es aber jedenfalls allen erlaubt ist, die dazu durch Gottes Anordnung bestimmt sind, und die sonst nichts Höheres gelobt haben, wem - so frage ich - steht es besser an, als denen, durch deren starke Hand Zion, unsere befestigte Stadt, zu unser aller Schutz gehalten wird? Sie wird gehalten, damit nach Vertreibung derer, die das göttliche Gesetz überschreiten, das gerechte Volk in Sicherheit einzieht, das dem Herrn die Treue bewahrt. Sicher sollen deshalb die Völker, die am Krieg Lust haben, zerstreut und zerhauen werden: solche Leute, die bei uns Unruhe stiften; alle sollen aus der Stadt des Herrn ausgerottet werden, die Unrecht tun. Sie arbeiten daran, die in Jerusalem niedergelegten unschätzbaren Reichtümer des christlichen Volkes zu rauben, das Heiligtum zu schänden und den heiligen Tempel Gottes in Besitz zu nehmen. Es sollen also beide Schwerter von den Gläubigen gegen die halsstarrigen Feinde gezückt werden, zu zerstören jeden Stolz, der sich gegen die Gotteserkenntnis erhebt, worin der christliche Glaube liegt. „Und die Heiden sollen nicht sagen können: Wo ist ihr Gott?" (Ps 113,2)
6. Wenn diese ausgestoßen sind, wird er selbst in sein Erbe und in sein Haus zurückkehren, über das er erzürnt im Evangelium sagt: „Sieh" so spricht er, „euer Haus wird verlassen" (Mt 23,38), und durch den Propheten klagt er so: „Ich verließ mein Haus, ich verstieß mein Erbteil." (Jer 12,7) Und er wird so jenes Prophetenwort erfüllen: „Der Herr hat sein Volk erlöst und es befreit. Sie werden kommen und jubeln auf Zions Höhe, sie werden strahlen vor Freude über die Gaben des Herrn." (Jer 31,11f) Freue dich Jerusalem und erkenne die Zeit deiner Heimsuchung! „Brecht in Jubel aus, jauchzt alle zusammen, ihr Trümmer Jerusalems! Denn der Herr tröstete sein Volk, er erlöste Jerusalem. Der Herr machte seinen heiligen Arm frei vor den Augen aller Völker." (Jes 52,9f) Du Jungfrau Israel, du warst gefallen, und es war keiner da, der dich aufhob. Steh auf, schüttle den Staub von dir ab, Jungfrau, gefangene Tochter Zions! Steh auf, sage ich, und steig auf die Höhe! Schaue die Freude, die von deinem Gott zu dir kommt! „Nicht länger nennt man dich 'Die Verlassene' und dein Land 'Das Ödland'. Denn der Herr hat an dir seine Freude, und dein Land wird bewohnt werden" (Jes 62,4) „Blicke auf und schaue umher! Alle versammelten sich und kamen zu dir". (Jes 49,18) Das ist die Hilfe, die dir vom Heiligtum gesandt wurde. Durch sie wird dir ja bald die alte Verheißung erfüllt: „Ich mache dich zum ewigem Stolz, zur Freude für alle Generationen. Du wirst die Milch der Völker saugen und an der Brust der Könige trinken." Und ebenso: „Wie eine Mutter ihre Kinder tröstet, so tröste ich euch, und in Jerusalem findet ihr Trost." (Jes 66,13). Siehst du nicht, wie das neue Rittertum so oft durch das Alte Testament bezeugt wird? Und dass wir es, „so wie wir es gehört haben, in der Stadt des Herrn der Heere schauen"? (Ps 47,9) Allerdings soll die wörtliche Auslegung die geistliche Bedeutung nicht beeinträchtigen: Wir erhoffen nämlich für die Ewigkeit, was wir zur Deutung dieser Zeit aus den Worten der Propheten entnehmen: Der Glaube möge durch das Sichtbare nicht verloren gehen, der jetzige Mangel den Reichtum an Hoffnung nicht mindern; die gegenwärtigen Guter mögen die künftigen nicht entkräften. Im übrigen zerstört der zeitliche Ruhm der irdischen Stadt nicht die himmlischen Güter, sondern vermehrt sie. Nur dürfen wir kein Bedenken haben, dass diese Stadt das Urbild jener darstellt, die unsere Mutter im Himmel ist.
IV. DIE LEBENSWEISE DER TEMPELRITTER
7. Nunmehr zur Nachahmung oder besser zur Beschämung unserer Ritter, die wahrlich nicht für Gott, sondern für den Teufel streiten, wollen wir - damit der Unterschied zwischen dem Heere Gottes und dem der Welt klar aufscheine - in Kürze über die Sitten und das Leben der Ritter Christi sprechen, wie sie sich in Krieg und Frieden verhalten. Zunächst fehlt keinem von beiden die Zucht und der Gehorsam wird keineswegs verachtet, weil nach dem Zeugnis der Schrift ein ungezogener Sohn zugrunde geht, und „Trotz ist ebenso eine Sünde wie Zauberei; Widerspenstigkeit ist ebenso ein Frevel wie Götzendienst." (Sam 15,23) Man geht und kommt auf den Wink eines Vorgesetzten, man zieht an, was er gibt, und man nimmt weder Kleidung noch Nahrung von anderswoher. In Nahrung und Kleidung hütet man sich vor Überfluss, man sorgt nur für das Notwendige. Man lebt in Gemeinschaft in froher und nüchterner Geselligkeit ohne Frauen und ohne Kinder. Und damit an der evangelischen Vollkommenheit nichts fehle, wohnen sie ohne jeglichen Besitz einmütig in einem Hause und sind bestrebt, die Einheit des Geistes im Band des Friedens zu wahren. Man könnte sagen, diese ganze Gemeinschaft sei ein Herz und eine Seele: auch so, dass ein jeder seinem Willen in keiner Weise folgt, sondern mehr sich bemüht, dem Befehlenden zu gehorchen. Niemals sitzen sie müßig da oder wandern neugierig umher, sondern immer wenn sie nicht in den Kampf ziehen - was selten geschieht -, setzen sie, um das Brot nicht müßig zu essen, beschädigte Waffen oder Kleider wieder in Stand oder flicken die alten und bringen die schlampigen in Ordnung. Kurz und gut: sie vollziehen was der Wille des Meisters und der gemeinsame Nutzen auferlegen. Bei ihnen gibt es überhaupt kein Ansehen der Person; dem Besseren und nicht dem Adeligeren erweist man Ehre. Sie kommen einander in Ehrenbezeigungen zuvor, sie tragen gegenseitig ihre Lasten, um so das Gesetz Christi zu erfüllen. Unverschämte Worte, unnütze Beschäftigungen, ungezügeltes Lachen, sogar leises Murren oder lautes Brummen werden, wenn es an den Tag kommt, immer bestraft. Sie verabscheuen Schach- und Würfelspiel, sie lehnen die Jagd ab, sie vergnügen sich nicht mit der Vogelbeize, wie sie sonst geübt wird. Schauspieler, Zauberer, Märchenerzähler, unsaubere Lieder und Schaustellungen von Possen verachten und verabscheuen sie als Eitelkeit und Lüge. Sie scheren sich die Haare, da sie wohl wissen, dass es auch nach dem Apostel für einen Mann eine Schande ist die Haare lang zu tragen. Niemals gekämmt, selten gebadet, erscheinen sie vielmehr borstig, weil sie die Haarpflege vernachlässigen, vom Staub beschmutzt, von der Rüstung und von der Hitze gebräunt.
8. Droht dann der Krieg, rüsten sie sich innerlich mit Glauben, nach außen mit Eisen, und nicht mit Gold, damit sie durch Waffen den Feinden Angst einjagen, und nicht durch Schmuck deren Habgier herausfordern. Starke und schnelle Pferde wollen sie haben nicht bunt behangene und mit Brustschmuck gezäumte. Den Kampf, und nicht die Pracht, den Sieg, und nicht den Ruhm haben sie im Sinn; sie mühen sich mehr, Furcht zu erregen als Bewunderung. Sodann, nicht leidenschaftlich und ungestüm, nicht voreilig und überstürzt, sondern bedacht und mit aller Vorsicht und Vorsorge ordnen sie sich und stellen sich in der Schlachtreihe auf, wie es von den Vätern geschrieben ist. Denn die wahren Israeliten schreiten ruhig in den Kampf. Wenn es aber zum Kampfe kommt, dann lassen sie die gewohnte Gelassenheit beiseite und stürzen sich auf die Gegner, als ob sie sagen wollten: „Sollte ich die nicht hassen, Herr, die dich hassen, und die nicht verabscheuen, die sich gegen dich erheben?" (Ps 138,21) Die Feinde erachten sie wie Schafe und niemals, auch wenn sie sehr wenige sind, fürchten sie weder wilde Barbarei noch zahlreiche Übermacht. Sie haben gelernt, nicht auf die eigenen Kräfte zu vertrauen, sondern den Sieg aus der Kraft des Herrn der Heerscharen zu erhoffen; sie sind vollkommen überzeugt, dass es ihm, nach dem Ausspruch des Makkabäers, ein Leichtes ist, „viele wenigen in die Hände fallen zu lassen; für den Himmel macht es keinen Unterschied, ob er durch viele oder wenige Rettung bringt. Denn der Sieg im Kampf liegt nicht an der Größe des Heeres, sondern an der Kraft, die vom Himmel kommt." ( 1Makk 3,18f) Das haben sie oft erfahren, dass viele Male ein einziger Tausende verfolgte und zwei Zehntausende in die Flucht schlugen. In der Tat sieht man, wie sie auf eine wunderbare und einzigartige Weise sanfter sind als die Lämmer und wilder als die Löwen, so dass ich im Zweifel wäre, was ich sie eher nennen sollte, nämlich Mönche oder Ritter, wenn ich sie nicht schon wohl recht zutreffend beides genannt hätte. Denn ihnen fehlt, wie man sieht, keines von beiden, weder die Sanftmut des Mönches noch die Tapferkeit des Kriegers. Was soll man darüber sagen als: „Der Herr hat es vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder?" (Ps 117,23) Solche hat sich Gott erwählt, und er sammelte sie als Diener von den Grenzen der Erde aus den Stärksten Israels, auf dass sie das Ruhelager des wahren Salomo, das Grab, bewachen und treu beschützen sollen, alle mit dem Schwert vertraut, geschult für den Kampf.
V. DER TEMPEL
9. In Jerusalem aber steht ein Tempel in dem sie beisammen wohnen, zwar jenem ehrwürdigen und berühmten des Salomo ungleich in der Bauart, aber nicht geringer an Herrlichkeit. Die ganze Pracht des ersten bestand ja in vergänglichem Gold und Silber, in den Quadersteinen und in den verschiedenen Hölzern die ganze Schönheit, die Anmut und der Schmuck des zweiten aber ist die fromme und genau geordnete Lebensweise der Bewohner. Der erste war sehenswert wegen der verschiedenen Farben; dieser ist wegen der mannigfaltigen Tugenden und heiligen Taten verehrungswürdig. Denn dem Hause Gottes gebührt Heiligkeit; Gott erfreut sich nicht so sehr an poliertem Marmor als an tugendhaften Sitten und liebt die reinen Herzen mehr als vergoldete Wände. Auch die Außenseite dieses Tempels wird geschmückt, jedoch mit Waffen, nicht mit Edelsteinen. Und statt der alten, goldenen Kränze ist die Wand ringsum mit Schilden bedeckt; anstatt der Leuchter, der Weihrauchfässer und Kännchen ist das Haus überall mit Zaumzeug, Sätteln und Lanzen zur Verteidigung ausgestattet. Dies sind die klaren Beweise: Die Ritter entbrennen im gleichen Eifer für das Haus Gottes, wie einst er selbst, der Anführer der Ritter. Als er damals den Tempel betrat, von mächtiger Zorneswut entflammt, bewaffnete er seine heilige Hand nicht mit dem Schwert, sondern mit einer Geißel, aus Stricken gemacht, und vertrieb die Händler, verschüttete das Geld der Wechsler und warf die Tische der Taubenhändler um; er Erachtete es für höchst unwürdig dass das Haus des Gebetes mit solchen weltlichen Geschäften verunreinigt werde. Vom Beispiel eines solchen Königs angeregt, hält sich das ihm dienende Heer in den heiligen Hallen mit Pferden und Waffen auf. In der Tat, es kommt ihm viel unwürdiger und bei weitem unerträglicher vor, dass das Heiligtum von den Ungläubigen entweiht und angegriffen wird statt von Händlern. Und wenn sie die Ungläubigen mit all ihrer gemeinen und tyrannischen Wut vom Tempel und den anderen heiligen Orten vertrieben haben, beschäftigen sie sich an ihrem Wohnort Tag und Nacht mit ehrbaren und nützlichen Arbeiten. Um die Wette ehren sie den Tempel Gottes in ständigem und aufrichtigem Dienst, indem sie mit immerwährender Hingabe, nicht nach dem Brauch der Alten das Fleisch von Opfertieren, sondern die wahrhaft friedlichen Opfer, nämlich Bruderliebe, hingebungsvolle Unterwerfung und Freiwillige Armut darbringen.
10. Dies alles geschieht in Jerusalem, und die Welt gerät in Erregung. Es hören die Inseln, und ferne Völker merken auf, und von Osten und von Westen begeistern sie sich wie ein Strom, der die Völker mit Ruhm überflutet, und wie der Andrang des Flusses der die Gottesstadt erquickt. Und das sieht man mit größerer Freude, das bringt mehr Nutzen, dass sich in dieser so großen Gemeinschaft vor allem jene zusammenfinden die vorher Verbrecher, Gottlose, Räuber, Kirchenschänder, Mörder, Meineidige und Ehebrecher waren. Aus ihrer Bekehrung entsteht, wie bekannt, ein zweifacher Vorteil: Die Freude ist zweifach, denn sie erfreuen sowohl die Ihren durch ihren Abgang als auch die, welchen sie durch ihre Ankunft schnelle Hilfe bringen. Sie nützen also überall, nicht nur, indem sie diese schützen, sondern auch, indem sie jene nicht mehr bedrücken. Und so freut sich Ägypten über ihren Aufbruch, während der Zionsberg sich über ihren Schutz freut und die Töchter Judas frohlocken. Ägypten rühmt sich mit Recht von ihrer Hand befreit, Zion, in ihrer Hand frei zu sein. Jenes entbehrt sehr gern seine grausamsten Verwüster, dieses nimmt mit Freuden seine treuesten Verteidiger auf. Wodurch dieses aufs angenehmste getröstet wird, wird jenes recht zu seinem Heil verlassen. Ja, so weiß Christus sich an seinen Feinden zu rächen, dass er nicht nur über sie sondern auch durch sie oftmals umso herrlicher triumphieren kann, je machtvoller er es vermag. Gewiss auf angenehme und vorteilhafte Weise! Jene, die er lange als Gegner ertrug, beginnt er nunmehr als Verteidiger zu haben, und aus dem Feind macht er einen Streiter, wie er auch einst aus Saulus dem Verfolger Paulus den Verkünder gemacht hat. Deshalb wundere ich mich nicht, wenn jene himmlische Versammlung nach den Worten des Heilands mehr über einen einzigen Sünder frohlockt, der Buße tut, als über zahlreiche Gerechte die der Buße nicht bedürfen. Die Bekehrung des Sünders und Bösewichts nützt zweifelsohne ebensoviel, als früher sein Lebenswandel geschadet hat.
11. Sei also gegrüßt, du heilige Stadt, die der Allerhöchste selbst sich als sein Wohnzelt geheiligt, damit in dir und durch dich so viele Menschen gerettet werden. Sei gegrüßt, du Stadt des großen Königs, aus der seit Anbeginn zu keiner Zeit neue und für die Welt freudenbringende Wundertaten gefehlt haben! Sei gegrüßt, du Herrin der Völker, Fürstin der Länder, Besitztum der Patriarchen, Mutter der Propheten und Apostel Ursprung des Glaubens, Ehre des christlichen Volkes. Gott ließ deshalb zu, dass du von Anfang an immer bekämpft wurdest, damit du den Starken ebenso Anlass zu ihrer Tapferkeit wie zu ihrer Rettung seiest. Sei gegrüßt, du Land der Verheißung, das du einst nur für deine Bewohner von Milch und Honig flossest, jetzt aber dem ganzen Erdkreis die Mittel des Heiles, die Nahrung des Lebens reichst. Du bist ein gutes, ja ein sehr gutes Erdreich, da du in deinen fruchtbaren Schoß aus dem Schatz des Vaterherzens das himmlische Samenkorn aufgenommen hast; du hast aus dem himmlischen Samen eine so reiche Saat an Märtyrern hervorgebracht. Als fruchtbarer Boden hast du sogar aus dem Rest der zurückgebliebenen Gläubigen eine dreißigfache, ja sechzigfache und hundertfache Frucht hervorgebracht, die sich auf der ganzen Erde verbreitet hat. Die von der großen Menge deiner Süße trefflichst Gesättigten und reichlichst Gespeisten verströmen daher allenthalben die Erinnerung an den Überfluß deiner Süße: Sie haben dich geschaut. Und bis an die Grenze der Erde sprechen sie denen, die dich nicht schauten, von der Herrlichkeit deines Ruhmes und verkünden die Wundertaten, die in dir geschehen. „Herrliches hat man von dir gesagt, du Stadt Gottes." (Ps 86,3) Nun wollen auch wir von den Wonnen, von denen du überfließt, ein wenig künden, zum Lob und Ruhm deines Namens.
VI. BETLEHEM
12. Vor allem zur Erquickung heiliger Menschen hast du Betlehem vor dir, das Haus des Brotes, in dem zum ersten Mal jener, der vom Himmel herabgestiegen war, aus der Jungfrau geboren, als lebendiges Brot erschien. Dort wird den frommen Lasttieren die Krippe gezeigt und in der Krippe das Gras von der Wiese der Jungfrau, damit wenigstens auf diese Art der Ochse seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn erkennt. „Denn alles Sterbliche ist wie das Gras, und all seine Schönheit wie die Blume des Grases." (Jes 40,6) Deshalb, weil der Mensch seine Ehre, in der er erschaffen wurde, nicht verstand, ist er den unvernünftigen Tieren verglichen und gleich geworden. Das Wort, das Brot der Engel, ward zum Futter der Lasttiere, damit der Mensch, der es verlernt hatte, sich mit dem Brot des Wortes zu nähren, das "Gras des Fleisches" zum wiederkäuen habe, damit er, durch den Gottmenschen zur früheren Würde zurückgeführt und aus dem Tier wieder zum Menschen geworden, mit Paulus sagen kann: „Und wenn wir auch Christus dem Fleische nach gekannt haben, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr so." (2Kor 5,16) Ich denke aber, dass niemand es in Wahrheit sagen kann, wenn er nicht zuvor mit Petrus aus dem Munde der Wahrheit jenes Wort gehört hat: „Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe sind Geist und Leben. Das Fleisch aber nützt nichts." (Joh 6,64) Wer nun in den Worten Christi das Leben gefunden, sucht nicht mehr das Fleisch; er gehört zur Zahl der Seligen die nicht sahen, und doch glaubten. Denn nur der Kleine braucht einen Becher Milch, und nur das Lasttier braucht etwas Heu. Wer aber durch Worte nicht verletzt, der ist ein vollkommener Mann und fähig, feste Speise zu sich zu nehmen, und er isst, wenn auch im Schweiße seines Angesichts, das Brot des Wortes ohne Anstoß. Sicher aber und ohne Ärgernis verkündet er die Weisheit Gottes, doch nur unter den Vollkommenen. Er bereitet geistige Speise den geistig Gesinnten, während er den Unmündigen und tierisch Gesinnten gegenüber wegen ihrer geringen Fassungskraft Vorsicht übt, wenn er ihnen nur Jesus, und diesen als den Gekreuzigten vorstellt. Es ist Jedoch ein- und dieselbe Speise von der himmlischen Weide, die sowohl von den Tieren wiedergekäut als auch vom Menschen genossen wird, die dem Mann Kräfte gibt und dem Kleinkind als Nahrung dient.
VII. NAZARET
13. Man sieht auch Nazaret, das Blume bedeutet, in dem jener, der in Betlehem geboren war, heranwuchs wie eine Frucht an der Blume. Er, das Gotteskind, wuchs so heran, dass der Duft der Blume dem Geschmack der Frucht vorausging, und sich aus der Nase des Propheten der heilige Duftstrom in die Kehlen der Apostel ergoss. Während die Juden mit dem schwachen Duft zufrieden waren, sollte dieser Strom die Christen mit gediegenem Geschmack erquicken. Diese Blume hatte schon Natanael gerochen, weil sie über alles lieblich duftete. Deshalb sprach er: „Kann denn aus Nazaret etwas Gutes kommen?" (Joh 1,46) Aber keineswegs nur mit dem Duft allein zufrieden, folgte er Philippus, der ihm zur Antwort gab: „Komm und sieh!" (Joh 1,46) Und so erfreut durch die Ausströmung jener wunderbaren Süßigkeit, nach dem Geschmack gieriger geworden, folgte er dem Geruch und mühte sich ohne Zögern, bis zur Frucht zu gelangen, indem er sich sehnte, voller zu erfahren, was er undeutlich vorausempfunden, und als Anwesender zu verkosten, was er als Abwesender verspürt hatte. Wir wollen auch vom Geruchssinn des Isaak sehen, ob er nicht etwas anzeigte was sich auf das bezieht, was wir behandeln. Die Schrift spricht von ihm so: „Sobald er den Duft seiner Kleider roch" - ohne Zweifel von Jakobs Kleidern -, sagte er: „Mein Sohn duftet wie ein reiches Feld, das der Herr gesegnet hat." (Gen 27,27) Er roch den Duft des Kleides, er kannte aber noch nicht die Gegenwart des Gekleideten. Und nur nach außen vom Duft des Kleides wie von einer Blume ergötzt, verkostete er nicht die Süße der darin verborgenen Frucht, weil er zugleich getäuscht wurde sowohl im Sohn, dem Erwählten, wie auch in der Erkenntnis des Geheimnisses. Worauf bezieht sich das? Sicher ist das Kleid des Geistes der Buchstabe wie das Fleisch das des Wortes ist. Aber nicht einmal jetzt erkennt der Jude das Wort im Fleisch die Gottheit im Menschen, noch sieht er unter der Hülle des Buchstabens den geistigen Sinn; und indem er äußerlich das Fell des Böckchens betastet, das die Ähnlichkeit des Älteren, das ist die des ersten alten Sünders, versinnbildlicht hatte, kommt er nicht zur bloßen Wahrheit. Nicht im Fleisch der Sünde, sondern in der Ähnlichkeit des sündigen Fleisches erschien er, der kam, nicht um die Sünde zu begehen, sondern sie hinwegzunehmen. Sicher kam er aus dem Grund den er nicht verschwieg, damit die Blinden sehend und die Sehenden blind würden. Also durch die Ähnlichkeit getäuscht, segnet der Prophet noch heute blind jenen, den er nicht kennt: Er liest von ihm eifrig in den Büchern, er kennt ihn nicht an den Wundern und, auch wenn er ihn mit eigenen Händen greift, ihn fesselt geißelt und ohrfeigt, erkennt er ihn doch nicht an seiner Auferstehung. Hätten sie nämlich den Herrn der Herrlichkeit erkannt, so hätten sie ihn niemals gekreuzigt. (1Kor 2,8) Wir wollen nun in Kürze auch die übrigen heiligen Stätten durchwandern. Wenn nicht alle, so wollen wir doch wenigstens einige, und zwar die hervorragenden, wenn auch nur kurz, in Erinnerung bringen, weil wir nicht imstande sind, sie einzeln angemessen zu bewundern.
VIII. DER ÖLBERG UND DAS TAL JOSCHAFAT
14. Wir steigen zum Ölberg hinauf und hinab ins Tal Joschafat: So können wir über den Reichtum der göttlichen Barmherzigkeit nachsinnen, weil du das schreckliche Gericht niemals übersiehst. Denn auch wenn er in seinem großen Erbarmen groß im Verzeihen ist, sind dennoch seine Gerichte tief wie das Meer, wodurch sein Tun an den Söhnen der Menschen sich wahrhaft schaudervoll erweist. David alsdann, indem er auf den Ölberg mit den Worten hinweist: „Herr, du hilfst Menschen und Tieren. Herr Gott, wie hast du dein Erbarmen vervielfältigt“ (Ps 35,7f), erinnert auch im selben Psalm an das Tal des Gerichtes: „Lass mich nicht kommen unter den Fuß der Stolzen", sagt er, „und die Hand des Frevlers soll mich nicht vertreiben." (Ps 35,12) Er bekennt auch, dass er diesen Fall überaus fürchtet, wenn er in einem anderen Psalm so betet mit den Worten: ,.Durchbohre mein Fleisch mit der Furcht vor dir; ich fürchte mich vor deinen Gerichten" (Ps 118,120) Der Stolze stürzt in dieses Tal und wird zerschmettert; der Demütige steigt hinab und läuft keine Gefahr. Der Stolze entschuldigt seine Sünde, der Demütige klagt sich an, wohl wissend, dass Gott nicht zweimal zugleich in derselben Sache richtet. Wir werden sicher nicht gerichtet werden, wenn wir uns selber richten.
15. Der Stolze bedenkt weiters nicht, wie schrecklich es ist, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen, und bricht leicht in böse Worte aus, um in seinen Sünden Entschuldigung auf Entschuldigung zu häufen. In der Tat, es ist eine wahre Bosheit, dass du dich deiner nicht erbarmst und nach der Sünde das einzige Heilmittel der Beichte von dir selbst zurückweist, das Feuer in deinem Herzen lieber verhüllst als herausstößt und dein Ohr dem Rat des Weisen nicht leihst, der sagt: „Hab Erbarmen mit deiner Seele, um Gott zu gefallen!“ (Sir 30,24) Deshalb, wer sich selbst nichts gönnt, wem kann der Gutes tun? „Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden" (Joh 12,31), das heißt, aus deinem Herzen, wenn du dich durch Verdemütigung selber richtest. Es wird ein himmlisches Gericht sein, wenn der Himmel von oben herab und die Erde aufgerufen werden, Gericht zu halten über ihr Volk. Dabei musst du allerdings fürchten, dass du mit ihm und seinen Engeln verworfen wirst wenn man dich noch ungerichtet antrifft. Hingegen wird der geistliche Mensch der alles selber richtig beurteilt von niemandem gerichtet. Deshalb also beginnt das Gericht beim Hause Gottes damit der Richter wenn er kommt die Seinigen, ihm wohl bekannt schon gerichtet antrifft so dass er bei ihnen nichts zu richten hat. In jener Zeit müssen nämlich jene gerichtet werden die nicht die Mühsal der Sterblichen kennen, die nicht geplagt sind wie andere Menschen.
IX. DER JORDAN
16. Mit welcher Freude nimmt der Jordan die Christen auf, da er sich rühmen kann durch Christi Taufe geheiligt worden zu sein! Sicher hat der Aussätzige aus Syrien gelogen der irgendwelche Gewässer von Damaskus denen von Israel vorgezogen hat. Der hingebungsvolle Dienst unseres Jordan Gott gegenüber hat sich oft bewährt: als er sich Elija Elischa oder auch - um etwas Älteres anzuführen - als er Josua und zugleich seinem ganzen Volk einen trockenen Durchgang gewährte, indem er den Wogendrang zurückhielt. Schließlich welch ein Fluss übertrifft diesen den die Dreieinigkeit selbst durch ihre offenbare Gegenwart geweiht hat? Der Vater wurde gehört, der Heilige Geist gesehen und der Sohn getauft. Mit Recht erfährt folglich seine Kraft, die Naaman auf den Rat des Propheten hin in seinem Körper verspürte auf den Befehl Christi hin das ganze gläubige Volk in der Seele.
X. DER ORT KALVARIA
17. Wir gehen auch hinaus zum Kalvarienberg, wo der wahre Elischa, von den unvernünftigen Knaben verlacht, den Seinigen das ewige Lächeln eingab mit den Worten: "Seht, ich und die Kinder, die der Herr mir geschenkt hat." (Jes 8,18) Gute Kinder, die der Psalmist im Gegensatz zu jenen bösen mit den Worten zum Lob aneifert: „Lobet, ihr Kinder, den Herrn, lobet den Namen des Herrn!" (Ps 112,1) Im Munde von heiligen Kindern und Säuglingen sollte sich ja das Lob vollenden, das im Munde der Neidischen versiegt war, im Munde derer jedenfalls, über die er so klagt: „Ich habe Söhne großgezogen und emporgebracht, doch sie sind von mir abgefallen." (Jes 1,2) Unser Kahlkopf bestieg also das Kreuz, er wurde der Welt ausgesetzt und mit enthülltem Angesicht und unverhüllter Stirne bewirkte er die Reinigung von den Sünden; er schämte sich so wenig des schimpflichen und grausamen Todes, wie er auch vor der Strafe nicht zurückschreckte, um uns der ewigen Schande zu entreißen und zur Herrlichkeit zurückzuführen. Kein Wunder: wessen sollte er sich schämen, er, der die Sünden von uns wusch, nicht so wie das Wasser, das nur den Schmutz abwäscht und in sich zurückbehält, sondern wie ein Sonnenstrahl, der trocken macht und selbst die Reinheit wahrt. Denn die Weisheit dringt überall hin um ihrer Reinheit willen.
XI. DAS GRAB
18. Unter den heiligen und erstrebenswerten Stätten nimmt das Grab gewissermaßen den ersten Platz ein, und ich weiß nicht, ob nicht mehr Andacht empfunden wird, dort wo Christus tot dalag, als wo er auf der Erde erschien; das Gedächtnis seines Todes bewegt mehr zur Frömmigkeit als das seines Lebens. Ich glaube, weil dieses schmerzlicher, jenes freundlicher erscheint, und die Ruhe des ewigen Schlafes mehr die menschliche Schwäche anspricht als die Mühe des Lebens, mehr die Sicherheit im Tod als die Rechtschaffenheit im Leben. Das Leben Christi ist für mich die Regel des Lebens, sein Tod Erlösung vom Tode. Jener belehrte unser Leben, dieser vernichtete unseren Tod. Das Leben war freilich mühselig, der Tod aber kostbar: beides war jedoch sehr notwendig! Was könnte nämlich Christi Tod dem nützen, der ein schlechtes Leben führte, oder sein Leben dem, der in verdammenswertern Zustand starb? Befreit denn etwa Christi Tod jene vom ewigen Tod, welche auch jetzt noch bis zum Tode schlecht leben? Oder hat denn ihr heiliges Leben die vor Christus entschlafenen heiligen Väter befreit, wie geschrieben steht: „Wo ist der Mann, der ewig lebt und den Tod nicht schaut, der sich retten kann vor dem Zugriff der Unterwelt?" (Ps 88,49) Nun also, weil uns beides in gleicher Weise vonnöten war, sowohl fromm zu leben als auch zuversichtlich zu sterben, lehrte er uns durch sein Leben zu leben und machte unseren Tod durch seinen Tod ruhig und furchtlos; da er im Tode unterging, um aufzuerstehen, schenkte er den Sterbenden die Hoffnung der Auferstehung. Und er fügte noch eine dritte Wohltat hinzu: die Vergebung der Sünden, ohne die alles andere keinen Wert hatte. Was nun könnte im Hinblick auf die wahre und höchste Seligkeit eine noch so große Rechtschaffenheit oder Länge des Lebens dem nützen, der auch nur von der Erbsünde allein umstrickt gehalten wäre? Die Sünde ging voraus, so dass der Tod folgte. Hätte der Mensch sich davor gehütet, hätte er auf ewig den Tod nicht erlitten.
19. Indem er sündigte, verlor er das Leben und fand den Tod, denn so hatte es Gott ja vorausgesagt, und es war schließlich billig: Wenn der Mensch sündigte würde er sterben. Was war also gerechter als die Todesstrafe? Gott ist das Leben der Seele, und diese das des Leibes. Indem sie freiwillig sündigte, verlor sie willentlich das Leben; gegen ihren Willen verliert sie nun auch die Fähigkeit zu beleben. Freiwillig stieß sie das Leben von sich, da sie nicht leben wollte; nun sei sie auch nicht imstande, es jemandem zu geben selbst wenn sie es noch so sehr wollte. Sie wollte nicht von Gott gelenkt werden, so soll sie auch den Leib nicht lenken können. Wenn sie dem Höheren nicht gehorcht, warum sollte sie dem Niedrigeren befehlen? Der Schöpfer fand ein ihm ungehorsames Geschöpf; sie soll auch ihrerseits einen ihr ungehorsamen Diener finden. Der Mensch wurde als Übertreter des göttlichen Gesetzes befunden; möge er selber in seinen Gliedern ein anderes Gesetz finden, das mit dem Gesetz seines Gewissens im Widerstreit steht und ihn selbst zum Gefangenen des Gesetzes der Sünde macht. Weiters: die Sünde, wie die Schrift sagt, setzt eine Trennung zwischen uns und Gott. Es trennt uns also auch der Tod von unserem Körper. Die Seele konnte von Gott nur durch die Sünde getrennt werden und der Leib von ihr durch den Tod. Warum also trug sie so hart an der Bestrafung, da sie nur von einem Untergebenen erlitt, was sie sich gegen den Schöpfer angemaßt hatte? Nichts ist also angemessener, als dass der Tod den Tod bewirke, der geistige den leiblichen, der schuldhafte den strafbaren, der freiwillige den notwendigen.
20. Da also der Mensch zu diesem zweifachen Tod gemäß beider Naturen verurteilt wurde, -nämlich der eine geistig und freiwillig verschuldet, der andere leiblich und notwendig, - kam der Gottmensch beiden in seiner Güte und Macht zu Hilfe und vernichtete durch seinen einzigen leiblichen und freiwilligen Tod unseren zweifachen. Und zwar mit Recht: denn für beide unsere Todesarten - eine wird als Folge für unsere Schuld gerechnet, die andere als Bezahlung für unsere Sünde - nahm Christus, wiewohl er die Sünde nicht kannte, die Strafe auf sich. Indem er freiwillig und nur dem Leibe nach starb, verdiente er sowohl das Leben als auch die Rechtfertigung. Wenn er aber nicht körperlich gelitten hätte, hätte er die Schuld nicht getilgt; wenn er nicht freiwillig gestorben wäre, hätte jener Tod keine verdienstvolle Folge gehabt. Wenn aber nun, wie gesagt, die Sünde den Tod verdient, und der Tod die Strafe für die Sünde ist, so gibt es, weil Christus die Sünde nachlässt und für die Sünder stirbt, sicherlich keine Folge mehr und die Strafe ist aufgehoben.
21. Übrigens, woher wissen wir, dass Christus die Sünden vergeben kann? Zweifelsohne deshalb, weil er Gott ist und das vermag, was er will. Woher wissen wir aber, dass er Gott ist? Die Wunder beweisen es: Er vollbringt nämlich Werke, die niemand anderer vollbringen kann, ganz zu schweigen von den Weissagungen der Propheten und vom Zeugnis durch die Stimme des Vaters, die zu ihm kam aus der erhabenen Herrlichkeit des Himmels. „Wenn Gott für uns ist, wer ist gegen uns?" (Röm 8,31) „Gott ist es, der gerecht macht. Wer kann verurteilen?“ (Röm 8,33f) Wenn er selbst es ist, und kein anderer, dem wir täglich bekennen: „Gegen dich allein habe ich gesündigt" (Ps 50,6), wer kann besser, ja wer sonst kann vergeben, was gegen ihn gesündigt wurde? Oder wie kann er es nicht, der alles vermag? Schließlich bin auch ich imstande, wenn ich will, zu vergeben, was man gegen mich fehlt: Sollte das Gott dann nicht vergeben können, was gegen ihn begangen wurde? Wenn also der Allmächtige die Sünden zu vergeben vermag - und er allein, gegen den allein gesündigt wird -, dann ist wahrhaftig selig der Mensch, dem der Herr die Schuld nicht zur Last legt. So haben wir erkannt, dass Christus durch die Macht seiner Gottheit die Sünden vergeben kann.
22. Wer könnte ferner an seinem Willen zweifeln? Er hat unser Fleisch angenommen und den Tod auf sich geladen; glaubst du, er wird uns seine Gerechtigkeit verweigern? Freiwillig ist er Mensch geworden, freiwillig hat er gelitten, freiwillig ließ er sich ans Kreuz schlagen; wird er uns dann allein seine Gerechtigkeit vorenthalten? Es ist klar, dass er das, was er aufgrund seiner Gottheit vollbringen konnte, aufgrund seiner Menschheit auch vollbringen wollte. Aber woher können wir zuversichtlich glauben, dass er auch den Tod ausgelöscht hat? Offensichtlich weil er ihn selbst, obwohl er ihn nicht verdiente, erduldet hat. Aus welchem Grund würde man von uns abermals verlangen, was er für uns schon eingelöst hat? Er hat die Strafe für die Sünde auf sich genommen und uns seine Gerechtigkeit geschenkt; er hat die Schuld des Todes bezahlt und das Leben wiedergegeben. Denn nach dem Tod des Todes kehrt das Leben so zurück, wie die Gerechtigkeit nach der Tilgung der Sünde zurückkehrt. So wird in Christi Tod der Tod in die Flucht geschlagen, und Christi Gerechtigkeit wird uns angerechnet. Aber wie konnte der sterben, der Gott war? Deshalb, weil er ja auch Mensch war. Aber auf welche Weise galt der Tod dieses Menschen für einen anderen? Weil er auch gerecht war. Denn er konnte sterben, weil er Mensch war; weil er gerecht war, musste er nicht vergeblich sterben. Denn ein Sünder vermag nicht die Schuld des Todes für einen anderen Sünder zu bezahlen; jeder stirbt ja nur für sich. Wer aber nicht für sich sterben muss, muss der es vielleicht vergeblich für den anderen? Je schmachvoller nämlich der stirbt, der den Tod nicht verdient hat, mit desto mehr Recht lebt der, für den er stirbt.
23. „Aber", sagst du, „was für eine Gerechtigkeit ist das, wenn ein unschuldiger für einen Gottlosen stirbt?“ Es ist keine, vielmehr Barmherzigkeit. Wenn es Gerechtigkeit wäre, würde er nicht unverdientermaßen, sondern wegen einer Schuld sterben. Wenn wegen einer Schuld, würde er selbst sterben, aber der, für den er stürbe, würde nicht leben. Jedoch, wenn es nicht Gerechtigkeit ist, ist es dennoch nicht gegen die Gerechtigkeit, denn sonst könnte er nicht zugleich gerecht und barmherzig sein. „Aber wenn auch ein Gerechter in gerechter Weise für einen Sünder Genugtuung leisten kann, wie kann es auch ein einziger für viele? Denn der Gerechtigkeit, scheint es, würde dann Genüge geleistet, wenn einer durch seinen Tod einem einzigen das Leben zurückgäbe." Hierauf soll sogleich der Apostel antworten. Er sagt: „Wie also durch die Übertretung eines einzigen für alle Menschen die Verdammung kam, so wird es auch durch die gerechte Tat eines einzigen für alle Menschen zur Rechtsprechung kommen, die Leben gibt. Wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern wurden, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden." (Röm 5,18f) Aber vielleicht konnte ein einziger den vielen die Gerechtigkeit zurückgeben, nicht aber das Leben? „Durch einen Menschen" so sagt er, „ist der Tod gekommen, und durch einen Menschen das Leben." Denn „wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden". (1Kor 15,21f) Was also? Ein einziger sündigte, und alle werden als schuldig erachtet, und die Unschuld eines einzigen soll nur dem einen Unschuldigen angerechnet werden? Die Sünde eines einzigen verursachte den Tod für alle; wird die Gerechtigkeit eines einzigen nur einem allein das Leben zurückgeben? Hatte Gottes Gerechtigkeit mehr Kraft zum Verurteilen als zum Wiederherstellen? Oder vermochte Adam mehr im Bösen, als Christus im Guten? Adams Sünde wird mir angerechnet werden - und Christi Gerechtigkeit sollte sich nicht auswirken auf mich? Der Ungehorsam des ersteren richtete mich zugrunde - sollte der Gehorsam des zweiten mir nichts nützen?
24. Du sagst: „Mit Recht haben wir uns doch alle die Sünde Adams zugezogen, denn in ihm haben wir alle gesündigt, weil wir, als er sündigte, in ihm waren, und durch die Begierde des Fleisches wurden wir aus seinem Fleisch gezeugte." Aber viel wirklicher werden wir dem Geiste nach aus Gott geboren, als dem Fleische nach aus Adam. Denn viel früher waren wir dem Geiste nach in Christus als dem Fleisch nach in Adam, wenn nur auch wir vertrauen können, unter jene gezählt zu werden, von denen der Apostel sagt: „Er hat uns in ihm erwählt", zweifelsohne der Vater im Sohne – „vor der Erschaffung der Welt" (Eph 1,4). Dass wir aber aus Gott geboren sind, bezeugt der Evangelist Johannes mit den Worten: „Die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind" (Joh 1,13), und so auch in seinem Brief: „Jeder, der von Gott stammt, tut keine Sünde" (1Joh 3,9), weil dieser Ursprung im Himmel ihn bewahrt. Du sagst: „Aber die Begierde des Fleisches bezeugt die Abstammung vom Fleisch, und die Sünde, die wir in unserem Fleische spüren, macht offenbar, dass wir dem Fleische nach vom Fleisch eines Sünders abstammen." Aber auch jene geistige Geburt wird zwar nicht im Fleische, doch im Herzen nur von jenen wahrgenommen, die mit Paulus sagen können: „Wir haben die Gesinnung Christi." (1Kor 2,16) In ihr spüren sie, dass sie so weit fortgeschritten sind, dass sie mit vollem Vertrauen sagen können: „So bezeugt der Geist selber unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind." (Röm 8,16) Und ein anderes Wort lautet noch: „Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott stammt, damit wir das erkennen was uns von Gott geschenkt worden ist." (1Kor 2,12) Durch den Geist, der aus Gott ist, ist die Liebe Gottes ausgegossen in unsere Herzen, wie auch durch das Fleisch, das von Adam stammt, die Begehrlichkeit unseren Gliedern innewohnt. Und wie diese, welche vom leiblichen Stammvater ihren Ursprung hat, niemals in unserem sterblichen Leben vom Fleische ablässt, so weicht jene Liebe, die vom Vater der Geister hervorgeht, niemals aus den Herzen der Söhne - wenigstens nicht der vollkommenen.
25. Wenn wir also aus Gott geboren und in Christus erwählt sind, was für eine Gerechtigkeit ist es, dass die menschliche und irdische Zeugung mehr schadet, als die göttliche und himmlische nützt? Dass die fleischliche Erbschaft die Auserwählung Gottes übertrifft? Dass die Begehrlichkeit, die uns in dieser Zeit anhaftet, dem ewigen Ratschluss Gottes gebietet? Ja, wenn durch einen Menschen der Tod kam, warum sollte nicht vielmehr durch einen, und zwar durch diesen Menschen das Leben kommen? Und wenn alle in Adam sterben müssen, warum sollten wir nicht in noch weitaus mächtigerer Weise in Christus alle wieder belebt werden? Denn „nicht wie die Sünde, so auch die Gnadengabe: Das Urteil führt nämlich aus einer Übertretung zur Verdammung, die Gnade aber führt aus vielen Übertretungen zur Gerechtsprechung." (Röm 5,16) Christus vermochte also sowohl die Sünden zu vergeben, weil er Gott ist, als auch zu sterben, weil er Mensch ist. Er konnte durch seinen Tod die Schuld des Todes tilgen, weil er gerecht ist. Er, der eine, vermochte Genugtuung zu leisten zur Rechtfertigung und zum Leben für alle, da ja auch die Sünde und der Tod aus einem Menschen auf alle übergingen.
26. Aber auch das war notwendigerweise gänzlich vorgesehen, dass er durch Aufschiebung seines Todes als Mensch unter den Menschen zu wandeln geruhte, um sie in häufigen und wahren Gesprächen für das Unsichtbare zu begeistern, ihren Glauben durch Wundertaten zu fördern und sie durch gute Werke im Lebenswandel zu unterweisen. Daher wandelte der Gottmensch vor den Augen der Menschen besonnen, gerecht und fromm, sprach die Wahrheit, wirkte Wunder, litt Schmach; worin hat er es noch fehlen lassen, um unser Heil zu wirken? Es muss noch die Gnade der Sündenvergebung hinzukommen, das ist die unverdiente Vergebung, und das Werk unseres Heiles ist vollendet. Wir brauchen aber nicht zu befürchten, dass Gott zur Vergebung der Sünden die Vollmacht fehlt oder dem, der gelitten hat, der Wille - und zwar einem, der so Großes für die Sünder gelitten hat. Wir müssen nur gehörig eifrig befunden werden, sein Beispiel, wie es sich geziemt, würdig nachzuahmen, seine Wunder zu verehren, seiner Lehre nicht ungläubig zu begegnen und für sein Leiden nicht undankbar zu sein.
27. So hatte für uns an Christus alles hohen Wert, alles war heilsam und notwendig, und seine Schwachheit nützte nicht weniger als seine Majestät, denn, wenn er auch kraft der Gottesmacht mit einem Befehl das Joch der Sünde hinwegnahm, so zerschlug er dennoch in der Schwachheit des Fleisches die Rechte des Todes durch seinen Tod. Daher sagt treffend der Apostel: „Das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen." (1Kor 1,25) Aber auch seine Torheit hatte einen hohen Wert. Durch sie gefiel es ihm, die Welt zu retten, um die Weisheit dieser Welt zuschanden zu machen und die Weisen zu beschämen. Denn, obwohl er Gott war, hielt er nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern entäußerte sich und wurde wie ein Sklave, da er, obwohl reich, unseretwegen arm wurde. Der Große wurde klein; der Hohe niedrig; der Mächtige schwach; er hungerte, durstete, ermüdete auf dem Weg; und all das und mehr ertrug er nicht aus Notwendigkeit, sondern aufgrund seines Wollens: diese seine Torheit also, wurde sie nicht für uns zum Weg der Klugheit, zum Muster der Gerechtigkeit, zum Beispiel der Heiligkeit? Darum sagt der Apostel: „Das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen." (1Kor 1,25) Sein Tod befreite uns vom Tod, sein Leben vom Irrtum, seine Gnade von der Sünde. Und zwar erlangte sein Tod durch seine Gerechtigkeit den Sieg, denn der Gerechte erstattete, was er nicht geraubt hatte, und mit vollem Recht gewann er zurück, was er verloren hatte. In seinem Leben aber, was ihn betraf, erfüllte er mit seiner Weisheit, was uns zur Lehre und zum Spiegel für unser Leben und unsere Zucht wurde. Dann, wie schon erwähnt, ließ seine Gnade die Sünden nach, aufgrund jener Macht, durch die sie alles vollbrachte, was sie wollte. Daher ist der Tod Christi der Tod meines Todes, weil er gestorben ist, damit ich lebe. Wie sollte der nicht mehr leben, für den das Leben stirbt? Oder wer sollte befürchten, in seinem sittlichen Leben oder in seiner Erkenntnis zu irren, wenn die Weisheit ihn führt? Oder wodurch sollte der noch als schuldig erachtet werden, den die Gerechtigkeit freigesprochen hat? Denn er selbst zeigt sich im Evangelium als das Leben: „Ich bin" sagt er, „das Leben." (Joh 14,6) Und noch zweierlei bezeugt der Apostel mit den Worten: „Gott Vater hat ihn für uns zur Gerechtigkeit und zur Weisheit gemacht." (1Kor 1,30)
28. Wenn also „das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus uns vom Gesetz der Sünde und des Todes befreit hat," (Röm 8,2) warum sterben wir noch und werden nicht also gleich mit Unsterblichkeit überkleidet? Sicher damit die Wahrheit Gottes sich beweise. Denn „Gott liebt die Barmherzigkeit und die Wahrheit." (Ps 83,12) Darum ist es notwendig, dass der Mensch stirbt, wie es Gott vorausgesagt hatte; aber er sollte auch auferstehen, damit Gott nicht vergesse, sich zu erbarmen. So bleibt also der Tod, auch wenn seine Herrschaft nicht ewig währt, dennoch um der Wahrheit Gottes willen wenigstens auf eine gewisse Zeit in uns, wie auch die Sünde, auch wenn sie in unserem sterblichen Leib nicht mehr herrscht, dennoch in uns nicht gänzlich ausgemerzt ist. Deshalb rühmt sich einerseits Paulus, vom Gesetz der Sünde und des Todes befreit zu sein, andererseits aber klagt er, nichtsdestoweniger von beiden belastet zu sein, besonders wenn er gegen die Sünde voll Jammer aufschreit: „In meinen Gliedern sehe ich ein anderes Gesetz", usw. (Röm 7,23) Oder wenn er unter seiner Last aufseufzt, ohne Zweifel unter dem Gesetz des Todes, und die Erlösung seines Leibes erwartet.
29. Sei es, dass dieses, sei es, dass irgendein anderes Gefühl - je nachdem, welchen Gedankenreichtum jeder in sich trägt - beim Anblick des Grabes im Herzen des Christen aufsteigt, ich glaube, dass jedenfalls dem Betrachtenden eine große Inbrunst der Andacht eingegossen wird und dass er durch den Anblick große Fortschritte macht, auch wenn er nur mit körperlichen Augen den irdischen Ort der Ruhe des Herrn ansieht. Auch wenn nun freilich das Grab, wo die heiligen Glieder ruhten, leer dasteht, ist es dennoch voll von unseren so freudenreichen Geheimnissen. Von unseren, sage ich, von unseren, wenn wir nur mit brennender Liebe und festem Glauben an dem festhalten, was der Apostel sagt: „Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben. Wenn wir nämlich ihm gleich geworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein." (Röm 6,4f) Wie angenehm ist es für die Pilger, nach der harten Mühe der langen Reise, nach den vielen Gefahren zu Wasser und zu Land dort endlich auszuruhen, wo sie wissen, auch ihr Herr hat hier geruht! Ich glaube, vor Freude spüren sie nicht mehr den mühevollen Weg, noch achten sie auf die Last der Unkosten, sondern, wie solche, die den Preis für die Mühe und den Siegeskranz für den Lauf erlangt haben, „freuen sie sich" nach den Worten der Schrift „überaus, wenn sie das Grab gefunden haben." (Ijob 3,22) Man soll nicht glauben, zufällig und auf einmal oder durch wankende Meinung der Volksgunst habe das Grab einen so berühmten Namen erhalten, wo doch so lange Zeit zuvor Jesaja es offen vorausverkündet hat: „An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel Isai sein, der dasteht als Zeichen für die Nationen; die Völker suchen ihn auf; sein Grab wird herrlich sein." (Jes 11,10) Wahrlich, wir sehen nun erfüllt, was wir in den Propheten lesen: neu zwar für den, der es anschaut, aber alt für den, der es liest, so dass Freude wegen der Neuheit und Ansehen wegen des ehrwürdigen Alters gegeben ist. Und vom Grabe möge dies genügen.
XII. BETFAGE
30. Was soll ich über Betfage sagen, das Dorf der Priester, das ich fast übergangen hätte, wo das Gedächtnis des Bußsakraments und das Mysterium des Priestertums festgehalten werden? Betfage wird nämlich mit Haus des Mundes gedeutet. Es steht geschrieben: „Das Wort ist dir nahe, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen." (Röm 10,8) Bedenke, dass du nicht in einem allein, sondern in beiden zugleich das Wort hast. Und zwar bewirkt das Wort im Herzen des Sünders heilsame Zerknirschung, das Wort im Munde nimmt die schädliche Verwirrung hinweg, um das notwendige Bekenntnis nicht zu verhindern. Die Schrift sagt nämlich: „Es gibt eine Scham, die Sünde bringt, und eine Scham, die Ruhm einträgt." (Sir 4,25) Es ist eine gute Scham, durch die du beschämt wirst, weil du gesündigt hast oder sündigst. Und wenn auch kein menschlicher Zeuge dabei ist, sollst du den göttlichen Anblick um so mehr scheuen als einen menschlichen, je wahrer du Gott für reiner hältst als den Menschen. Umso schwerer wird Gott vom Sünder beleidigt, je mehr feststeht, dass ihm jede Sünde noch ferner liegt. Eine solche Scham treibt ohne Zweifel die Schande fort, bereitet Ruhm, da sie die Sünde entweder überhaupt nicht zulässt, oder wenn sie geschehen ist, mit Buße bestraft und durch die Beichte austreibt - wenn nämlich unser Ruhm im Zeugnis unseres Gewissens besteht. Wenn aber einer sich schämt zu bekennen, und zwar das, worüber er Gewissensbisse empfindet, so führt eine solche Scham die Sünde herbei. Ein solcher verliert den Ruhm des (guten) Gewissens, wenn eine nutzlose Scham das Übel, das die Zerknirschung aus dem tiefsten Herzen zu vertreiben versucht, nicht heraustreten lässt, weil sie das Tor der Lippen versperrt hat. Es wäre besser, wenn ein solcher Mensch mit David sagen würde: „Meine Lippen verschließe ich nicht: Herr, du weißt es." (Ps 39,10) Dieser klagt sich selber, so meine ich, dieser törichten und unvernünftigen Scham an, indem er sagt: „Solange ich es verschwieg, waren meine Glieder matt." (Ps 31,3) Daher wünscht ein solcher auch, dass ein Tor in der Gefahr an seine Lippen gesetzt wird, damit er fähig sei, das Tor des Mundes der Beichte zu öffnen und zur Verteidigung zu schließen. Schließlich erbittet er es auch offen vom Herrn im Gebet; er weiß ja, dass „die Beichte und die Hochherzigkeit sein Werk" (sind). (Ps 110,3) Und weil wir ja unsere Bosheit und zugleich die Herrlichkeit der Güte und Kraft Gottes nicht verschweigen, so ist das zweifache Bekenntnis ein großes Gut, aber auch eine Gabe Gottes. David sagt nämlich: „Neige mein Herz nicht auf boshafte Worte, meine Sünden zu entschuldigen!" (Ps 140,4) Deshalb müssen die Priester, Diener des Wortes, vorsichtig und eifrig über beides wachen, damit sie nämlich den Fehlenden mit soviel Mäßigkeit das Wort der Furcht und der Zerknirschung ins Herz legen, dass sie niemals vom Wort abschrecken; sie müssen die Herzen so öffnen, dass sie den Mund nicht verschließen. Es ist aber auch notwendig, dass sie nicht einen freisprechen, der zerknirscht ist, wenn sie nicht vorher gesehen haben, dass er auch bekannt hat. Denn: „Mit dem Herzen glaubt man, um gerecht zu werden; doch mit dem Mund bekennt man, um Rettung zu erlangen." (Röm 10,10) Sonst wird das Bekenntnis wie das eines Toten sein, der nicht ist. Wer immer also das Wort im Mund, nicht aber im Herzen hat, der ist entweder ein Lügner oder ein Prahler. Wer das Wort im Herzen, aber nicht im Mund führt, der ist ein Stolzer oder ein Feigling.
XIII. BETANIEN
31. Auch wenn ich sehr Eile habe, will ich doch das Haus des Gehorsams, nämlich Betanien, nicht ganz stillschweigend übergehen, das Städtchen von Maria und Martha, in dem auch Lazarus zum Leben erweckt wurde: Dort werden nämlich sowohl die zwei Lebensweisen empfohlen, als auch die wunderbare Güte Gottes gegen die Sünder und die Tugend des Gehorsams zusammen mit den Früchten der Buße. An dieser Stelle also genüge es, kurz hervorzuheben, dass weder der Eifer für das tätige Leben noch die Muße der heiligen Betrachtung, noch die Tränen der Buße außerhalb Betaniens dem angenehm sein können, der den Gehorsam so hoch schätzte, dass er lieber das Leben als diesen verlieren wollte, dem Vater gehorsam geworden bis in den Tod. Dies ist sicher der Reichtum, den nach dem Wort des Herrn der Prophet verspricht, der da sagt: „Denn der Herr hat Erbarmen mit Zion, er hat Erbarmen mit all seinen Ruinen. Seine Wüste macht er wie Eden, seine Öde wie den Garten des Herrn. Freude und Fröhlichkeit findet man dort; Lobpreis und den Klang von Liedern." (Jes 51,3) Diese Freude des Erdkreises also, dieser himmlische Schatz, diese Erbschaft der gläubigen Völker, sind, o Geliebte, eurer Treue anvertraut, eurer Klugheit und Tapferkeit anempfohlen. Dann aber werdet ihr imstande sein, sicher und treu diesen himmlischen Schatz zu hüten, wenn ihr euch nicht auf eure eigene Klugheit und Tapferkeit verlasst, sondern überall nur auf die Hilfe Gottes, wissend, „dass der Mann nicht durch seine eigene Kraft stark ist." (1Sam 2,9) Deshalb sollt ihr mit dem Propheten sprechen: „Der Herr ist mein Fels, meine Burg, mein Retter" (Ps 17 ,3 ), und weiter: „Meine Stärke, an dich will ich mich halten, denn du, Gott, bist mein Beschützer. Mein Gott, sein Erbarmen wird mir zuvorkommen." (Ps 58,10f) Und schließlich: „Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib die Ehre!" (Ps 113,1), damit er in allem gepriesen sei, der eure Hände den Kampf lehrt und eure Finger den Krieg.
Quelle: Artikel „Liber ad milites templi de laude novae militiae (Wortlaut)“ auf www.kathpedia.com unter der Lizenz CreativeCommons Attribution-NonCommercial-ShareAlike. Auf Kathpedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
Weblinks
- Buch an die Tempelritter – Lobrede auf das neue Rittertum, abgerufen am 18. April 2017.
- Éloge de la nouvelle chevalerie (französisch)
Einzelnachweise
- ↑ Das exakte Gründungsdatum ist unbekannt, dürfte aber etwa zwischen 1118 und 1121 liegen.
- ↑ Als weitere Gründungsmitglieder gelten: Andreas von Montbard (ein Onkel Bernhards von Clairvaux), Gundomar, Gudfried, Roland, Payen von Montdidier, Gottfried Bisol und Archibald von Saint-Amand.