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Johannes Tauler

Johannes Tauler (* um 1300 in Straßburg; † 16. Juni 1361 ebenda) war ein dominikanischer, der neuplatonischen Strömung angehöriger deutscher Theologe und Prediger und zählt, neben Meister Eckhart und Heinrich Seuse, zu den bedeutensten Vertretern der deutschen Mystik.
Leben und Werk
Tauler stammte aus einer – wie aus seinen eigenen Worten hervorgeht – wohlhabenden Familie. Der Name der seit Jahrzehnten in Straßburg ansässigen Familie wird verschiedentlich in zeitgenössischen Urkunden genannt. Ein Klaus Tauler, vermutlich der Vater Johannes Taulers, war Ratsherr.
Tauler trat in den Dominikanerkonvent seiner Heimatstadt ein. Er durchlief den für Priester des Dominikanerordens üblichen Ausbildungsgang, also ein Studium von sechs bis acht Jahren, das umfangreiche philosophische und theologische Kenntnisse vermittelte. Dies geschah wahrscheinlich nicht in Straßburg, sondern in einem anderen Kloster der dominikanischen Ordensprovinz Teutonia in Süddeutschland. Wohl im Straßburger Dominikanerkonvent begegnete er Meister Eckhart, der nachweislich zwischen 1314 und 1322/1324 mehrmals in der Stadt weilte. Nach seiner Ausbildung war Tauler vor allem in der Seelsorge für geistlich lebende Frauen (dominikanische Ordensschwestern und Beginen) tätig. Für diese schrieb er seine etwa 80 deutschsprachigen Predigten, die schon frühzeitig zu Sammlungen zusammengestellt wurden; die handschriftliche Überlieferung setzt schon zu seinen Lebzeiten ein. Diese Predigten sind außer einem persönlichen Brief sein einziges erhaltenes sicher authentisches Werk.
Während des Konflikts zwischen Kaiser Ludwig dem Bayern und Papst Johannes XXII. entschied sich Straßburg für die Seite des Kaisers und wurde vom Papst mit dem Interdikt belegt. Da die Straßburger Dominikaner der Weisung des Papstes gehorchten und sich weigerten, für die Bürger weiterhin die Messe zu zelebrieren, wurden sie 1339 aus der Stadt ausgewiesen. Tauler hatte Straßburg wohl schon 1338 verlassen. Wie die meisten seiner von der Ausweisung betroffenen Mitbrüder ging er nach Basel. Dort blieb er mindestens bis zur Rückkehr des Dominikanerkonvents nach Straßburg (1342/43).
Seine letzte Lebenszeit verbrachte Tauler, von Krankheit geschwächt, im Gartenhaus des Dominikanerinnenklosters St. Nikolaus am Gießen (St. Nicolaus in undis) in Straßburg. Nach seinem Tod am 16. Juni 1361 wurde er im Dominikanerkloster beigesetzt; die Grabplatte, die eine Zeichnung seiner Gestalt zeigt, ist erhalten.
Rudolf Steiner über Johannes Tauler
„Die christliche Esoterik hat eine mächtige Grundlage, wovon nur ein schwacher Strahl in die Außenwelt dringt durch die Werke der christlichen Mystiker, Meister Eckhart, [Johannes] Tauler und Jakob Böhme. Tauler und sein Werk «Der Laie und der Unbekannte aus dem Oberland» geben nur einen schwachen Schein von der Geheimlehre der christlichen Esoterik.“ (Lit.: GA 111, S. 117f)
„Man muß sich völlig klar machen, wie der Mensch zu seinen höheren Erkenntnissen steht, wenn man den Unterschied von Persönlichkeiten wie Eckhart und Tauler sich vor die Seele treten lassen will. Der Mensch ist eingesponnen in die Sinnenwelt und in die Naturgesetzlichkeit, von welcher die Sinnenwelt beherrscht ist. Er ist selbst ein Ergebnis dieser Welt. Er lebt, indem ihre Kräfte und Stoffe in ihm tätig sind; ja er nimmt diese Sinnenwelt wahr und beurteilt sie nach den Gesetzen, nach denen sie und er aufgebaut sind. Wenn er sein Auge auf einen Gegenstand richtet, so stellt sich ihm nicht nur der Gegenstand als eine Summe von ineinanderwirkenden Kräften dar, die von den Naturgesetzen beherrscht sind, sondern das Auge selbst ist ein nach solchen Gesetzen und von solchen Kräften aufgebauter Körper; und das Sehen geschieht nach solchen Gesetzen und durch solche Kräfte. Wären wir in der Naturwissenschaft an ein Ende gekommen, so könnten wir wohl bis in die höchsten Regionen der Gedankenbildung dieses Spiel der Naturkräfte im Sinne der Naturgesetze verfolgen. — Aber schon, indem wir dies tun, erheben wir uns über dieses Spiel. Stehen wir denn nicht über aller bloßen Naturgesetzmäßigkeit, wenn wir überschauen, wie wir uns selbst in die Natur eingliedern? Wir sehen mit unserem Auge nach den Gesetzen der Natur. Aber wir erkennen auch die Gesetze, nach denen wir sehen. Wir können uns auf eine höhere Warte stellen, und zugleich die Außenwelt und uns selbst in ihrem Zusammenspiel überschauen. Wirkt da nicht eine Wesenheit in uns, die höher ist als die nach Naturgesetzen und mit Naturkräften tätige sinnlich-organische Persönlichkeit? Ist in solchem Wirken noch eine Scheidewand zwischen unserem Innern und der Außenwelt? Was da urteilt, was sich Aufklärung verschafft, ist nicht mehr unsere Einzelpersönlichkeit; es ist vielmehr die allgemeine Weltwesenheit, welche die Schranke niedergerissen hat zwischen Innenwelt und Außenwelt, und die nunmehr beide umspannt. So wahr es ist, daß ich noch immer derselbe Einzelne der äußeren Erscheinung nach bleibe, wenn ich in dieser Art die Schranke niedergerissen habe, so wahr ist es auch, daß ich dem Wesen nach nicht mehr dieser Einzelne bin. In mir lebt nunmehr die Empfindung, daß in meiner Seele das Allwesen spricht, das mich und alle Welt umfaßt. - Solche Empfindungen leben in Tauler, wenn er sagt: «Der Mensch ist recht, als ob er drei Menschen sei, sein tierischer Mensch, wie er nach den Sinnen ist, dann sein vernünftiger Mensch, und endlich sein oberster gottförmiger, gottgebildeter Mensch»... «Der eine ist der auswendige, tierische, sinnliche Mensch; der andere ist der inwendige, vernünftige Mensch, mit seinen vernünftigen Kräften; der dritte Mensch ist das Gemüt, der alleroberste Teil der Seele» (vgl. W. Preger, «Geschichte der deutschen Mystik», j.Bd., S. 161). Wie dieser dritte Mensch erhaben ist über den ersten und zweiten, das hat Eckhart in den Worten gesagt: «Das Auge, durch das ich Gott sehe, das ist das gleiche Auge, mit dem Gott mich sieht. Mein Auge und Gottes Auge das ist ein Auge und ein Sehen und ein Erkennen und ein Empfinden.» Aber in Tauler lebt zugleich mit dieser eine andere Empfindung. Er ringt sich durch zu einer wirklichen Anschauung vom Geistigen und vermengt nicht fortwährend, wie die falschen Materialisten und die falschen Idealisten, das Sinnlich-Natürliche mit dem Geistigen. Wäre Tauler, mit seiner Gesinnung, Naturforscher geworden: er hätte darauf bestehen müssen, alles Natürliche, mit Einschluß des ganzen Menschen, des ersten und zweiten, rein naturgemäß zu erklären. Er hätte niemals «rein» geistige Kräfte in die Natur selbst versetzt. Er hätte nicht von einer nach Menschenmuster gedachten « Zweckmäßigkeit» in der Natur gesprochen. Er wußte, daß da, wo wir mit den Sinnen wahrnehmen, keine «Schöpfungsgedanken» zu finden sind. In ihm lebte vielmehr das allerstärkste Bewußtsein davon, daß der Mensch ein bloß natürliches Wesen ist. Und da er sich nicht als Naturforscher, sondern als Pfleger des sittlichen Lebens fühlte, so empfand er den Gegensatz, der sich auftut zwischen diesem natürlichen Wesen des Menschen und dem Gottschauen, das inmitten der Natürlichkeit, auf natürliche Weise, aber als Geistigkeit entspringt. Eben in diesem Gegensatz trat ihm der Sinn des Lebens vor Augen. Als Einzelwesen, als Naturgeschöpf findet sich der Mensch. Und keine Wissenschaft kann ihm etwas anderes über dieses Leben eröffnen, als daß er ein solches Naturgeschöpf ist. Er kann als Naturgeschöpf nicht über die Naturge- schöpflichkeit hinaus. Er muß in ihr bleiben. Und doch führt ihn sein inneres Leben darüber hinaus. Er muß Vertrauen haben zu dem, was ihm keine Wissenschaft der äußeren Natur geben und zeigen kann. Nennt er diese Natur das Da-Seiende, so muß er vordringen können zu der Anschauung, die das Nicht-Seiende als das Höhere anerkennt. Tauler sucht keinen Gott, der im Sinne einer Naturkraft vorhanden ist; er sucht keinen Gott, der im Sinne der Menschenschöpfungen die Welt geschaffen hätte. In ihm lebt die Erkenntnis, daß selbst der Schöpfungsbegriff der Kirchenlehrer nur idealisiertes Menschenschaffen ist. Ihm ist klar, daß Gott nicht gefunden wird, wie von der Wissenschaft Naturwirken und Naturgesetzlichkeit gefunden werden. Tauler ist sich dessen bewußt, daß wir zu der Natur als Gott nichts hinzu denken dürfen. Er weiß, daß wer, in seinem Sinne, Gott denkt, nicht mehr Gedankeninhalt denkt, als wer die Natur in Gedanken gefaßt hat. Tauler will deshalb nicht Gott denken, sondern er will göttlich denken. Nicht bereichert wird die Naturerkenntnis durch das Gotteswissen, sondern verwandelt. Nicht anderes weiß der Gotteserkenner als der Naturerkenner, sondern er weiß anders. Nicht einen Buchstaben kann der Gotteserkenner zu dem Naturerkennen hinzufügen; aber durch sein ganzes Naturerkennen leuchtet ein neues Licht.“ (Lit.: GA 7, S. 53ff)
„Tauler kommt es deshalb, weil er den Blick auf den natürlichen Menschen richtet, weniger darauf an, zu sagen, was wird, wenn der höhere Mensch in den natürlichen einzieht, als vielmehr, die Wege zu finden, welche die niederen Kräfte der Persönlichkeit einzuschlagen haben, wenn sie in das höhere Leben übergeführt werden sollen. Als Pfleger des sittlichen Lebens will er dem Menschen die Wege zum Allwesen zeigen. Er hat den unbedingten Glauben und das Vertrauen, daß das Allwesen in dem Menschen aufleuchtet, wenn dieser sein Leben so einrichtet, daß für das Göttliche in ihm eine Stätte ist. Niemals aber kann dieses Allwesen aufleuchten, wenn der Mensch in seiner bloßen, natürlichen, einzelnen Persönlichkeit sich abschließt. Dieser in sich abgesonderte Mensch ist in der Sprache Tau- lers nur ein Glied der Welt; eine einzelne Kreatur. Je mehr sich der Mensch in dieses sein Dasein als Glied der Welt einschließt, desto weniger kann das Allwesen in ihm Platz finden. «Soll der Mensch in der Wahrheit mit Gott eins werden, so müssen alle Kräfte auch des inwendigen Menschen sterben und schweigen. Der Wille muß selbst des Guten und alles Willens entbildet und willenlos werden.» «Der Mensch soll entweichen allen Sinnen und einkehren alle seine Kräfte, und kommen in ein Vergessen aller Dinge und seiner selbst.» «Denn das wahrhafte und ewige Wort Gottes wird allein in der Wüste gesprochen, wenn der Mensch von sich selbst und von allen Dingen ausgegangen ist, und ganz ledig, wüst und einsam steht.»“ (Lit.: GA 7, S. 58f)
Werkausgaben
- Mitelhochdeutsch
Eine kritische Textausgabe auf breiter handschriftlicher Basis existiert nicht. Verwendet werden:
- Ferdinand Vetter (Hrsg.): Die Predigten Taulers. Weidmann, Dublin/Zürich 1968 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe Berlin 1910; online)
- Adolphe L. Corin (Hrsg.): Sermons de J. Tauler et autres écrits mystiques. 2 Bände, Vaillant-Carmanne, Liège 1924–1929
- Übersetzungen
- Johannes Tauler: Predigten, übertragen und herausgegeben von Georg Hofmann, Freiburg i. Br. 1961, Neudruck in zwei Bänden, 3. Auflage, Johannes-Verlag, Einsiedeln 1979 (Übertragung in modernes Deutsch)
- Johannes Tauler: Predigten. Gotteserfahrung und Weg in die Welt, hrsg. und übersetzt von Louise Gnädinger, Olten 1983 (Auswahl, Übertragung in modernes Deutsch)
- Johannes Tauler: Predigten. In: Winfried Zeller, Bernd Jaspert (Hrsg.): Heinrich Seuse, Johannes Tauler: Mystische Schriften. Diederichs, München 1988, ISBN 3-424-00924-5, S. 153–306 (Auswahl, Übertragung in modernes Deutsch)
- Johann Tauler: Predigten. In Auswahl übertragen und eingeleitet von Leopold Naumann. Frankfurt a.M., Insel Verlag 1980 (Bd. XII der Faksimile-Ausgabe von: Der Dom. Bücher deutscher Mystik, Leipzig 1923)
- Jean Tauler: Sermons, hrsg. Jean-Pierre Jossua, Les Éditions du Cerf, Paris 1991, ISBN 978-2-204-04257-4 (französische Gesamtübersetzung)
Literatur
- Rudolf Steiner: Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung, GA 7 (1990), ISBN 3-7274-0070-6 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
- Rudolf Steiner: Einführung in die Grundlagen der Theosophie, GA 111 (2018), ISBN 978-3727411106
![]() Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv. Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen. Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners. |
Weblinks


- Literatur von und über Johannes Tauler im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Literaturdatenbank der Regesta Imperii
- Die Predigten Taulers nach der Ausgabe von Ferdinand Vetter (1910) im digitalen mittelhochdeutschen Textarchiv der Universität Trier; e-Text als PDF; Digitalisat der UB Düsseldorf
- Taulerdruck von 1621, PDF
- Beschreibung von mittelalterlichen Handschriften mit Taulerpredigten im Marburger Repertorium, Universität Marburg
Dieser Artikel basiert auf einer für AnthroWiki adaptierten Fassung des Artikels Johannes Tauler aus der freien Enzyklopädie de.wikipedia.org und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar. |