Sohar

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Der Zohar – Titelseite des Erstdrucks 1558

Das Sefer ha-Sohar (hebr. זֹהַר Buch des Glanzes[1]), kurz der Sohar oder Zohar, gilt als das bedeutendste Schriftwerk der Kabbala. Der Name bedeutet "Glanz" und geht zurück auf biblische Texte bei den Propheten Ezechiel (Ez 1,28; 8,2) und Daniel (Dan 2,31; 12,3). Das in Aramäisch, zu geringen Teilen in Hebräisch verfasste Werk der jüdischen Mystik enthält vor allem Kommentare zu Texten der Tora in Form von homiletischen Meditationen, Erzählungen und Dialogen.

Entstehung

Der Sohar ist eine Sammlung von Texten in fünf Bänden. Als Autor wird Schimon ben Jochai genannt, ein bedeutender talmudischer Rabbiner des zweiten Jahrhunderts, der auch die wichtigste handelnde Person ist. Schimon ben Jochai gilt zwar historisch als "Vater der Kabbala", seine tatsächliche Autorschaft für den Sohar ist jedoch vor allem aus sprachlichen Gründen fraglich, sodass von einem pseudepigraphischen Charakter der Schrift ausgegangen werden muss.

Der Sohar tauchte zuerst gegen Ende des 13. Jhdts. in Spanien auf. Um seine Herausgabe und Verbreitung hat sich der Kabbalist Mosche ben Schemtow de León verdient gemacht, der bis 1305 in Kastilien, zuletzt in Ávila lebte. Aufgrund literarischer, sprachlicher und quellentheoretischer Beobachtungen wurde de León historisch auch die Autorschaft des Sohar zugeschrieben.

Inhalt

„Am Beginn der Manifestation des königlichen Willens, als der König die Welt erschaffen wollte, zeichnete ein starker Funke seine Spur in das unendliche Licht. Dieser starke Funke ging aus vom verborgensten aller verborgenen Dinge, vom Geheimnis des Ain-Soph, und nahm eine gestaltlose Form an. Der Funke wurde dann in das Zentrum eines Kreises gefügt, der nicht weiß noch schwarz war, nicht rot und nicht grün, er hatte gar keine Farbe. Als Er sein Maßwerk begann, erschuf er strahlende Farben, die schienen in den leeren Raum und in die Spur, die der Funken eingegraben hatte. Aus dem Inneren des Funkens, dieses starken Funkens, entsprang eine Fontäne, von der die Schatten darunter ihre Farben empfingen.“

Sohar, 1. Buch, Bereschit 1,1[2]

Oder der in der Übersetzung von Ernst Müller, etwas weiter geführt bis zum «Reschit»:

„Im Anfang - da prägte der Wille des Königs in den oberen Raum Seine Prägung: eine Leuchte aus dunkler Urregion, und trat ein in das Verborgene aus dem Endlosen[3] her. Ein formloser Wirbel schloß sich zum Ringe. Nicht weiß noch schwarz, nicht rot noch grün, sondern gänzlich ohne Farbe. Erst als er Räumliches durchmaß, gewann er Farbe, zu innerlichem Leuchten. Und innerhalb jener Leuchte hob an ein Quellen, davon sich Farben in die Tiefe tauchten. Jedoch der Verborgene im Verborgenen, das vom Geheimnis des Endelosen ist, schlug spaltend rhythmisch[4] in Seinen Sphärenraum, doch nichts war davon erkennbar, als bis vom Anprall jenes Stoßes aufblitzte ein Punkt, ein verborgen himmlischer. Doch wird auch dieser Punkt nicht fernerhin erkannt, darum ist er «Reschit» (Anfang) genannt und bildet das erste aller Worte.“

Müller: Sohar, S 99

Der Sohar versucht das Wesen Gottes zu erfassen und dieses dem Menschen mitzuteilen. Da Gott verborgen ist, kann dies nur in höchst spekulativer und kontemplativer, nicht in beschreibender oder lehrhafter Form geschehen. Dabei steht immer die Auslegung der Tora als des wesentlichen religiösen Fundaments im Vordergrund. Der Sohar erkennt für die biblische Exegese vier Stufen des Verständnisses:

  1. der wortwörtliche Text (Literalsinn, hebr. pschat)
  2. die übertragene Bedeutung (Allegorie, hebr. remes)
  3. die Bedeutung im Leben (Auslegung, Auskunft, hebr. drasch)
  4. die mystische Bedeutung (Geheimnis, hebr. sod)

Die Anfangsbuchstaben dieser vier hebräischen Wörter bilden den Begriff PaRDeS (Obstgarten, verwandt mit dem deutschen Wort Paradies), wodurch der Sinn des Schriftstudiums angedeutet wird als Gang durch einen blühenden Garten. Dieser Gang wird auch interpretiert als geistiger Gang durch die verschiedenen Hallen des jüdischen Tempels.

Der Sohar nimmt die kabbalistischen Vorstellungen der zehn Sefirot auf als Sphären der Manifestation Gottes. Als letzter Ausdruck göttlichen Seins wird darüber das "Nichts" (hebr. en-sof) erkannt. Aus dem en-sof entsteht das Sein wie in einem einzigen Punkt, der sich in der Bewegung ausfächert zu den vielen Erscheinungen des Lebens.

In der Ethik vertritt der Sohar als höchsten Wert die tätige Liebe zu Gott (hebr. debekuth), die sich auch in der sozialen Hinwendung zum Mitmenschen äußert. Daneben vertritt der Sohar ein starkes Armutsideal. Der gerechte Mensch (hebr. Zaddik) ist sowohl ein Tora-Gelehrter und Gottsucher, als auch der Wohltäter, der seine eigenen Bedürfnisse hinter die Sorge für den Nächsten radikal zurückstellt.

Bedeutung

Schon bald nach seiner Entstehung hat der Sohar eine außergewöhnliche Bedeutung zuerst unter Kabbalisten, dann auch im Judentum allgemein gewonnen. Seine Verbreitung nahm insbesondere nach der Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) stark zu. Vor allem für die chassidische Tradition im osteuropäischen Judentum erlangte der Sohar geradezu kanonisches Ansehen.
Auch unter christlichen Gelehrten hat der Sohar einige Resonanz hervorgerufen. Die spekulative Kraft seiner Sprache hat sogar dazu geführt, thematische Verbindungslinien zur christlichen Lehre zu ziehen bis hin zu Ähnlichkeiten im Wesen des dreifaltigen Gottes.
Andererseits wird auch der Sohar Elemente eines esoterischen Christentums im Südeuropa des 12. Jhdts. integriert haben, so dass eine klare Bewertung von Ursachen und Wirkungen schwer fällt. Grundsätzlich zeigen sich in mystischen Traditionen noch die stärksten und fruchtbarsten Verbindungen zwischen den Religionen.

Aufbau

Die fünf Bände des Sohar bestehen aus folgenden Teilen:

  • Sohar (Hauptteil, Kommentar zur Tora gemäß den Abschnitten der synagogalen Wochenlesungen)
  • Sifra di-Zeniutha ("Buch der Verborgenheit", ein dunkler Kommentar zu den ersten 6 Kapitel des Buches Genesis)
  • Idra Rabba ("Große Versammlung", ekstatische Vorträge des Schimon ben Jochai und seiner Schüler zu Themen der Schöpfung)
  • Idra Sutta ("Kleine Versammlung", Erzählung vom Tode Schimon ben Jochais und seiner Vermächtnisrede)
  • Hechaloth ("Hallen", Beschreibung der Hallen des Tempels, die von den Seelen der Frommen durchschritten werden)
  • Rasa de-Rasin ("Das Geheimnis der Geheimnisse", Abhandlungen über die Verbindung von Seele und Körper)
  • Saba ("Der Greis", Erkenntnisse eines greisen Kabbalisten über die Seele und die Seelenwanderung)
  • Jenuka ("Das Kind", Erkenntnisse eines Wunderkindes über die Tora)
  • Rab Methibtha ("Das Haupt der Schule", Visionärer Gang durch das Paradies mit Betrachtungen über das Schicksal der Seelen)
  • Sithre Tora ("Geheimnisse der Tora", Deutungen verschiedener Abschnitte der Tora)
  • Mathnithin (Auslegungen zur Tora im Stil der Mischna).
  • Sohar zum Hohenlied
  • Kaw ha-Midda ("Das Maß des Maßes", Auslegungen zum Schma Jisrael, einem der Hauptgebete des Judentums)
  • Sithre Othioth ("Geheimnisse der Zeichen", Deutungen zu den Buchstaben des Gottesnamens und des Textes der Schöpfungsgeschichte)
  • Midrasch ha-ne'elam zur Tora (mystischer Kommentar zur Tora)
  • Midrasch ha-ne'elam zum Buch Ruth
  • Ra'ja Mehemna ("Der treue Hirte", Deutung der Gebote und Verbote der Tora)
  • Tikkune Sohar ("Vollendung des Sohar", ein weiterer Kommentar zu den ersten sechs Kapiteln der Tora)

Ausgaben

  • Zohar. Vol. 1-23 (Aramäisch-Hebräisch). Hg. von Rav Michael Berg. Kabbalah Publishing 2001. ISBN 1571891994
  • Zohar. Vol. 1-23 (Englisch). Rav Yehuda Ashlag, Michael Berg (Editors). Kabbalah Publishing 1993. ISBN 1571892397
  • The Zohar. Pritzker Edition by Daniel C. Matt (Übersetzer). Stanford 2004 (engl.). ISBN 0804747474
  • Der Sohar. Das heilige Buch der Kabbala. Nach dem Urtext hrsg. von Ernst Müller. Wien 1932
  • Der Sohar. Das heilige Buch der Kabbala. Hrsg. von Ernst Müller. München 2005 = Diederichs Gelbe Reihe Bd. 35 (Auswahltexte).

Siehe auch

Literatur

  • Gershom Scholem: Der Sohar I + II, in: ders., Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen. Frankfurt 1980, S. 171-266. ISBN 3518079301
  • Gershom Scholem: Die Geheimnisse der Schöpfung. Ein Kapitel aus dem kabbalistischen Buche Sohar. Insel. Frankfurt 1971
  • Karl Erich Grözinger: Jüdisches Denken. Theologie – Philosophie – Mystik. Band 2: Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, ISBN 3-593-37513-3, S. 463–618.

Weblinks

Einzelanchweise

  1. Als „Buch des Glanzes“ wird in der deutschen Übersetzung auch das Sefer ha-Bahir bezeichnet.
  2. in englischer Übersetzung siehe: [1]
  3. aus dem Ain Soph.
  4. Im Original charakteristisch: spaltete und spaltete nicht.
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