Eklektizismus

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Ein typisches Beispiel für den Eklektizismus in der Architektur ist die 1860 bis 1871 von Victor Baltard gebaute Kirche St. Augustin in Paris. Die Fassade mit Fensterrose und Skulpturengalerie folgt dem gotischen Stil, die Kuppel orientiert sich hingegen an Renaissance-Vorbildern

Als Eklektizismus (von griech. ἐκλεκτός eklektos, „ausgewählt“) werden Vorgehensweisen bezeichnet, die einzelne geeignete Elemente aus verschiedenen, in sich abgeschlossenen Systemen, z.B. aus unterschiedlichen Kunststilen oder philosophischen Denkgebäuden, übernehmen und in neuartigerweise zusammensetzen. Im religiösen und philosophischen Bereich wird dafür meist die sinnverwandte Bezeichnung Synkretismus verwendet.

Der Begriff hat häufig einen abwertenden Beigeschmack, weil eklektischen Werken zumeist ein Mangel an eigener schöpferischer Leistung vorgeworfen wird.

Eklektizistische Weltsicht und Geisteswissenschaften

Der Begriff ist bereits in der Antike, etwa um Christi Geburt, geprägt worden. Damals existierten verschiedene Philosophenschulen nebeneinander, und es gab Denker und Politiker, die als Eklektiker bezeichnet wurden, weil sie Elemente der unterschiedlichen Positionen miteinander verbanden. Der berühmteste Vertreter dieser Richtung war Cicero. Er übernahm besonders in seinen ethischen Vorstellungen im Wesentlichen die Lehren der Stoiker, ließ aber auch Werte der Akademie und des Peripatos einfließen. Im Christentum gilt die eklektizistische Devise des Paulus von Tarsus Prüft alles und behaltet das Gute! (1 Thess 5,21 EU) als Grundprinzip, das die missionarische Inkulturation des neuen Glaubens in der antiken Welt erleichterte.[1]

In den Geisteswissenschaften charakterisiert der Begriff Eklektizismus die Methode, aus Versatzstücken unterschiedlicher Systeme, Theorien oder Weltanschauungen eine neue Einheit zu bilden. Die häufig abwertende Verwendung des Terminus verrät eine Bevorzugung in sich abgeschlossener, isolierter Theoriesysteme gegenüber der Selektion zutreffender Aussagen aus verschiedenen Theorien bei Nichtübernahme widerlegter Elemente. Dass wissenschaftstheoretisch legitimiert dennoch Eklektizismus zu betreiben ist, zeigt Richter (2011).[2]

Eklektizismus in Kunst und Architektur

Der Eklektizismus ist kennzeichnend für die Stilrichtungen der europäischen Kunst seit Beginn des Historismus. Als Kunstverfahren ist Eklektizismus in der Postmoderne für die kritische Reflexion über vorhandenes Material von Bedeutung. Die Bezeichnung eklektisch oder eklektizistisch bezieht sich auf ein einzelnes Kunstwerk, in dem verschiedene vergangene Stile verarbeitet sind.[3] Im Hinblick auf die jeweilige künstlerische Qualität ist zwischen Imitation und eigener Weiterentwicklung zu unterscheiden. Der Begriff kann mit einer negativen Betonung versehen sein, wenn der Künstler anstelle einer eigenen Kreation unschöpferisch Elemente aus anderen Werken auswählt und zu einem neuen Werk zusammenfügt.

In der Architektur ist Eklektizismus das Zitieren von Architekturstil-Elementen mehrerer vergangener Epochen an einem neuen Bauwerk.[4] Diese Methodik findet sich insbesondere im Historismus des 19. Jahrhunderts, aber beispielsweise auch im 11. Jahrhundert in der süditalienischen Romanik, wo ein arabisch-byzantinisch-normannischer Mischstil entstand.[5] Ebenso in der Postmodernen Architektur des 20. Jahrhunderts.[6]

Ein Eklektiker ist derjenige, der aus dem Vorhandenen das ihm Geeignete aussucht und versucht, es seinen Zwecken anzupassen.[7]

Eklektizismus und Historismus

Eklektizismus wird, analog zu Historismus, auch als Epochenbegriff benutzt. Als derartiger Epochenbegriff gilt Eklektizismus aber als ungeeignet, da es damals auch andere Architekturhaltungen gab. Als Ersatzbezeichnung und Abgrenzung kann Eklektizismus gegenüber Historismus benutzt werden um den damals verbreiteten Stilpluralismus besser einzuordnen: So dienten die zahlreichen Neo-Stile in der Architektur (vgl. Neoromanik, Neogotik, Neorenaissance, Neobarock) nicht nur einem Bezug zur vergangenen Geschichte, sondern auch dazu, einen Ortsbezug, eine Charakterisierung der Bauaufgabe oder eine Stimmigkeit der Konstruktion herzustellen.[8]

Eklektizismus kann, innerhalb des Historismus, auch die Stilmischung des verwendeten Formenapparates an einem Gebäude meinen.[9]

Die Bezeichnung Eklektizismus kann, im Zusammenhang mit dem Historismus und mit abwertender Nebenbedeutung, auch eine Kritik am selektiven Entwurfsverfahren vieler Architekten des 19. Jahrhunderts darstellen.[10]

Eklektizismus als Methodenbegriff

Im Rahmen des architektonischen Entwurfs kann es zu einem Auswahlverfahren aus vorhandenen Stilen und Formen kommen. Dabei können auch Elemente aus verschiedenen Vorbildern miteinander kombiniert werden. Diese Vorbilder stammen mitunter aus ähnlichen Architekturkreisen (römischer Tempeltyp mit griechischen Säulen) oder aber aus völlig unterschiedlichen (Renaissanceportikus neben ägyptischen Säulen und maurischen Fensterrahmen mit gotischer Turmspitze). Beim Auswahlverfahren können zeitliche Bezüge (wie beim Historismus) oder aber räumliche (wie beim Exotismus) eine Rolle spielen.[11]

Eklektizismus als Methodenbegriff kann auch die Verwendung verschiedener Formen und Stile an unterschiedlichen Gebäuden innerhalb des Gesamtwerkes eines Architekten bedeuten, wenn es ihm gilt der jeweiligen, unterschiedlichen, Bauaufgabe gerecht zu werden.[8]

George Gilbert Scott sah die Methode des Eklektizismus positiv:

„Die Eklektik an sich ist ein gutes Prinzip, das heißt von der Kunst aller Arten die Elemente zu borgen, mit denen wir den Stil, den wir laut unserem Plan als unsere Basis und unseren Kern ausgemacht haben, bereichern und perfektionieren können.“[12]

Gottfried Semper dagegen kritisierte den „Kunstjünger“, der „sein Herbarium voll mit wohlaufgeklebten Durchzeichnungen aller Art“ stopft

„in der frohen Erwartung, daß die Bestellung einer Walhalla à la Panthenon, einer Basilika à la Monreale, eines Boudoirs à la Pompeji, eines Palastes à la Pitti, einer byzantinischen Kirche oder gar eines Bazars in türkischem Geschmacke nicht lange ausbleiben könne.“[12]

Fritz Schumacher differenzierte den Eklektizismus als Entwurfsmethode:

„Es gibt einen leichtsinnig-oberflächlichen und einen gewissenhaft-wissenschaftlichen Eklektizismus, es gibt einen Eklektizismus der Bequemlichkeit und einen der Überzeugung, einen Eklektizismus des Verstandes und einen des Gefühls.“[12]

Eklektizismus in der Medizin

Während der römischen Kaiserzeit entstand im 1. Jahrhundert eine als Eklektiker-Schule bezeichnete medizinische Richtung, deren Einfluss bis ins 4. Jahrhundert reichte. Sie hatte sich aus Traditionen der Pneumatiker-Schule entwickelt und in ihrem heilkundlichen Konzept Elemente der Empiriker und Methodiker aufgegriffen. Erwähnung finden die Schriften der Eklektiker bei Galenos, der sich selbst als Eklektiker[13] verstand, Oreibasios und Aëtios von Amida. Als Begründer der Eklektischen Schule wurde von Galenos der in Rom tätige Arzt Agathinos aus Sparta angesehen. Als dessen Schüler werden der Arzt Herodot (1./2. Jahrhundert)[14] und der Chirurg Leonidas aus Alexandria genannt. Bedeutender Vertreter der Eklektiker (auch als Episynthetiker[15] bezeichnet) sei außerdem der Agathinos-Schüler Archigenes von Apameia gewesen.[16]

Siehe auch

Literatur

  • Doris H. Lehmann, Grischka Petri (Hrsg.): Eklektizismus und eklektische Verfahren in der Kunst. Olms, Hildesheim 2012, ISBN 978-3-487-14788-8.
  • Petra Michel: Christian Wilhelm Ernst Dietrich (1712–74) und die Problematik des Eklektizismus. Mäander, München 1984, ISBN 3-88219-295-X.
  • Nicolas Pethes, Jens Ruchatz (Hrsg.): Eklektizismus. In: Lexikon Gedächtnis und Erinnerung. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2001, ISBN 3-499-55636-7.
  • Ulrich Johannes Schneider: Über den philosophischen Eklektizismus. (PDF; 2,0 MB). In: A. Steffens (Hrsg.): Nach der Postmoderne. Düsseldorf 1992, S. 201–224.
  • Joseph Richter: Freie Fundamente. Wissenschaftstheoretische Grundlagen für eklektische und integrative Theorie und Praxis. 1. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht unipress, Göttingen 2011, ISBN 978-3-89971-866-9.
  • Siegfried Wollgast: Eklektizismus. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 3, Argument-Verlag, Hamburg 1997, S. 226–237.
  • Michael Hellenthal: Eklektizismus: Zur Ambivalenz einer Geisteshaltung und eines künstlerischen Konzepts. (= Arbeiten zur Ästhetik, Didaktik, Literatur- und Sprachwissenschaft. Band 17). Lang, Frankfurt 1993, ISBN 3-631-46440-1.

Weblinks

Commons: Eklektizismus - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wiktionary: Eklektizismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise und Fußnoten

  1. Josef Ratzinger: Sacramentum caritatis, Nr. 78.
  2. Joseph Richter: Freie Fundamente. Wissenschaftstheoretische Grundlagen für eklektische und integrative Theorie und Praxis. Vandenhoeck & Ruprecht unipress, Göttingen 2011.
  3. Nikolaus Pevsner, Hugh Honour, John Fleming: Lexikon der Weltarchitektur. 3. Auflage. Prestel, München 1992, ISBN 3-7913-1238-3; Lemma Eklektizismus. Dort wörtlich: „[...] Zitieren von Stilelementen der Architektur mehrerer vergangener Epochen an einem Bauwerk.“
  4. Satz nach Nikolaus Pevsner, Hugh Honour, John Fleming: Lexikon der Weltarchitektur. 3. Auflage. München, Prestel, 1992, Lemma Eklektizismus. Dort wörtlich „... Zitieren von Stilelementen der Architektur mehrerer vergangener Epochen an einem Bauwerk.“
  5. „Nach der Vertreibung der seit 917 in Sizilien ansässigen Araber im 11. Jh. entwickeln die Normannen einen arabisch-byzantinisch-normannischen Mischstil. Sein Eklektizismus wirkt räumlich bis Neapel, zeitlich bis in die Stauferzeit (seit 1194) [...] Hauptwerke sind die nordsizilian. Dome in Palermo, Cefalù, Monreale [...] Decke flach, offen (Cefalù, Monreale) oder arab. Stalaktitendecke (Palermo, Capella Palatina) [...] reiche Dekoration: [...] Inkrustration mit Lava und farbigen Steinen; Mosaiken (byzantin.); artesonado-artiger Fußboden (arab.)“ Zitiert nach: Wilfried Koch: Baustilkunde – Europäische Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart. Orbis-Verlag, München 1988, ISBN 3-572-05927-5, S. 136.
  6. Satz nach Nikolaus Pevsner, Hugh Honour, John Fleming: Lexikon der Weltarchitektur. 3. Auflage. München, Prestel, 1992, Lemma Eklektizismus
  7. Satz nach Günther Wasmuth (Hrsg.): Wasmuths Lexikon der Baukunst. Berlin, 1929–1932 (4 Bände), Lemma Eklektizismus
  8. 8,0 8,1 Absatz nach Eklektizismus. In: Vittorio Magnago Lampugnani (Hrsg.): Hatje-Lexikon der Architektur des 20. Jahrhunderts. 1998.
  9. vgl. beispielsweise Fritz Baumgart: DuMont's kleines Sachlexikon der Architektur. Köln 1977, Lemma Historismus. Dort mit Bezug auf den Justizpalast von Brüssel (1866–1883) von Joseph Poelaert: „Die Stilmischung des Formenapparates (Eklektizismus) ist erstaunlich: Barock, Renaissance, Römisches, Griechisches und selbst Assyrisches sind miteinander verbunden.“
  10. Satz nach Eklektizismus. In: Vittorio Magnago Lampugnani (Hrsg.): Hatje-Lexikon der Architektur des 20. Jahrhunderts. 1998.
  11. Absatz und Beispiele (diese wörtlich) nach Eklektizismus. In: Vittorio Magnago Lampugnani (Hrsg.): Hatje-Lexikon der Architektur des 20. Jahrhunderts. 1998.
  12. 12,0 12,1 12,2 zitiert nach Eklektizismus in Vittorio Magnago Lampugnani (Hrsg.): Hatje-Lexikon der Architektur des 20. Jahrhunderts. 1998.
  13. Diethard Nickel: Galenos von Pergamon. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 448–452; hier: S. 450 f. (Medizinisches System).
  14. Hans Georg von Manz: Herodotos. In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. 2005, S. 575.
  15. Heinrich Haeser: Geschichte der Medizin (= Lehrbuch der Geschichte der Medizin und der epidemischen Krankheiten. Band 1). 2. völlig umgearbeitete Auflage. Friedrich Mauke, Jena 1853, S. 133.
  16. Hans Georg von Manz: Eklektiker-Schule. In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. 2005, S. 340 f.