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Funktionalismus (Philosophie)
Der Funktionalismus ist eine der klassischen Positionen der Philosophie des Geistes. Ihre zentrale These ist, dass mentale Zustände funktionale Zustände sind.
Funktionalismus und Funktionale Zustände
Das Kernthema der Philosophie des Geistes ist das Leib-Seele-Problem. Es ergibt sich aus der Frage nach der Natur mentaler Zustände. Lassen sie sich in ein materialistisches Weltbild integrieren oder nur durch einen immateriellen Geist erklären? Der Funktionalismus vertritt die These, dass es sich bei mentalen Zuständen um funktionale Zustände handelt. Da funktionale Zustände von materiellen Systemen realisiert werden können, wird der Funktionalismus allgemein als eine materialistische Position aufgefasst. Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass der Funktionalismus zunächst eine ontologisch neutrale Position einnimmt: Es spricht prinzipiell nichts dagegen, dass auch immaterielle Systeme – wenn es denn solche gibt – funktional charakterisiert werden können.
Ein funktionaler Zustand ist dadurch definiert, dass er auf einen bestimmten Input mit einem bestimmten Output reagiert und in einen anderen funktionalen Zustand übergeht. Man kann das Konzept eines funktionalen Zustandes anhand von einfachen Beispielen erörtern. Von dem Philosophen Ned Block kommt etwa das Beispiel eines Colaautomaten: Gegeben sei ein Automat, der nach einem Einwurf von einem Euro eine Coladose ausgibt. Dabei akzeptiert er 1-Euro- und 50-Cent-Stücke. Um funktionsfähig zu sein, muss der Automat verschiedene interne Zustände besitzen. Es muss einen Zustand geben, in dem der Automat einen Euro fordert, um eine Dose auszugeben, es muss aber auch einen Zustand geben, in dem der Automat nur noch 50 Cent fordert. Man kann die funktionale Architektur eines solchen Automaten durch folgende einfache Tabelle verdeutlichen:
Aktueller Zustand | Input | Output | Neuer Zustand |
Z1 | 1 | Cola | Z1 |
Z1 | 0.50 | / | Z2 |
Z2 | 1 | Cola, 0.50 | Z1 |
Z2 | 0.50 | Cola | Z1 |
Der Automat besitzt zwei verschiedene Zustände, die jeweils auf zwei verschiedene Inputs reagieren und entweder im gleichen Zustand verbleiben können, oder in den anderen Zustand wechseln. Durch diese Tabelle sind die funktionalen Zustände definiert. Das Entscheidende an einer solchen funktionalen Charakterisierung eines Systems ist nun, dass sie unabhängig von der konkreten physischen Realisierung des Systems ist: Es ist etwa vollkommen irrelevant, ob der Automat aus Kunststoff oder Stahl gebaut ist.
Die These des Funktionalismus ist nun, dass auch mentale Zustände in einer solchen Weise definierbar sind. Wer in einem mentalen Zustand ist (etwa Kopfschmerzen hat oder denkt, dass heute Montag ist), wird auf einen bestimmten Input in bestimmter Weise reagieren und in einen anderen mentalen (funktionalen) Zustand übergehen. Dabei ist allen Funktionalisten klar, dass die Beschreibung des mentalen Innenlebens ungleich komplexer sein muss als die Beschreibung eines Colaautomaten. Das Entscheidende an dieser These ist nun, dass mit ihr auch das Verfügen über mentale Zustände unabhängig von der physischen Realisierung ist. So könnte ein Computer oder Roboter mentale Zustände haben, wenn er nur die gleichen funktionalen Zustände realisiert wie ein Lebewesen mit Bewusstsein.
Die Entwicklung des Funktionalismus
Die Entwicklung des Funktionalismus hängt eng mit den Problemen der Identitätstheorie und der Entstehung der Kognitionswissenschaft zusammen. Die Identitätstheorie war in den 50er Jahren von John Smart und Ullin Place formuliert worden. Sie besagt, dass ein mentaler Zustand – etwa Kopfschmerzen – mit einem bestimmten neuronalen Zustand identisch sei.
Gegen diese Theorie wurde jedoch eingewandt, es sei empirisch plausibel, dass verschiedene Wesen in der gleichen mentalen Verfassung sein können, auch wenn sie sich in verschiedenen neuronalen Zuständen befinden. Es ist zum Beispiel anzunehmen, dass Menschen und Katzen Kopfschmerzen haben können. Die Gehirne sind jedoch so verschieden, dass es unplausibel ist, dass sie dabei im gleichen neuronalen Zustand sind. Man spricht hier in der Philosophie von multipler Realisierung. Also kann man Kopfschmerzen nicht allgemein mit einem bestimmten neuronalen Zustand identifizieren.
Hinzu kam, dass in den fünfziger und sechziger Jahren die Künstliche Intelligenz (KI) und die Kognitionswissenschaft entstanden. Die Identitätstheorie schien es jedoch von vornherein auszuschließen, dass ein Roboter jemals Bewusstsein haben könnte, da er keine neuronalen Zustände hat.
In dieser Situation erschien der erstmals 1960 von Hilary Putnam formulierte Funktionalismus eine eindeutige Verbesserung zu sein, da er funktionale Zustände als unabhängig von ihrer konkreten Realisierung beschreibt. Dieser Funktionalismus hat also kein Problem mit der multiplen Realisierung. Auch schließt er nicht aus, dass Systeme ohne biologische Gehirne mentale Zustände haben können. Selbst eine Turingmaschine kann theoretisch jeden beliebigen funktionalen Zustand realisieren. Diese Vorteile führten dazu, dass der Funktionalismus zur gängigen Philosophie der künstlichen Intelligenz und der Kognitionswissenschaft wurde. Aufgrund der Probleme des Funktionalismus wird dieser Status mittlerweile wieder infrage gestellt.
Einwände gegen den Funktionalismus
Trotz seiner Popularität ist der Funktionalismus mit gewichtigen Einwänden konfrontiert.
Seltsame Realisierungen
Einer der klassischen Einwände gegen den Funktionalismus kommt von dem Philosophen Ned Block. Block macht sich die Tatsache zu Nutzen, dass funktionale Zustände in verschiedenen Systemen realisiert werden können. Mittels eines Gedankenexperiments versucht Block sich eine Situation vorzustellen, in der ein System die gleiche funktionale Architektur hat wie ein bewusster Mensch, aber dennoch kein Bewusstsein. Wenn ein solches System existieren könnte, dann können funktionale Zustände nicht mit mentalen Zuständen identisch sein.
In dem Artikel "Troubles with Functionalism" stellt sich Block vor, dass die chinesische Regierung ein groß angelegtes Funktionalismusexperiment durchführt. Jeder der 1,3 Milliarden Chinesen bekommt ein Funkgerät, mit dem er andere Chinesen kontaktieren kann. Koordiniert wird das Ganze über riesige Scheinwerfer, die Kommandos an die Wolkendecke projizieren. Ein solches System aus Menschen, Funkgeräten und Scheinwerfern könnte, so Block, zumindest für eine kurze Zeit jeden funktionalen Zustand realisieren, den auch ein Mensch realisieren kann. Dennoch wäre es laut Block vollkommen absurd anzunehmen, dass ein solches System mentale Zustände hätte. Daher können funktionale Zustände und mentale Zustände nicht identisch sein. Blocks Einwand ist als der Einwand der "seltsamen Realisierungen" bekannt geworden.
Qualia
Der Funktionalismus hat zudem mit einem Problem zu kämpfen, das selbst von vielen Befürwortern – etwa von Jerry Fodor – für ungelöst gehalten wird. Wenn alle mentalen Zustände funktionale Zustände sind, so müssen auch Erlebnisse, wie etwa Schmerzen, funktionale Zustände sein. Nun ist es zweifellos plausibel, dass auch etwa Schmerzen funktional zu beschreiben sind: Wer Schmerzen hat, wird in der Regel zu einem bestimmten Verhalten neigen – z. B. im Bett liegen, aber nicht tanzen – und auch bestimmte andere mentale Zustände haben – etwa Trauer, aber nicht Euphorie.
Die entscheidende Frage ist aber, ob mit der funktionalen Beschreibung das Phänomen Schmerz schon vollständig erfasst ist. Und hier ergeben sich ernsthafte Zweifel: Sicherlich, die funktionale Charakterisierung ist ein wichtiger Teil des Schmerzes, doch ein anderes Element scheint viel wichtiger: Das Schmerzerleben. Die Tatsache jedoch, dass wir Schmerzen erleben – also Schmerzqualia haben –, scheint durch die funktionale Beschreibung in keiner Weise berücksichtigt zu werden. Der Vorwurf an den Funktionalismus ist daher, dass er nicht die Qualia bzw. Erlebnisgehalte der mentalen Zustände erklären könne. Es sei daher unklar, ob eine bestimmte funktionale Architektur hinreichend für Erleben sei. Daher erscheint es unplausibel, mentale Zustände mit funktionalen Zuständen gleichzusetzen. Zur Verdeutlichung denke man an einen Computer, der die gleiche funktionale Struktur hat wie ein Mensch mit schweren Schmerzen. Erlebt der Computer auch tatsächlich Schmerzen?
Daniel Dennett beansprucht mittlerweile, das Qualia-Problem gelöst zu haben.
Externalismus
Hilary Putnam, der selbst einer der Begründer des Funktionalismus war, gilt mittlerweile als einer der einflussreichsten Kritiker dieser Position. Seine bekanntesten gegen den Funktionalismus gerichteten Argumente stehen im Zusammenhang mit dem externalistischen Slogan: „Gedanken sind nicht im Kopf“. Putnam versucht zu zeigen, dass ein Gedanke kein interner Zustand ist, sondern von der Gemeinschaft und Umwelt mitkonstituiert wird. Da aber funktionale Zustände interne Zustände sind, sei eine Identifikation von mentalen und funktionalen Zuständen nicht möglich. Putnam bietet zwei Argumente an:
1) Ulmen und Buchen: Putnam erklärt, dass er über Ulmen und Buchen jeweils nur wisse, dass sie Bäume seien. Das bedeute, dass die interne funktionale Struktur dieser Gedanken die gleiche sein könne. Dennoch sind die Gedanken „Die Ulme ist ein Baum“ und „Die Buche ist ein Baum“ verschieden, weil sie sich auf Verschiedenes beziehen. Wenn aber Gedanken verschieden sein können, obwohl die funktionale Struktur die gleiche ist, dann können Gedanken und funktionale Zustände nicht identisch sein.
2) Zwillingserde: Putnams zweites Argument basiert auf einem Gedankenexperiment: Er stellt sich einen Planeten vor, der unserer Welt bis ins Detail gleicht. Es gibt nur einen Unterschied: Was bei uns H20 ist, ist auf der Zwillingserde eine Substanz XYZ, die jedoch die gleichen Makroeigenschaften hat wie Wasser. Sie ist also flüssig, durchsichtig, geruchlos etc. Nun hat eine Person A auf der Erde die gleiche funktionale Struktur wie sein Zwilling B auf der Zwillingserde. Dennoch haben sie einige verschiedene Gedanken: A bezieht sich mit dem Gedanken „Wasser ist flüssig“ auf die Substanz H20, B mit dem gleichen Gedanken auf XYZ. Das Ergebnis: Da Personen mit gleicher funktionaler Organisation unterschiedliche Gedanken haben können, sind Gedanken nicht mit funktionalen Zuständen identisch.
Varianten des Funktionalismus
Innerhalb des Funktionalismus unterscheidet man zwischen zwei verschiedenen Strömungen, je nachdem, ob die mentalen Zustände durch die Alltagspsychologie oder die wissenschaftliche Psychologie bestimmt werden. Der ersten Alternative zufolge sind unsere alltäglichen Begriffe wie „Schmerz“, „Freude“ oder „Wut“ funktional bestimmt. Diese Position nennt man auch Common-Sense-Funktionalismus. Der zweiten Position zufolge geht es vielmehr um Zustände, die in der psychologischen Forschung bestimmt worden sind. Entsprechend spricht man vom „Psychofunktionalismus“.
Der Common-Sense-Funktionalismus ist von David Lewis mit Elementen der Identitätstheorie verbunden worden: Während die alltagspsychologischen Begriffe allein funktional charakterisiert seien, seien die mentalen Zustände eines Individuums wiederum mit ihren neuronalen Zuständen identisch und könnten auf sie reduziert werden.
Siehe auch
- Für den Funktionalismus im Kontext anderer Positionen, siehe: Philosophie des Geistes
- Für den Zusammenhang von empirischer Forschung und Funktionalismus, siehe: Kognitionswissenschaft.
- Für die formalen Hintergründe zur Definition von funktionalen Zuständen, siehe: Automat
Literatur
Einführungstexte
- Ansgar Beckermann: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes, 2. Aufl. De Gruyter, Berlin u. a. 2001, ISBN 3-11-017065-5
- Ned Block: What ist functionalism?, in: Readings in the Philosophy of Psychology Volume 1, Cambridge, Harvard University Press, 1980, ISBN 067474876X (online)
Grundlegende Texte des Funktionalismus
- Hilary Putnam: Minds and Machines, Hook: Dimensions of Mind, New York, Collier Books, 1960
- Jerry Fodor Psychological Explanation, New York, Random House, 1968
- David Lewis: Mad Pain and Martian Pain, in: David Lewis: Philosophical Papers Vol.1, Oxford, Oxford University Press, 1983
- Daniel Dennett, Consciousness Explained, 1991, Boston: Little, Brown (dt. Philosophie des menschlichen Bewusstseins; übers. von Franz M. Wuketits)
- Daniel Dennett, Sweet Dreams. Philosophical Obstacles To A Science Of Consciousness, MIT Press, Bradford Book, 2005 (dt. Süße Träume, 2007)
Kritik des Funktionalismus
- Ned Block: Troubles with Functionalism, in: Perception and Cognition, 1978
- Hilary Putnam: Representation and Reality, Bradford Book, 1991, ISBN 0262660741
Weblinks
- Janet Levin: Functionalism. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- Thomas W. Polger: „Functionalism“ in der Internet Encyclopedia of Philosophy (englisch, inkl. Literaturangaben)
- Bibliographie zum Thema auf der Website von David Chalmers
- Bibliographie zu Onlinetexten zum Thema.
Dieser Artikel basiert auf einer für AnthroWiki adaptierten Fassung des Artikels Funktionalismus (Philosophie) aus der freien Enzyklopädie de.wikipedia.org und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar. |