Gericht

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Richter, Ankläger und Prozessbeteiligte sitzen zu Gericht (Old Bailey in London, 19. Jahrhundert).

Ein Gericht (abgeleitet von „richten“ / „Recht“; vom Gotischen: raíhts, althochdeutsch, mittelhochdeutsch: reht) ist ein Organ der Rechtsprechung (Judikative).

Begriff

Recht sprechende Behörden gibt es seit den Anfängen menschlicher Zivilisation. Ursprünglich war die Rechtsprechung in vielen Fällen Aufgabe des Monarchen selbst oder seiner Beauftragten. Im Laufe der Aufklärung setzte sich mit dem Konzept der Gewaltentrennung in Europa und den europäisch beeinflussten Staaten die Überzeugung durch, dass die Rechtsprechung von der Regierungsgewalt unabhängig zu sein hat.

Für den Begriff des Gerichts in modernen Rechtsstaaten ist die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit daher zentral. Das schweizerische Bundesgericht hat beispielsweise festgehalten, dass als Gericht im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention eine Behörde gilt, die nach Gesetz und Recht in einem justizförmigen, fairen Verfahren begründete und bindende Entscheidungen über Streitfragen trifft. Sie braucht nicht in die ordentliche Gerichtsstruktur eingegliedert zu sein, muss jedoch organisatorisch und personell, nach der Art ihrer Ernennung, der Amtsdauer, dem Schutz vor äußeren Beeinflussungen und nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sowohl gegenüber anderen Behörden als auch gegenüber den Parteien unabhängig und unparteiisch sein. Nebst den Merkmalen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gehört zu seinem Wesen, dass ein Gericht die rechtserheblichen Tatsachen selber erhebt, die Rechtssätze auf diesen in einem rechtsstaatlichen Verfahren ermittelten Sachverhalt anwendet und für die Parteien bindende Entscheidungen in der Sache fällt. Es muss über umfassende Kognition in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht verfügen.

Deutschland

Amtsgericht Fürstenfeldbruck
moderner Gerichtssaal im Justizzentrum Aachen

Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland sind je nach Gerichtsträger die Bundesgerichte und die Gerichte der Länder. Die Gerichte verwalten sich in ihrer Unabhängigkeit nach dem Prinzip der Gewaltenteilung selbst und sind formell darin nicht Bestandteil der Exekutive.

Der Aufbau der Gerichtsbarkeiten[1] wird durch (verschiedene) Gerichtsverfassungen geregelt. Gerichtsbarkeiten in Deutschland sind die Verfassungsgerichtsbarkeiten (des Bundes und der einzelnen Länder), die Ordentliche Gerichtsbarkeit (für Zivilrecht und für Strafrecht) und die Fachgerichtsbarkeiten, zu denen Arbeitsgerichtsbarkeit, Finanzgerichtsbarkeit, Sozialgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit gehören. Um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu wahren, besteht ein Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, der angerufen werden kann, falls ein oberstes Bundesgericht die Absicht hat, von der Entscheidung eines anderen obersten Bundesgerichts abzuweichen.

Dienstgerichtsbarkeit und Ehrengerichtsbarkeit sind Teil der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Besonderheiten ergeben sich im Militärwesen. So können im Verteidigungsfall Wehrstrafgerichte als Bundesgerichte errichtet werden Art. 96 Abs. 2 Grundgesetz, die Recht nach dem Wehrstrafgesetz sprechen. Historisch bestanden sogenannte Standgerichte als Ausnahmegerichte, die gemäß Grundgesetz in der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 101 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz unzulässig sind.

Spricht man vom Gerichtsaufbau, bezeichnet der Begriff Gericht eine Behörde (so z. B. Amtsgericht). Das Gericht kann aber auch als Spruchkörper verstanden werden (z. B. Einzelrichter, Schwurgericht, Schöffengericht usw.); jedes Gericht ist dann mit mindestens einem Richter besetzt. Behördenleiter sind Gerichtspräsidenten oder aufsichtführende Richter, die einem Präsidium vorstehen (§ 21a GVG).

Die Beteiligung von Laien als ehrenamtliche Richter ist im Strafverfahren vorgesehen (dann "Schöffen" genannt), in der Handelsgerichtsbarkeit (dann "Handelsrichter" genannt), sowie in der Arbeits-, Finanz-, Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Schöffen wirken am Amtsgericht im Schöffengericht, am Landgericht im Schwurgericht und in anderen Strafkammern mit. Eine Besonderheit sind die sogenannten Beamtenbeisitzer in Disziplinarsachen bei Verwaltungsgerichten. Dies sind i. w. S. Schöffen, gehören jedoch einer bestimmten Berufsgruppe an: der Beamtenschaft.

Welches Gericht tätig wird, bestimmt sich nach der Zuständigkeit.

Welcher Spruchkörper (Einzelrichter, Kammer, Senat) zuständig ist, bestimmt sich nach dem anwendbaren Verfahrensgesetz (z. B. GVG, ZPO) und nach dem Geschäftsverteilungsplan, der von den Gerichten in eigener Verantwortung erstellt wird.

Der Ablauf einer Gerichtsverhandlung ist in verschiedenen Rechtsquellen normiert.

Keine Gerichte im Sinne des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sind die sogenannten Seeamtsverhandlungen („Seegerichte“); sie sind behördliche Sachverständigenverfahren der Seeämter.

Aufbau von Gerichten und deren Aufgaben
Gerichtsart Zuständig für Gerichtsbezeichnungen
Arbeitsgerichtsbarkeit Streitverfahren aus Arbeits- und Tarifverträgen Arbeitsgericht (bis 1927 Gewerbegericht)
Landesarbeitsgericht
Bundesarbeitsgericht
Finanzgerichtsbarkeit Streitverfahren wegen Steuern und Zöllen Finanzgericht
Bundesfinanzhof
Ordentliche Gerichtsbarkeit Zivil- und Strafprozess, freiwillige Gerichtsbarkeit Amtsgericht

Landgericht
Oberlandesgericht
Bundesgerichtshof

Sozialgerichtsbarkeit Streitverfahren mit Sozialversicherungsträgern und in verschiedenen anderen sozialrechtlichen Fragen Sozialgericht
Landessozialgericht
Bundessozialgericht
Verfassungsgerichtsbarkeit Streitverfahren in Verbindung mit dem Grundgesetz bzw. den Landesverfassungen Bundesverfassungsgericht
Verfassungsgerichte der Länder
Verwaltungsgerichtsbarkeit Streitverfahren mit der öffentlichen Verwaltung
(Ausnahmen siehe Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit)
Verwaltungsgericht
Oberverwaltungsgericht (in einigen Ländern: Verwaltungsgerichtshof)
Bundesverwaltungsgericht

Siehe auch: Liste deutscher Gerichte, Liste historischer deutscher Gerichte, Neutralität des Gerichts

Schweiz

In der Schweiz ist die Rechtspflege in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und die Organisation der Zivil- und Strafgerichte teilweise kantonal geregelt. Das kantonale Recht bestimmt namentlich, welches kantonale Zivil- und Strafgericht die von der Verfahrensgesetzgebung des Bundes vorgesehenen Funktionen der ersten und zweiten Instanz wahrnimmt. In der Regel bestehen regionale Gerichte als erste Instanz (Bezirks-, Regionalgerichte) und gesamtkantonale Kantons- bzw. Obergerichte als zweite Instanz. Auf Bundesebene bestehen ein erstinstanzliches Patent-, Verwaltungs- und Bundesstrafgericht sowie das Schweizerische Bundesgericht als letztes Berufungsgericht in allen Rechtsgebieten.

Österreich

Siehe: Gerichtsorganisation in Österreich

Historisch

Buchtitel
Gerichtsordnung zur Zeit Karls V.

Ein (Land-)Gericht war in der Grafschaft Tirol seit dem Spätmittelalter eine territoriale Einheit für Justiz und Verwaltung, vergleichbar den heutigen Bezirkshauptmannschaften und Bezirksgerichten.

Siehe auch: Oberes Gericht

Vereinigte Staaten

Die Gerichtsorganisation in den USA ist durch ihren stark föderativen Charakter gekennzeichnet. Sowohl der Bund als auch die einzelnen Bundesstaaten unterhalten eigene Gerichtsorganisationen und Instanzenzüge, die nicht voneinander abhängig sind. Die Bundesgerichte folgen den Vorgaben der Verfassung der Vereinigten Staaten und sind ausschließlich für Fälle nach Bundesrecht zuständig. Die Gerichte der Bundesstaaten basieren auf der jeweilig geltenden Verfassung und sind nur für die Rechtsbereiche zuständig, die in die Rechtssetzungskompetenz des Bundesstaates fallen.

Zitate

  • „Wo Gericht, da ist auch Ungerechtigkeit.“ (Aus: Krieg und Frieden von Leo Tolstoi, Übersetzung: Werner Bergengruen)
  • Juristenweisheit: Coram iudice et in alto mari sumus in manu Dei. („Vor dem Richter und auf hoher See sind wir in Gottes Hand.“)
    Andere Version: Coram iudice et in alto mari in manu Dei solius sumus. („Vor dem Richter und auf hoher See sind wir in der Hand des alleinigen Gottes.“)

Siehe auch

Einzelnachweise

Weblinks

 Wikiquote: Gericht – Zitate
 Wiktionary: Gericht – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
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