Offenbarung

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Als Offenbarung (griech. αποκάλυψις, Apokalypsis; hebr. גלה galah; eng. revelation) im religiösen Sinn wird die durch übersinnliche Erfahrung gegebene Enthüllung bislang verborgener geistiger Tatsachen bezeichnet. Die Offenbarungen werden entweder durch Visionen oder seltener auch durch Auditionen vermittelt und geben in der Regel Prophezeiungen für die Zukunft.

Zwei Offenbarungs-Strömungen gab es in der Menschheit vor dem Mysterium von Golgatha. Die alte heidnische Kultur hatte eine über die ganze Erde hin ausgebreitete Offenbarung, deren Inhalt die Urweisheit über Natur und Weltenall war. Diese Offenbarung erfolgte durch die Hauptesorganisation. Andererseits gab es das althebräische, jüdische Volkstum mit seiner Volksreligion. Hier erfolgte die Offenbarung durch die übrige Organisation des Menschen. Der Mensch selbst bildete den Inhalt dieser Offenbarung. Die spätere gnostische Auffassung des Mysteriums von Golgatha war ein Rest der alten heidnischen Weisheit. Die jüdischen Offenbarung ergoss sich in das römisch-katholisches Christentum und wurde in den Kirchen des Abendlandes verkündigt. Die letzte Reste der altheidnischen Weisheit flossen hingegen in die mit der Neuzeit aufblühende Naturwissenschaft ein. Daraus resultiert das Unvermögen der Naturwissenschaft, den Menschen zu begreifen und das Unvermögen der Theologie, die Natur zu begreifen. Die Folge davon war der Agnostizismus, der um sich griff.

„Die alte heidnische Kultur, die in der verschiedensten Weise, wie ich es geschildert habe in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß», von den Mysterien des Altertums ausgeht, trägt in einer gewissen Beziehung einen einheitlichen Charakter. Welches ist dieser einheitliche Charakter? Dieser einheitliche Charakter besteht darin, daß eine Urweisheit der Menschheit vorliegt, daß tatsächlich eine Uroffenbarung über die ganze Erde hin stattgefunden hat. Diese Uroffenbarung, warum konnte sie denn stattfinden? Sie konnte stattfinden aus dem Grunde, weil in den alten Zeiten der Erdenentwickelung das menschliche Haupt, der menschliche Kopf, wenn ich so sagen darf, noch nicht so weit vorgeschritten war, wie er es in unserer Zeit ist oder wie er es auch zur Zeit des Mysteriums von Golgatha schon war. Er war in dem Sinne, wie ich Ihnen das gestern auseinandergesetzt habe, noch lebendig. Er war noch erfüllt von der Möglichkeit, Träume zu haben, die nicht mit dem zusammenhingen, was allein die Erdenerfahrung und das Erdenerlebnis gibt. Er war in der Lage, in sich wieder hervorzurufen, was der Mensch in alten Traumerlebnissen - also bei einem herabgedämmerten Bewußtsein gegenüber dem unsrigen - zur alten Mondenzeit hatte [...]

Eine Weisheit war da, welche von der Natur, allerdings auch von der Natur des Kosmos handelte. In dieses Leben der Menschheit wurde hineingestellt die alte hebräische Offenbarung. Wenn Sie sich die alte hebräische Offenbarung vor die Seele rücken, so hat sie eine gewisse Eigentümlichkeit. Sie unterscheidet sich ganz und gar von den heidnischen Weisheitsoffenbarungen, die um sie herum sich ausbreiteten. Sie verschmähte es gewissermaßen, die Weisheiten über die Natur und das Weltenall in sich zu enthalten. Sie enthielt im Grunde genommen über die Natur und das Weltenall nur das eine: Gott hat sie erschaffen mit dem Menschen, und der Mensch hat in der Welt dem Gotte zu dienen. Die ganze althebräische Offenbarung ist auf das Ziel hin abgestellt, dem Menschen zu zeigen, wie er seinem Jahve-Gotte dienen könne. An was wird denn in dieser althebräischen Offenbarung appelliert? - Dasjenige, woran nicht appelliert wird, das hat die alte heidnische Offenbarung: die Hauptesorganisation, die noch in sich hervorrufen konnte Erinnerungen an die alte Mondenzeit. An die konnte bei der hebräischen Offenbarung nicht appelliert werden. Es mußte an die übrige Organisation des Menschen appelliert werden. Aber erinnern Sie sich, was ich gestern gesagt habe: Diese übrige Organisation des Menschen kann gerade verstehen und aufnehmen, weil sie sonnenhaft ist, das, was vom Monde kommt. Was vom Monde kommt, ist dasjenige, was im Extrem zu den Illusionen führt, zu dem führt, was im Innern des Menschen sich offenbaren kann. Das aber ist der Inhalt der althebräischen Offenbarung. Es ist zunächst ganz vom Menschen nur gehandelt. Der Mensch steht in dieser althebräischen Offenbarung ganz im Mittelpunkt [...]

Der Rest der alten Weisheit zeigte sich in der gnostischen Auffassung des Ereignisses von Golgatha. Dasjenige, was der jüdischen Offenbarung zu verdanken war, das wurde immer mehr und mehr der Inhalt des katholischen Erfassens, des römisch-katholischen Erfassens des Mysteriums von Golgatha. Und es mußte nun, um überhaupt etwas vom Mysterium von Golgatha zu erfassen, der Umweg gemacht werden durch diese zwei Weltenströmungen [...]

Frischer, intensiver war die jüdische Verkündigung. Aber sie hatte keine Weltenweisheit. Sie sprach nur vom Menschen und von Geboten an den Menschen. Sie stellte ganz den Menschen in den Mittelpunkt der Weltanschauung. Sie pflanzte sich fort in den Kirchen des Abendlandes. Die letzten Reste der heidnischen Weisheit, deren Ursprung man nicht mehr erkannte, blieben zurück als Begriffe für dasjenige, was nun naturwissenschaftliche Erfahrung ist. Mit den letzten Resten alter heidnischer Weisheit begriffen Galilei, Giordano Bruno, Kopernikus dasjenige, was an neuen Weltenerfahrungen vorliegt. Kein Wunder, daß dies allmählich etwas sehr Unbefriedigendes werden mußte. Man hatte ja nur die letzten abstrakten Reste der altheidnischen Weisheit anzuwenden gewußt auf dasjenige, was man durch die neuen Mittel der Naturwissenschaft bekam. Und von dem, was man über den Menschen wußte aus der jüdischen Offenbarung, fand sich keine Brücke hinüber zu dieser Weisheit. Und so ging das fort, und so lebte es sich fort bis in unsere Tage herein. Wir haben auf der einen Seite eine Wissenschaft, die nur mit den allerletzten Brockenresten der alten heidnischen Weisheit arbeitet und die von sich aus keine Mittel findet, den Menschen zu begreifen, die deshalb im 19. Jahrhundert darin gipfelte, auf das Begreifen des eigentlichen Menschen zu verzichten und nur das zu begreifen, was sich scheinbar ergibt, wenn man den Menschen als die letzte Konsequenz der tierischen Reihe ansieht. Nicht den Menschen begreifen, sondern das höchste Tier begreifen und das den Menschen nennen, das wurde das Ideal dieser mit den letzten Brocken des Heidnischen arbeitenden Wissenschaft.“ (Lit.:GA 196, S. 39ff)

Literatur

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