Empfindung

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Der Begriff Empfindung wird einerseits umgangssprachlich für innere Gefühlserlebnisse (eng. feeling, sentience, sentiment), anderseits, als Sinnesempfindung (eng. sensation, perception, percept), vor allem in der Philosophie, Psychologie, Medizin und Biologie, für die durch Reizeinwirkung erregten Elementarvorgänge der sinnlichen Wahrnehmung gebraucht. Im Gegensatz zur Apperzeption, durch die sinnlich Gegebenes mittels Aufmerksamkeit und Gedächtnis aufgefasst, angeeignet, ins Bewusstsein erhoben und in den Bewusstseinszusammenhang eingeordnet wird [1], werden Sinnesempfindungen oft nur unterschwellig, d.h. unterbewusst aufgenommen. Die für eine bestimmte Sinnessphäre charakteristischen Empfindungskomplexe werden auch als Sinnesmodalität bezeichnet.

Als Empfindungsobjekte (eng. objects of sensation, perception, percept) bezeichnet Rudolf Steiner in seiner Philosophie der Freiheit: Farben, Töne, Druck-, Wärme-, Ge­schmacks- und Geruchsempfindungen; dann Lust- und Un­lustgefühle.

„Wir müssen uns vorstellen, daß ein Wesen mit vollkommen entwickelter menschlicher Intelligenz aus dem Nichts entstehe und der Welt gegenübertrete. Was es da gewahr würde, bevor es das Denken in Tätigkeit bringt, das ist der reine Beobachtungsinhalt. Die Welt zeigte dann diesem Wesen nur das bloße zusammenhanglose Aggregat von Empfindungsobjekten: Farben, Töne, Druck-, Wärme-, Geschmacks- und Geruchsempfindungen; dann Lust- und Unlustgefühle. Dieses Aggregat ist der Inhalt der reinen, gedankenlosen Beobachtung. Ihm gegenüber steht das Denken, das bereit ist, seine Tätigkeit zu entfalten, wenn sich ein Angriffspunkt dazu findet. Die Erfahrung lehrt bald, daß er sich findet. Das Denken ist imstande, Fäden zu ziehen von einem Beobachtungselement zum andern. Es verknüpft mit diesen Elementen bestimmte Begriffe und bringt sie dadurch in ein Verhältnis.“ (Lit.:GA 4, S. 61)

„Bei dem Schwanken des Sprachgebrauches erscheint es mir geboten, daß ich mich mit meinem Leser über den Gebrauch eines Wortes verständige, das ich im folgenden anwenden muß. Ich werde die unmittelbaren Empfindungsobjekte, die ich oben genannt habe, insoferne das bewußte Subjekt von ihnen durch Beobachtung Kenntnis nimmt, Wahrnehmungen nennen. Also nicht den Vorgang der Beobachtung, sondern das Objekt dieser Beobachtung bezeichne ich mit diesem Namen.

Ich wähle den Ausdruck Empfindung nicht, weil dieser in der Physiologie eine bestimmte Bedeutung hat, die enger ist als die meines Begriffes von Wahrnehmung. Ein Gefühl in mir selbst kann ich wohl als Wahrnehmung, nicht aber als Empfindung im physiologischen Sinne bezeichnen. Auch von meinem Gefühle erhalte ich dadurch Kenntnis, daß es Wahrnehmung für mich wird. Und die Art, wie wir durch Beobachtung Kenntnis von unserem Denken erhalten, ist eine solche, daß wir auch das Denken in seinem ersten Auftreten für unser Bewußtsein Wahrnehmung nennen können.“ (S. 62)

Steiner unterscheidet scharf zwischen Empfindung und Wahrnehmung. Die Wahrnehmung als ein Ganzes ist dabei dem Bewusstsein zuerst gegeben; sie muss erst zergliedert werden, um zu den einzelnen Empfindungen zu kommen. Wahrnehmungen, so wie sie unmittelbar erfahren werden, sind nicht einzelne Empfindungen, sondern Gruppen von Empfindungen:

„Wenn wir einem Gegenstand gegenübertreten, so ist das, was sich zuerst abspielt, die Empfindung. Wir bemerken eine Farbe, einen Geschmack oder Geruch, und diesen Tatbestand, der sich da zwischen Mensch und Gegenstand abspielt, müssen wir zunächst als durch die Empfindung charakterisiert betrachten. Was in der Aussage liegt: Etwas ist warm, kalt und so weiter, ist eine Empfindung. Diese reine Empfindung haben wir aber eigentlich im gewöhnlichen Leben gar nicht. Wir empfinden an einer roten Rose nicht nur die rote Farbe, sondern wenn wir in Wechselwirkung treten mit den Gegenständen, so haben wir immer gleich eine Gruppe von Empfindungen. Die Verbindung der Empfindungen «Rot, Duft, Ausdehnung, Form» nennen wir «Rose». Einzelne Empfindungen haben wir eigentlich nicht, sondern nur Gruppen von Empfindungen. Eine solche Gruppe kann man eine «Wahrnehmung» nennen.

In der formalen Logik muß man scharf unterscheiden zwischen Wahrnehmung und Empfindung. Wahrnehmung und Empfindung sind etwas durchaus Verschiedenes. Die Wahrnehmung ist das erste, was uns entgegentritt, sie muß erst zergliedert werden, um eine Empfindung zu haben.“ (Lit.:GA 108, S. 198f)

Empfindungen können daher, im Gegensatz zur Wahrnehmung und zur bewusst durch Aufmerksamkeit gelenkten Apperzeption, unbewusst aufgenommen werden und wirken dann um so stärker bis in den Ätherleib hinein.

Schon durch die einfachste Sinnesempfindung baut sich der Mensch seine seelische Innenwelt auf, die von seiner Leiblichkeit, insbesondere auch von seinen Gehirnvorgängen verschieden ist und in dieser Form nur ihm selbst zugänglich ist. Indem die Empfindungern Lust oder Unlust, Sympathie oder Antipathie erregen, schließt sich daran das Gefühl. Im Willen entsteht das Bestreben, das eigene Innenleben der Außenwelt aufzuprägen.

„Als eigene Innenwelt ist die seelische Wesenheit des Menschen von seiner Leiblichkeit verschieden. Das Eigene tritt sofort entgegen, wenn man die Aufmerksamkeit auf die einfachste Sinnesempfindung lenkt. Niemand kann zunächst wissen, ob ein anderer eine solche einfache Sinnesempfindung in genau der gleichen Art erlebt wie er selbst. Bekannt ist, daß es Menschen gibt, die farbenblind sind. Solche sehen die Dinge nur in verschiedenen Schattierungen von Grau. Andere sind teilweise farbenblind. Sie können daher gewisse Farbennuancen nicht wahrnehmen. Das Weltbild, das ihnen ihr Auge gibt, ist ein anderes als dasjenige sogenannter normaler Menschen. Und ein Gleiches gilt mehr oder weniger für die andern Sinne. Ohne weiteres geht daraus hervor, daß schon die einfache Sinnesempfindung zur Innenwelt gehört. Mit meinen leiblichen Sinnen kann ich den roten Tisch wahrnehmen, den auch der andere wahrnimmt; aber ich kann nicht des andern Empfindung des Roten wahrnehmen. – Man muß demnach die Sinnesempfindung als Seelisches bezeichnen. Wenn man sich diese Tatsache nur ganz klar macht, dann wird man bald aufhören, die Innenerlebnisse als bloße Gehirnvorgänge oder ähnliches anzusehen. – An die Sinnesempfindung schließt sich zunächst das Gefühl. Die eine Empfindung macht dem Menschen Lust, die andere Unlust. Das sind Regungen seines inneren, seines seelischen Lebens. In seinen Gefühlen schafft sich der Mensch eine zweite Welt zu derjenigen hinzu, die von außen auf ihn einwirkt. Und ein Drittes kommt hinzu: der Wille. Durch ihn wirkt der Mensch wieder auf die Außenwelt zurück. Und dadurch prägt er sein inneres Wesen der Außenwelt auf. Die Seele des Menschen fließt in seinen Willenshandlungen gleichsam nach außen. Dadurch unterscheiden sich die Taten des Menschen von den Ereignissen der äußeren Natur, daß die ersteren den Stempel seines Innenlebens tragen. So stellt sich die Seele als das Eigene des Menschen der Außenwelt gegenüber. Er erhält von der Außenwelt die Anregungen; aber er bildet in Gemäßheit dieser Anregungen eine eigene Welt aus. Die Leiblichkeit wird zum Untergrunde des Seelischen.“ (Lit.:GA 9, S. 30f)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Monadologie, verfasst 1714, dt. 1720, LS 14; Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, vermutlich 1707, Buch II: Von den Ideen, Kap. 1 f.