Innenwelt

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Allerdings
Dem Physiker

»Ins Innre der Natur -«
O du Philister! -
»Dringt kein erschaffner Geist.«
Mich und Geschwister
Mögt ihr an solches Wort
Nur nicht erinnern: Wir denken:
Ort für Ort Sind wir im Innern.
»Glückselig, wem sie nur
Die äußre Schale weist!«
Das hör ich sechzig Jahre wiederholen,
Ich fluche drauf, aber verstohlen;
Sage mir tausend tausend Male:
Alles gibt sie reichlich und gern;
Natur hat weder Kern noch Schale,
Alles ist sie mit einem Male.
Dich prüfe du nur allermeist,
Ob du Kern oder Schale seist.

Die Innenwelt, das seelische Innere des Menschen, ist jener eigenständige Bereich des Menschenwesens, in dem sich sein seelisches Innenleben während seiner irdischen Inkarnation entfaltet und das als solches nur dem einzelnen Subjekt in der Erste-Person-Perspektive zugänglich ist. Von außen erscheint diese in ihrer vollen Entfaltung nur dem Menschen ermöglichte seelische Innenwelt dem hellsichtigen Blick in drei in der Aura deutlich unterscheidbare Teile gegliedert, die in der Anthroposophie als Empfindungsseele, Verstandes- und Gemütsseele und Bewusstseinsseele bezeichnet werden.

„Als eigene Innenwelt ist die seelische Wesenheit des Menschen von seiner Leiblichkeit verschieden. Das Eigene tritt sofort entgegen, wenn man die Aufmerksamkeit auf die einfachste Sinnesempfindung lenkt. Niemand kann zunächst wissen, ob ein anderer eine solche einfache Sinnesempfindung in genau der gleichen Art erlebt wie er selbst. Bekannt ist, daß es Menschen gibt, die farbenblind sind. Solche sehen die Dinge nur in verschiedenen Schattierungen von Grau. Andere sind teilweise farbenblind. Sie können daher gewisse Farbennuancen nicht wahrnehmen. Das Weltbild, das ihnen ihr Auge gibt, ist ein anderes als dasjenige sogenannter normaler Menschen. Und ein Gleiches gilt mehr oder weniger für die andern Sinne. Ohne weiteres geht daraus hervor, daß schon die einfache Sinnesempfindung zur Innenwelt gehört. Mit meinen leiblichen Sinnen kann ich den roten Tisch wahrnehmen, den auch der andere wahrnimmt; aber ich kann nicht des andern Empfindung des Roten wahrnehmen. – Man muß demnach die Sinnesempfindung als Seelisches bezeichnen. Wenn man sich diese Tatsache nur ganz klar macht, dann wird man bald aufhören, die Innenerlebnisse als bloße Gehirnvorgänge oder ähnliches anzusehen. – An die Sinnesempfindung schließt sich zunächst das Gefühl. Die eine Empfindung macht dem Menschen Lust, die andere Unlust. Das sind Regungen seines inneren, seines seelischen Lebens. In seinen Gefühlen schafft sich der Mensch eine zweite Welt zu derjenigen hinzu, die von außen auf ihn einwirkt. Und ein Drittes kommt hinzu: der Wille. Durch ihn wirkt der Mensch wieder auf die Außenwelt zurück. Und dadurch prägt er sein inneres Wesen der Außenwelt auf. Die Seele des Menschen fließt in seinen Willenshandlungen gleichsam nach außen. Dadurch unterscheiden sich die Taten des Menschen von den Ereignissen der äußeren Natur, daß die ersteren den Stempel seines Innenlebens tragen. So stellt sich die Seele als das Eigene des Menschen der Außenwelt gegenüber. Er erhält von der Außenwelt die Anregungen; aber er bildet in Gemäßheit dieser Anregungen eine eigene Welt aus. Die Leiblichkeit wird zum Untergrunde des Seelischen.“ (Lit.:GA 9, S. 30f)

Die Innenwelt, so wie wir sie im Alltagsbewusstsein erleben, hat keine eigenständige Realität, sondern ist nur ein durch den Leib bedingtes schattenhaftes Spiegelbild unserer eigentlichen Seelenlebens, d.h. unserer wirklichen seelischen und geistigen Tätigkeit.

„Und was ich mein Innenleben in obigem Sinne nenne, ist gar nicht, im höheren Sinne, mein Geist. Dieses Innenleben ist nur das Ergebnis rein sinnlicher Vorgänge, gehört mir nur als ganz individuelle Persönlichkeit an, die nichts ist als das Ergebnis ihrer physischen Organisation... Mein persönliches Seelenleben, meine Gedanken, Erinnerungen und Gefühle sind in mir, weil ich ein so und so organisiertes Naturwesen bin, mit einem ganz bestimmten Sinnesapparat, mit einem ganz bestimmten Nervensystem.“ (Lit.:GA 7, S. 44f)

Mit dem Tod löst sich dieses leibliche Spiegelbild schrittweise auf. Die Sinneswahrnehmung hört in dem Moment auf, in dem der physische Leib endgültig abgelegt wird. Für etwa 3½ Tage tritt dann die im Ätherleib lebende Erinnerung an das vergangene Erdenleben in Form des Lebenspanoramas hervor. Auch dieses verschwindet, wenn sich der Ätherleib bis auf einen kleinen Extrakt im allgemeinen Weltenäther auflöst. Im Kamaloka löst sich auch ein großer Teil des Astralleibs auf auf und damit auch alle sinnlichen Empfindungen und Begierden. Was zuletzt übrig bleibt, ist das in seinem Wesenskern, seinem Ich, beschlossene eigentliche Seelisch-Geistige des Menschen.

Durch seine zunächst subjektive Innenwelt sieht sich der irdisch verkörperte Mensch heute einer objektiv seiner Wahrnehmung erscheinenden Außenwelt gegenüber gestellt, zu der er erst aktiv durch seine Erkenntnistätigkeit die Brücke finden muss. Das ist die Grundlage für sein spezifisch menschliches Selbstbewusstsein und die damit verbundene Möglichkeit der Freiheit, über die andere, höher als der Mensch stehende geistige Wesen nicht in der gleichen Art verfügen. Der Preis dafür ist, dass der Mensch, indem er sich so von der Welt absondert, auch dem Irrtum, der Lüge und überhaupt dem Bösen verfallen kann. Das ist eine Folge des Sündenfalls, durch den seine Sinne nach außen geöffnet wurden. Vorher gab es keine Außenwelt für ihn, er lebte ganz in seinem Inneren, in dem aber die Welt mit eingeschlossen war.

„Es gab eine Zeit, wo die Sinnesorgane des Menschen sich noch nicht nach außen aufgetan hatten. Da konnte der Mensch die Gestaltenwelt nicht wahrnehmen; da konnte er nichts draußen wahrnehmen; da lebte er noch ganz in seinem nach der Welt zu abgeschlossenen Inneren. Er lebte ganz ein Innenleben, wie es uns jetzt noch in unseren Empfindungen bekannt ist.

In diesem Innenleben finden wir jetzt noch den zweiten Aspekt der Welt. Durch das Wahrnehmen der äußeren Gestaltenwelt mit unseren Sinnesorganen entstehen in unserem Inneren Empfindungen. Wie wir mit unseren Sinnesorganen die Außenwelt wahrnehmen, so empfinden wir mit unserer Seele die Eindrücke, die uns diese Außenwelt macht. Dadurch wird diese Außenwelt in unserer Seele zu unserer eigenen Innenwelt. In dem Maße, wie unsere Seele und ihre Organe entwickelt sind, wird uns diese eigene Innenwelt zum Bewußtsein kommen. Je höher der Mensch in der Entwickelung steht, desto stärker empfindet er diese Außenwelt auch als Innenwelt in der Seele; je mehr er seine Seelenorgane ausgebildet hat, desto mannigfaltiger gestaltet sich seine Innenwelt, desto reicher sind die Bilder derselben, die in seinem Inneren aufsteigen, desto geordneter und harmonischer durchziehen sie sein Inneres. Um die Außenwelt ganz zu seiner eigenen zu machen, muß der Mensch eine starke, harmonisch ausgestaltete und gegliederte Seele haben, einen ausgebildeten Seelenorganismus. Je vielseitiger der Mensch sein Seelenleben ausgebildet hat, desto mannigfaltiger wird dort die Außenwelt in abwechslungsvollen Bildern auftauchen. Je harmonischer seine Seele ist, desto schöner wird sich die Außenwelt in seiner Seele abspiegeln. In unserer Seele taucht dann die Außenwelt unter und ersteht dort zu einem schönen, harmonischen, lebensvollen, abwechslungsreichen Ganzen.

Während der Mensch im Wachbewußtsein sein Hauptaugenmerk auf die Außenwelt richtet und sie zunächst nur chaotisch als Empfindungen in sich auftauchen spürt, muß er lernen, diese chaotischen Empfindungsvorgänge zu ordnen und zu regeln, sie in bewußte Beziehung zur Außenwelt zu bringen und daraus ein harmonisches Ganzes zu gestalten. Er muß die Innenwelt seiner Seele unter seine Herrschaft bringen lernen. Erst dann wird sie wirklich seine eigene und eigenste Welt, in der er bewußt und nach eigenem Willen leben kann. Im Traumleben taucht der Mensch in seine Innenwelt unter. Da ist er der Sinnenwelt entrückt und ist preisgegeben dem chaotischen Wirbel seiner Empfindungswelt, die in Bildern in ihm auftaucht. In dem Maße, wie sich seine Empfindungen ordnen, werden auch seine Traumbilder geregelt und bedeutungsvoll. Was nun in ihm zur Innenwelt geworden ist in seiner Seele, das ist der Aspekt der Umwelt, wie er sie empfindet. Dieser steht gegenüber dem Aspekt der Wahrnehmungen, unter dem sich die Umwelt seinen Sinnen zeigt.

Nun besteht die Welt aber noch unter einem andern Aspekt, unter dem Aspekt, wie sie wirklich ist. Es ist der eigentliche Aspekt des wahren Seins der Welt, wie sie in ihrem Inneren ist. Zu diesem Aspekt gelangt der Mensch, wenn er den eingeschlagenen Weg weiter verfolgt. Wenn aus klaren Sinneswahrnehmungen in ihm Empfindungen entstanden sind in seinem Inneren, wenn er diese Empfindungen in harmonische Ordnung und in schönen Rhythmus gebracht hat, dann tragen ihn diese Empfindungen wieder hinaus in die Welt. Sie schlagen eine Brücke von seiner Seele zur Welt, und während die Welt sich in ihn hineinergießt durch seine Sinne, so ergießt sich nun seine Seele in die Welt hinein durch das Denken über die Welt. Seine Empfindungen gießt er hinein in den Gedanken, und sein Gedanke dringt ein in die Umwelt. So ist die Kette geschlossen zwischen Welt und Mensch und zwischen Mensch und Welt.

Die Welt ist draußen, die Empfindung im Inneren des Menschen; der Gedanke ist in beiden. Im Denken vereinigt sich der Mensch ganz mit der Welt. Denn das Weltendenken und sein Denken sind ein Ganzes. So wurzelt die Menschheit mit ihren Wahrnehmungen im sinnlichen Dasein. So wächst sie, indem sie aus der Sinnenwelt Eindrücke empfängt und diese sich in der Seele zu Empfindungen, zu Bildern ordnen, sich rhythmisieren und im seelischen Leben sich umwandeln. So erblüht sie, indem sie aus diesen Bildern und den Wahrnehmungen herausliest, herausempfindet, heraushört den Weltgedanken, der in jedem denkenden Menschen neue Blüten treibt.

Die Menschen wurzeln alle in dem einen Boden der physischen Sinnen- und Gestaltenwelt. Es ist dieselbe Welt für alle, derselbe Boden, aus dem alle herauswachsen. Und jede einzelne Menschenindividualität saugt heraus aus dem gemeinsamen Boden Kräfte zu ihrer besonderen Entfaltung. Viele und verschieden geartete Stamme sind die einzelnen Menschenindividualitäten, die aus dem einen Boden hervorwachsen und, jede in ihrem Seelenleben, die aus dem einen Boden aufgenommenen Kräfte in ihrer besonderen Eigenart verarbeiten. Aber droben zur Blüte gelangend, in der Welt des Gedankens, bilden alle ein großes Ganzes, ein wunderbares wogendes Blütenmeer, jede Blüte eine Widerspiegelung des großen einen Weltendenkens, und eine die andere ergänzend, sich einfügend als Glied in die ganze Kette, als Juwel in eine Krone von Juwelen, als Welle in ein Gedankenweltenmeer.

Unten ein Ganzes: die physische Welt. Oben ein Ganzes: die Geisteswelt. Dazwischen Umwandlung des Unteren in das Obere in vielen Individualitäten: die Seelenwelt.

Ein Spiegelbild der Geisteswelt ist die physische Welt draußen in ihrer Einheitlichkeit. Ein Spiegelbild der Geisteswelt ist die Seelenwelt des Menschen in ihrer Mannigfaltigkeit. Die ganze große Welt draußen wird in jeder Menschenseele eine besondere kleine Welt, und wird, aus allen Menschenseelen im Gedanken heraustretend, wieder ein großes Ganzes. So geht der Weg vom Kosmos durch den Mikrokosmos hindurch, um als neuer, vervollkommneter Kosmos aus den gesamten Mikrokosmen hervorzugehen.“ (Lit.:GA 97, S. 275ff)

Die Kluft zwischen Innenwelt und Außenwelt, zwischen Subjekt und Objekt, wird durch das Denken aufgerissen - und kann auch durch dieses wieder überwunden werden, wie es Rudolf Steiner in seinen philosophischen Schriften, namentlich in der «Philosophie der Freiheit» (GA 4), dargestellt hat. Die Innenwelt ist zwar der Schauplatz, auf dem das Denken zunächst erscheint, doch steht es selbst jenseits des Gegensatzes von Subjekt und Objekt, den es ja selbst erst bewirkt, und ist seiner wahren Natur nach in der Welt als ganzer, d.h. in der Wirklichkeit als solcher verwurzelt. Bewusst wird dies dem Menschen allerdings erst dann, wenn er nicht nur in herkömmlicher Weise zu denken vermag, sondern auch gelernt hat, seine eigene Denktätigkeit zu beobachten. Er erlebt dann nicht mehr nur das bloße leibbedingte Spiegelbild des Denkens, sondern ergreift dieses im reinen sinnlichkeitsfreien Denken in seiner vollen Wirklichkeit, in der nicht nur die Welt, sondern auch sein wahres Ich verankert ist. Die Beobachtung des Denkens ist die erste vollbewusste, rein geistige Erfahrung, die der Mensch machen kann.

Die Seelenkräfte des Denkens, Fühlens und Wollens entfalten sich durch die Tätigkeit der vier grundlegenden Wesensglieder des Menschen. Das Denken webt zwischen dem physischen Leib und dem Ätherleib, das Fühlen schwingt zwischen dem Ätherleib und dem Astralleib und das Wollen wirkt zwischen Ich und Astralleib. Die drei Seelenkräfte haben sich erst im Zuge der Menschheitsentwicklung immer mehr voneinander getrennt und sind auch heute noch nicht vollständig voneinander geschieden. Im Zeitalter der Empfindungsseele, d.h. in der ägyptisch-chaldäischen Zeit, waren Denken, Fühlen und Wollen noch sehr stark miteinander verwoben. In der griechisch-römischen Zeit, d.h. im Zeitalter der Verstandes- und Gemütsseele, das bis zum Ende des Mittelalters währte, setzte sich das gefühlsdurchdrungene Denken immer deutlicher vom Wollen ab. Und erst im gegenwärtigen Bewusstseinsseelenzeitalter emanzipierte sich das Denken immer stärker vom Fühlen. Ein vollständige Trennung der drei Seelenkräfte wird auch heute erst durch eine entsprechend vorangeschrittene Geistesschulung erreicht, die schließlich bis zu einer Spaltung der Persönlichkeit führt. Denken, Fühlen und Wollen sind dann vollständig voneinander getrennt und werden nur mehr ganz bewusst durch das Ich in das rechte Verhältnis zueinander gebracht.

„Wir unterscheiden zwar diese drei Seelenfähigkeiten, Denken, Fühlen und Wollen, aber in dem einheitlichen Leben der Seele sind sie durchaus nicht in strenger Weise von einander geschieden. Man müßte eigentlich sagen: Wenn wir vom Denken, vom Vorstellen reden, so reden wir von einer Seelenfähigkeit, in der durchaus zum Beispiel der Wille und auch das Gefühl drinnen ist, aber es ist hauptsächlich das Denken drinnen. Im Willen wiederum sind durchaus Gedanken drinnen, aber es ist hauptsächlich Wille drinnen. So ist es nur das Hervorstechendste, das in den einzelnen Seelenfähigkeiten bezeichnet wird, während überall unter der Oberfläche, kann man sagen, auch die anderen Seelenfähigkeiten liegen.“ (Lit.:GA 82, S. 120f)

Nur im Denken sind wir vollständig wach, im Fühlen träumen wir und wie der Wille in uns tätig wird, verschlafen wir vollständig - man darf dabei nur nicht die bloße Vorstellung, etwas zu wollen, mit der eigentlichen Willenstätigkeit, die tief in den Körper eingreift und den Stoffwechsel und die Muskeltätigkeit anregt, verwechseln. Tatsächlich nehmen wir das Ergebnis des Willensimpulses, etwa die Bewegung eines Armes oder der Finger, erst durch unsere äußeren (z.B. durch den Sehsinn) und innere Sinne (z.B. duch den Eigenbewegungssinn oder den Tastsinn) wahr. Der Wille ist daher viel mehr der Außenwelt als der Innenwelt zuzurechnen. Aber auch alle Gedanken, die wir uns über das sinnlich Wahrgenommene bilden, beziehen sich auf die Außenwelt. Die eigentliche Innenwelt wird also vornehmlich durch das reine leibfreie und sinnlichkeitsfreie Denken, das sich des Ätherleibs bedient und nicht den physischen Leib nicht als Spiegelungsapparat braucht, und die sich daran entzündenden Gefühle gebildet. Von der Seite der Wesensglieder betrachtet entsteht die Innenwelt des Menschen aus dem Ineinanderweben von Ätherleib und Astralleib.

„Da ist zunächst der physische Leib des Menschen (siehe Zeichnung, hell); da ist dann der Ätherleib des Menschen (rot). Zwischen beiden ist die webende Gedankenwelt, insofern sie eingegliedert ist in unseren Organismus. Zwischen dem Ätherleib und dem astralischen Leib (grün) befindet sich die Gefühlswelt, und zwischen dem astralischen Leib und der Ich-Hülle (blau) befindet sich die Willenswelt.

Zeichnung aus GA 208, S. 15 (Tafel 1)
Zeichnung aus GA 208, S. 15 (Tafel 1)

Diese Willenswelt, sie kann ja eigentlich im gewöhnlichen Bewußtsein von dem Ich nicht unterschieden werden. Sie verbindet sich ganz und gar mit dem Ich. Aber alles das, was im Ich vorgeht, wenn das Ich will, handelt, alles das kommt nicht unmittelbar in das gewöhnliche Bewußtsein herein. Das ist eben, wie gesagt, unter dem gewöhnlichen Bewußtsein wie die Ereignisse des Schlafzustandes.

Im physischen Leib haben wir die Sinnesorgane, und die Sinnesorgane, sie haben die Wahrnehmungen. Durch diese Wahrnehmungen nehmen wir auch unsere Willensäußerungen wahr. Im physischen Leibe also sind Augen und Ohren, und was sich da aus Ich und Willenswelt entwickelt, das wird eigentlich durch die Sinne wahrgenommen. Also das, was das äußerste ist im Menschen, die Wahrnehmung, sie verbindet sich mit demjenigen, was der Mensch da erlebt durch seinen Willen und durch das Ich (großer Pfeil).

Nehmen Sie nur dieses, wenn wir durch unser Ich ein paar Schritte machen: was da im Willen lebt, wie in den Untergründen des menschlichen Organismus etwas vorgeht, was unsere Beine vorwärtstreibt, das alles entzieht sich dem Bewußtsein. Aber wir sehen, indem wir ein Stückchen vorwärtsgegangen sind, eine andere Umgebung oder wenigstens die Umgebung in einem anderen Anblicke. In diesem anderen Anblicke haben wir in der Sinneswahrnehmung gegeben, was uns im gewöhnlichen Bewußtsein die Vorstellung vermittelt, ein Bild gibt von dem, was sonst eigentlich unten in den Tiefen eines wachenden Schlafes ist. Indem wir unser Ich zum Willen aufraffen, die Willensimpulse in Handlungen umsetzen, erleben wir also diese Handlungen - gleichgültig ob sie durch Gehen oder durch Greifen oder durch Schreiten, durch irgendeine Arbeit bewirkt werden - , alle diese Dinge erleben wir durch das Wahrnehmen. Wir gehören eigentlich mit unserem Willen unserer äußeren Wahrnehmungswelt an. Halten wir das nur durchaus fest: Wir gehören mit unserem Willen unserer äußeren Wahrnehmungswelt an. Wir kommen, indem wir das entwickeln, was wir da an Willensäußerungen, an unseren Willensoffenbarungen beobachten, wir kommen da nicht in unser eigentliches Inneres hinein. Wir absolvieren damit, obwohl der Wille aus unserem tiefsten Inneren strömt, für unser Bewußtsein eigentlich einen äußeren Vorgang, oder besser gesagt eine Summe von äußeren Vorgängen im Leibe.

Nehmen wir jetzt dagegen das Innere. Da haben wir zunächst die webende Gedankenwelt. Diese webende Gedankenwelt, wie sie nach außen wirkt, kann uns eigentlich in diesem Zusammenhange nicht interessieren. Nach außen lebt diese Gedankenwelt so, daß sie einen gewissen logischen, gesetzmäßigen Zusammenhang in die Wahrnehmungen hineinbringt. Wir klassifizieren die Natur. Wir sehen Pflanzen, die einander ähnlich sind, bringen sie in eine Klasse; wir sehen Tiere, die einander ähnlich sind, bringen sie in eine Klasse. Wir suchen sonstige Naturgesetze. Alles, was wir auf diese Weise ausgestalten, gehört eigentlich nicht zu unserem eigentlichen Innenleben. Es ist das, was als Wissenschaft allen Menschen gemeinsam ist. Es gehört nicht zu unserem Innenleben.

Aber wir können nicht ohne weiteres sagen, daß alles Gedankenmäßige nicht zu unserem Innenleben gehört. Sie brauchen sich ja nur vorzustellen, wie, wenn Sie durch äußere Wahrnehmungen, sagen wir, eine herrliche Gegend einmal in sich aufgenommen haben, sich Gedanken über diese herrliche Gegend gemacht haben, wie Sie dies jederzeit, wenn auch verblaßt, aus der Erinnerung wiederum hervorrufen können. So bildet das, was sich da als Gedanke anlehnt an das Äußere, einen Teil Ihrer Innenwelt. Ebenso ist es mit anderem, was aus der Außenwelt herein erlebt wird, was sich in Gedanken verwandelt, was einen Teil der Innenwelt bildet.

Diese Gedanken, die durchsetzen ja zunächst den Ätherleib. Sie verbinden sich aber auch weiterhin mit dem Gefühle bis zum Astralleib hin. Das alles ist etwas, was innerlich vorgeht. Diese Innenseite des Gedankenlebens, die Gefühlswelt dazu, das ist die eigentliche menschliche Innenwelt. Wir können eigentlich nichts von dem, was wir da an dem inneren Aspekt unserer Gedankenwelt erleben, was wir in unserem Gefühl erleben, in der Außenwelt suchen. Wir müssen immer in unser Inneres hineinschauen, wenn wir das kennenlernen wollen. Ich habe schon vorhin gesagt: Wir können mit Menschen sprechen, wir können andere Menschen willkürlich in uns Einblick gewinnen lassen, aber das Wesentliche davon ist doch eben: Innenleben. - Und wir können jetzt genau unterscheiden, was in gewissem Sinne Außenleben ist, indem der Mensch sein Inneres in die Außenwelt fortwährend hineinträgt, und was Innenwelt ist.

Wenn wir uns von einem Eisenbahnzug in einer Nacht von der Westschweiz nach der Ostschweiz tragen lassen, dann befinden wir uns des Morgens in einer ganz anderen Willensumgebung und nehmen diese Willensumgebung durch unsere Wahrnehmung in uns auf. Unser Inneres haben wir mitgetragen. Es ist dasselbe Innere, das wir an dem einen Orte gehabt haben und das wir an dem nächsten Orte haben, höchstens eben modifiziert durch dasjenige, was wiederum von den Gedanken aus nach innen zu uns bewegt hat, was eben Inneres geworden ist.

Wir können also ganz genau unterscheiden, wenn wir wollen, zwischen dem, was des Menschen eigentliches Inneres ist, seelisch gewoben aus den Gedanken und Gefühlen, leiblich gewoben aus einem Ineinander- Rhythmen von Ätherleib und astralischem Leib - wir können davon unterscheiden, was in gewissem Sinne Außenwelt ist, seelisch gewoben aus Willensinhalt und Wahrnehmungsinhalt, leiblich gewoben aus Ich und physischem Leib. Denn wir nehmen unseren physischen Leib mit, beobachten ihn, er kommt in andere Verhältnisse zur Umgebung. Wir können das Innere und das Äußere unterscheiden in der Weise, wie ich es eben gesagt habe.“ (Lit.:GA 208, S. 15ff)

Das innere Seelenleben des Menschen bleibt, von seltenen Ausnahmen abgesehen, auch der geistigen Wahrnehmung des Geistesforschers verschlossen. Eine solche Ausnahmesituation wird in Rudolf Steiners viertem Mysteriendrama «Der Seelen Erwachen» geschildert. Professor Capesius kann dort im 2. Bild unmittelbar miterleben, was im Inneren von Johannes Thomasius vorgeht. Möglich ist das nur in Momenten, in denen der Geistesschüler auf seinem Geistespfad eine Stufe höher steigt.

CAPESIUS:
Erlebt' ich nicht in eigner Seele klar,
Was in Johannes, der so träumend sinnt,
Als Bilder seiner Sehnsucht sich erschafft?
Gedanken flammten mir im Innern auf,
Die nicht aus mir; — die er nur wirken konnte.
Es lebte seiner Seele Sein in meiner.
Verjüngt erblickt' ich ihn, wie er sich selbst
Durch Geisteswahn erschaut und frevelhaft
Die reifen Früchte seines Geistes schalt. —
---
Doch wie! - warum erlebe ich dies jetzt?
Nur selten darf der Geistesforscher doch
Der andern Seelen Sein in sich erschauen! -
---
Ich konnte oft von Benedictus hören,
Daß dies nur der vermag - für kurze Zeit -,
Der gnädig ausersehn vom Schicksal ist,
Um eine Stufe auf dem Geistespfad
Erhöht zu werden. — Darf ich so mir deuten,
Was mich in diesem Augenblicke trifft?
Was selten - wahrlich nur geschehen darf;
Denn furchtbar wär's, könnt' jederzeit der Seher
Belauschen andrer Seelen Innensein.

“ (Lit.:GA 14, S. 427)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Johann Wolfgang von Goethe, Ernst Beutler (Hrsg.): Gedichte. Ausgabe letzter Hand, Artemis-Verlag, Zürich 1949 [1]