Glaube

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Glaube (von idg. *leubh; ahd. gilouben, mhd. gelouben, „begehren, lieb haben, für lieb erklären, gutheißen, loben“; griech. Πίστις Pistis; lat. Credo, „ich glaube“ bzw. Fides, „Treue, Vertrauen, Versprechen“) bezeichnet im religiösen Kontext eine seelische Grundhaltung des Vertrauens, der Treue und des Gehorsams gegenüber den göttlichen Mächten und ist eine der drei von Paulus genannten christlichen Tugenden (1 Kor 13,13 LUT). Echter Glaube resultiert aus dem sicheren, unerschütterlichen, im konkreten Leben bewährten Gefühl für die Wahrheit, wenngleich er diese auch noch nicht vollständig in klare Begriffe fassen kann. Er ist in diesem Sinn nicht der Gegensatz, sondern die notwendige Vorstufe und die bleibende Grundlage des Wissens von den geistigen Welten. Ein bloß intellektuelles, nur auf logische Begründungen gestütztes Wissen, das der Glaubensgrundlage entbehrt, ist aus geistiger Sicht wertlos und unfruchtbar für das Leben. Paulus spricht in seinem Brief an die Epheser von der „Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, ... damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch das trügerische Würfeln der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen.“ (Eph 4,13-14 LUT).

Umgangssprachlich versteht man unter dem Glauben hingegen nur ein subjektives gefühlsmäßiges Fürwahrhalten, eine mehr oder weniger begründete Vermutung, eine Hypothese, ein bloßes Wahrscheinlichkeitswissen ohne hinlänglichen Beweis.

Glaubenskräfte als Kräfte des Astralleibs

Nach Rudolf Steiner sind Glaubenskräfte die wichtigsten Kräfte des Astralleibs.

„Heute sagt gar mancher, der hochmütig und hochfahrend geworden ist durch das, was man naturwissenschaftliche Weltanschauung nennt: Die Zeiten des Glaubens der Menschheit sind lange vorbei, das Glauben entspricht der Kindheitsstufe der Menschheit, heute ist die Menschheit aufgerückt zum Wissen, heute muß man alles wissen, darf nicht mehr bloß glauben.

Nun, das mag ja alles leidlich klingen, aber es ist doch kein Verstand dabei im Grunde genommen, denn bei solchen Dingen muß man auch noch manche andere Frage aufwerfen als just die, ob im Laufe der Entwickelung heute etwa das Wissen an die Menschheit herangetreten ist durch die äußere Wissenschaft. Man muß die andere Frage aufwerfen: Bedeutet denn die Tatsache des Glaubens als solche etwas für die Menschheit? Gehört es vielleicht nicht zur Menschennatur überhaupt, zu glauben? Es könnte ja natürlich durchaus sein, daß durch das oder jenes die Menschen den Glauben ablegen, abwerfen wollen. Aber so, wie es den Menschen gestattet ist, auch manchmal auf eine kurze Zeit hindurch auf ihre äußere Gesundheit loszuwüten, ohne daß sich der Schaden gleich zeigt, so könnte es sehr wohl sein und es ist so: Die Menschen mögen den Glauben zu den abgetanen Gütern ihrer Väter legen, das ist aber gerade so, wie wenn die Menschen eine Weile wüst auf ihre Gesundheit losstürmten und die alten Kräfte verbrauchten. Wenn der Mensch heute den Glauben zu den überlebten Gütern seiner Väter legt, so zehrt er doch in bezug auf seine Lebenskräfte der Seele von den alten Glaubensgütern, die er mit den Traditionen und Überlieferungen ererbt hat. Es hängt gar nicht vom Menschen ab, den Glauben abzulegen oder nicht, denn der Glaube stellt in der Menschenseele eine Anzahl von Kräften dar, eine Summe von Kräften, die zu den Lebenskräften der Seele gehören. Es kommt gar nicht darauf an, ob wir glauben wollen oder nicht, sondern darauf, daß wir die Kräfte, die das Wort «Glaube» ausdrückt, als Lebenskräfte der Seele haben müssen, daß die Seele verdorrt, verödet und vereinsamt, wenn sie nichts glauben kann.

Es gab ja übrigens auch Menschen, die ohne Kenntnis der Naturwissenschaft viel gescheiter waren als diejenigen, die die naturwissenschaftliche Weltanschauung heute vertreten. Die haben nicht gesagt, wie man glaubt, daß durchaus gesagt worden sei: Ich glaube, was ich nicht weiß – sondern: Ich glaube das, was ich weiß, eben erst recht. – Das Wissen ist nur die Grundlage des Glaubens. Wir sollen wissen, damit wir uns immer mehr zu den Kräften erheben können, die die Glaubenskräfte der menschlichen Seele sind. Wir müssen in unserer Seele haben, was hinblicken kann auf eine übersinnliche Welt, was Hinlenkung aller unserer Gedanken und Vorstellungen ist auf eine übersinnliche Welt. Wenn wir diese Kräfte nicht haben, die also das Wort «Glaube» ausdrückt, so verödet etwas an uns, wir werden dürr, trocknen ein wie das Laub im Herbst. Eine Weile kann es gehen für die Menschheit, aber dann geht es nicht mehr. Und wenn die Menschheit wirklich den Glauben verlieren würde, dann würde sie schon in den nächsten Jahrzehnten sehen, was das für die Entwickelung bedeuten würde. Dann würden durch die verlorenen Glaubenskräfte die Menschen herumgehen müssen so, daß keiner mehr recht weiß, was er mit sich anzufangen hat, um sich im Leben zurechtzufinden, daß keiner eigentlich bestehen kann in der Welt, weil er Furcht, Sorge und Ängstlichkeit hat vor dem und jenem. Kurz, jenes Leben, das in unserer Seele frisch quellen soll, kann uns nur durch die Glaubenskräfte gegeben werden.

Das ist aus dem Grunde so, weil in den verborgenen Tiefen unseres Wesens, für das äußere Bewußtsein zunächst unwahrnehmbar, etwas ruht, in das eingebettet ist unser eigentliches Ich und das, worin unser Ich ruht, was sich gleich geltend macht, wenn wir es nicht beleben. Das ist das, was wir nennen können jene menschliche Hülle, in welcher die Glaubenskräfte lebendig sind, was wir nennen können die Glaubensseele oder meinetwillen den Glaubensleib. Und das ist dasselbe, was wir bisher mehr abstrakt den astralischen Leib genannt haben. Die Glaubenskräfte sind die wichtigsten Kräfte des astralischen Leibes und ebenso wie richtig ist der Ausdruck «Astralleib», ebenso ist richtig der Ausdruck «Glaubensleib».“ (Lit.: GA 130, S. 172ff)

Glaube als sehende Kraft und beginnende Realisation

Wenn der Begriff Glaube ausgehend vom Sanskritbegriff Shraddha (Sanskrit श्रद्धा, IAST śraddhā, deutsch Glaube) erforscht wird, fällt auf, dass hier der Glaubensbegriff aus der Wurzel dha abgeleitet wird. Dies weist auf die Aktivität des „Platzierens“ hin. Der Mensch erwählt einen Gedanken zur Konzentration und Meditation und verlagert im Sinne einer aktiv gewählten Hingabe sein Bewusstsein immer wieder neu in diesen Gedanken und damit an den Ort einer geistiger Wirklichkeit. Heinz Grill beschreibt die Realität, wie der Gedanke dadurch näherrückt und der Glaube „unmittelbare sehende Kraft“ wird:

„Der Mensch muss heute den passiven Glaubensbegriff durch ein aktives und sehr gewagtes Verständnis des möglichen Glaubens ersetzen. Wenn man auf den tatsächlich möglichen Glaubensbegriff blickt und ihn, wie schon gesagt, aus allen Religionen mit ihren passiven Anbetungsformen und allen Credoformeln enthebt und zum praktischen Vollzug des menschlichen Potenzials übernimmt, dann wird man einen kleinen Schimmer der Hoffnung gewinnen. Im höchsten Sinne bietet jedenfalls der Glaubensbegriff eine unendlich tiefgreifende Vision. Es wäre nicht schwer für denjenigen, der eine geistige Vision erarbeitet, den Glaubensbegriff, der eine gedachte Idee zu einem Ideal umzusetzen versucht, praktisch und unmittelbar in seiner wahren Dimension zu entdecken.

Die Seinsexistenz des Gedankens

Wer den Gedanken in seiner Seinsexistenz[1] zu erkennen vermag und wer in die geistigen Welten einigermaßen – aber nicht durch Mediumschaft, sondern durch geordnete Bewusstseinserkraftung – hineinblicken kann, bemerkt, dass es eine Vielzahl von geistigen Verwirklichungsmöglichkeiten gibt. Was ist wirklicher Glaube? Es ist nicht nur ein Fühlen einer möglichen Wahrheit, sondern es ist ein Sehen einer realen und im Geiste gegebenen Wirklichkeit. In der frühchristlichen Periode konnte man den Christus noch sehen und damit war die Glaubensfrage eine Frage des Sehens. Heute müsste man sehen lernen, dass in der geistigen Welt alle schöpferischen Mächte bangen und warten, damit der einzelne Mensch die besten Ideen für sein Leben ergreift und diese kontinuierlich zu Idealen formt.

Heute ist die Glaubensfrage ein banales Für-Wahr-Halten geworden. Sie hat sich in der Gefangenschaft des Physischen beschwert und entfremdet. Auf dieser Grundlage des Materiellen will sich das menschliche Gemüt an den irdischen Bedingungen festhalten und für seine Überlebensstrategie solide Sicherheiten finden. Welche Sicherheiten soll aber diese Zeit gewähren? Das einzelne Individuum muss heute die Zukunft in vollem Wagnis eines noch nicht realisierten, aber doch vorstellbaren Ideals denken und zielstrebig nach diesem leben. Nach einiger Zeit der wirklich ernsthaften Bemühung gewinnen die Gedanken eine erstmalige Realität. Der Glaube wird in diesem Sinne eine unmittelbare sehende Kraft und bereits beginnende Realisation.“[2]

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Anmerkung:
    „Den Gedanken als eine real bestehende und aus sich selbst ausstrahlende Existenz wahrzunehmen, ist dem heutigen Menschen fremd. Er sieht die Materie als real und den Gedanken als ein Produkt des Gehirns oder als eine Art Lichtreflexion, die im Gehirn auftaucht. Mit dieser Sicht bleibt der Gedanke nur etwas sehr Vages, das wie eine Art Traumgebilde oder eine Fata Morgana im Bewusstsein auftaucht und wieder verschwindet. Der heutige Mensch fühlt keine wirkliche Existenz des Gedankens, während bei den älteren Philosophen, beispielsweise in der Zeit von Plato, dem Gedanken, also der Idee einer Sache, noch die eigentliche Existenz zugeschrieben wurde und der sichtbare Erscheinungsform schon etwas Schattenhaftes und Vergängliches anhaftete. Heute sollte der Mensch den Gedanken durch sein Konzentationsvermögen wieder als existent erleben und er sollte lernen, mit diesem Gedanken bewusst wirksam und tätig zu werden.“
  2. Der Abstieg der Dunkelheit bis in das Innere des Menschen. Jahresausblick – Teil 2. Vortrag vom 23. Dezember 2021, abgerufen am 31. Dezember 2023.