Volkswirtschaftslehre

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Die Volkswirtschaftslehre (auch Nationalökonomie, wirtschaftliche Staatswissenschaften oder Sozialökonomie, kurz VWL) ist ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft. Sie untersucht Zusammenhänge bei der Erzeugung und Verteilung von Gütern und Produktionsfaktoren. Die Volkswirtschaftslehre beschäftigt sich auch mit menschlichem Handeln unter ökonomischen Bedingungen, das heißt mit den Fragen, wie menschliches Handeln ökonomisch begründet werden kann und welches Handeln den größtmöglichen Nutzen für den Einzelnen bringt. Mit ihr wird nach Gesetzmäßigkeiten und Handlungsempfehlungen für die Wirtschaftspolitik gesucht; ferner werden einzelwirtschaftliche Vorgänge im Rahmen der Mikroökonomie und gesamtwirtschaftliche im Rahmen der Makroökonomie betrachtet.

Die Volkswirtschaftslehre basiert grundsätzlich auf der Annahme der Knappheit von Ressourcen zur Befriedigung der Bedürfnisse von Wirtschaftssubjekten. Ausgegangen wird zudem von einer Wertfreiheit bzw. Wertneutralität der wissenschaftlichen Prämissen, was aber umstritten ist.

Einordnung der Volkswirtschaftslehre in den Wissenschaftskanon

Die Volkswirtschaftslehre ist ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft und stellt somit eine Realwissenschaft dar, da sie versucht die Realität zu beschreiben. In den allermeisten Fällen wird die Volkswirtschaftslehre als Sozialwissenschaft eingeordnet und innerhalb dieser stellen die Politikwissenschaft und die Soziologie verwandte Disziplinen dar.[1][2] Dennoch unterscheidet sich die Volkswirtschaftslehre aber in ganz bestimmten Punkten von einer Sozialwissenschaft. Die Abgrenzung der Volkswirtschaftslehre zu anderen Disziplinen bereitet Schwierigkeiten, da wirtschaftliche Phänomene komplex sind und viele Erkenntnisse aus anderen Wissenschaften benötigen wie zum Beispiel Psychologie, Politik, Geschichte etc.[3] Sie legt insbesondere große Bedeutung auf drei Faktoren, die sie letztendlich von anderen Sozialwissenschaften unterscheidet:

  • Die Volkswirtschaft gebraucht das Modell des rationalen Individuums, dessen Verhalten sich stets am Maximierungskalkül orientiert
  • Ökonomische Modelle betonen strikt die Bedeutung von Gleichgewichten

Die strikte Betonung von Gleichgewichten resultiert aus der engen Verzahnung der Volkswirtschaftslehre und der Spieltheorie. Da die Anwendungen der Spieltheorie zum großen Teil rationale Entscheider im Sinne des Homo oeconomicus fordern, liegt die Hauptanwendung der Spieltheorie in der Volkswirtschaftslehre. Aus diesem Grund ordnen manche Autoren die Spieltheorie der Volkswirtschaftslehre zu, statt von einem Teilgebiet der Mathematik zu sprechen.

Die Nationalökonomie aus anthroposophischer Sicht

Aus anthroposophischer Sicht bekommt der Kapitalbegriff eine ganz neue Bedeutung. Insbesondere gilt der anthroposophischen Ökonomie die Arbeitswerttheorie von Marx als einseitig. Neben der Arbeit gilt der anthroposophischen Wirtschaftswissenschaft der angewandte Geist des Menschen als werteschaffend und damit als eigenständiger Produktionsfaktor. Mit dem Begriff der assoziativen Wirtschaft nähert sich die anthroposophische Wirtschaftswissenschaft aber auch sozialistischen Vorstellungen an, doch sind die realen Unterschiede beträchtlich. Insbesondere in der Geldtheorie erlangt der Begriff des Schenkungsgeldes (heute nur bekannt als "Steuern") eine besondere Stellung, um den Wirtschaftskreislauf zu stabilisieren und funktionaler einzurichten.

Teilgebiete und Themen der Volkswirtschaftslehre

Wirtschaftstheorie

Hauptartikel: Wirtschaftstheorie

Makroökonomie

Hauptartikel: Makroökonomie

Die Makroökonomie betrachtet die Wirtschaft auf einer aggregierten Ebene im Gesamtzusammenhang. Sie untersucht damit gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge. Dies kann etwa auf der Ebene eines aggregierten Marktes, eines Landes, einer Staatengemeinschaft oder auch der Weltwirtschaft insgesamt geschehen.

Beispiele für Untersuchungsgegenstände sind gesamtwirtschaftliches Einkommen, Konsum und Investitionen, Arbeitsmarkt, Preisniveau, Inflation, Geldtheorie, Konjunkturtheorie und Wirtschaftswachstum.

Die Makroökonomie beschäftigt sich mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP).

Mikroökonomie

Hauptartikel: Mikroökonomie

Die Mikroökonomie befasst sich mit den Beziehungen von einzelnen Wirtschaftssubjekten wie Haushalten und Unternehmen. Wichtige Teilgebiete sind:

Die Mikroökonomie beschäftigt sich mit Märkten.

Spezialdisziplinen

Spezialdisziplinen befassen sich mit einzelnen Wirtschaftsbereichen unter makro- und mikroökonomischen Aspekten.

Beispiele sind

Theorie der Wirtschaftspolitik

Hauptartikel: Wirtschaftspolitik

Die Wissenschaft der Wirtschaftspolitik hat als Gegenstand die Gestaltung der Wirtschaftsordnung und der wirtschaftlichen Abläufe. Bereiche der Wirtschaftspolitik sind die Ordnungspolitik (dazu gehört die Wettbewerbspolitik), die Strukturpolitik und die Prozesspolitik, wozu die Fiskalpolitik und die Geldpolitik gehören.

Finanzwissenschaft

Hauptartikel: Finanzwissenschaft

Die Finanzwissenschaft hat als Gegenstand die wirtschaftlichen Aspekte der öffentlichen Haushalte und Staatsfinanzen.

Brückendisziplinen

Werkzeuge der Volkswirtschaftslehre

Ökonomische Modelle

Die VWL erstellt zur Beschreibung und Untersuchung von ökonomischen Strukturen und Prozessen abstrakte Modelle. Dabei handelt es sich um Bündel von Annahmen, die so in der Realität nicht zutreffen, aber eine wichtige Erkenntnisfunktion bei der Entwicklung ökonomischer Theorien erfüllen.

Zu den wichtigsten Modellen in der VWL gehören der vollkommene Markt und der Homo oeconomicus. Im Modell des vollkommenen Marktes bilden sich Preise, und somit auch die Nachfrage nach Gütern, immer in Abhängigkeit von Angebot und Nachfrage (siehe Marktgleichgewicht). Im Modell des homo oeconomicus handelt der Mensch stets rational in dem Sinne, dass er unter verschiedenen Handlungsoptionen aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Information stets diejenige Handlung wählt, welche ihm den größten Nutzen verschafft.

In der Spieltheorie werden die strategischen Interaktionen zwischen Menschen betrachtet. Hier muss der Handelnde nicht nur die ihm zur Verfügung stehenden Optionen kennen, sondern auch Erwartungen bezüglich des Verhaltens seines Gegenübers bilden. Dieses wiederum gründet sich auf dessen Erwartungen. Es droht ein unendlicher Regress. Ein grundlegendes Konzept zur Lösung dieser Zirkularität ist das strategische Gleichgewicht (Nash-Gleichgewicht).

Der Ansatz der begrenzten Rationalität, der maßgeblich von Herbert A. Simon geprägt wurde, geht davon aus, dass menschliches Handeln aufgrund begrenzter kognitiver Kapazitäten der Akteure und der Komplexität des sozialen Geschehens nie vollkommen rational sein kann. Der Mensch verhält sich zielorientiert, ist allerdings aufgrund seiner Einschränkungen nicht immer in der Lage, die objektiv beste Handlung zu wählen.

Quantitative Methoden

Mathematische Modelle spielen eine wesentliche Rolle in der VWL, da sie eine klare Beweisführung und eindeutig definierte Annahmen verlangen und in der Regel nicht zu vieldeutigen oder „weich“ interpretierbaren Ergebnissen führen. Die generellen volkswirtschaftlichen Ansätze lassen sich aber mit einfacher Arithmetik und dem Verschieben von Kurven darstellen, ohne dass man tiefere mathematische Kenntnisse mitbringen muss. Die Österreichische Schule vertrat sogar die Auffassung, dass jedes Modell, das über einfache Logik hinausgeht, nicht nur überflüssig, sondern sogar ungeeignet für ökonomische Analysen sei. In den letzten Jahren zeigt sich eine zunehmende Tendenz hin zu ökonometrischen Arbeiten.

Geschichte

Nationalökonomische Fachzeitschriften gibt es seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Zu den ältesten Publikationen in der Disziplin zählen die Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (1844), die Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik (1864) und das Quarterly Journal of Economics (1886).

Entwicklung des Studiums

Das Studium der wirtschaftlichen Wissenschaften erlangte um 1850 eine größere Popularität. Lange Zeit war es nur ein Zusatzstudium, welches man aus persönlichem Interesse, aber nicht beruflichen Gründen aufnahm. Durch die aufstrebende Wirtschaft und der Entstehung von großen Unternehmen wurde die Notwendigkeit von „volkswirtschaftlich geschulten Kräften“ dringlicher. Die Volkswirtschaftslehre wurde zunächst in bestehende Studiengänge wie den Studiengang Nationalökonomie eingegliedert. Ein Absolvent des Studiengangs Nationalökonomie schloss sein Studium in der Regel nur mit einem Doktorgrad ab. Für die Studenten lag der Fokus auf ihrer zu schreibenden Dissertation und nicht auf anderen praxis-relevanten Inhalten. Ein „Befähigungsnachweis für die Praxis“ fehlte. 1923 wurde in der Weimarer Republik der Studiengang Nationalökonomie angepasst und in den Studiengang Volkswirtschaftslehre inklusive des akademischen Abschlussgrads Diplom-Volkswirt umgewandelt. Damit sollte den Bedürfnissen der Wirtschaft mehr entsprochen werden. In Anlehnung an den Diplom-Volkswirt wurde 1924 der akademische Grad Diplom-Kaufmann eingeführt (siehe dazu den Artikel Historische Entwicklung des Diplom-Kaufmanns).[5]:154

Entwicklung der Lehren und Dogmen (Wirtschaftstheorie)

Hauptartikel: Wirtschaftstheorie

Das Wirtschaften der Menschen vollzieht sich immer innerhalb einer bestimmten sozialen Ordnung. Die Einheit, die durch das Wirtschaften der Glieder eines staatlich geordneten Volkes und ihr Tun bestimmt wird, wird als Volkswirtschaft bezeichnet. Vielfach wird jedoch volkswirtschaftlich als Perspektive der Betrachtung im Gegensatz zu privatwirtschaftlich gebraucht. Um Widersprüche auszuschließen, die sich aus zweierlei Verwendungen des Begriffs ergeben, haben Heinrich Dietzel (1895) oder Adolf Wagner (1907) von einer Theoretischen Sozialökonomik gesprochen.[6]

Das Bearbeiten grundlegender ökonomischer Fragestellungen theoretischer Natur wurde nach allgemeiner Auffassung im Merkantilismus begonnen. Eine echte akademische Debatte gab es zu dieser Zeit allerdings noch nicht. Thomas Mun war einer der frühesten ökonomischen Autoren und schrieb beispielsweise über Handelsbilanzen zweier Länder. Auch Jean-Baptiste Colbert war einer dieser frühesten Autoren, er beschäftigte sich mit Staatseingriffen in die Wirtschaft. Drei wichtige frühe theoretische Autoren waren vor allem William Petty, John Law und John Locke, die erste theoretische Erkenntnisse über beispielsweise Geldumlauf und Geld bzw. Banknoten (Assignaten) veröffentlichten.

Die Physiokraten entwickelten erste systematische Ansätze zur Erklärung volkswirtschaftlicher Strukturen und Prozesse. Der Tableau économique von Francois Quesnay ist die erste Darstellung des Wirtschaftskreislaufs, aus dem später die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) bzw. das volkswirtschaftliche Rechnungswesen entwickelt wurde.

Nach der merkantilistischen und physiokratischen Epoche entstand mit Adam Smith, David Ricardo, Jean-Baptiste Say und anderen Autoren die Klassische Nationalökonomie. Vor allem Smiths Werk Der Wohlstand der Nationen (Originaltitel: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations) ist ein bis heute bedeutendes Grundlagenwerk der Volkswirtschaftstheorie. In diesem fasst er bereits (auch von anderen) entwickelte Theorien zusammen und formuliert eine Struktur volkswirtschaftlicher Zusammenhänge. Smiths bedeutendster Beitrag ist das Konzept der „unsichtbaren Hand“, welches das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage auf einem freien Markt darstellt. Das nach Say benannte Saysche Theorem besagt, dass jedes Angebot sich seine Nachfrage selbst schafft.

Ricardo entwickelte das Konzept der Arbeitsteilung und der komparativen Kostenvorteile zweier Länder und beschrieb, warum Handel sich positiv auf die Wirtschaft und die Faktorallokation zweier Länder auswirkt.

Als erster deutscher Ökonom kann Friedrich List bezeichnet werden mit seinem Hauptwerk Das nationale System der politischen Ökonomie von 1841. Er grenzt sich von der englischen Klassik ab in seiner Lehre vom Binnenmarkt und seiner Lehre von den produktiven Kräften. Ab Anfang des 19. Jahrhunderts schrieben mehrere Wirtschaftstheoretiker relativ unabhängig voneinander wichtige Werke über die Monopoltheorie (Antoine-Augustin Cournot und Arsène-Jules-Étienne-Juvénal Dupuit) oder Raumordnung und Standortplanung (Johann Heinrich von Thünen) mit seinen Thünenschen Kreisen. Die Werke von Karl Marx zur Politischen Ökonomie fallen überwiegend in die Zeit nach 1850. Als seine Quellen bezieht er sich hauptsächlich auf die britischen Ökonomen von William Petty über Adam Smith bis David Ricardo. Auch sind seine Überlegungen stark von der Entwicklung des Kapitalismus in England geprägt, die er als paradigmatisch ansah und der nach seiner Erwartung die anderen Staaten mit zeitlicher Verzögerung und mehr oder weniger großen Variationen folgen würden.

Karl Bücher und die Jüngere Historische Schule der Nationalökonomie entwickelten ein Stufenmodell (Wirtschaftsstufentheorie), um die inneren Zusammenhänge volkswirtschaftlicher Phänomene zu verdeutlichen, nach dem die Volkswirtschaft historisch wie strukturell auf Hauswirtschaft und Stadtwirtschaft folgt.

Mit dem auslaufenden 19. Jahrhundert entstanden drei voneinander unabhängige Schulen der Grenznutzentheorie, welche die sogenannte marginalistische Revolution auslösten: Die Österreichische Schule von Carl Menger, die Cambridge-School von William Stanley Jevons und die Lausanner Schule um Léon Walras. Alle drei Schulen entwickelten die Theorien des Grenznutzens und des allgemeinen Gleichgewichts weiter. Allerdings wurden wesentliche Grundlagen der Grenznutzentheorie bereits rund 20 Jahre vorher (um 1850) vom deutschen Ökonomen Hermann Heinrich Gossen entwickelt, was allerdings bis weit nach dessen Tode unbekannt blieb. Gossen fand erst nach seinem Tode größere Beachtung.

Die Schulen haben eine Vielzahl wichtiger Ökonomen hervorgebracht, welche bis zum Zweiten Weltkrieg die Wirtschaftstheorie entscheidend prägten: Die österreichische Schule bestand neben Carl Menger noch aus Eugen Böhm von Bawerk, Friedrich von Wieser, Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises. Zur Cambridge School gehören neben Jevons der herausragende englische Ökonom Alfred Marshall, welcher als erster den Begriff „Economics“ statt „Political economy“ verwendete und die Wirtschaftstheorie somit begriffsmäßig in eine eigene Wissenschaft überführte. Weiterhin gehörten zur Cambridge-School Francis Ysidro Edgeworth, Arthur Cecil Pigou und Lord John Maynard Keynes. Zur Lausanner Schule, welche prägend für eine stärkere mathematische Ausgestaltung der ökonomischen Theorie war, zählt neben Walras vor allem Vilfredo Pareto, Eugenius Slutsky und Irving Fisher, der wohl wichtigste US-amerikanische Ökonom in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zur Lausanner Schule können auch noch Heinrich von Stackelberg sowie Paul A. Samuelson gezählt werden.

Wissenschaftsgeschichte volkswirtschaftlicher Theorien

Die Entwicklung der Volkswirtschaftslehre lässt sich am besten darstellen über den Wechsel von Theorien und Ansichten in den dominierenden Lehrbüchern der jeweiligen Epoche, nicht aus der Sicht der jeweils letzten Theorie.

Beispielhaft sei dies anhand von Adam Smiths Satz von einer unsichtbaren Hand irgendwo im Inneren der Wealth of Nations[7] gezeigt, die heute als die unsichtbare Hand ein Grundelement moderner Volkswirtschaftslehre ist. Diese Sicht ist relativ neu. Weder J. B. Say, noch Ricardo, noch J.S. Mill oder Marshall – sie bestimmten 150 Jahre Volkswirtschaftslehre – fanden Smiths unsichtbare Hand erwähnenswert. Nur unter deutschen Volkswirten wie Hildebrand[8] wurde 1848 dies im heutigen Sinne aufgegriffen, aber 1853 von Knies[9] zurückgewiesen, da Smith selbst betont, diese unsichtbare Hand wirke nur frequently (meist mit oft übersetzt). Ein Mechanismus, der nur dienstags und freitags oder immer außer dienstags und freitags wirkt, ist wohl kaum ein wirtschaftswissenschaftliches Element.

Mit der Wiedergeburt neoklassischer Ökonomie in den USA nach 1930 – vorher dominierte dort die Institutionalistische Ökonomie (der Historischen Schule ähnlich) – wurde es wichtig zu beweisen, dass Marktwirtschaft einer sowjetischen Planwirtschaft überlegen ist. Nur die Marktwirtschaft könne zu einem Allgemeinen Gleichgewicht führen, in dem niemand bessergestellt werden kann, ohne andere schlechter zu stellen. Dies führte zur Aufgabe der durch Marshall geprägten britischen Neoklassik, die nur partielle Gleichgewichte behandelt, weil sich im Zeitverlauf Technologien und Kostenkurven verschieben und daher ein statisches allgemeines Gleichgewicht, das konstante Daten unterstellt, wenig hilfreich ist. Die Möglichkeit eines Allgemeinen Gleichgewichts bespricht Marshall kurz in Note XXI der „Principles of Economics“.

Smiths unsichtbare Hand wurde nun wiederentdeckt als eine Protoversion des neuen Ziels: Allgemeines Gleichgewicht. Samuelsons Economics, 1948, erwähnt Smiths unsichtbare Hand nur einmal. In den Auflagen 12 bis 15 wird sie jeweils mindestens 6-mal erwähnt und mindestens einmal – verkürzt – zitiert. Zum 200-jährigen der Wealth of Nation erklärte Stigler dem Auditorium: “Ich bringe Euch Grüße von Adam Smith, der weiter lebt und gesund ist und in Chicago wohnt“.[10]

Diese amerikanische Ausrichtung der Volkswirtschaft führte auch zur Wiederentdeckung von Walras’ Allgemeinem Gleichgewicht. Unter deutsch-schreibenden Ökonomen hatte Walras eine gewisse Bedeutung, der englischen Literatur war er fast unbekannt[11]. Erst 1954, 70 Jahre nach ihrem Erscheinen, wurde Walras’ Éléments d’économie politique pure, 1874, ins Englische übersetzt. Nach Samuelson[12] gründet heute die gesamte moderne Volkswirtschaftslehre auf Walras.

Für Schumpeter[13] ist „Walras … der größte aller Ökonomen“. Aber in der Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1911, beschreibt Schumpeter, wie der wirtschaftliche Prozess aus sich heraus das Gleichgewicht immer wieder zerstört, so dass Walras’ stationäres Gleichgewicht wenig erhellt.[14] In Harvard weigerte sich Schumpeter, über seine dynamische Analyse und seine häretische Kritik an Walras’ Statik zu lehren.[15]

Adam Smiths zentrale Botschaft war sicherlich nicht die mikroökonomische unsichtbare Hand, sondern die ersten Zeilen der Wealth of Nations, die eine makroökonomische Wachstumstheorie vorstellen. Der Reichtum der Nationen ist der Kapitalstock,[16] der die Güter des nächsten Wirtschaftskreislaufs erzeugt, also Output, der wieder Input wird. Diesen heterogene Stock misst Smith in Arbeitseinheiten, direkte Arbeit plus der Arbeit in den Vor- und Vor-Vor-Produkten. Als numéraire könnte aber auch die Menge an Lebensmitteln dienen, die diese Arbeit reproduziert. Oder die Fläche homogenen Landes plus Bearbeitungskosten, auf der diese Lebensmittel produziert werden[17].

Arbeit, die nur (subjektiv) nützlich ist, aber kein Input der nächsten Periode wird, schmälert den Kapitalstock und ist unproduktive Arbeit. Ein vergrößerter Wirtschaftskreislauf dagegen vertieft die Arbeitsteilung[18] und führt über den Wettbewerb zu sinkenden Preisen. Das erhöhte Realeinkommen erhöht die Nachfrage, was wiederum die Arbeitsteilung vertieft, und so weiter[19] Sinkende Preise eines Outputs bedeuten sinkende Kosten der Inputs, senken also das gesamte Preisniveau[20] und erhöhen alle Realeinkommen. Dies gilt aber nur für „produktive Arbeit“ – Sraffas basic products –, sprich Arbeit, die Input wird.

Smiths Kreislaufanalyse ist ein Erbe der Physiokratie[21] und seines Aufenthalts in Paris. Damals war das Manuskript aber weit gediehen und Smith musste die französischen Konzepte, die Grundlage der Politischen Ökonomie oder Klassischen Theorie wurden, nachträglich einarbeiten.[22] Nach klassischer Preistheorie entsprechen relative Preise langfristig den Produktionskosten, wenn ein dynamischer Wettbewerb durch Nachahmung der besseren Technologie alle Margen eliminierte. Würden alle Outputs wieder Input, wäre eine störungsfreie Reproduktion gewährleistet. Besteht aber unproduktive Arbeit oder wird aufgrund von Margen gespart oder schaffen Banken über Kredite eine Nachfrage, der keine Produkte gegenüberstehen, können Schwankungen der effektiven Nachfrage den Kreislauf stören.

Unproduktive Arbeit mindert das Wachstum. In der Depression kann eine steigende Nachfrage nach unproduktiver Arbeit aber die Nachfrage nach produktiver Arbeit fördern und brachliegende Kapazitäten aufsaugen[23]. Dieses kurzfristige Konzept entwickelte Keynes 1936[24] in der Weltwirtschaftskrise unabhängig von der Klassischen Theorie, abgesehen von seinem Rückgriff auf Malthus.[25] Die spätere makroökonomische Formalisierung der Keynesianischen Theorie verdeckt die Nähe zur klassischen Makroökonomie.

Während die moderne Mikroökonomie auf dem Begriff eines Allgemeinen Gleichgewichts und der unsichtbaren Hand fußt, beruht die moderne Makroökonomie auf Keynes, der eine unsichtbare Hand verneint[26] und ein stabiles Ungleichgewicht für möglich hält.

Siehe auch

Portal
Portal
 Wikipedia:Portal: Wirtschaft – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Wirtschaft

Literatur

  • Utta Gruber, Michaela Kleber: Grundlagen der Volkswirtschaftslehre. 4. Auflage. Vahlen, München 2000, ISBN 3-8006-2594-6.
  • Gerhard Kolb: Geschichte der Volkswirtschaftslehre. Dogmenhistorische Positionen des ökonomischen Denkens. 2. Auflage. Vahlen, München 2004, ISBN 3-8006-3058-3.
  • Wolfgang Cezanne: Allgemeine Volkswirtschaftslehre. 6. Auflage. Oldenbourg, München/Wien 2005, ISBN 3-486-57770-0.
  • Jörn Altmann: Volkswirtschaftslehre. Einführende Theorie mit praktischen Bezügen. 7. Auflage. Lucius & Lucius, Stuttgart 2009, ISBN 3-8252-1504-0.
  • Ulrich Baßeler, Jürgen Heinrich, Burkhard Utecht: Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaft. 19. Auflage. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2010, ISBN 3-7910-2928-2.
  • Paul A. Samuelson, William D. Nordhaus: Volkswirtschaftslehre. Das internationale Standardwerk der Makro- und Mikroökonomie. Aus dem Englischen übersetzt von Regina Berger, Brigitte Hilgner. 4. Auflage. mi-Wirtschaftsbuch, München 2010, ISBN 3-86880-089-1.
  • Peter Bofinger, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre. Eine Einführung in die Wissenschaft von Märkten. 3. Auflage. Pearson, München 2011, ISBN 3-8273-7354-9.
  • N. Gregory Mankiw, Mark P. Taylor: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre. Aus dem Englischen übersetzt von Adolf Wagner, Marco Herrmann. 5. Auflage. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2012, ISBN 3-7910-3098-1.
  • Birger Priddat, Johannes Burkhardt: Geschichte der Ökonomie, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt a. M. 2009 (Leseprobe)
  • Hermann Adam: Bausteine der Wirtschaft. Eine Einführung. 16. Auflage, Springer VS, Wiesbaden 2015, ISBN 978-3-531-19505-6
  • Michael Heine/Hansjörg Herr: Volkswirtschaftslehre - Paradigmenorientierte Einführung in die Mikro- und Makroökonomie, 4. Auflage, Oldenbourg Vlg., München 2013, ISBN 978-3-486-71523-1
  • Georg F. von Canal: Geisteswissenschaft und Ökonomie - Die wert-, preis- und geldtheoretischen Ansätze in den ökonomischen Schriften Rudolf Steiners. Vorwort von Prof. Hans Christoph Binswanger, Novalis Vlg., Schaffhausen 1982, ISBN 3-7214-0634-6
  • Christian Kreiß: Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft, Tredition, Hamburg 2019, ISBN 978-3-7497-5790-9
  • Hans-Christoph Binswanger: Geld und Magie. Eine ökonomische Deutung von Goethes Faust, Murmann Vlg., Hamburg 2009, ISBN 978-3-938017-25-8
  • Heinz-J. Bontrup/Ralf-M. Marquart: Volkswirtschaftslehre aus orthodoxer und heterodoxer Sicht. Eine Einführung, Vlg. De Gruyter/Oldenbourg, Berlin - Boston 2021, ISBN 978-3-11-061918-8
  • Wolfgang Waldner: Trugschlüsse der Volkswirtschaftslehre, BoD, Norderstedt 2011, ISBN 978-3-8423-3435-9

Weblinks

 Wiktionary: Volkswirtschaftslehre – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wiktionary: VWL – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Christian-Uwe Behrens, Matthias Kirspel: Grundlagen der Volkswirtschaftslehre: Einführung, S.13
  2. Ulrich Blum:Grundlagen der Volkswirtschaftslehre
  3. Ulrich Blum: Grundlagen der Volkswirtschaftslehre
  4. Wolfgang Leininger, Erwin Amann: Einführung in die Spieltheorie, S.3
  5. Dr. W. Prion: Die Lehre vom Wirtschaftsbetrieb. Buch 1: Der Wirtschaftsbetrieb im Rahmen der Gesamtwirtschaft. Julius Springer Berlin, 1935
  6. Eugen von Philippovich: Grundriß der Politischen Oekonomie. Erster Band. Allgemeine Volkswirtschaftslehre. 9., bearb. Aufl. Mohr (Paul Siebeck) : Tübingen 1911. S. 3 ff.
  7. Smith, A. 1976. „The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith.“ Oxford et al.: Oxford University Press; vol. IIa, p. 456.
  8. Hildebrand, B., 1848, „Die Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft“, Leipzig; p. 32.
  9. Knies, K., 1853, „Die politische Ökonomie vom Standpunkt der geschichtlichen Methode“, Braunschweig: Schweischke, p. 150.
  10. „I bring you greetings from Adam Smith, who is alive and well and living in Chicago”, zitiert in Meek, R., 1977, Smith, Marx, and after, London: Chapman; S. 3.
  11. There is no general history of economic thought in English which devotes more than passing reference to his work. Stigler, G., 1994 [1941], Production and Distribution Theories, New Brunswick, N.J.: Transaction Publishers, S. 222.
  12. ”[T]oday [1961] there can be little doubt that most of the literary and mathematical economic theory appearing in our professional journals is more an offspring of Walras than of anything else”; Samuelson, P.A., 1966. The Collected Scientific Papers of Paul A. Samuelson. Cambridge, Mass.: MIT Press. 1966–1986; vol. II, S. 1501
  13. Schumpeter, J. [1954] 1994. History of economic analysis. London: Allen & Unwin: p. 795
  14. Walras sagte Schumpeter, „dass wirtschaftliches Leben seinem Wesen nach selbstverständlich passiv ist und sich bloss den natürlichen … Einflüssen anpasst“. Dazu Schumpeter: „Ich empfand deutlich, dass dies falsch war und dass innerhalb des wirtschaftlichen Systems eine Energiequelle besteht, die aus sich selbst heraus jedes Gleichgewicht würde, das erreicht werden könnte“; Schumpeter, J. [1911] 1952. Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Berlin: Duncker & Humblot; Vorwort der Japanischen Ausgabe 1937, pp. xxii – xxvi; nicht übernommen in der englischen Ausgabe.
  15. Sweezy, P. M., p. 77 in: Colander, D. C./Harry Landreth (eds.), 1966, The Coming of Keynesianism to America. Cheltenham/Brookfield: Elgar; Samuelson, P.A., Schumpeter as a Teacher and Economic Theorist, in: The Collected Scientific Papers of Paul A. Samuelson. Cambridge, Mass.: MIT Press. 1966–1986; vol. II, S. 1555.
  16. Cannan erwähnt „the older British economist’s ordinary practice of regarding the wealth of a nation as an accumulated fund“; Cannan, E., 1937, Editor’s Introduction, in: Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Random House; S. lvii.
  17. Samuelson, P.A. 1966. A Modern Treatment of the Ricardian Economy, in: The Collected Scientific Papers of Paul A. Samuelson. Cambridge, Mass.: MIT Press. 1966–1986; vol. I, p. 374; Petty, 1662: … all things ought to be valued by … Land and Labour. Hull, Ch. H. (ed.), 1899, The Economic Writings of Sir William Petty, London: Routledge/Thoemmes, vol. I, S. 44.
  18. The Division of Labour is limited by the Extend of the Market, Smith, A. 1976. The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith. Oxford et al.: Oxford University Press; vol. IIa, S. 32; nur in der ersten Auflage 1948 zitiert Samuelson diese Aussage.
  19. “Adam Smith’s dictum amounts to the theorem that the division of labour depends in large part upon the division of labour. … Thus change becomes progressive and propagates itself in a cumulative way.”, Young, A. 1928. Increasing Returns and Economic Progress. Economic Journal 38:527-42, 532-3.
  20. Leontief, W. 1928. Die Wirtschaft als Kreislauf. Tübingen: Mohr; S. 119.
  21. Cannan, E., 1937, Editor’s Introduction, in: Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Random House; p. xxxviii und lvii: „There are some very obvious additions, the most prominent being the account of the French physiocratic […] system“ und „Following the physiocrats, Smith sees that the important thing is how much can be produced in a given time“.
  22. Smith begann die Wealth of Nations 1764, als er sich 18 Monate in Toulouse langweilte, weil er kein Französisch sprach. Grundlage waren seine früheren Lectures. Erst danach verbrachte er zehn Monate in Paris und traf Quesnay, dem er später die Wealth widmen wollte. Aber auch hier behinderten ihn mangelnde Sprachkenntnisse; Rae, J. 1895. Life of Adam Smith. London: Macmillan; S. 103, 113, 125.
  23. ‚To dig holes in the ground’, paid for out of savings, will increase, not only goods and services, but the real national dividend of useful goods and services, Keynes, J. M., 1936, The General Theory of Employment, Interest and Money, Macmillan, London; S. 220, ähnlich S. 131.
  24. Keynes, J. M., 1936, The General Theory of Employment, Interest and Money, Macmillan, London.
  25. „in the later phase of Malthus the notion of the insufficiency of effective demand takes a definite place as a scientific explanation of unemployment“. Keynes, J. M., 1936, The General Theory of Employment, Interest and Money, Macmillan, London; S. 362
  26. “Keynes denies that there is an invisible hand channeling the self-centered action of each individual to the social optimum. This is the sum and substance of his heresy”, P. A. Samuelson: The General Theory (1946), in: Samuelson, P.A. 1966. The Collected Scientific Papers of Paul A. Samuelson. Cambridge, Mass.: MIT Press. 1966–1986, vol. V, S. 1523.
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