Methexis

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Methexis (griech. μέθεξις „Teilhabe“, selten mit „Teilnahme“ übersetzt; lat. participatio; eng. participation) ist ein Begriff der antiken Philosophie. Er wird in der Metaphysik zur Beschreibung des Verhältnisses zwischen Dingen und ihren Bestimmungen oder allgemein zwischen ontologischen Entitäten, die Gemeinsamkeiten aufweisen, verwendet. Das zugehörige Verb heißt metéchein (Anteil haben, teilnehmen, wörtlich: mit-haben). Das Wort Methexis stammt aus der Alltagssprache, seine philosophische Bedeutung hat es von Platon erhalten. Aufgrund der lateinischen Übersetzung spricht man auch von „Partizipation“, doch hat dieses Wort auch andere Bedeutungen, die nichts mit Methexis im philosophischen Sinn zu tun haben.

Ontologische Voraussetzungen

In den hierarchisch geordneten ontologischen Systemen Platons und der Platoniker ist das Allgemeine generell höherrangig als das Besondere und Individuelle. Eine Beziehung zwischen einem Allgemeineren und einem Spezielleren beruht darauf, dass das Allgemeinere Urbild und erzeugende Instanz ist, das Speziellere dessen Abbild und Erzeugnis und als solches relativ unvollkommen. Zwischen ihnen besteht ein Teilhabeverhältnis. Das Teilhabeverhältnis zwischen dem teilhabenden Spezielleren und dem Allgemeineren, an dem es „Anteil hat“, ist dadurch charakterisiert, dass das Speziellere mit bestimmten Einschränkungen die Natur des Allgemeineren aufweist und dadurch gewissermaßen an seiner Natur „beteiligt“ ist. Weil es diese Natur aber nicht in ihrer Gesamtheit besitzt, sondern nur auf relativ unvollständige, unvollkommene Weise, und weil es außerdem auch noch weitere Bestimmungen hat, ist es mit dem, an dem es teilhat, nicht wesensgleich oder identisch.

Das jeweils Höherrangige bringt das Niedrigere hervor, indem es ihm bestimmte Aspekte seines eigenen Wesens zukommen lässt, soweit die von Natur aus begrenzte Aufnahme- und Verwirklichungsfähigkeit des Niedrigeren dies gestattet. Das bedeutet, dass das Niedrigere am Höheren teilhat. Die Teilhabe bezieht sich auch darauf, dass das ontologisch Niedrigere dem Höheren seine Existenz verdankt.

Das Teilhabe-Konzept in Platons Ideenlehre

Platon benötigt zur Darstellung seiner Ideenlehre die Begriffe methexis und metechein, wobei er das Verb bevorzugt. Er bezeichnet damit das Verhältnis der einzelnen Dinge der Sinneswelt zu den platonischen Ideen. „Dinge“ in diesem Sinn sind nicht nur materielle Objekte, sondern auch Ereignisse und Handlungen. Die Ideen sind nach der Ideenlehre nicht bloße Vorstellungen im menschlichen Geist, sondern bilden eine eigenständige, objektiv existierende metaphysische Wirklichkeit. Sie sind die Urbilder, nach denen die einzelnen Dinge in der sinnlich wahrnehmbaren Welt gestaltet sind. Ihnen verdanken die Dinge die Gesamtheit ihrer Eigenschaften. Beispielsweise ist ein großes Ding nicht aufgrund seiner eigenen Beschaffenheit groß, sondern durch seine Teilhabe an der Idee der Größe. Als Abbilder haben die Dinge an ihren Urbildern teil, und zwar jedes Ding an mehreren Ideen und an jeder Idee eine Vielzahl von Dingen. Jedes Ding ist durch seine verschiedenen Teilhabebeziehungen konstituiert. Es hat an so vielen Ideen teil, wie es Eigenschaften aufweist. Das Ausmaß der Teilhabe ist unterschiedlich, es hängt von der Beschaffenheit des Teilhabenden ab. Außerdem ist die Teilhabe eines Dings an einer bestimmten Idee in manchen Fällen nicht konstant, sie kann durch Veränderungen des Teilhabenden wachsen und abnehmen, beginnen und enden. Es gibt eine Art der Teilhabe, die vom Wesen eines Dings untrennbar ist (beispielsweise die Teilhabe der unsterblichen Seele am Leben), und eine nur zeitweilige Teilhabe, die entsteht oder wegfällt (beispielsweise Teilhabe eines Körpers an Ruhe oder Bewegung).[1]

Die Vorstellung der Teilhabe soll den Zusammenhang zwischen den Ideen und den Dingen der Sinneswelt verständlich machen. Allerdings führt dieses Konzept zu einer Reihe von Problemen, die in Platons Dialog Parmenides erörtert, aber nicht gelöst werden. Es gelingt dort vorerst nicht, die Frage nach der Art der Teilhabe des phänomenal Gegebenen an den Ideen widerspruchsfrei zu beantworten.[2] In späten Dialogen verwendet Platon für das Verhältnis der Dinge zu den Ideen nicht mehr die Bezeichnung Teilhabe, sondern charakterisiert es als Nachahmung (mímēsis).

Während bei Sachen die Teilhabe seitens des Teilhabenden ein rein passives Aufnehmen von Eigenschaften ist, kommt beim Menschen, wenn er an den Ideen einzelner Tugenden teilhat, eine aktive Rolle des Teilhabenden ins Spiel, insoweit er sich um die Erlangung der Tugend bemüht.

Eine andere Art von Teilhabe betrifft Übereinstimmungen zwischen Entitäten, bei denen es nicht darum geht, dass etwas ontologisch Niedrigeres am Höheren teilhat. Von solcher Art sind Gemeinsamkeiten zwischen den Ideen selbst. Solche Beziehungen betrachtet Platon ebenfalls als Teilhabeverhältnisse, wobei er auch wechselseitiges Teilhaben annimmt. In diesen Fällen ist auch von Gemeinschaft (koinōnía) die Rede. Dabei stellt sich die spezielle Frage der Teilhabe einer Idee an sich selbst („Selbstprädikation“). Die Selbstprädikation (beispielsweise die Aussage „Die Idee der Schönheit ist selbst schön“) führt zu Schwierigkeiten der Ideenlehre, die als Argumentation des „Dritten Menschen“ bekannt sind.[3]

Die Auffassung des Aristoteles

Aristoteles, der die Ideenlehre seines Lehrers Platon verwirft, verzichtet auch auf die zugehörige Vorstellung der Teilhabe. Er meint, es handle sich beim Teilhaben nicht um einen philosophischen Begriff, da es keine saubere Definition dafür gebe. Der Ausdruck sei für eine philosophische Argumentation unbrauchbar, es handle sich nur um ein leeres Wort und eine poetische Metapher, deren Bedeutung Platon nicht untersucht habe.[4] Dennoch verwendet Aristoteles gelegentlich das Verb metechein (Anteil haben). In seiner Topik definiert er es als „die Begriffsbestimmung dessen, woran teilgenommen wird, an sich nehmen“.[5] Gemeint ist, dass alle Merkmale, die den Begriff dessen, woran teilgenommen wird, ausmachen, auch Merkmale des Teilhabenden sind. Beispielsweise hat die Art „Mensch“ an der Gattung „Lebewesen“ Anteil, weil alle Merkmale, die den Begriff „Lebewesen“ ausmachen, auch Merkmale des Menschen sind. Umgekehrt hat jedoch die Gattung „Lebewesen“ nicht an der Art „Mensch“ Anteil, weil nicht alle Merkmale des Menschen auch ihre Merkmale sind. Nach der Lehre des Aristoteles kann immer nur etwas Niederes, mit mehr Merkmalen Ausgestattetes am Höheren, durch weniger Merkmale Bestimmten teilhaben, beispielsweise ein Individuum an seiner Art oder eine Art an einer Gattung.[6]

Nach der Auffassung des Aristoteles pflanzen die Lebewesen sich fort, „damit sie, soweit sie es vermögen, am Ewigen und Göttlichen teilhaben“. Zu solcher Teilhabe sind die einzelnen Individuen als solche zwar nicht in der Lage, da sie vergänglich sind, doch können sie wenigstens ihrer jeweiligen Art Fortdauer ermöglichen.[7]

Neuplatonismus

Im Neuplatonismus wird Platons Konzept der Teilhabe aufgegriffen. Plotin führt alle Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Dingen darauf zurück, dass sie jeweils an der gleichen Idee teilhaben. Die Teilhabe vervielfältigt das Merkmal, das ihnen gemeinsam zukommt, und ermöglicht so dessen verbreitetes Auftreten. So hat alles Seiende Anteil am Sein, das Plotin mit dem kosmischen Nous (der Weltvernunft) gleichsetzt, und alle schönen Dinge sind durch ihre Teilhabe an der Idee des Schönen schön; diese Teilhabe bewirkt, dass sie untereinander in dieser Hinsicht übereinstimmen. Im Teilhabenden ist das, woran es teilhat, gegenwärtig. Der Grundsatz, dass das Teilhabende das Wesen desjenigen, an dem es teilhat und das insofern in ihm anwesend ist, aufweisen muss, ist für Plotins Theodizee von Bedeutung. Er weist darauf hin, dass der ganze sinnlich wahrnehmbare Kosmos an der Gottheit, die in ihm gegenwärtig sei, teilhabe. Daher könne sein Wesen nicht dem Wesen der Gottheit fundamental entgegengesetzt sein. Somit könne der Kosmos nicht schlecht sein. In ihm könne kein widergöttliches Prinzip herrschen, wie die Gnostiker meinten, deren Lehre von einem von Natur aus schlechten Kosmos Plotin bekämpft.[8]

Plotins Schüler Porphyrios, der die aristotelische Logik in die neuplatonische Lehre einbaut, deutet in seiner Isagoge, einem Lehrbuch der Logik, die Zugehörigkeit von Individuen an einer Art als Teilhabe an ihr.[9]

Der einflussreiche spätantike Neuplatoniker Proklos stellt den Grundsatz auf, dass die Art und das Ausmaß einer Teilhabe vom jeweils Teilhabenden abhänge. Dieses Prinzip wird später von Boethius aufgegriffen und dadurch in der mittelalterlichen Philosophie geläufig. Proklos nimmt neben dem Teilhabenden und dem, an dem es teilhat, noch ein drittes, höherrangiges Element an, das Unpartizipierte (to améthekton). Es steht ontologisch über dem Partizipierbaren, an dem das Teilhabende teilhat. Mit diesem Modell begegnet Proklos Einwänden gegen die Methexis-Lehre. Die platonische Idee selbst hält er für unpartizipierbar, das Partizipierbare dient als Bindeglied zwischen ihr und den teilhabenden Dingen.[10]

Christentum

In der christlichen Theologie knüpft insbesondere der einflussreiche spätantike Schriftsteller Pseudo-Dionysius Areopagita an das neuplatonische Konzept der Teilhabe an. Bei ihm handelt es sich um Teilhabe der Geschöpfe am Schöpfer. Diese Auffassung teilte im 9. Jahrhundert auch Johannes Scottus Eriugena, der die Schriften des Dionysius ins Lateinische übersetzt hat.

„Auch ist zu merken, dass sich für das lateinische „participatio“ (Theilhabung) ein bezeichnenderer, treffenderer und leichter verständlicher Ausdruck im griechischen Worte „metochê“ oder „metûsia“ findet, womit etwa ein Nächsthaben, ein Nächstsein oder ein Darnachhaben und Darnachsein bezeichnet wird. Es ist hieraus leicht zu verstehen, dass Theilhabung nichts Anderes ist, als die Ableitung einer nächstfolgenden Wesenheit aus der ihr vorhergehenden und die Ausspendung des Seins von einer ersten an die zweite. Auch dies können wir mit Beispielen aus der Natur beweisen. Aus der Quelle geht ja der Fluss ursprünglich hervor und das zuerst aus der Quelle dringende Wasser ergiesst sich auch durch das längste Strombett ohne Unterbrechung abwärts. Ebenso ergiesst sich die göttliche Güte und Wesenheit, das Leben und die Weisheit und Alles, was sich in der Urquelle findet, zuerst in die uranfänglichen Ursachen und bewirkt deren Sein. Durch diese letztern strömt es sodann auf unausprechliche Weise in deren Wirkungen nach den ihnen entsprechenden Ordnungen des Alls, indem sich immer das Höhere zum Niedrigern ergiesst und wiederum durch die geheimsten Poren der Natur auf verborgenem Wege zur Quelle zurückkehrt. Denn von hier stammt jedes Gute, jede Wesenheit, jedes Sein, jede Vernunft, jede Weisheit, jede Gattung, jede Art, jede Schönheit, jede Ordnung, jede Einheit, jede Gleichheit, jeder Unterschied, jeder Raum, jede Zeit und Alles, was ist oder nicht ist, was gedacht oder wahrgenommen wird oder jeden Sinn und Gedanken übersteigt. Denn die in sich selber unveränderliche Bewegung der höchsten und wahren dreieinigen Güte ist als einfache Vielheit und als eine aus ihr, in ihr und zu ihr selber unerschöpflich vor sich gehende Ergiessung die Ursache von Allem oder vielmehr Alles selbst. Wenn sie nämlich als All-Denken auch Alles ist und selber allein Alles denkt, so ist sie auch nur allein selber Alles, weil sie selber die Wissens-Kraft ist, welche Alles schon vorher kannte, ehe es noch war, und ausser ihr selber Nichts ist, sondern die Alles in sich trägt. Denn sie umkreist Alles, und nur in ihr selber mag etwas wahrhaft sein, weil sie wahrhaft ist. Das Uebrige, was als Sein gelten soll, ist nur ihre eigne Gott-Erscheinung und besteht wahrhaft in ihr selber. Somit ist Gott Alles, was wahrhaft ist, weil er selber Alles macht und selber in Allem wird, wie der h. Dionysius der Areopagite sagt.“

Johannes Scottus Eriugena: Über die Einteilung der Natur[11]

Literatur

  • Francesco Fronterotta: ΜΕΘΕΧΙΣ. La teoria platonica delle idee e la partecipazione delle cose empiriche. Dai dialoghi giovanili al Parmenide. Scuola Normale Superiore, Pisa 2001, ISBN 88-7642-099-1
  • Andreas Graeser: Platons Ideenlehre. Sprache, Logik und Metaphysik. Eine Einführung. Haupt, Bern 1975, ISBN 3-258-01168-0, S. 79–100 (Darstellung aus der Perspektive moderner Logik)
  • Helmut Meinhardt: Teilhabe bei Platon. Ein Beitrag zum Verständnis platonischen Prinzipiendenkens unter besonderer Berücksichtigung des „Sophistes“. Karl Alber, Freiburg 1968
  • Veronika Roth, Christian Schäfer: Teilhabe/Partizipation (metochê, methexis). In: Christian Schäfer (Hrsg.): Platon-Lexikon. Begriffswörterbuch zu Platon und der platonischen Tradition. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007, ISBN 978-3-534-17434-8, S. 277–282
  • Rolf Schönberger: Teilhabe. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 10, Schwabe, Basel 1998, Sp. 961−969

Einzelnachweise

  1. Zum Ansatz und zur Zielrichtung von Platons Teilhabe-Konzept siehe Winfried Weier: Sinn und Teilhabe, München 1970, S. 70–88; Knut Eming: Die Flucht ins Denken, Hamburg 1993, S. 111–116.
  2. Zur Auseinandersetzung mit dem Methexis-Konzept im Parmenides siehe Christoph Ziermann: Platons negative Dialektik, Würzburg 2004, S. 37–66, 386–418; Franz von Kutschera: Platons „Parmenides“, New York 1995, S. 24–29, 37–44, 58–64, 137–140; Francesco Fronterotta: ΜΕΘΕΧΙΣ, Pisa 2001, S. 183–314.
  3. Siehe dazu die Untersuchung von Béatrice Lienemann: Die Argumente des Dritten Menschen in Platons Dialog „Parmenides“, Göttingen 2010.
  4. Aristoteles, Metaphysik 987b7–14, 991a20–22, 1079b24–26. Vgl. Francesco Fronterotta: ΜΕΘΕΧΙΣ, Pisa 2001, S. 397–412; Rolf Schönberger: Teilhabe. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 10, Basel 1998, Sp. 961−969, hier: 961.
  5. Aristoteles, Topik 121a11–12.
  6. Aristoteles, Topik 121a12–19, 122a8–9, Metaphysik 1037b18–19. Vgl. Michael-Thomas Liske: methexis/Teilhabe. In: Otfried Höffe (Hrsg.): Aristoteles-Lexikon, Stuttgart 2005, S. 354–356.
  7. Aristoteles, De anima 415a25–415b7.
  8. Rolf Schönberger: Teilhabe. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 10, Basel 1998, Sp. 961−969, hier: 962.
  9. Porphyrios, Isagoge 6.21–22 Busse.
  10. Proklos, Elemente der Theologie, Propositionen 23 und 24. Vgl. Dirk Cürsgen: Henologie und Ontologie, Würzburg 2007, S. 59–74 (sowie zu weiteren Aspekten von Proklos’ Teilhabemodell S. 175–188, 193–196); Rolf Schönberger: Teilhabe. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 10, Basel 1998, Sp. 961−969, hier: 962.
  11. Johannes Scotus Erigena, Ludwig Noack (Übers.): Über die Eintheilung der Natur, Verlag von L. Heimann, Berlin 1870, Erste Abtheilung, S. 263f [1]
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