Platonismus

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Als Platonismus im engeren Sinn wird die Lehre Platons bezeichnet, deren Anhänger man dementsprechend Platoniker nennt. Im erweiterten Sinn zählen dazu auch spätere antike, mittelalterliche oder neuzeitliche Dichter, Philosophen, Theologen, Kirchenlehrer usw., die nur Teile von Platons Lehre übernommen, bzw. diese mit neuen (z.B. jüdischen oder christlichen) Elementen verbunden haben, wie es etwa im Mittel- und Neuplatonismus der Fall war.

Rudolf Steiner grundsätzliche Kritik des Platonismus

Im Hinblick auf Goethes Weltanschauung hat Rudolf Steiner seine grundsätzliche Kritik an dem platonistischen Dualismus geäußert:

„Platonismus ist die Überzeugung, dass das Ziel alles Erkenntnisstrebens die Aneignung der die Welt tragenden und deren Grund bildenden Ideen sein müsse. Wer diese Überzeugung in sich nicht erwecken kann, der versteht die platonische Weltanschauung nicht. - Insofern aber der Platonismus in die abendländische Gedankenentwicklung eingegriffen hat, zeigt er noch eine andere Seite. Plato ist nicht dabei stehen geblieben, die Erkenntnis zu betonen, dass im menschlichen Anschauen die Sinneswelt zu einem Schein wird, wenn das Licht der Ideenwelt nicht auf sie geworfen wird, sondern er hat durch seine Darstellung dieser Tatsache der Meinung Vorschub geleistet, als ob die Sinneswelt für sich, abgesehen von dem Menschen, eine Scheinwelt sei und nur in den Ideen wahre Wirklichkeit zu finden. Aus dieser Meinung heraus entsteht die Frage: wie kommen Idee und Sinnenwelt (Natur) außerhalb des Menschen zu einander? Wer außerhalb des Menschen keine ideenlose Sinneswelt anerkennen kann, für den ist die Frage nach dem Verhältnis von Idee und Sinneswelt eine solche, die innerhalb der menschlichen Wesenheit gesucht und gelöst werden muss. Und so steht die Sache vor der Goetheschen Weltanschauung. Für diese ist die Frage: «welches Verhältnis besteht außerhalb des Menschen zwischen Idee und Sinneswelt?» eine ungesunde, weil es für sie keine Sinneswelt (Natur) ohne Idee außerhalb des Menschen gibt. Nur der Mensch kann für sich die Idee von der Sinneswelt lösen und so die Natur ideenlos vorstellen.“ (Lit.:GA 6, S. 28f)

Die Platoniker und die Anthroposophie

In seinen Karma-Vorträgen hat Rudolf Steiner deutlich gemacht, dass gegen das Ende des 20. Jahrhunderts sich zu den in der anthroposophischen Bewegung bis dahin vorwiegend tätigen "Aristotelikern" die "Platoniker", die in einer früheren Inkarnation eng mit der Schule von Chartres verbunden waren, hinzugesellen würden.

"Es mußten zunächst diejenigen wieder heruntersteigen, die mehr oder weniger als Aristoteliker gewirkt hatten; denn unter dem Einfluß des Intellektualismus war noch nicht die Zeit gekommen, um die Spiritualität neuerdings zu vertiefen. Aber es bestand eine unverbrüchliche Abmachung, die weiter wirkt. Und nach dieser Abmachung muß aus dem, was anthroposophische Bewegung ist, etwas hervorgehen, was seine Vollendung vor dem Ablaufe dieses Jahrhunderts finden muß. Denn über der Anthroposophischen Gesellschaft schwebt ein Schicksal: das Schicksal, daß viele von denjenigen, die heute in der Anthroposophischen Gesellschaft sind, bis zu dem Ablaufe des 20. Jahrhunderts wieder herunterkommen müssen auf die Erde, dann aber vereinigt mit jenen auch, die entweder selbst führend waren in der Schule von Chartres oder die Schüler von Chartres waren. So daß vor dem Ablaufe des 20. Jahrhunderts, wenn die Zivilisation nicht in die völlige Dekadenz kommen soll, auf der Erde die Platoniker von Chartres und die späteren Aristoteliker zusammenwirken müssen." (Lit.: GA 240, S. 157)

Zur Stärkung des Ich-Bewusstseins musste zuvor das imaginative platonische Denken für eine Zeit dem aristotelischen Denken weichen:

"Die alte Zeit hat noch Überbleibsel gehabt vom alten Hellsehen, durch das in uralter Zeit die Menschen hineingeschaut haben in die geistige Welt, wo sie wirklich gesehen haben, wie es der Mensch tut, wenn er mit Ich und astralischem Leib draußen ist aus dem physischen und Ätherleib und im Kosmos draußen. Da würde der Mensch nie zur vollen Freiheit gekommen sein, zur Individualität; Unselbständigkeit wäre eingetreten, wenn es beim alten Hellsehen geblieben wäre. Der Mensch mußte das alte Hellsehen verlieren; er mußte gleichsam Besitz ergreifen von seinem physischen Ich. Das Denken, das er entwickeln würde, wenn er das ganze Gewoge unter dem Bewußtsein sehen würde, das als Denken, Fühlen, Wollen dort vorhanden ist, das würde ein himmlisches Denken sein, aber nicht das selbständige Denken. Wie kommt der Mensch zu diesem selbständigen Denken?

Nun, denken Sie sich, daß Sie in der Nacht schlafen, Sie liegen im Bette. Das heißt, im Bette liegt der physische Leib und Ätherleib. Nun kommen beim Aufwachen von außen das Ich und der astralische Leib herein. Da wird fortgedacht im Ätherleib. Da tauchen jetzt das Ich und der astralische Leib unter, die fassen nun zunächst den Ätherleib. Aber es dauert nicht lange, denn in diesem Augenblick kann aufblitzen jenes: Was habe ich da nur gedacht, was war das doch Gescheites? Aber der Mensch hat die Begierde, gleich auch den physischen Leib zu ergreifen, und in diesem Moment entschwindet das alles; jetzt ist der Mensch ganz in der Sphäre des Erdenlebens darinnen. Es kommt also daher, daß der Mensch gleich den Erdenleib ergreift, daß er das feine Gewoge des ätherischen Denkens sich nicht zum Bewußtsein bringen kann. Der Mensch muß eben, um das Bewußtsein entwickeln zu können «ich bin es, der da denkt», seinen Erdenleib als Instrument ergreifen, sonst würde er nicht das Bewußtsein haben «ich bin es, der da denkt», sondern «der mich beschützende Engel ist es, der da denkt». Dieses Bewußtsein «ich denke» ist nur möglich durch das Ergreifen des Erdenleibes. Darum ist es notwendig, daß im Erdenleben der Mensch befähigt wird zum Gebrauche seines Erdenleibes. In der nächsten Zeit wird er immer mehr und mehr durch das, was die Erde ihm gibt, diesen Erdenleib ergreifen müssen. Sein berechtigter Egoismus wird immer größer und größer werden. Dem muß eben das Gegengewicht geschaffen werden dadurch, daß man auf der anderen Seite die Erkenntnisse gewinnt, die die Geisteswissenschaft gibt. Im Ausgangspunkt dieser Zeit stehen wir." (Lit.: GA 157, S. 300f)

Antike

In der Antike verstand man unter einem Platoniker (lateinisch Platonicus oder auch Academicus) einen Philosophen, der in der Regel eine Ausbildung an der von Platon begründeten Akademie oder einer anderen platonischen Philosophenschule erhalten hatte und der sich selbst ausdrücklich als Anhänger Platons auffasste. Diese Platoniker bekannten sich in allen wesentlichen Punkten konsequent zur Lehre Platons. Sie verehrten Platon und begingen seinen Geburtstag als Festtag. Gewöhnlich wollten sie die Lehre Platons nicht verändern, sondern nur interpretieren und gegen die Auffassungen anderer Philosophenschulen verteidigen. In diesem engeren Sinne des Begriffs konnte ein Jude oder Christ eigentlich kein Platoniker sein, da dieser Platonismus auch eine "heidnische" religiöse Dimension hatte (dennoch versuchte Synesios von Kyrene eine Synthese).

Die moderne Forschung unterteilt diesen antiken Platonismus in mehrere Entwicklungsstadien: Alte, Mittlere und Neue Akademie (oder auch ältere und jüngere Akademie), Mittelplatonismus und Neuplatonismus. Schon in der Antike gab es derartige historische Einteilungen, aber die Platoniker akzeptierten das für sich nicht, denn sie legten Wert darauf, einfach nur die ursprüngliche Lehre Platons zu vertreten, wobei sie nur unterschiedliche Akzente setzten.

Mittelalter und Renaissance

Im Mittelalter gab es natürlich keine Platoniker im obigen engeren Sinne mehr. Wenn mittelalterliche Philosophen (und auch antike Christen wie Augustinus oder Boethius) als "Platoniker" bezeichnet werden, ist damit nur gemeint, dass sie in bestimmten Aspekten ihres Denkens von Platon beeinflusst waren. Im Mittelalter geschah solche Beeinflussung meist auf indirektem Weg, besonders über Augustinus, denn damals war im lateinischsprachigen Abendland nur ein sehr kleiner Teil der Werke Platons bekannt (bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts überhaupt nur der Dialog Timaios, und der nicht einmal vollständig). Viele platonisch beeinflusste mittelalterliche Denker fassten sich nicht als Platoniker auf; sie wussten oft nicht einmal, dass oder inwieweit ihr Gedankengut als platonisch galt. Es gab viele Übergänge und Kompromisslösungen zwischen platonischem und nichtplatonischem Denken. Daher ist es im Einzelfall oft nicht möglich zu entscheiden, ob ein Denker als Platoniker zu bezeichnen ist, bzw. die Entscheidung hat etwas Willkürliches. Zu diesem Platonismus im weitesten Sinn des Begriffs rechnet man einen großen Teil der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Philosophie. Dabei geht es hauptsächlich um folgende platonische Lehren:

  • die Ideenlehre. Als Platoniker in diesem Sinn gelten alle, die meinten, dass den durch Allgemeinbegriffe bezeichneten Ideen eine eigenständige Existenz unabhängig von den Einzeldingen zukommt. Diese Denker nennt man Universalienrealisten oder kurz Realisten (im Gegensatz zu den Nominalisten).
  • die Seelenlehre. Die Platoniker meinten, dass die Person im wesentlichen mit der unsterblichen Seele identisch sei, die den Körper nur bewohnt und steuert "wie ein Schiffer das Schiff". Die Aristoteliker hingegen (besonders Thomas von Aquin) betonten, dass die Seele einem bestimmten Körper und nur ihm wesensmäßig zugeordnet sei als seine Form und "Vervollkommnung", also mit ihm dem Wesen nach eine Einheit bilde.
  • die neuplatonische Emanationslehre. Für die Christen waren die Welt und der Mensch unmittelbar durch einen Willensakt Gottes geschaffen. Unter neuplatonischem Einfluss wollten aber manche das so verstehen, dass Welt und Lebewesen in einem stufenweisen Prozess ("Emanation") aus Gott hervorgegangen sind.

Im 15. Jahrhundert wurden zuvor im Westen unbekannte Werke Platons in griechischen Handschriften nach Italien gebracht und ins Lateinische übersetzt. Manche Humanisten, besonders Georgios Gemistos Plethon und Marsilio Ficino, begeisterten sich für Platon und seine Lehre. Platonismus wurde als Gegensatz zum Aristotelismus aufgefasst, und man stritt darüber, ob Platon oder Aristoteles der Vorrang gebühre. Obwohl die Originaltexte Platons nun zur Verfügung standen, knüpften die humanistischen Platoniker in erster Linie an den Neuplatonismus an.

Moderne Philosophie

Von Alfred North Whitehead stammt der Ausspruch, die gesamte abendländische Philosophie bestehe aus "Fußnoten zu Platon". Aber bei modernen Philosophen wird von "Platonismus" gewöhnlich nur dann gesprochen, wenn ihre Vorstellungen eine formale Analogie zu Platons Ideenlehre aufweisen. So definiert Wolfgang Stegmüller Platonismus und Nominalismus als unterschiedliche Möglichkeiten der Interpretation des Sprachsymbols „ist“ im Rahmen der Sprachlogik.

Kritik

Wie jede philosophische Lehre hat auch der Platonismus seine Gegner. Dabei geht es um folgende Punkte:

  • die platonische Verfassungstheorie wird als antidemokratisch und totalitär bekämpft. Diesen Standpunkt vertrat Karl Popper.
  • die platonische Ideenlehre wird vom nominalistischen bzw. konzeptualistischen Standpunkt aus bekämpft. Für die Nominalisten und Konzeptualisten bezeichnen Allgemeinbegriffe keine eigenständige Wirklichkeit, sondern existieren nur im Denken; sie sind nur Konventionen der Menschen zum Zweck der sprachlichen Verständigung. Real sind nur die konkreten Einzeldinge.
  • die platonische Metaphysik, in der die Unsterblichkeit der Seele eine zentrale Rolle spielt, wird vom materialistischen Standpunkt aus bekämpft. Die Seele wird für sterblich erklärt oder ihre Existenz überhaupt bestritten.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks


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