Ion (Platon)

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Eine Seite einer Ion-Handschrift aus dem 15. Jahrhundert (Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, ms. 85,9, fol. 202r)

Der Ion (griech. Ἴων Íōn, lat. Io) ist ein in Dialogform verfasstes frühes Werk des griechischen Philosophen Platon. Den Inhalt bildet ein fiktives Gespräch von Platons Lehrer Sokrates mit dem ansonsten unbekannten Ion von Ephesos, nach dem der Dialog benannt ist. Ion ist Rhapsode, das heißt, er rezitiert berufsmäßig bei festlichen Anlässen epische Dichtung und legt sie aus.

Allgemeines

Das Thema des Gesprächs ist die Frage, worauf die Kompetenz eines Rhapsoden basiert. Darüber hinaus geht es auch um die Quelle der schöpferischen Tätigkeit der Dichter. Den Hintergrund bildet – mit modernen Begriffen ausgedrückt – das ungeklärte Verhältnis zwischen literarischer Technik und überragender künstlerischer Qualität auf dem Gebiet der Schönen Literatur.

Sokrates fragt nach dem beruflichen Wissen, das Ion befähigt, Dichtung zu interpretieren. Dabei geht er zunächst von der Annahme aus, dass es sich um ein grundsätzliches Fachwissen über Dichtung handelt. Wenn dies zutrifft, muss der Rhapsode jedes Gedicht verstehen und beurteilen können. Dazu ist Ion aber nicht imstande, denn er ist nur auf die Epen Homers spezialisiert. Somit besitzt er kein allgemein dichtungsbezogenes Wissen. Es kann sich aber auch nicht um sonstiges Fachwissen handeln. Weder Dichter noch Rhapsoden beherrschen ihre Themen fachwissenschaftlich. Beispielsweise erfüllt der Rhapsode die Aufgabe, seinem Publikum Dichtung, die von Kriegstaten handelt, nahezubringen, aber von Kriegsführung versteht er nichts.

Demnach ist ein besonderes berufliches Wissen der Dichter und der Rhapsoden nicht benennbar, und es gibt kein Gebiet, auf dem sie mit den jeweiligen Fachleuten konkurrieren können. Somit ist weder die Dichtung noch ihre Auslegung ein Produkt von Wissen. Als Alternative bietet sich die Annahme an, dass göttliche Inspiration die Dichter und die Rhapsoden zu Leistungen befähigt, die sie von sich aus nicht erbringen könnten. Mit dieser von Sokrates vorgeschlagenen Erklärung ist Ion zufrieden.

Der in der Antike wenig beachtete Dialog hat in der Neuzeit ein vielfältiges Echo hervorgerufen, wobei konträre Deutungen des Inspirationskonzepts zu gegensätzlichen Ergebnissen führten. Das Spektrum der Interpretationen reicht von der Einschätzung als reine Persiflage bis zur Annahme, es handle sich um eine Huldigung an die poetische Ergriffenheit.

Zu vielen weiteren Theman siehe auch

Siehe auch

Ausgaben und Übersetzungen (teilweise mit Kommentar)

  • Otto Apelt (Übersetzer): Platon: Hippias I/II, Ion. In: Otto Apelt (Hrsg.): Platon: Sämtliche Dialoge, Bd. 3, Meiner, Hamburg 2004, ISBN 3-7873-1156-4 (Übersetzung mit Einleitung und Erläuterungen; Nachdruck der 3. Auflage, Leipzig 1935).
  • Gunther Eigler (Hrsg.): Platon: Werke in acht Bänden, Band 1, 4. Auflage, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, ISBN 3-534-19095-5, S. 1–39 (Abdruck der kritischen Ausgabe von Louis Méridier, 3. Auflage, Paris 1956, mit der deutschen Übersetzung von Friedrich Schleiermacher, 2., verbesserte Auflage, Berlin 1818).
  • Lorenzo Ferroni, Arnaud Macé (Hrsg.): Platon: Ion. Les Belles Lettres, Paris 2018, ISBN 978-2-251-44828-2 (kritische Edition mit Einleitung, französischer Übersetzung und Kommentar)
  • Hellmut Flashar (Hrsg.): Platon: Ion. Reclam, Stuttgart 2002, ISBN 978-3-15-008471-7 (unkritische Ausgabe mit Übersetzung).
  • Ernst Heitsch (Übersetzer): Platon: Ion oder Über die Ilias. Übersetzung und Kommentar (= Platon: Werke, hrsg. von Ernst Heitsch u. a., Bd. VII 3). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2017, ISBN 978-3-525-30402-0
  • Albert Rijksbaron (Hrsg.): Plato: Ion. Or: On the Iliad. Brill, Leiden 2007, ISBN 978-90-04-16321-8 (kritische Edition mit Einführung und Kommentar).
  • Rudolf Rufener (Übersetzer): Platon: Frühdialoge (= Jubiläumsausgabe sämtlicher Werke, Bd. 1). Artemis, Zürich/München 1974, ISBN 3-7608-3640-2, S. 331–350 (mit Einleitung von Olof Gigon).
  • Franz Susemihl (Übersetzer): Ion. In: Erich Loewenthal (Hrsg.): Platon: Sämtliche Werke in drei Bänden, Bd. 1, unveränderter Nachdruck der 8., durchgesehenen Auflage, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2004, ISBN 3-534-17918-8, S. 129–148.

Literatur

Übersichtsdarstellungen

Untersuchungen zum Werk

  • Hellmut Flashar: Der Dialog Ion als Zeugnis platonischer Philosophie. Akademie-Verlag, Berlin 1958.
  • Joachim Dalfen: Polis und Poiesis. Die Auseinandersetzung mit der Dichtung bei Platon und seinen Zeitgenossen. Wilhelm Fink, München 1974, S. 85–112.
  • Egert Pöhlmann: Enthusiasmus und Mimesis: Zum platonischen Ion. In: Gymnasium 83, 1976, S. 191–208.
  • Marcel van Ackeren: Das Wissen vom Guten. Bedeutung und Kontinuität des Tugendwissens in den Dialogen Platons. Grüner, Amsterdam 2003, ISBN 90-6032-368-8, S. 36–40.
  • Hartmut Westermann: Die Intention des Dichters und die Zwecke der Interpreten. Zu Theorie und Praxis der Dichterauslegung in den platonischen Dialogen (= Quellen und Studien zur Philosophie, Bd. 54). De Gruyter, Berlin 2002, ISBN 3-11-017006-X.
  • Ursula Wolf: Die Suche nach dem guten Leben. Platons Frühdialoge. Rowohlt, Reinbek 1996, ISBN 3-499-55570-0, S. 52–59.
  • Joachim Stiller: Ion - eine Besprechung des Ion PDF

Rezeption

  • Paola Megna: Lo Ione platonico nella Firenze medicea. Centro interdipartimentale di studi umanistici, Messina 1999, ISBN 88-87541-02-7 (enthält S. 143–190 eine kritische Edition der Ion-Übersetzung Marsilio Ficinos).

Weblinks

  • Ion, griechischer Text nach der Ausgabe von John Burnet, 1903
  • Ion, deutsche Übersetzung nach Friedrich Schleiermacher, bearbeitet
  • Ion, deutsche Übersetzung nach Franz Susemihl (1856)


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