Mental

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Als mental bzw. als mentalen Zustand oder mentalen Prozess (von lat. mens, „Meinung, Verstand, Einsicht, Gesinnung, Charakter“; abgeleitet von der indogerm. Sprachwurzel *men-, "denken, überlegen, ermahnen, meinen") bezeichnet man einen seelischen Vorgang, bei dem sich ein rein geistiger Prozess, ganz oder teilweise im Bewusstsein, genauer gesagt im Ich-Bewusstsein, als unser persönlichesInnenlebenabspiegelt. Was nicht in den mentalen Bereich fällt, namentlich die Dinge der äußeren sinnlichen Welt, wird als extramental bezeichnet.

Entgegen dem heute üblichen Sprachgebrauch muss aus anthroposophischer Sicht deutlich zwischen dem wirklichen rein geistigen Vorgang und seinem durch den physischen Leib bedingten mentalen Bild in der Seele als Bewusstseinsträger unterschieden werden. Der in der angelsächsischen Literatur verwendete Ausdruck „mind“ bezieht sich nur auf dieses leibbedingte mentale Spiegelbild und darf daher weder mit der eigenständigen leibfreien Wirklichkeit des Geistes noch mit der unsterblichen Seele verwechselt werden. Mind wird hier definiert als „das Element einer Person, das es ihr ermöglicht, sich der Welt und ihrer Erfahrungen bewusst zu sein, zu denken und zu fühlen; die Fähigkeit des Bewusstseins und Denkens.[1]

„... was ich mein Innenleben in obigem Sinne nenne, ist gar nicht, im höheren Sinne, mein Geist. Dieses Innenleben ist nur das Ergebnis rein sinnlicher Vorgänge, gehört mir nur als ganz individuelle Persönlichkeit an, die nichts ist als das Ergebnis ihrer physischen Organisation. Wenn ich dieses Innere auf die äußeren Dinge übertrage, so denke ich tatsächlich ins Blaue hinein. Mein persönliches Seelenleben, meine Gedanken, Erinnerungen und Gefühle sind in mir, weil ich ein so und so organisiertes Naturwesen bin, mit einem ganz bestimmten Sinnesapparat, mit einem ganz bestimmten Nervensystem. Diese meine menschliche Seele darf ich nicht auf die Dinge übertragen. Ich dürfte das nur, wenn ich irgendwo ein ähnlich organisiertes Nervensystem fände. Aber meine individuelle Seele ist nicht das höchste Geistige an mir. Dieses höchste Geistige muß in mir erst durch den inneren Sinn erweckt werden. Und dieses erweckte Geistige in mir ist zugleich ein und dasselbe mit dem Geistigen in allen Dingen.“ (Lit.:GA 7, S. 44f)

„Zunächst ist das seelische Erleben des Menschen, wie es sich im Denken, Fühlen und Wollen offenbart, an die leiblichen Werkzeuge gebunden. Und es gestaltet sich so, wie es durch diese Werkzeuge bedingt ist. Wer aber meint, er sehe das wirkliche Seelenleben, wenn er die Äußerungen der Seele durch den Leib beobachtet, der ist in demselben Fehler befangen wie einer, der glaubt, seine Gestalt werde von dem Spiegel hervorgebracht, vor dem er steht, weil der Spiegel die notwendigen Bedingungen enthalte, durch die sein Bild erscheint. Dieses Bild ist sogar in gewissen Grenzen als Bild von der Form des Spiegels und so weiter abhängig; was es aber darstellt, das hat mit dem Spiegel nichts zu tun. Das menschliche Seelenleben muß, um innerhalb der Sinneswelt sein Wesen voll zu erfüllen, ein Bild seines Wesens haben. Dieses Bild muß es im Bewußtsein haben, sonst würde es zwar ein Dasein haben, aber von diesem Dasein keine Vorstellung, kein Wissen. Dieses Bild, das im gewöhnlichen Bewußtsein der Seele lebt, ist nun völlig bedingt durch die leiblichen Werkzeuge. Ohne diese würde es nicht da sein, wie das Spiegelbild nicht ohne den Spiegel. Was aber durch dieses Bild erscheint, das Seelische selbst, ist seinem Wesen nach von den Leibeswerkzeugen nicht abhängiger als der vor dem Spiegel stehende Beschauer von dem Spiegel. Nicht die Seele ist von den Leibeswerkzeugen abhängig, sondern allein das gewöhnliche Bewußtsein der Seele. Die materialistische Ansicht von der menschlichen Seele verfällt einer Täuschung, die dadurch bewirkt wird, daß das gewöhnliche Bewußtsein, das nur durch die Leibeswerkzeuge da ist, mit der Seele selbst verwechselt wird. Das Wesen der Seele fließt so wenig in dieses gewöhnliche Bewußtsein hinein, wie mein Wesen in ein Spiegelbild hineinfließt. Dieses Wesen der Seele kann also auch nicht in dem gewöhnlichen Bewußtsein gefunden werden; es muß außerhalb dieses Bewußtseins erlebt werden. Und es kann erlebt werden, denn der Mensch kann noch ein anderes Bewußtsein in sich entwickeln als dasjenige, das durch die Leibeswerkzeuge bedingt ist.“ (Lit.:GA 20, S. 156f)

Es gehört daher zu den gerechtfertigten Aufgaben der Neurowissenschaften, dieses Spiegelbild und seinen Spiegelungsapparat auf rein naturwissenschaftliche Weise ohne Einmischung spritueller Erwägungen zu studieren. Darauf hat Rudolf Steiner nachdrücklich hingewiesen:

„Und man wird deshalb zu einer besseren Vorstellung über das «Ich» erkenntnistheoretisch gelangen, wenn man es nicht innerhalb der Leibesorganisation befindlich vorstellt, und die Eindrücke ihm «von außen» geben läßt; sondern wenn man das «Ich» in die Gesetzmäßigkeit der Dinge selbst verlegt, und in der Leibesorganisation nur etwas wie einen Spiegel sieht, welcher das außer dem Leibe liegende Weben des Ich im Transzendenten dem Ich durch die organische Leibestätigkeit zurückspiegelt. Hat man sich einmal für das mathematische Denken mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß das «Ich» nicht im Leibe ist, sondern außerhalb desselben und die organische Leibestätigkeit nur den lebendigen Spiegel vorstellt, aus dem das im Transzendenten liegende Leben des «Ich» gespiegelt wird, so kann man diesen Gedanken auch erkenntnistheoretisch begreiflich finden für alles, was im Bewußtseinshorizonte auftritt. - Und man könnte dann nicht mehr sagen, das «Ich» müsse sich selbst überspringen, wenn es in das Transzendente gelangen wollte; sondern man müßte einsehen, daß sich der gewöhnliche empirische Bewußtseinsinhalt zu dem vom menschlichen Wesenskern wahrhaft innerlich durchlebten, wie das Spiegelbild sich zu dem Wesen dessen verhält, der sich in dem Spiegel beschaut. - Durch eine solche erkenntnistheoretische Vorstellung würde nun der Streit zwischen der zum Materialismus neigenden Naturwissenschaft und einer das Spirituelle voraussetzenden Geistesforschung in eindeutiger Art wirklich beigelegt werden können. Denn für die Naturforschung wäre freie Bahn geschaffen, indem sie die Gesetze der Leibesorganisation unbeeinflußt von einem Dazwischenreden einer spirituellen Denkart erforschen könnte. Will man erkennen, nach welchen Gesetzen das Spiegelbild entsteht, so ist man an die Gesetze des Spiegels gewiesen. Von diesem hängt es ab, wie der Beschauer sich spiegelt. Es geschieht in verschiedener Art, ob man einen Planspiegel, einen konvexen oder einen konkaven Spiegel hat. Das Wesen dessen, der sich spiegelt, liegt aber außerhalb des Spiegels. So könnte man sehen in den Gesetzen, welche die Naturforschung ergibt, die Gründe für die Gestaltung des empirischen Bewußtseins; und in diese Gesetze wäre nichts einzumischen von dem, was die Geisteswissenschaft über das innere Leben des menschlichen Wesenskernes zu sagen hat. Innerhalb der Naturforschung wird man mit Recht sich immer wehren gegen ein Einmischen rein spiritueller Gesichtspunkte. Und auf dem Felde dieser Forschung ist es nur naturgemäß, daß man mehr sympathisiert mit Erklärungen, die mechanisch gehalten sind, als mit spirituellen Gesetzen. Eine Vorstellung wie die folgende muß dem in klaren naturwissenschaftlichen Vorstellungen Lebenden sympathisch sein: «Die Tatsache des Bewußtseins durch Gehirnzellen-Erregung ist nicht wesentlich anderer Ordnung als die Tatsache der an den Stoff gebundenen Schwerkraft» (Moritz Benedikt). Jedenfalls ist mit einer solchen Erklärung exakt methodologisch das naturwissenschaftlich Denkbare gegeben. Sie ist naturwissenschaftlich haltbar, während die Hypothesen von einem Regeln der organischen Vorgänge unmittelbar durch psychische Einflüsse naturwissenschaftlich unhaltbar sind.“ (Lit.:GA 35, S. 139ff)

„Diejenigen, die über die Unsterblichkeit der Seele gedacht haben, haben immer gedacht wie über etwas, was im gewöhnlichen Leben ist und durch die Pforte des Todes geht; während man das, was durch die Pforte des Todes geht, eben erst suchen muß, denn es liegt so tief verborgen in der Seele, daß es gar nicht beachtet wird, daß die Aufmerksamkeit im gewöhnlichen Leben nicht darauf gerichtet ist; aber es ist eben doch da. Und wenn derjenige, der so wirklich, gleichsam chemisch, abtrennt das Geistig-Seelische vom Leiblichen, wenn er dieses Geistig-Seelische dann erlebt, wie es geborgen wird in einer über ihm stehenden, übersinnlichen Welt von geistigen Wesenheiten, dann weiß er auch, daß er in diesem, sich im gewöhnlichen Leben Verbergenden der Seele — so wie der Wasserstoff im Wasser verborgen ist —, daß er in dem etwas hat, was ganz im geheimen arbeitet, sozusagen zwischen den Zeilen des Lebens; was so die feinsten Kräfte der Seele, der Erfahrung, der moralischen Fähigkeiten des Menschen in sich aufnimmt, wie der kleine Pflanzenkeim aufnimmt aus der ganzen Pflanze die Kräfte, um sie zu konzentrieren. Und wie nach dem Abwelken, nachdem die Blätter abwelken und die Blüte erstirbt, die Pflanze als kleinen Keim das, was in der vorigen Pflanze gelebt hat, hinüberträgt in die folgende Pflanze, das, was die Pflanze als Keim hinüber gerettet hat, — so ist es in der Menschenseele. Wenn man sie so herausdestilliert, so merkt man: unablässig arbeitet in jedem Augenblick des Lebens, wachend und schlafend, diese Menschenseele in den Untergründen des alltäglichen Lebens, arbeitet heraus alles das, was wir uns an Fähigkeiten aneignen, wird durchdrungen, tief durchdrungen von dem, was sie getan hat an Unrecht und Recht, Schön und Häßlich; das trägt sie in sich, wie der Pflanzenkeim in sich trägt den Keim der ganzen neuen Pflanze. Und dann weiß man, daß das so verborgen in der Seele Lebende ein Leben durchmacht zwischen Tod und neuer Geburt — und wiederum zurückkehrt zum Erdenleben. In dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt sammelt aus einer geistigen Welt heraus dann der Mensch die Kräfte, die aber Bildekräfte werden, so daß er sich durch eine neue Geburt vereinigen kann mit dem, was ihm gegeben wird von Vater und Mutter, von der Vorfahrenreihe. So durchlebt die Menschenseele nicht ein Erdenleben, sondern aufeinanderfolgende Erdenleben.“ (Lit.:GA 64, S. 342f)

Nach dem von Rudolf Steiner sehr geschätzen und öfters erwähnten deutschen Philosophen und Psychologen Franz Brentano (1838-1917) ist das definierende Merkmal des Mentalen die Intentionalität des Bewusstseins, d.h. seine Ausrichtung auf ein Objekt bzw. auf dessen durch innere Anschauung erlebte Vorstellung. Tatsächlich ist die intentionale Ausrichtung und die damit verbundene willkürliche Lenkung der Aufmerksamkeit durch das Ich eine charakteristische Eigenschaft des leibbedingten Ich-Bewusstseins und der damit verbundenen Subjekt-Objekt-Spaltung, das sich dadurch auch deutlich vom traumartigen Bewusstsein der Tiere unterscheidet.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Videos

Einzelnachweise

  1. „The element of a person that enables them to be aware of the world and their experiences, to think, and to feel; the faculty of consciousness and thought.“ (vgl. den Artikel „mind“ in Oxford Dictionaries, abgerufen 2019-01-31.)