Thomas Nagel (Philosoph)

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Thomas Nagel an der New York University

Thomas Nagel (* 4. Juli 1937 in Belgrad) ist ein US-amerikanischer Philosoph.

Er lehrt an der New York University School of Law und bearbeitet ein weites Themenspektrum. Nagel studierte an der Cornell University (B. A. 1958), an der Universität Oxford und der Harvard University (Ph.D. 1963). Er hat derzeit Lehrtaufträge u. a. an der University of California und an der Princeton University inne. Zu seinen Schülerinnen und Schülern gehören Susan Wolf, Samuel Scheffler und Shelly Kagan.

Philosophie des Geistes

In der Philosophie des Geistes ist Nagel mit seinem 1974 publizierten Aufsatz "What is it like to be a bat?" (deutsch: Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?) bekannt geworden. Dort tritt er reduktionistischen Bemühungen in Bezug auf die Erklärung des Bewusstseins entgegen. Egal wie viel wir über das Gehirn eines Wesens wissen, z. B. über das einer Fledermaus (daher der Titel), so können wir doch nie dessen Erlebnisperspektive erschließen. Ein Beispiel: Wenn wir genau wissen, was im Gehirn einer Fledermaus passiert, wenn sie mittels ihres Echolot-artigen Wahrnehmungsapparats Gegenstände wahrnimmt, wir also das neuronale Korrelat eines solchen Wahrnehmungserlebnisses kennen, so wissen wir immer noch nicht, wie es ist bzw. wie es sich für die Fledermaus anfühlt, solche Echolot-artigen Wahrnehmungen zu haben - "what is it like". Und wir können es wohl auch nie wissen. Hier sind den Naturwissenschaften offenbar grundsätzliche Erkenntnisschranken gesetzt. Nagels Aufsatz hat in der analytischen Philosophie eine breite Debatte ausgelöst (die Qualiadebatte), deren Protagonisten heute Philosophen wie David Chalmers, Paul Churchland, Daniel Dennett, Frank Cameron Jackson, Joseph Levine und Michael Tye sind. Eine ähnliche Kritik am Wissensanspruch der Naturwissenschaften hatte im 19. Jahrhundert der Neurophysiologe Emil Du Bois-Reymond vertreten.

In seinem Buch „Mind and Cosmos: Why the Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature is Almost Certainly False.“ (deutsch: Geist und Kosmos: Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist) äußert Nagel seine fundamentale Kritik an der darwinistisch-materialistischen Interpretation der Evolutionslehre und dem ihr immanenten Zufallsprinzip. Wenn wir den Geist bzw. die geistigen Fähigkeiten des Menschen wissenschaftlich erklären wollen, müssen wir voraussetzen, dass der Wirklichkeit eine verständliche Ordnung zugrunde liegt.

„Was mich leitet, ist die Überzeugung, dass der Geist nicht bloß ein nachträglicher Einfall oder Zufall oder eine Zusatzausstattung ist, sondern ein grundlegender Aspekt der Natur.“ (Lit.: Geist und Kosmos, S. 30)

Er plädiert daher für einen sich in der Wirklichkeit manifestierenden „objektiven Idealismus“, der sich nicht auf ein materialistisches Naturverständnis reduzieren lässt, sondern in Form eines „neutralen Monismus“ auch Leben, Bewusstsein und Geist als höhere zielgerichtete (telologische), aber keineswegs „übernatürliche“ Prinzipien umspannt.

„Dies ist keine direkte Ablehnung des darwinistischen Bildes, sondern eine Überprüfung. Eine teleologische Hypothese wird einräumen, dass die Einzelheiten dieser geschichtlichen Entwicklung größtenteils durch natürliche Auslese erklärbar sind, die unter den verfügbaren Möglichkeiten auf der Grundlage der reproduktiven Fitness bei veränderlichen Umwelten erfolgt. Doch obwohl die natürliche Auslese die Einzelheiten der Formen von Leben und Bewusstsein, die existieren, und die Beziehungen zwischen ihnen teilweise bestimmt, müssen die Existenz des genetischen Materials und der möglichen Formen, die dieses der Auslese zur Verfügung stellt, auf irgendeine andere Weise erklärt werden. Die teleologische Hypothese lautet, dass diese Dinge vielleicht nicht allein von wertfreier Chemie und Physik festgelegt werden, sondern außerdem noch von etwas anderem, nämlich einer kosmischen Prädisposition für die Schaffung von Leben, Bewusstsein und Wert, der von ihnen nicht ablösbar ist.“ (Lit.: Geist und Kosmos, S. 176)

Ethik

Nagel hat zudem Texte zur Ethik und politischen Philosophie verfasst. Seine Dissertation The Possibility of Altruism (1970) wurde von John Rawls betreut und beschäftigt sich vor allem aus Kantianistischer Perspektive mit der Universalisierbarkeit von moralischen Beweggründen.

In seinem späteren Werk, insbesondere in The View from Nowhere (1986), bezieht Nagel die in seiner Philosophie des Geistes entwickelte Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Perspektive auch auf die praktische Philosophie. Er unterscheidet dabei zwischen akteurrelativen und akteurneutralen Gründen, die beide für moralisches Handeln relevant würden. Auf dieser Grundlage setzt er sich einerseits vom ethischen Konsequentialismus (v.a. dem in den USA dominanten Utilitarismus) ab, der aus der Perspektive eines neutralen Beobachters verschiedene Zustände der Welt vergleicht, als auch von einer rein deontologischen Ethik, die moralische Pflichten zur Vornahme oder Nichtvornahme bestimmter Handlungen als akteurrelativ ansieht. Nagels Kritik am Konsequentialismus ist später von seinem Schüler Samuel Scheffler weiterentwickelt worden.

Wolfgang Kersting spricht zur Charakterisierung von Nagels Position von einem spannungsvollen Dualismus, der unhintergehbar sei, und in dem sich die menschlich-vernünftige Existenz vollziehe. Diese sei zur Selbstranszendierung fähig und aufgefordert, könne aber auch die subjektive Perspektive nie ablegen.[1]

Werke

Deutsch

  •  Die Grenzen der Objektivität. Philosophische Vorlesungen. In: Reclams Universal-Bibliothek. 8721, Reclam, Stuttgart 1991 (Originaltitel: The Limits of Objectivity, 1979, übersetzt von Michael Gebauer), ISBN 3-15-008721-X.
  •  Der Blick von nirgendwo. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1992 (Originaltitel: The View from Nowhere, 1986, übersetzt von Michael Gebauer), ISBN 3-518-58116-3.
  •  Eine Abhandlung über Gleichheit und Parteilichkeit und andere Schriften zur politischen Philosophie. Schöningh, Paderborn / München / Wien / Zürich 1994 (Originaltitel: Equality and Partiality, 1991), ISBN 3-506-76097-1.
  •  Das letzte Wort. In: Reclams Universal-Bibliothek. 18021, Reclam, Stuttgart 1999 (Originaltitel: The Last Word, 1997), ISBN 3-15-018021-X.
  •  Die Möglichkeit des Altruismus. 2. Auflage. Philo, Berlin / Wien 2005 (Originaltitel: The Possibility of Altruism, 1970, übersetzt von Michael Gebauer, Hans-Peter Schütt), ISBN 3-86572-066-8.
  •  Letzte Fragen. In: EVA-Taschenbuch. Neue erweiterte deutsche Auflage. 258, Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2008 (Originaltitel: Mortal Questions, 1979, übersetzt von Karl-Ernst Prankel), ISBN 978-3-434-46171-5.
  •  Was bedeutet das alles? Eine ganz kurze Einführung in die Philosophie. In: Reclams Universal-Bibliothek. 18630, Reclam, Stuttgart 2008 (Originaltitel: What Does It All Mean? A Very Short Introduction to Philosophy, 1987, übersetzt von Michael Gebauer), ISBN 978-3-15-018630-5.
  •  Geist und Kosmos: Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist. Suhrkamp, Berlin 2013 (Originaltitel: Mind and Cosmos: Why the Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature is Almost Certainly False, 2012, übersetzt von Karin Wördemann), ISBN 978-3-518-58601-3.

Englisch

  •  Other Minds. Critical Essays 1969–1994. Oxford University Press, New York 1999, ISBN 0-19-513246-7.
  •  mit Liam Murphy: The Myth of Ownership. Taxes and Justice. Oxford University Press, New York 2004, ISBN 0-19-517656-1.
  •  Concealment and Exposure. And Other Essays. Oxford University Press, New York 2004, ISBN 0-19-517977-3.
  •  Secular Philosophy and the Religious Temperament. Essays 2002–2008. Oxford University Press, New York 2010, ISBN 978-0-19-539411-5.
  •  Mind and Cosmos: Why the Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature is Almost Certainly False. Oxford University Press, New York 2012, ISBN 978-0-19-991975-8.
  • What Is It Like to Be a Bat? In: The Philosophical Review. Band 83, Nr. 4, 1974, S. 435–450 (organizations.utep.edu PDF; 196 kB).
    • Peter Bieri (Hrsg.): Wie ist es, eine Fledermaus zu sein? In: Analytische Philosophie des Geistes. Königstein 1981 (Neuauflagen 1993 und 2007).

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Kersting: Thomas Nagel. In: Julian Nida-Rümelin, Elif Özmen: Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen. Ausgabe 3. Verlag Kröner, 2007, S. 457, 460.
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