Anthropos (Gnosis)

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Der Anthropos (griech. ἄνθρωπος), der rein geistige Urmensch, vergleichbar dem Adam Kadmon der Kabbala, ist im gnostischen System der Valentinianer einer der acht höchsten Äonen, die aus der Gottheit emaniert wurden. Gemeinsam bilden sie die «Achtheit» (griech. ογδοάς Ogdoas), die nach dem Zeugnis des Irenäus aus 4 männlich-weiblichen Paaren (Syzygien) besteht. Bythos (griech. βυθός, „Tiefe“), die männliche Seite der unendlichen und unerforschlichen Gottheit, verbindet sich mit seiner weiblichen Hälfte, der Ennoia (griech. έννοια, der „erste Gedanke“ oder die „erste Denkkraft“ Gottes), die auch Charis („Gnade“) oder Sige („Schweigen“) genannt wird. Daraus entstehen Nous (griech. νοῦς, Vernunft), der „Eingeborene“, und Aletheia (griech. ἀλήθεια, Wahrheit). Diese bringen gemeinsam den Logos (griech. λόγος, Wort) und die Zoe (griech. ζωή, Leben) hervor, aus denen am Ende der Anthropos (griech. ἄνθρωπος, Mensch) und die Ecclesia (griech. ἐκκλησία, Kirche) - als dessen weiblicher Partner - entspringen. Gemeint ist hier selbstverständlich nicht die äußere irdische Kirche, sondern deren himmlisches Urbild.

„Es lehren die Valentinianer, in unsichtbaren und unnennbaren Höhen sei ein vollkommener Äon gewesen, der vor allem war. Diesen nennen sie auch Uranfang, Urvater und Tiefe[1]. Er ist aber unsichtbar, und kein Ding kann ihn fassen. Da er unfaßbar, unsichtbar, ewig und unerzeugt ist, so ist er unermeßliche Zeiten in tiefster Ruhe gewesen. Mit ihm hat zugleich angefangen die Ennoia, die sie auch Charis und Sige nennen. Nun ist jener einmal auf den Gedanken gekommen, von sich diesen Bythos als Anfang aller Dinge auszusenden und diesen Sprößling, den er auszusenden im Sinne gehabt hatte, wie ein Sperma gleichsam in den Mutterschoß der bei ihm befindlichen Sige einzusenken. Nachdem diese ihn empfangen hatte und schwanger geworden war, hat sie den Nous geboren, der dem Erzeuger ähnlich und gleich war und allein die Größe des Vaters erfaßte. Diesen Nous nennen sie auch den Eingebornen, Vater und Anfang aller Dinge. Mit Ihm zusammen ist auch die Wahrheit geboren und dies ist die erste und ursprüngliche Pythagoräische Vierheit, die sie auch die Wurzel aller Dinge heißen. Sie besteht nämlich aus dem Bythos und der Sige, dann aus dem Nous und der Wahrheit[2].

Indem er nun merkte, wozu er hervorgebracht war, hat der Eingeborne[3] nun seinerseits den Logos und die Zoe hervorgebracht, den Vater aller Dinge, die nach ihm kommen sollten, und die Mutter und Gestaltungskraft des gesamten Weltalls. Aus ihrer ehelichen Verbindung sind hervorgegangen der Mensch und die Kirche Das ist die ursprüngliche Achtheit, die Wurzel und Substanz aller Dinge, die nur mit vier Namen bei ihnen belegt ist: Bythos und Nous, Logos und Anthropos[4], weil in dem männlichen Prinzip jedesmal auch das weibliche enthalten ist, indem sich der erste Urvater[5] paarweise mit seiner Ennoia, der Eingeborne[6] mit der Aletheia, der Logos mit der Zoe, der Mensch mit der Kirche vereinigte.“

Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 1,1 [1]

Einzelnachweise

  1. Bythos
  2. Aletheia
  3. d. i. der Nous
  4. Mensch
  5. Bythos
  6. d. i. der Nous