Valentinianismus

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Plérome de Valentin, aus Histoire critique du Gnosticisme; Jacques Matter, 1826, Band II, Tafel II

Der Valentinianismus bezeichnet die von den Schülern des Gnostikers Valentinus († nach 160) vertretene gnostisch-christliche Lehre und war eine der am weitesten verbreiteten Bewegungen der Gnosis.

Schüler des Valentinus

Irenäus von Lyon (um 135–202) folgend wurden in der Antike vor allem Herakleon und Ptolemäus als unmittelbare Schüler Valentinus’ verstanden. Der von ihnen weiterentwickelte Valentinianismus existierte in einer westlichen (Ptolemäus, Herakleon) und östlichen (Theodot) Form. Hippolytus erwähnt einen Axionicos und einen Ardesianes (nach Schaff vermutlich identisch mit Bardesanes) für die östliche Form.

In der neueren Forschung treten die Schüler mit ihrer eigenen theologischen Qualität stärker in den Vordergrund,[1] sodass man von einer eigentlichen „Schule“ nicht mehr sprechen kann. Einige Grundelemente der Theologie Valentinus' und des Valentinianismus wurden auch von Origenes aufgenommen und weiter entwickelt.[2]

Geschichte

Nach Ambrosius von Mailand störten im Jahr 388 Valentinianer bei Kallinikos (Syrien) eine Prozession von Mönchen, worauf die Mönche den Tempel der Valentinianer in einem Dorf niederbrannten. Kaiser Theodosius I. ordnete die Bestrafung der Mönche an, Ambrosius trat für sie ein.[3] Die letzte Erwähnung von Valentinianern ist 692 im Kanon 95 des zweiten Konzils von Trullo.[4]

„Letzte Zeugnisse, die für die Existenz von Valentinianern in Anspruch genommen werden können, stammen aus dem 7. Jh. [...], aber nach der Mitte des 5. Jh. scheinen sie keine wirkliche Größe mehr dargestellt zu haben.“[5]

Lehre

Der Valentinianismus ist eine synkretistische christlich geprägte religiöse Bewegung mit vielen neuplatonischen und pythagoräischen Elementen. Hippolyt von Rom gibt in seiner Widerlegung aller Häresien einen ausführlichen Bericht[6] über die aus seiner Sicht häretische Lehre der Valentinianer, ebenso Irenäus von Lyon[7].

Da ein guter Schöpfergott angenommen wird, stellt sich Valentinos die Frage nach der Herkunft des Elends in der Welt. Die Antwort wird in einer mythischen Erzählung – dem sog. Sophia-Mythos – gegeben: Durch einen Sündenfall vor der Schöpfung entsteht die Welt. Dieser steht eine rettende Erlösergestalt gegenüber. Somit ergibt sich ein dualistisches Weltbild, eines der Kennzeichen gnostischer Systeme: Die Welt, die Finsternis, das Materielle steht einer geistigen Welt, dem Licht gegenüber. Doch letztlich entspringt diese Dualität aus einer einheitlichen Wurzel, aus der «unnennbaren Gottheit», in deren unergründlicher Tiefe (Bythos) ewiges Schweigen (Sige) herrscht.

Die 30 Äonen

Die Valentinianer sprechen zunächst von einer obersten «Achtheit» von Äonen, die von 4 männlich-weiblichen Paaren gebildet wird. Bythos (griech. βυθός, „Tiefe, Abgrund“), die männliche Seite der Gottheit, verbindet sich mit seiner weiblichen Hälfte, der Ennoia (griech. έννοια), der „erste Gedanke“ oder die „erste Denkkraft“ Gottes), die auch Charis (griech. χάρις „Gnade“) oder Sige (griech. σιγή „Schweigen, Stille“) genannt wird. Daraus entstehen Nous (griech. νοῦς, Vernunft), der „Eingeborene“, und Aletheia (griech. ἀλήθεια, Wahrheit). Diese 2 Paare bilden die erste Vierheit. Die Vierheit stellt den Bezug zur Tetraktys (1 + 2 + 3 + 4 = 10) der Pythagoreer her, in der man den Schlüssel zum Verständnis der Sphärenharmonie sah.

Der Nous und die Aletheia bringen gemeinsam den Logos (griech. λόγος, Wort) und die Zoe (griech. ζωή, Leben) hervor, aus denen am Ende der Anthropos (griech. ἄνθρωπος, Mensch) und die Ecclesia (griech. ἐκκλησία, Kirche) entspringen. Gemeinsam bilden diese 2 Paare die zweite Vierheit und beide Vierheiten zusammen die Achtheit.

Auf diese Ogdoas („Achtheit“) folgt eine Zehnheit und dann eine Zwölfheit von Äonen; insgesamt umfasst das System der Valentinianer damit 8 + 10 + 12 = 30 Äonen. Als unterster Äon erscheint hier, wie auch in vielen anderen gnostischen Lehren, die Sophia, durch deren Fall die finstere Welt ausserhalb des Pleromas, die materielle Welt der äußeren Schöpfung, ensteht. Der Demiurg, der Weltenbaumeister, der diese Welt hervorbringt, ist ein Abkömmling der Sophia. Von diesen 30 Äonen wird auch in der Pistis Sophia gesprochen. Diese 30 Äonen sollen auch den 30 Jahren bis zum Beginn der öffentlichen Tätigkeit des Christus entsprechen[8].

Irenäus von Lyon († um 200) berichtet ausführlich über die dreißig Äonen der Valentinianer:

„Es lehren die Valentinianer, in unsichtbaren und unnennbaren Höhen sei ein vollkommener Äon gewesen, der vor allem war. Diesen nennen sie auch Uranfang, Urvater und Tiefe[9]. Er ist aber unsichtbar, und kein Ding kann ihn fassen. Da er unfaßbar, unsichtbar, ewig und unerzeugt ist, so ist er unermeßliche Zeiten in tiefster Ruhe gewesen. Mit ihm hat zugleich angefangen die Ennoia, die sie auch Charis und Sige nennen. Nun ist jener einmal auf den Gedanken gekommen, von sich diesen Bythos als Anfang aller Dinge auszusenden und diesen Sprößling, den er auszusenden im Sinne gehabt hatte, wie ein Sperma gleichsam in den Mutterschoß der bei ihm befindlichen Sige einzusenken. Nachdem diese ihn empfangen hatte und schwanger geworden war, hat sie den Nous geboren, der dem Erzeuger ähnlich und gleich war und allein die Größe des Vaters erfaßte. Diesen Nous nennen sie auch den Eingebornen, Vater und Anfang aller Dinge. Mit Ihm zusammen ist auch die Wahrheit geboren und dies ist die erste und ursprüngliche Pythagoräische Vierheit, die sie auch die Wurzel aller Dinge heißen. Sie besteht nämlich aus dem Bythos und der Sige, dann aus dem Nous und der Wahrheit[10].

Indem er nun merkte, wozu er hervorgebracht war, hat der Eingeborne[11] nun seinerseits den Logos und die Zoe hervorgebracht, den Vater aller Dinge, die nach ihm kommen sollten, und die Mutter und Gestaltungskraft des gesamten Weltalls. Aus ihrer ehelichen Verbindung sind hervorgegangen der Mensch und die Kirche Das ist die ursprüngliche Achtheit, die Wurzel und Substanz aller Dinge, die nur mit vier Namen bei ihnen belegt ist: Bythos und Nous, Logos und Anthropos[12], weil in dem männlichen Prinzip jedesmal auch das weibliche enthalten ist, indem sich der erste Urvater[13] paarweise mit seiner Ennoia, der Eingeborne[14] mit der Aletheia, der Logos mit der Zoe, der Mensch mit der Kirche vereinigte.“

Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 1,1 [3]

Gemeint ist hier nicht der äußere irdische Mensch, sondern der himmlische Urmensch, vergleichbar dem Adam Kadmon der Kabbala. Und die Kirche ist ebenso wenig die äußere irdische Kirche, sondern ihr höchstes himmliches Urbild.

„Diese Äonen, zur Verherrlichung des Vaters hervorgebracht, wollten nun auch ihrerseits aus dem Ihrigen den Vater verherrlichen. So entsprossen der Verbindung des Logos und der Zoe, nachdem sie den Menschen und die Kirche erzeugt hatten, zehn weitere Äonen, die da heißen: Bythios und Mixis, Ageratos und Henosis, Autophyes und Hedone, Akinetos und Synkrasis, Monogenes und Makaria. Diese zehn Äonen also stammen von dem Logos und der Zoe. — Der Mensch mit der Kirche hat gleichfalls Äonen hervorgebracht und zwar zwölf, denen sie folgende Namen verleihen: Parakletos und Pistis, Patrikos und Elpis, Metrikos und Agape, Aeinous und Synesis, Ekklesiastikos und Makariotes, Theletos und Sophia.“

Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 1,2 [4]

Damit ergibt sich folgender Überblick über die 30 Äonen:

Achtheit (Ogdoas)
männlich weiblich
Bythos („Tiefe“) Ennoia (der „erste Gedanke“) bzw. Sige (Schweigen) oder Charis (Gnade)
Nous (Vernunft; der „Eingeborene“ oder „Erstgeborene“) Aletheia (Wahrheit)
Logos (Wort) Zoe (Leben)
Anthropos (der kosmische Urmensch) Ekklesia (die himmlische Kirche)


Aus dem Logos und der Zoe entsteht die

Zehnheit (Dekade)
männlich weiblich
Bythios (Tiefe) Mixis (Vermischung)
Ageratos (Unvergänglichkeit) Henosis (Einssein, Vereinigung)
Autophyes Hedone (Genuss)
Akinetos (der Unbewegte) Synkrasis
Monogenes Makaria (Freude)

und aus dem Anthropos und der Ecclesia die

Zwölfheit (Dodekade)
männlich weiblich
Parakletos Pistis (Glaube)
Patrikos (väterlich) Elpis (Hoffnung)
Metrikos (mütterlich) Agape (Liebe)
Aeinous Synesis
Ekklesiastikos Makariotes (freudig)
Theletos Sophia


„Die Entsendung der zwölf Äonen aber soll angedeutet sein durch die Unterredung des zwölfjährigen Jesus mit den Gesetzeslehrern und durch die Auswahl der zwölf Apostel. Die übrigen achtzehn Äonen aber werden dadurch angezeigt, daß er nach seiner Auferstehung von den Toten angeblich achtzehn Monate mit seinen Jüngern verkehrt habe. Aber auch durch die beiden ersten Buchstaben seines Namens — J und E — werden die achtzehn Äonen genau bezeichnet; in gleicher Weise die zehn Äonen durch den ersten Buchstaben seines Namens, deswegen hat der Heiland auch gesagt: „Nicht ein Jota noch ein Strichlein wird vergehen, bis dies alles geschieht“.[15]

Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 3,2 [5]

Der Fall der Sophia

Nur der Nous, der Erstgeborene, vermag den «unbekannten Vater» direkt zu schauen, allen anderen Äonen bleibt er unsichtbar und unfassbar, doch es erwacht in ihnen das Verlangen, den Urvater zu erforschen, was um so schwieriger wird, je weiter sie von ihrem göttlichen Ursprung entfernt sind.

„Ihren Urvater nun kann nach ihrer Lehre nur der von ihm erzeugte Erstgeborne, der Nous, erkennen, allen andern bleibt er unsichtbar und unfaßbar. Nur der Nous erfreute sich nach ihnen der Anschauung des Vaters und ergötzte sich in der Betrachtung seiner unermesslichen Größe. Auch den übrigen Äonen gedachte er, die Größe, das Wesen, die Ewigkeit, Unbegrenztheit und Unfassbarkeit des Vaters mitzuteilen, aber nach dem Ratschluß des Vaters hielt die Sige ihn zurück, da sie diese alle zum Nachdenken führen wollte und zu dem Verlangen, ihren oben erwähnten Urvater aufzusuchen. Und so im stillen strebten denn die übrigen Äonen danach, den Urheber ihres Samens zu sehen und die anfangslose Wurzel zu erforschen.“

Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 2,1 [6]

Am stärksten wurde die Sophia von diesem leidenschaftlichen Verlangen ergriffen - und zwar ohne die liebende Umarmung ihres Gatten Theletos. Wegen der Tiefe des Abgrundes und der Unergründlichkeit des Vaters wäre sie beinahe von seiner Süßigkeit verschlungen und in die allgemeine Substanz aufgelöst worden. Doch da trat ihr der Horos (griech. Ορος „Grenze, Grenzpfahl“) entgegen und konnte sie zuletzt überzeugen, dass der Vater unfassbar ist.

„Den weitesten Sprung aber tat der letzte und jüngste Sprößling der Zwölfheit, der von dem Menschen und der Kirche erzeugte Äon, die Sophia, und geriet in leidenschaftliche Erregung ohne die Umarmung ihres Gemahls Theletos. Die Erregung nahm ihren Ausgang bei dem Nous und der Aletheia, sprang aber über, sich danebenwendend, auf die Sophia unter dem Vorwand der Liebe, in Wirklichkeit aus Tollheit, da sie mit dem vollkommenen Vater nicht solche Gemeinschaft besaß wie der Nous, und sie ist nichts anders als das Suchen nach dem Vater, indem sie seine Größe erfassen wollte. Dann aber konnte sie es nicht, weil sie an Unmögliches sich gemacht hatte, und geriet wegen der Tiefe des Abgrundes und der Unergründlichkeit des Vaters und Zärtlichkeit gegen ihn in große Not, und weil sie immer weiter vorwärts strebte, so wäre sie von seiner Süßigkeit schließlich wohl verschlungen und in die allgemeine Substanz aufgelöst worden, wenn sie nicht auf eine Kraft gestoßen wäre, die das Weltall befestigt und außerhalb der unaussprechlichen Größe bewacht. Diese Kraft nennen sie Horos. Von ihr ist sie angehalten und befestigt, und mit Mühe bekehrt und überzeugt worden, daß der Vater unfaßbar ist. So hat sie denn abgelegt ihre frühere Begierde samt der aus dem furchtbaren Staunen entsprossenen Erregung.“

Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 2,2 [7]

Doch weil die Sophia ohne die liebende Umarmung ihres Gatten von der leidenschaftlichen Erregung ergriffen worden war, brachte sie eine formlose, ungestaltete Fehlgeburt hervor - und daraus entstand die Materie.

„Einige von ihnen erklären die Erregung und Bekehrung der Sophia auf mythische Art. Da sie nach etwas Unmöglichem und Unerreichbarem trachtete, so gebar sie ein formloses Wesen, wie es eben ohne Mann ein weibliches Wesen hervorzubringen vermochte. Wie sie dies nun erblickte, ist sie zuerst wegen des unvollkommenen Geschöpfes betrübt gewesen, dann aber in Furcht geraten, daß es nicht einmal das Sein vollkommen besitze. Dann ist sie in die äußerste Verlegenheit geraten, indem sie nach der Ursache suchte und auf welche Weise sie das Geschöpf verbergen könne. Nun dachte sie über ihre Gefühle nach und kam zur Umkehr und versuchte zum Vater zurückzukehren, aber nach einer gewissen Strecke wurde sie schwach und bat demütig den Vater, indem auch die übrigen Äonen, in Sonderheit Nous, mit ihren Bitten sich vereinigten. Von hier, aus der Unwissenheit, dem Leid und der Angst hat die Materie ihren Uranfang genommen.“

Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 2,3 [8]

Der Fall der Sophia, die in der Zwölfheit der zwölfte und letzte Äon ist, soll auch im Neuen Testament angedeutet sein:

„Das dem zwölften Äon widerfahrene Missgeschick wird angezeigt durch den Verrat des Judas, welcher der zwölfte Apostel war, und dadurch, daß er im zwölften Monat litt, denn nur ein Jahr soll er nach der Taufe gepredigt haben. Ferner zeigt sich dies deutlichst an der blutflüssigen Frau. Nachdem sie zwölf Jahre krank gewesen ist, wurde sie durch die Ankunft des Erlösers geheilt, indem sie seinen Rocksaum berührte. Deswegen sprach der Heiland: „Wer hat mich berührt?“[16]. Hierdurch lehrte er den Jüngern die oben erzählte, geheimnisvolle Geschichte der Äonen und wie der in das Unglück verstrickte Äon geheilt wurde. Die zwölf Jahre lang blutflüssige Frau bedeutet jene Äonenkraft, die nach außen strebte und in das Endlose ihrer Wesenheit ausfloß; hätte sie nicht sein Gewand berührt[17], so wäre sie eben in ihre Wesenheit aufgelöst worden. So machte er halt und ihr Leiden hörte auf; denn die von ihm ausgehende Kraft, der Horos, heilte sie und befreite sie von ihrem Leiden.“

Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 3,3 [9]

Horos

Der Horos, diese einziartige Wesenheit der valentinianischen Gnosis, ist fortan der „Begrenzer“, der die niedere materielle Welt von dem Pleroma der höheren Äonen trennt. Er wird oft auch Stauros (griech. σταυρός) - „Kreuz“ - genannt, möglicherweise in Anlehung an Platons «Timaios», wonach die Weltseele in Form des kreuzartigen griechischen Buchstabens Chi (Χ) an die Welt geheftet sei und diese zusammenhält[18].

„Danach aber brachte der Vater den oben erwähnten Horos nach seinem Ebenbilde durch den Eingebornen hervor, unvermählt, ohne Weib. Bald nämlich lassen sie den Vater mit der Sige sich vermählen, bald auch übermännlich und überweiblich sein. Diesen Horos aber nennen sie Stauros[19] , Lytrotes[20], Karpistes[21], Horothetes[22] und Metagogeus[23]. Durch diesen Horos ist nach ihrer Lehre die Sophia gereinigt und befestigt und Ihrem Gatten zurückgegeben worden. Nachdem sie so befreit war von ihrer Begierde samt der Erregung, ist sie in dem Pleroma verblieben, die Begierde aber samt der Erregung hinausgewiesen, abgegrenzt and vertrieben. Sie ist aber als natürlicher innerer Drang eines Äonen eine geistige Wesenheit, ohne Gestalt und Erscheinung, da sie nichts empfangen hatte. Deswegen heißt sie auch eine kraftlose und weibische Frucht.“

Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 2,4 [10]

Christus und der Heilige Geist

Zur weiteren Befestigung des Pleromas bringt nun der Eingeborene, der Nous, ein weiteres Paar hervor: Christus und den Heiligen Geist.

„Nachdem diese aus dem Pleroma der Äonen hinausgewiesen und ihre Mutter ihrem eigenen Gemahle wiedergegeben war, da hat der Eingeborne wiederum noch ein anderes Paar, Christus und den Hl. Geist, zur Befestigung und Sicherung des Pleroma hervorgebracht, damit durch sie die Äonen wieder geordnet wurden. So wollte es die Vorsehung des Vaters, damit keiner der Äonen Ähnliches erleide. Christus belehrte sie nämlich, daß es hinreiche, wenn sie die Natur der Paarung als einen Denkakt des Urvaters erkennen, und verkündete ihnen seine Erkenntnis des Vaters, daß er unfaßbar und unbegreiflich ist, daß ihn niemand sehen oder hören kann und daß nur der Eingeborne ihn erkennt. Die Ursache des ewigen Verharrens der übrigen ist in dem unbegreiflichen Urschoße des Vaters, die begreifliche Ursache ihrer Erschaffung und Gestaltung ist der Sohn. Dieses verkündete unter ihnen Christus sogleich nach seiner Entsendung.“

Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 2,5 [11]

Der Heilige Geist hebt alle Unterschiede zwischen den Äonen auf und zur Ehre des Bythos bringen sie gemeinsam den Jesus hervor, den Heiland, der nach seinem Vater auch Christus, Logos oder einfach das All genannt wird, weil er von allen abstammt. Es handelt sich hier also um einen «zweiten Christus», der, im Gegensatz zum «himmlischen Christus»[24], auf Erden erscheinen wird in Gestalt des «Jesus», als Jesus Christus.

„Der Hl. Geist aber hob die Unterschiede zwischen ihnen auf, lehrte sie Dank sagen und führte die wahre Ruhe ein. So wurden sie alle innerlich und äußerlich gleich, alle wurden zum Nous, zum Logos, zum Anthropos, zum Christus; und ähnlich wurden die weiblichen Äonen alle zur Aletheia, zur Zoe, zum Pneuma, zur Kirche. Als so alle insgesamt befestigt und zur vollkommenen Ruhe gebracht waren, da haben sie mit großer Freude den Urvater besungen, der an ihrem lauten Jubel teilnahm. Aus Dank für diese Wohltat hat das ganze Pleroma der Äonen einhellig und mit Zustimmung Christi und des Geistes und mit Gutheißung ihres Vaters das Schönste und Blühendste, was jeder von den Äonen in sich hatte, zusammengetragen, gesammelt, passend verbunden und sorgfältig vereint, so daß zur Ehre und zum Ruhme des Bythos die vollkommenste Schönheit und das Gestirn des Pleroma hervorgebracht wurde, eine vollkommene Frucht: Jesus nämlich, der auch Heiland zubenannt wird, oder auch nach seinem Vater, Christos und Logos, oder auch das All, weil er von allen abstammt. Als Trabanten sind zugleich mit ihm zu ihrer Ehre stammverwandte Engel hervorgebracht worden.“

Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 2,6 [12]

Literatur

  • Hans Jonas: Gnosis uns spätantiker Geist I, Vandenhoeck u. Ruprecht, Göttingen 1934, 1964, 1988 ISBN 978-3525531235
  • Hans Leisegang: Die Gnosis. A. Kröner, Leipzig 1924. 2. Auflage 1936. 5. Auflage, Kröner, Stuttgart 1985. ISBN 3-520-03205-8
  • Kurt Rudolph: Die Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005 ISBN 3-525-52110-3
  • Johanna Brankaer: Die Gnosis. Texte und Kommentar, Marix Verlag, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3865399540
  • Philip Schaff: § 126. The School of Valentinus. Heracleon, Ptolemy, Marcos, Bardesanes, Harmonius in History of the Christian Church
  • Philip Schaff: Valentinus and his School in New Schaff-Herzog Encyclopedia of Religious Knowledge
  • Christoph Markschies: Valentin/Valentinianer. In: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 34, de Gruyter, Berlin 2003, S. 495-500 Google-Booksearch
  • Christoph Markschies: Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis, mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins. Mohr, Tübingen 1992, ISBN 3-16-145993-8
  • Christoph Markschies: Die valentinianische Gnosis und Marcion - einige neue Perspektiven. In: Gerhard May, Katharina Greschat, Martin Meiser (Hrsg.): Marcion und seine kirchengeschichtliche Wirkung: Vorträge der Internationalen Fachkonferenz zu Marcion, gehalten vom 15. - 18. August 2001 in Mainz = Marcion and his impact of church history. De Gruyter, Berlin 2002, ISBN 3-11-017599-1, S. 159-175 Google-Booksearch
  • Einar Thomassen: The Spiritual Seed. The Church of the "Valentinians" (= Nag Hammadi and Manichaean Studies Bd. 60). Brill, Leiden 2006, ISBN 90-04-14802-7
  • Niclas Förster: Marcus Magus: Kult, Lehre und Gemeindeleben einer valentinianischen Gnostikergruppe. Sammlung der Quellen und Kommentar. Mohr Siebeck, Tübingen 1999, ISBN 3-16-147053-2
  • Everett Procter: Christian Controversy in Alexandria. Clement's Polemic against the Basilideans and Valentinians (= American University Studies 7/172). Lang, New York u.a. 1995, ISBN 0-8204-2378-5
  • Holger Strutwolf: Gnosis als System. Zur Rezeption der valentinianischen Gnosis bei Origenes (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 56). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1993, ISBN 3-525-55164-9
  • Philip L. Tite: Valentinian Ethics and Paraenetic Discourse. Determining the Social Function of Moral Exhortation in Valentinian Christianity. Brill, Leiden 2009, ISBN 978-90-04-17507-5
  • Klaus-Gunther WesselingValentinos (Valentin, Valentinian, Valentinus, Valentius) In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 12, Bautz, Herzberg 1997, ISBN 3-88309-068-9, Sp. 1067–1084.
  • G. R. S. Mead: Fragments of a faith forgotten, Theosophical Publishing Society, London und Benares 1906
  • Konrad Dietzfelbringer: Erlösung durch Erkenntnis - Die Gnosis, Königsdorfer-Verlag, Königsdorf 2008, ISBN 978-3938156124

Einzelnachweise

  1. Vgl. Markschies, in: TRE 34, S. 495
  2. Vgl. Klaus-Gunther Wesseling: "Valentinos". In: BBKL XII (1997), spp. 1067-1084
  3. Ambrosius: Epistel XL. (englisch)
  4. Kanon 95 des zweiten Konzils von Trullo
  5. Markschies, in: TRE 34, S. 498
  6. Hippolytus von Rom: Widerlegung aller Häresien (Refutatio omnium haeresium), VI. Buch, 29-37 [1]
  7. Irenäus von Lyon: Gegen die Häresien (Contra Haereses) I. Buch, 1 ff [2]
  8. vgl. [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel581-2.htm Contra Haereses I 1,3
  9. Bythos
  10. Aletheia
  11. d. i. der Nous
  12. Mensch
  13. Bythos
  14. d. i. der Nous
  15. Mt 5,18 EU
  16. Lk 8,45 EU
  17. d. i. die Aletheia der ersten Vierheit, die durch den Rocksaum bezeichnet wird
  18. Astronomisch gesehen ergibt sich das X-förmige Chi aus dem Himmelsäquator und der um etwa 23,4° gegen diesen geneigten Ekliptik.
  19. Kreuz
  20. Erlöser
  21. Sammler
  22. Grenzbestimmer
  23. Hinüberleiter
  24. vgl. Rudolph, S 171
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