Barbelo-Gnostiker

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Als Barbelo-Gnostiker bezeichnet man eine Richtung innerhalb des Gnostizismus. Sie ist ab dem Beginn des 2. Jahrhunderts nachweisbar und verschmolz die Lehren Valentins mit orientalischem Dualismus und alttestamentlichen, christlichen und apokryphen Motiven.

Barbelo

Barbelo (griech. Βαρβηλώ) bezeichnet ein zumeist weibliches Äon (Emanation der höchsten Gottheit) des Gnostizismus, das die höchste Stellung besitzt und eine Art Weltenmutter darstellt. In der fragmentarisch überlieferten Schrift «Marsanes» wird Barbelo abweichend davon als männliche Jungfrau bezeichnet.

Die Etymologie von Barbelo ist ungewiss. Möglicherweise leitet sich der Begriff aus dem Hebräischen von „Barbhe Eloha“ („in der Vier ist Gott“) her, [1] eine andere Erklärung bezieht den Namen auf Baal.

Der Begriff Barbelo (bzw. Barbeloth, Barthenos, Barbero) kommt bei mehreren gnostischen Gruppierungen vor, so bei den Nikolaiten, Sethianern, Phibioniten, Stratiotikern, Levitikern, Borboriten, Koddianern, Zakchäern und Barbeliten. [2] In apologetischer Absicht wird er bei Irenäus, Epiphanius von Salamis und Theodoret erwähnt.

Quellen

Die wichtigsten Informationen über die Barbelo-Gnostiker gehen auf Epiphanius von Salamis zurück, der im Jahr 335 in Ägypten mit einer gnostischen Sekte in Berührung kam. Nachdem er sich eine Zeit lang von diesen Lehren begeistern ließ, wandte er sich schließlich entsetzt von ihnen ab, und diffamiert viele Mitglieder namentlich beim Bischof der Stadt. Achtzig Mitglieder werden daraufhin aus der Kirche ausgeschlossen. Später schildert Epiphanius Lehre und Praktiken der Barbelo-Gnostiker aus seiner subjektiv-ablehnenden Haltung. [3]

Irenäus von Lyon hat die Lehre der Barbelioten skizziert:

„In dem jungfräulichen Geiste befindet sich ein nie alternder Äon, den sie Barbelo nennen. Dort ist auch ein unnennbarer Vater, der sich des Barbelo offenbaren wollte. Die Barbelo oder Ennoia trat vor sein Angesicht und forderte von ihm die Prognosis[4]. Da nun die Prognosis hervorgegangen war, erschien weiter auf Bitten beider die Aphtharsia[5], darauf das ewige Leben. Wie sie aber hierüber sich mächtig freute und erhob und über ihre Empfängnis sich ergötzte, da schuf er in sie hinein ein ihr ähnliches Licht. Das ist der Anfang aller Erleuchtung und Schöpfung. Wie der Vater das Licht erblickte, da salbte er es mit seiner Güte, damit es vollkommen werde. So wurde Christus[6]. Der wiederum verlangte, daß ihm der Nous gegeben werde, und der Nous ging hervor. Alsdann sandte der Vater den Logos aus. Darauf kamen die Verbindungen zustande zwischen der Ennoia und dem Logos, zwischen der Aphtharsia und Christus; das ewige Leben aber wurde mit dem Thelema[7] verbunden und der Nous mit der Prognosis. Diese priesen das große Licht und die Barbelo.“

Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 29,1 [1]

Es entstehen also zunächst folgende 4 miteinander verbundene männlich-weibliche Paare (Syzygien) von Äonen:

männlich weiblich
Logos Ennoia
Christus Aphtharsia
Ewiges Leben Thelema
Nous Prognosis

„Darauf wurde von der Ennoia und dem Logos der Autogenes zur Darstellung des großen Lichtes ausgesandt und hoch geehrt, und alles wurde ihm unterworfen. Zugleich aber ging aus die Aletheia, die sich mit dem Autogenes verband. Von dem Lichte aber, das Christus ist, und der Aphtharsia sind vier Lichter aus gegangen, die den Autogenes umstehen; ebenso vier von dem Thelema und dem ewigen Leben, die wieder die vier Lichter umstehen, sie heißen Charis, Thelesis, Synesis und Phronesis. Die Charis wurde dem großen Urlichte beigegeben, das ist der Heiland, der Harmozel genannt wird; die Thelesis dem zweiten, das Oroiae heißt; die Synesis dem dritten, das Daveithe heißt; die Phronesis dem vierten, das man Eleleth nennt[8].“

Irenäus: Contra Haereses I 29,2 [2]

„Nachdem so alle befestigt waren, brachte der Autogenes den vollkommenen und wahren Menschen hervor, den man Adamas nennt, weil sowohl er unbezwinglich war, als auch die, von denen er stammte. Er wurde mit dem Urlichte von Harmozel entfernt. Mit ihm wurde von Autogenes die vollkommene Erkenntnis ausgesandt und ihm verbunden. Deshalb habe er auch den Allerhöchsten erkannt und von dem jungfräulichen Geiste unbesiegliche Kraft empfangen. So verharren sie in dem Lobpreise des großen Äonen. Dadurch wurde offenbart die Mutter, der Vater, der Sohn. Aus dem Menschen aber und der Gnosis wurde der Baum geboren, den sie auch Gnosis nennen.“

Irenäus: Contra Haereses I 29,3 [3]

„Darauf wurde von dem ersten Engel der Hl. Geist ausgesandt, den sie auch Sophia und Prounikos nennen. Wie die Sophia sah, daß alles übrige vermählt sei, sie selbst aber unvermählt, da suchte sie sich einen passenden Gefährten; wie sie aber keinen fand, da dehnte sie sich mit allen Kräften aus und schaute nach unten in der Meinung, hier etwas Passendes zu finden; aber umsonst. Da tat sie einen Sprung und wurde von Ekel erfaßt, weil sie es ohne die Zustimmung des Vaters gewagt hatte. Alsdann von Einfalt und Güte getrieben, brachte sie ein Werk hervor, in dem Unwissenheit und Kühnheit zusammen waren. Das war der Proarchon, der Urheber dieser Schöpfung. Von seiner Mutter ererbte er eine große Kraft, begab sich von ihr fort nach unten und schuf das Firmament des Himmels, wo er auch wohnt. In seiner Unwissenheit schuf er die unter ihm stehenden Mächte und Engel, die Firmamente und alles Irdische. Darauf verband er sich mit der Authadia[9] und zeugte die Bosheit, die Eifersucht, den Neid, die Rache und die Begierde. Nunmehr floh seine Mutter Sophia traurig von dannen und zog sich nach oben zurück. So entsteht, wenn man rückwärts zählt, die Achtheit. Als diese aber entwichen war, glaubte der Protarchon allein zu sein und sprach deswegen: „Ich bin ein eifersüchtiger Gott, und außer mir ist niemand“[10]. So weit ihre Lügen.“

Irenäus: Contra Haereses I 29,4 [4]

Inhaltliche Kennzeichen

In der Barbelo-Gnosis gibt es, wie in allen gnostischen Strömungen, das oberste Göttliche, das unerkennbar und unerreichbar ist, während die Schöpfung durch ein weibliches Prinzip, die Barbelo, verursacht wird. Sie repräsentiert die höchste Gottheit in ihrem weiblichen Aspekt und besitzt viele Aspekte der gnostischen Sophia. Die Barbelo ist weder eine „Person“, noch eine Götterfigur, sondern ein vor-schöpferisches Prinzip der Gottheit, ein Ur-Äon, und somit Grundlage für alle folgende Schöpfung. In einigen sethianischen Schriften, z.B. in Zostrianos oder Allogenes, ist der Barbelo-Äon in drei Äonen untergliedert, nämlich in die Dreifaltigkeit von Kalyptos („Verborgener“), Protophanes („Ersterschienener“) und Autogenes („Selbsterzeuger“). Es wird damit auf drei Entwicklungsstufen des ersten Gedankens hingewiesen, der aus dem unbekannten Gott hervortritt: aus dem verborgenen Gedankenkeim tritt er in Erscheinung und manifestiert sich durch sich selbst als Gedanke[11].

In mehreren der in Nag-Hammadi gefundenen Schriften wird die Barbelo thematisiert:

  • Im Apokryphon des Johannes wird sie als erste Macht, perfekte Schönheit der Äonen und Glorie der Offenbarung beschrieben. Dort heißt es weiter: „Dieser ist der erste Gedanke, sein Abbild. Sie wurde der Mutterschoß des Alls, denn sie ist die, die vor ihnen allen ist, der Mutter-Vater, der erste Mensch, der heilige Geist, der dreifach-männliche, der dreifach-kraftvolle, der dreifach-benannte Mannweibliche und der ewige Äon bei den Unsichtbaren und das erste Herauskommen.“[12]
  • Auch im Ägypterevangelium[13] wird die Barbelo an mehreren Stellen genannt.
  • Die ausführlichste Beschreibung erfährt der Begriff der Barbelo in Die drei Stelen des Seth, hier in der 2. Stele: „Groß ist der erste Äon, (die) männliche, jungfräuliche Barbelo, die erste Herrlichkeit des unsichtbaren Vaters, sie, die genannt wird ‚vollkommen‘. Du (fem.) hast zuerst gesehen, daß der, der wahrhaft zuerst existiert, ohne Wesen ist. Und aus ihm und durch ihn bist du zuerst entstanden in Ewigkeit, die (du) ohne Wesen aus einer ungeteilten dreifachen [Kraft] bist. ...“[14]
  • In Zostrianos[15] wird an vielen Stellen auf die Barbelo Bezug genommen.
  • Der Brief des Petrus enthält nicht explizit den Begriff „Barbelo“, jedoch stellt Lüdemann in seiner Einleitung zu dieser Schrift einen Bezug her: „es liegt wahrscheinlich ein Gnosistyp zugrunde, welcher der Barbelognosis entspricht.“[16]
  • In Melchisedek zweimal, die zweite Stelle in einem Gebet Melchisedeks: „Heilig bist [du], heilig bist [du], [heilig bist du, Mutter der] Äonen, Barbelo, von Ewigkeit zu Ewigkeit, [Amen].“[17]
  • Marsanes[18]: mehrere Stellen.
  • Allogenes[19]: viele Stellen.
  • Schließlich in Die dreigestaltige Protennoia, hier sogar in einer Ich-Form: „Er gab Äonen dem Vater aller Äonen, welcher ich bin, der Gedanke des Vaters, Protennoia, das ist Barbelo, die [vollkommene] Herrlichkeit und der [unmeßbare] Unsichtbare, der verborgen ist. Ich bin das Abbild des unsichtbaren Geistes, und durch mich nahm das All Abbild an; und (ich bin) die Mutter (und auch) das Licht, das sie eingesetzt hat als Jungfrau, die ‚Meirothea‘ genannt wird, der unerreichbare Mutterschoß, der unbegreifbare und unmeßbare Ruf.“[20]

Aus den Nag-Hammadi-Schriften wissen wir heute, dass der gesamte materielle Daseins-Bereich des Menschen inklusive der getrennten Geschlechtlichkeit und der Sexualität, zusammen mit weiteren Maßnahmen, Versuche Jaldabaoths (des Demiurgen oder Schöpfergotts) darstellen, den Menschen so zu binden, dass dieser ihn (Jaldabaoth) nicht in seinem Denken übersteigen kann und infolge dessen nicht zu seiner ursprünglich angelegten Göttlichkeit aufsteigen kann.

In der Barbelo-Gnosis ist der Mensch durch das Vergessen an die materielle Daseins-Ebene gebunden. Sobald er sich innerlich dem Geist des Lebens zuwendet (welcher niemals verdammt, sondern danach strebt, den Fehler der Sophia, die Schöpfung Jaldabaoths wieder aufzuheben), steht seinem Aufstieg zum Licht nichts mehr entgegen (siehe auch die Erlösung im Johannes-Apokryphon).

Christliche Polemik

Die orthodox-christliche Polemik unterstellte den Barbelo-Gnostikern diverse Ausschweifungen und Abartigkeiten, u. A. im Panarion des Epiphanius von Salamis [21]. Solche entwürdigenden Vorwürfe gegenüber Andersdenkenden sucht man in den gnostischen Nag-Hammadi-Schriften hingegen vergebens; in den Schriften, die der Barbelo-Gnosis zuzuordnen sind, wird allenfalls argumentativ oder durch Gegenüberstellung auf alttestamentliche Lehren eingegangen.

siehe auch

Literatur

  • Hans Jonas: Gnosis uns spätantiker Geist I, Vandenhoeck u. Ruprecht, Göttingen 1934, 1964, 1988 ISBN 978-3525531235
  • Hans Leisegang: Die Gnosis. A. Kröner, Leipzig 1924. 2. Auflage 1936. 5. Auflage, Kröner, Stuttgart 1985. ISBN 3-520-03205-8
  • Kurt Rudolph: Die Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005 ISBN 3-525-52110-3
  • Kurt Rudolph (Hrsg.): Gnosis und Gnostizismus. Wissenschaftliche Buchgesesellschaft, Darmstadt 1975, (Wege der Forschung 262).
  • Johanna Brankaer: Die Gnosis. Texte und Kommentar, Marix Verlag, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3865399540
  • Konrad Dietzfelbringer: Erlösung durch Erkenntnis - Die Gnosis, Königsdorfer-Verlag, Königsdorf 2008, ISBN 978-3938156124
  • Klaus Koschorke: Die Polemik der Gnostiker gegen das kirchliche Christentum unter besonderer Berücksichtigung der Nag-Hammadi-Traktate „Apokalypse d. Petrus“ (NHC VII, 3) und „Testimonium Veritatis“ (NHC IX, 3). Brill, Leiden 1978, ISBN 90-04-05709-9, (Nag Hammadi studies 12), (Zugleich: Heidelberg, Diss., 1976).
  • Hans Leisegang: Die Gnosis, Leipzig, 1924, 5. Auflage, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1985, ISBN 3-520-03205-8, (Kröners Taschenausgabe 32), Kapitel V, Die Barbelo-Gnostiker, S. 186-195
  • Alexander Böhlig: Gnosis und Synkretismus. Band 1. Mohr, Tübingen 1989, ISBN 3-16-145299-2, (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 47), S. 289–311.
  • Bibel der Häretiker: die gnostischen Schriften aus Nag Hammadi. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Gerd Lüdemann und Martina Janßen. Radius, Stuttgart 1997, ISBN 3-87173-128-5.
  • Micha Brumlik: Die Gnostiker. Der Traum von der Selbsterlösung des Menschen. Philo, Wien u. a. 2000, ISBN 3-8257-0189-1, (Philothek).
  • Christoph Markschies: Die Gnosis. Beck, München 2001, ISBN 3-406-44773-2, (v.a. Kap. IV 3 = S. 95–101).

Weblinks

Einzelnachweise

Lüdemann & Janßen bezieht sich auf die in der Literaturliste angegebene "Bibel der Häretiker".

  1. Hans Leisegang: Die Gnosis, Leipzig, 1924, 5. Auflage, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1985, ISBN 3-520-03205-8, (Kröners Taschenausgabe 32), Kapitel V, Die Barbelo-Gnostiker, S. 186
  2. Hans Leisegang: Die Gnosis, Leipzig, 1924, 5. Auflage, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1985, ISBN 3-520-03205-8, (Kröners Taschenausgabe 32), Kapitel V, Die Barbelo-Gnostiker, S. 186
  3. Hans Leisegang: Die Gnosis, Leipzig, 1924, 5. Auflage, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1985, ISBN 3-520-03205-8, (Kröners Taschenausgabe 32), Kapitel V, Die Barbelo-Gnostiker, S. 186 ff
  4. Prognosis (griech. πρόγνωσιςVorsehung“)
  5. Aphtharsia griech. ἀφθαρσία „Unversehrtheit, Unsterblichkeit, Unbestechlichkeit“
  6. der Gesalbte
  7. Thelema griech.Wille, Gebot, Begierde
  8. C. Schmid, Ein vorirenäisches gnostisches Originalwerk in kopt. Sprache [Sitzungsbericht der Akad. D. Wiss., 1896, 845]
  9. Authadeia griech. αυθάδεια „Eigensucht, Selbstgefälligkeit, Überheblichkeit“
  10. Ex 20,5 EU
  11. vgl. Johanna Brankaer: Die Gnosis, S 22
  12. Lüdemann & Janßen. S. 107.
  13. Lüdemann & Janßen. S. 230 ff.
  14. Lüdemann & Janßen. S. 454 ff.
  15. Lüdemann & Janßen. S. 460 ff.
  16. Lüdemann & Janßen. S. 499.
  17. Lüdemann & Janßen. S. 513.
  18. Lüdemann & Janßen. S. 535 ff.
  19. Lüdemann & Janßen. S. 572 ff.
  20. Lüdemann & Janßen. S. 604.
  21. Epiphanius von Salamis: Panarion (Adversus Haereses) 15,16; 25,2ff.
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