Bonaventura

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Der Heilige Bonaventura, Claude François (genannt Frère Luc)

Bonaventura, mit bürgerlichem Namen Giovanni (di) Fidanza (* 1221 in Bagnoregio bei Viterbo; † 15. Juli 1274 in Lyon), gilt als einer der bedeutendsten Philosophen, Theologen und Mystiker der Scholastik. Sein Denken war stark von Augustinus geprägt, dessen an Platons Ideenlehre gereifter und im christlichen Sinn gedeuteter Illuminationslehre er systematisch ausarbeite. Bonaventura knüpfte dabei auch an Boëthius und Bernhard von Clairvaux, an die Mystik von Hugo von St. Viktor und vor allem an Dionysius Areopagita an.

Leben und Werk

In seiner Biographie von Franz von Assisi berichtet Bonaventura, dass er als Kind dem Tode nahe gewesen sei und nur durch den Segen des Franziskus errettet worden sei. Fidanza, wie er damals noch hieß, studierte ab 1235 an der Sorbonne in Paris zunächst noch als Laie die sieben freien Künste. 1243[1] trat er in den Franziskanerorden ein und nahm den Ordensnamen Bonaventura an, was soviel wie „gutes Los“ oder „gute Zukunft“ bedeutet (von lat. bona „Besitz, Gut, Vermögen“ und ventura „Schicksal, Los“, eigentlich „das Kommende“, von lat. venire „kommen“). Von 1243 bis 1248 studierte der platonisch orientierte Bonaventura Theologie und promovierte zeitgleich mit Thomas von Aquin, dem zum wohl bedeutendsten Vertreter der aristotelisch geprägten Scholastik wurde.

Die Quelle des geistigen Lichts ist für Bonaventura, wie schon zuvor für Augustinus, Gott. An dessen Existenz zu zweifeln erscheint Bonaventura völlig denkunmöglich. Das von Gott in die Seele des Menschen gestrahlte Licht ist ewig unwandelbar und gibt damit der Erkenntnis absolute Gewissheit, wenn es die der Seele eingeborenen ewigen unveränderlichen Wahrheiten beleuchtet. Das wäre nicht der Fall, würde der Mensch diese ewigen Ideen nur mit dem unvollkommenen, wandelbaren Licht seines irdischen Intellekts erhellen. Bonaventura stand damit im deutlichen Gegensatz zu der von ihm oft kritisierten Lehre vieler Dominikaner und insbesondere zu dem im gleichen Jahr wie er verstorbenen Thomas von Aquin (* um 1225; † 7. März 1274), der sich in seiner Erkenntnistheorie vor allem auf Aristoteles berief. Als unterstes aller geistigen Wesen sei der Mensch nach Thomas bereits so weit von der Quelle des göttlichen Lichts entfernt, dass er dadurch, anders als die Engelhierarchien, nur mehr eine sehr allgemeine und ungenügende Erkenntnis erlangen können. Eben darum habe der Mensch von Gott sein leibliches Werkzeug bekommen, dass er damit aus den sinnlich wahrgenomenen Dingen die in ihnen liegenden unvergänglichen göttlichen Ideen mit Hilfe der Vernunft herauslösen und so viel klarer und detailreicher die Wahrheit erkennen könne. Über die höchsten Wahrheiten, an die die menschliche Intelligenz nicht heranreiche, würde er aber durch den unerschütterlichen Glauben an die überlieferte göttliche Offenbarung belehrt.

1257 wurde Bonaventura zum Generalminister des Franziskanerordens gewählt und übte dieses Amt bis zu seinem Tod mit so großem Organisationstalent aus und und führte den Orden auf einen gemäßigten und dauerhaften Kurs, sodass er als dessen zweiter Stifter gilt. Er vermittelte in dem seit der Ordensgründung schwelenden Armutsstreit und versöhnte die Anhänger strengster Armut (spirituales), die sich stark an der spirituellen Drei-Zeiten-Lehre von Joachim von Fiore orientierten, mit den Vertretern einer bequemeren, weltlicher orientierten Lebensauffassung (conventuales). Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., hat in seiner 1955 eingereichten Habitilationsschrift Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura (Predigten über das Sechstagewerk) nachgewiesen, dass Bonaventura in vermittelnder Absicht Teile der Thesen des umstrittenen Joachim von Fiore in seine 1273 in Paris vorgetragenen Collationes in Hexaemeron aufgenommen und in die kirchliche Ordnung integriert hatte.

Das Generalkapitel der Franziskaner, das Bonaventuara erstmals 1260 im französischen Narbonne leitete, erteilte ihm den Auftrag, eine neue Lebensbeschreibung des Franziskus von Assisi zu verfassen, und das Generalkapitel in Paris erklärte 1266 seine Arbeit für die allein authentische Franziskusbiographie. Die Legenda Sancti Francisci wurde in zwei Fassungen verbreitet. Verbindlich war die umfangreichere Legenda maior, volkstümlicher die kürzere Legenda minor.

1273 wurde Bonaventura von dem soeben neue gewählten Papst Gregor X. zum Kardinalbischof von Albano ernannt und mit der Organisation des Zweiten Konzils von Lyon betraut. Während des Konzils verstarb Bonaventura nach kurzer schwerer Krankheit.

In Dantes Göttlicher Komödie tritt Bonaventura im vierten Himmel, der Sonnensphäre, auf und berichtet vom Leben des heiligen Dominikus, während der Dominikaner Thomas von Aquin in hübscher Vertauschung die Lebensgeschichte des heiligen Franziskus erzählt.

1482 wurde Bonaventura von Sixtus IV. heiliggesprochen und 1588 als Doctor seraphicus von Sixtus V. zum Kirchenlehrer erklärt.

Zitate

Bonaventura bemüht sich um die Einheit der christlichen Weisheit gegenüber der Zweiheit von Philosophie und Theologie.[2] Grundlage aller Sicherheit beanspruchenden Erkenntnis ist für ihn, dass die Existenz Gottes eine unbezweifelbare Wahrheit ist.

„Das Erkenntnisvermögen hat nämlich in sich selbst, so wie es geschaffen ist, ein Licht, das ausreicht, jenen Zweifel (ob Gott ist), weit von sich zu weisen [...]. Im Falle des Toren versagt dieses Erkenntnisvermögen eher freiwillig als zwangsweise [...].“

Bonaventura, Quaestiones disputatae de mysterio Trinitatis I, 1 ad 1.2.3

Zu Beginn seiner vierten Collatio in Hexaemeron findet sich eine scharfe Kritik der Philosophen. Man müsse sich davor hüten, die Aussagen und Thesen der Philosophen allzu sehr zu empfehlen und zu schätzen. Diese seien unfähig, sich von Finsternis und Irrtum zu trennen und hätten sich in noch größere Irrtümer verstrickt:

„[...] und indem sie sich weise nannten, wurden sie zu Toren; indem sie auf ihr Wissen stolz waren, wurden sie zu Gefolgsleuten Luzifers.“

Bonaventura, Collationes in Hexaemeron IV, 1 (V 349a)

Gott ist das Gute selbst (ipsum bonum) und das Sein selbst (ipsum esse). Da Gott reines Sein ist, ist sein Nichtsein undenkbar. Da er das Gute selbst ist, kann über Gott hinaus nichts Größeres gedacht werden. Das Gute teilt sich selbst mit (bonum est diffusivum sui), es kommt zu einer Selbstentfaltung bzw. einem Selbstaufschluss.

„Denn das Gute wird das sich selbst Verströmende genannt; das zuhöchst Gute ist also das, was sich im höchsten Maße selbst verströmt. Das höchste Sich-Verströmen aber kann nur ein Wirkliches und Innerliches sein, ein In-sich-Stehendes und Personales, ein dem Wesen Entsprechendes und Willentliches, ein Freies und Notwendiges, ein Unaufhörliches und Vollendetes.“

Bonaventura, Itinerarium mentis in Deum VI 2 (V 310b)

Die Stufen der Demut

Von Bonaventura sind die sechs Stufen der Gottesliebe oder der Verachtung bekannt. Diese beginnen damit, dass sich der Mensch als verachtenswert sieht. Dann fühlt er sich immer tiefer in seinem Inneren als verachtenswert. Er benennt sich nun als verachtenswert. In der vierten Stufe möchte er von Anderen als verachtenswert gesehen werden. Dies führt ihn dazu, von aller Welt als verachtenswert benannt zu werden. In der sechsten Stufe wird er schließlich von der Welt als ein Verachtenswerter behandelt.

Diese Stufen erscheinen völlig widersprüchlich zu allen zeitgemäßen Idealen. Unter Berücksichtigung sogenannter „geistiger Gesetzmäßigkeiten“ oder der „Gesetze der geistigen Weltordnung“ (nach Rudolf Steiner), von denen Bonaventura offensichtlich wusste, werden sie aber hochaktuell.

Aktualität im Sinne der Entwicklung des Menschen

Bonaventura aus Raffaels Disputa
(SM 6174z)

Eine geistige Gesetzmäßigkeit besagt nach den geistigen Forschungen von Heinz Grill, dass die Entwicklung des Menschen nicht aus dem genommen werden kann, was er bisher geworden ist, sondern durch Aufnehmen von Neuem bewusst eingeleitet werden muss durch Lernen, konkret durch Konzentration und Meditation auf weisheitsvolle und hohe Gedanken. Deswegen ist vom Menschen in einem bestimmten Sinne „Selbstverleugnung“ leisten. Heinz Grill führte diesen Zusammenhang in einem Vortrag vom 2. Januar 2007[3] folgendermaßen aus:

„Der Mensch ist ein Paradoxon, ein Umkehrwesen. Er trägt das Fremde in sich und das Eigene außerhalb von sich. So unverständlich für die Welt verhält sich tatsächlich der Grundbaustein der beginnenden Meditation. Das, was er kontrollieren muss, das trägt er in sich, das ist er gewissermaßen in seiner weltlichen oder bekannten Stimmung, und das, was er nicht ist, das liegt außerhalb, das muss er hereinnehmen lernen, das muss er zu seiner Identität schaffen. Für den heutigen Menschen, der sehr selbstbewusst und weltlich identifiziert ist, ist es sehr ketzerisch, was damit ausgesprochen ist, ist es so eigenartig, dass der Mensch das tun muss, was er nicht ist. Er muss dort ansetzen, wo er sich nicht befindet, und dort, wo er sich befindet, muss er Selbstkontrolle üben. Ist das nicht eigenartig?

Die Geistschulung muss in eine Arbeit oder in eine Disziplin eintreten, die im wahrsten Sinne nichts anderes darstellt als Selbstverleugnung. Der Aspirant muss sich selbst verleugnen, um Geist zu werden. Deshalb wussten die alten Mystiker noch, wie zum Beispiel Bonaventura, dass die erste Stufe der Gottesliebe darin liegt, im Leben verachtet zu werden. Verachtet zu werden im Leben ist die erste Stufe des Geistes. Bonaventura steigerte dann diese Stufen des Geistes, indem er dann in der letzten Stufe angab, die intensivste Liebe zu Gott entsteht dann, wenn das intensivste Wollen dazu entsteht, von allen Menschen verachtet zu werden und als verachtet betrachtet zu werden.

Ganz widersprüchlich zu allen bekannten zeitgemäßen Idealen sind solche Schilderungen. Der Leser kann niemals erfassen, was jener Mystiker in den Sinnen gefühlt hat, wenn er nicht zugrunde legt, dass sich da im Menschen etwas Karmisches durch Schicksalsschläge, durch Internalisierungsprozesse bewegt, und dieses Karmische schließlich gerade das ist, das der Kontrolle einmal unterzogen werden muss. Selbst der Weise ist damit fast überfordert. Dasjenige zu kontrollieren, das da im Inneren ist, heißt im Klartext nichts anderes, als sich selbst in Frage zu stellen, aber es heißt noch mehr. Es heißt, sich selbst zurückzustellen, sich selbst zu verleugnen, und es ist darüber hinaus der nächste Prozess in Bewegung zu setzen, das ist diese Bewegung, die dahingehend ausgerichtet ist, dass ein Gedanke gepflegt wird und zur Konzentrationsintensivierung erhoben wird, der im Moment noch gar nichts zu tun hat mit den eigenen persönlichen Umständen. Ein neuer Gedanke wird hereingenommen von einer größeren Warte, von einer spirituellen Seite oder von einer Dimension, die wir als imaginativ, inspirativ bezeichnen. Es wird etwas hereingenommen, das der Mensch nicht ist. Es wird praktisch dasjenige unter eine natürliche Ordnung, Kontrolle oder ruhige Zurückweisung gebracht, das dem organischen Innenleben des vegetativen, des aufgespeicherten karma-Daseins entspricht.“

Aktualität bei Angriffen gegen Spiritualität

Angriffe gegen geistig tief gegründete Persönlichkeiten gibt es von der Vergangenheit bis in die Gegenwart. Wie wurden beispielsweise Jakob Böhme oder Rudolf Steiner zu Lebzeiten und ihre Person und ihr Werk nach dem Tode angegriffen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Geistige Schulungswege werden angegriffen und Personen, die sie mit vollem Ernst und Überzeugung beschreiten, als Sektenangehörige, als Abhängige und mit vielen weiteren verachtenden und ausgrenzenden Worten bezeichnet.

Eine weitere Gesetzmäßigkeit, die im Geistigen besteht und die diese Stufen der Demut des Bonaventura unter einem zweiten Aspekt sehr zeitaktuell werden lassen, formuliert Heinz Grill so:[4]

„Derjenige, der irrational oder unsachlich und zu persönlich beschuldigt wird, entledigt sich des Karma seiner eigenen Schuld, während der, der die denunzierende Attacke führt, das Karma seines Gegenübers aufnimmt.“

Bonaventura da Bagnoregio (Tiberio d'Assisi)

Bonaventura scheint intuitiv gewusst zu haben, dass die Verachtung oder der Spott in der Welt die Seele im Sinne des Geistes erhebt und es scheint ihm klar gewesen zu sein, wie auf der einen Seite die grausamen Beurteilungen der weltlichen Maßstäbe fast wie notwendig erscheinen, um auf der verborgenen anderen Seite des Seelenerlebens jene ersehnte Gottesnähe in den geistigen Welten zu erfahren.

Heinz Grill schließt den zitierten Artikel mit den Worten:[4]

„Auf Beschuldigungen kann man nur sachlich reagieren, aber man darf keinesfalls die Schuld, die der Andere projizieren möchte, übernehmen. Jene Menschen, die sich zu Schuldzuweisungen und Denunzierung getrieben fühlen, geben sich bis hinein in ihre wertvollsten Eigenschaften der Seele auf. Äußerlich gesehen mögen Denunzianten im irdischen Leben sehr wohlgefällig erscheinen. Die Richtersprüche, die verschiedene Menschen über ihre Lehrer oder über ihre Nächsten aussprechen, sind niemals konstruktiv und sie geschehen ohne die Kenntnis der wirklichen Moralität und Weisheit des Lebens. Vielfach erhalten aber die Denunzianten und emotional richtenden Personen gerade durch ihre Taten Energie. Sie stoßen nicht selten auf viele Befürworter und können sich im Eifer für das anzuprangernde Schlechte im Anderen zu besonderen Gerechtigkeitsvertretern hochstilisieren. In der Seele büßen sie mit ihren Urteilen ihre Entwicklung ein und müssen das Karma von denen, die sie anprangern, übernehmen.“

Siehe auch

Werkausgaben

  • Doctoris Seraphici S. B. Opera omnia, 10 Bde., hg. in Quaracchi 1882–1902, Digitalisat, Bände bei archive.org; Stanford.
  • Opera theologica selecta, 4 Bde., 1934–1949.
  • Mystisch-ascetische Schriften, hg. und Übers. Siegfried Johannes Hamburger 1923.
  • Collationes in Hexaemeron (1273).
    • Collationes in Hexaemeron, hg. F. M. Delorme, Quaracchi 1934.
    • Collationes in Hexaemeron. Das Sechstagewerk. Übers. von Wilhelm Nyssen, 1964.
  • Quaestiones disputatae:
    • De mysterio trinitatis (1254–1255), Online: ital.
    • De scientia Christi (1254), Übers. von Andreas Speer, Meiner, Hamburg 1992.
    • De perfectione evangelica (1254 ff).
  • Itinerarium mentis in Deum (1259).

Literatur

Einzelnachweise

  1. nach anderen Quellen trat er vielleicht schon 1238 in den Orden ein oder aber auch erst 1244.
  2. Andreas Speer, Bonaventura, in: Theo Kobusch (Hrsg.), Philosophen des Mittelalters, WBG, Darmstadt 2000, S. 169.
  3. Heinz Grill: Rückblick auf das vergangene Jahr 2006. Vortrag: Ausgeglichenheit und Vulnerabilität. Lammers-Koll-Verlag, Broschüre, 2007. S. 43–44.
  4. 4,0 4,1 Wie übernimmt man Karma von seinen Mitmenschen? Artikel, abgerufen am 6. November 2023.
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