Chaldäer

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Die Chaldäische Reihe.

Die Chaldäer (akkadisch kurKašdu, assyrisch und spätbabylonisch kurKaldu, hebräisch kasdîm, aramäisch kasdajja) waren ein aramäischer Stamm des semitischen Volkes des Altertums im 1. Jahrtausend v. Chr., der von der Küste des Persischen Golfes in das südliche Babylonien (Chaldäa) vorgedrungen war. Ihre Wurzeln reichten möglicherweise über den Oman bis nach Jemen, obwohl gesicherte Erkenntnisse darüber fehlen. Schon in vielen antiken Quellen wurden sie häufig mit dem nahezu gleichnamigen Volk der Chaldaoi (griech. καλδαῑοι) oder Chalder verwechselt, das an den Ufern des Vansees in Ostanatolien lebte, aber in keiner Beziehung zu den babylonischen Chaldäern stand.

Unter ihrem König Nabopolassar errangen die Chaldäer 625 v. Chr. die volle Herrschaft über ganz Babylonien und von da an datiert man das Neubabylonische Reich. Da die Chaldäer sich ganz besonders auf Kalenderberechnungen und astronomisch-astrologische Beobachtungen und Deutungen verstanden und dadurch Babylonien zu einem Zentrum der Sternkunde aufstieg, wurde schon in der Antike ihr Name synonym für «Sternenkundige» aller Art gebraucht, die oft aber auch persischer oder medischer Abkunft waren.

Die Chaldäer entwickelten ein komplexes System zur Aufzeichnung von Planetenbewegungen, Mondphasen und Sonnen- und Mondfinsternissen und nutzten ihre Fähigkeiten in Mathematik und Geometrie, um präzise astronomische Berechnungen durchzuführen und entwickelten detaillierte Ephemeriden, die es ihnen ermöglichten, auch den künftigen Lauf der Planeten und die Perioden der Finsternisse vorherzusagen. Sie erstellten auch präzise Sternkataloge, in denen sie Sterne und Sternbilder klassifizierten und benannten und entwickelten das sumerische System des Tierkreises weiter und verfeinerten es, indem sie die Tierkreiszeichen standardisierten und ihnen feste Längengrade zuwiesen. Eines der bedeutendsten astronomischen Werke der Chaldäer ist das sogenannte Enūma Anu Enlil, eine Sammlung von mehr als 7.000 Keilschrifttafeln, die sorgfältige Beobachtungen des Himmels und astrologische Omen enthalten.[1]

Auf die Chaldäer geht insbesondere auch die sogenannte Chaldäische Reihe zurück, die im Tetrabiblos des Ptolemäus überliefert wurde, und noch heute die Reihenfolge unserer Wochentage bestimmt. Die Reihung «Saturn (Samstag) - Sonne (Sonntag) - Mond (Montag) - Mars (Dienstag) - Merkur (Mittwoch) - Jupiter (Donnerstag) - Venus (Freitag)» entspricht zugleich den sieben Weltentwicklungsstufen, die unser Planetensystem im Zuge seiner Entwicklung durchläuft. Die Chaldäische Reihe läßt sich ableiten, wenn man die klassischen sieben Planeten, beginnend mit dem Saturn, nach abnehmender siderischer Umlaufzeit im Uhrzeigersinn den Spitzen eines Siebensterns zuordnet und dann den Linien, die den Siebenstern bilden, ausgehend vom Saturn folgt.

In seinen Vorträgen über das Initiaten-Bewusstsein machte Rudolf Steiner deutlich, was als eigentliche geistige Realität hinter den mythologischen Bildern der Chaldäer steht, die aus einem Bewusstsein entsprungen sind, in dem der Unterschied zwischen dem Tagesbewusstsein und dem Traumleben noch nicht so scharf ausgeprägt war wie heute:

„Da wurde etwa im alten Chaldäa, sagen wir, folgendes gelehrt: Der Mensch erlebt die äußersten Grenzen des Daseins, bis zu denen er kommen kann mit seinen Seelenkräften, wenn er den geistigen, den Seelenblick auf den wunderbaren Gegensatz lenkt zwischen dem Leben, wenn er schläft - das Bewußtsein ist dumpf, der Mensch weiß nichts von seinem Leben - , und demjenigen Leben, das er verbringt, wenn er wach ist - es ist hell um den Menschen herum, der Mensch weiß von seinem Leben.

Anders wurden diese Wechselzustände zwischen Schlafen und Wachen vor Jahrtausenden empfunden. Der Schlaf war nicht so bewußtlos, das Wachen war nicht so bewußtvoll. Im Schlafe nahm man sich wandelnde, mächtige Bilder, webend-wellendes Weltenleben wahr; man war unter Wesenhaftem, wenn man schlief. Daß der Schlaf so bewußtlos geworden ist, ist erst mit der Entwickelung der Menschheit geschehen. Dafür aber war vor Jahrtausenden das Wachleben nicht so durchsonnt, nicht so durchleuchtet wie heute. Die Dinge hatten nicht feste Grenzen, waren verschwommen. Sie sprühten noch allerlei Geistiges aus. Es war kein so schroffer Übergang zwischen Schlafen und Wachen. Aber man konnte unterscheiden, und man nannte alles das, worinnen man lebte, im Wachen der damaligen Zeit, etwa «Apsu». Das war die Welt des Wachens.

Man nannte dasjenige, worin man war, wenn man schlief, das Webend-Wellende, das, wodurch man nicht so gut unterscheiden konnte, wie wenn man wach war, Mineralien, Tiere und Pflanzen, man nannte das «Tiamat».

Nun wurde in den chaldäischen Mysterien gelehrt: Mehr ist der Mensch im Wahren, im Wirklichen drinnen, wenn er im Tiamat schlafend webt, als wenn er wachend unter den Mineralien, Pflanzen und Tieren lebt. Tiamat ist ursprünglicher, ist mehr der Welt des Menschlichen verbunden als Apsu; Apsu ist unbekannter; Tiamat stellt dasjenige dar, was dem Menschen naheliegt. Aber es traten Veränderungen ein im Tiamat im Laufe der Zeit. So sagte man und lehrte man den Schülern der Mysterien. Aus dem Weben und Leben entstanden Dämonengestalten, pferdeähnliche Gestalten mit Menschenköpfen, löwenähnliche Gestalten mit Engelsköpfen. Sie entstanden aus dem Gewebe des Tiamat. Das, was da lebte als dämonische Gestalten, wurde dem Menschen feindlich.

Da aber trat in die Welt ein mächtiges Wesen ein: «Ea». Wer heute noch Laute fühlt, der fühlt in dem Zusammenklange von E und A den Hinweis auf jenes mächtige Wesen, das dem Menschen hilfreich im Sinne dieser alten Mysterienlehre zur Seite war, als die Dämonen aus Tiamat mächtig waren: Ea, la, was dann später, indem man die Seinspartikel «soph» voraussetzte, Soph Ea = Sophia wurde. Ea, ungefähr dasjenige, was wir mit dem abstrakten Worte: Weisheit, die in allen Dingen waltet, bezeichnen. Ia = die in allem waltende Weisheit, Sophia. Soph = eine Partikel, die ungefähr «seiend» bedeutet. Sophia, Sophea, Sopheia = die waltende Weisheit, die überall waltende Weisheit schickte dem Menschen einen Sohn, jenen Sohn, den man dazumal mit dem Namen bezeichnete: «Marduk», den wir gewohnt worden sind in einer etwas späteren Terminologie als Michael zu bezeichnen, als den aus der Hierarchie der Archangeloi heraus waltenden Michael. Das ist dieselbe Wesenheit wie Marduk, der Sohn von Ea, der Weisheit, Marduk-Michael.

Und Marduk-Michael - so ist die Mysterienlehre - war mächtig, groß und gewaltig. Und alle jene Dämonenwesen, wie Pferde mit Menschenköpfen, Löwengestalten mit Engelsköpfen, alle diese webenden, wogenden Dämonen standen eben in ihrem Zusammenhange als die große Tiamat ihm gegenüber. Er war mächtig, Marduk-Michael, den Sturmwind, der durch die Welt wogt, zu beherrschen. Also Tiamat, alles das wurde wesenhaft vorgestellt, mit Recht, denn so sah man es, wesenhaft. Alle diese Dämonen zusammen bildeten einen mächtigen Drachen, der feuerwütig sich entgegenstellte als die Summe all der Dämonengewalten, die aus Tiamat, der Nacht, herausgeboren wurden. Als sein Wesen feuerwütig Marduk-Michael entgegentrat, da stieß er ihm erst seine anderen Waffen, dann die ganze Gewalt des Sturmwindes in die Eingeweide, und das Wesen Tiamat barst und rollte auseinander, zerbarst in alle Welt. Und Marduk-Michael konnte oben formen den Himmel und unten die Erde. Und so entstand das Oben und Unten.

Und so lehrte man in den Mysterien: Der große Sohn der Ea, der Weisheit, er hat Tiamat bezwungen und aus einem Teil des Tiamat das Obere, die Himmel gebildet, aus einem anderen Teil des Tiamat das Untere, die Erde gebildet. Siehst du hin in die Himmel zu den Sternen, o Mensch, dann siehst du einen Teil desjenigen, was aus den furchtbaren Abgründen der Tiamat Marduk-Michael oben geformt hat zum Heile der Menschen.

Und siehst du nach unten, wo die Pflanzen aus dem mineraldurchsetzten Irdischen wachsen, wo die Tiere sich gestalten, dann findest du den anderen Teil, den der Sohn der Ea, der Weisheit, aus Tiamat zum Heile der Menschheit umgeformt hat.

Und so sah jene alte Menschheitszeit im alten Chaldäa zurück auf ein Gestalten in der Welt, sah hin auf Wesenhaftes. Alles das empfand man wesenhaft: diese Dämonengestalten, die die Nacht bevölkerten, all das, was aus diesen Nachtgestalten, aus den waltenden, webenden Wesenheiten in der Tiamat, die ich Ihnen geschildert habe, Marduk-Michael geformt hat als oben die Sterne, als unten die Erde - all das, was uns aus den Sternen entgegenglänzt: umgewandelte, durch Marduk-Michael umgewandelte Dämonen - all das, was uns aus der Erde selber herauswächst: durch Marduk-Michael umgewandelte Haut, umgewandeltes Gewebe von Tiamat, so sah man in alten Zeiten dasjenige an, was man durch die alten Seelenfähigkeiten sich vergegenwärtigen konnte. Das war Erkenntnis.“ (Lit.:GA 243, S. 22ff)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Rochberg, F. (2004). The Heavenly Writing: Divination, Horoscopy, and Astronomy in Mesopotamian Culture. Cambridge: Cambridge University Press.