Drei-Welten-Lehre

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Gottlob Frege (1878)
Sir Karl Popper (1980)
Sir Roger Penrose (2011)

Die Drei-Welten-Lehre beruht auf der ontologischen Annahme von drei Welten und ist bereits in der klassischen griechischen Philosophie vorgebildet, wo schon zwischen Physis (Leib), Psyche (Seele) und Logos (Geist) unterschieden wurde. Dem entspricht auch die von Rudolf Steiner formulierte anthroposophische Auffassung, wonach der Mensch eine dreigliedrige Wesenheit aus Leib, Seele und Geist sei:

„Durch seinen Leib vermag sich der Mensch für den Augenblick mit den Dingen in Verbindung zu setzen. Durch seine Seele bewahrt er in sich die Eindrücke, die sie auf ihn machen; und durch seinen Geist offenbart sich ihm das, was sich die Dinge selbst bewahren. Nur wenn man den Menschen nach diesen drei Seiten betrachtet, kann man hoffen, Aufschluß über seine Wesenheit zu erhalten. Denn diese drei Seiten zeigen ihn in dreifach verschiedener Art mit der übrigen Welt verwandt. Durch seinen Leib ist er mit den Dingen verwandt, die sich seinen Sinnen von außen darbieten. Die Stoffe der Außenwelt setzen diesen seinen Leib zusammen; die Kräfte der Außenwelt wirken auch in ihm. Und wie er die Dinge der Außenwelt mit seinen Sinnen betrachtet, so kann er auch sein eigenes leibliches Dasein beobachten. Aber unmöglich ist es, in derselben Art das seelische Dasein zu betrachten. Alles, was an mir leibliche Vorgänge sind, kann auch mit den leiblichen Sinnen wahrgenommen werden. Mein Gefallen und Mißfallen, meine Freude und meinen Schmerz kann weder ich noch ein anderer mit leiblichen Sinnen wahrnehmen. Das Seelische ist ein Gebiet, das der leiblichen Anschauung unzugänglich ist. Das leibliche Dasein des Menschen ist vor aller Augen offenbar; das seelische trägt er als seine Welt in sich. Durch den Geist aber wird ihm die Außenwelt in einer höheren Art offenbar. In seinem Innern enthüllen sich zwar die Geheimnisse der Außenwelt; aber er tritt im Geiste aus sich heraus und läßt die Dinge über sich selbst sprechen, über dasjenige, was nicht für ihn, sondern für sie Bedeutung hat. Der Mensch blickt zum gestirnten Himmel auf: das Entzücken, das seine Seele erlebt, gehört ihm an; die ewigen Gesetze der Sterne, die er im Gedanken, im Geiste erfaßt, gehören nicht ihm, sondern den Sternen selbst an. So ist der Mensch Bürger dreier Welten. Durch seinen Leib gehört er der Welt an, die er auch mit seinem Leibe wahrnimmt; durch seine Seele baut er sich seine eigene Welt auf; durch seinen Geist offenbart sich ihm eine Welt, die über die beiden anderen erhaben ist.“ (Lit.:GA 9, S. 27f)

Der deutsche Logiker, Mathematiker und Philosoph Gottlob Frege unterschied in seiner 1918 veröffentlichten Schrift «Der Gedanke» die Welt der objektiven physischen Gegenstände, die Welt des (menschlichen) Bewusstseins, in der wir es mit subjektiven Vorstellungen zu tun hätten, und die Welt der an sich existierenden objektiven Gedankeninhalte, wie z.B. logische und mathematische Sätze. Diese objektiven Gedankeninhalte seien weder Dinge der Außenwelt, noch bloße Vorstellungen, wenngleich sie auch als solche im Bewusstsein erscheinen. Dennoch hätten sie eine eigenständige, vom Träger des Bewusstseins unanhängige Wirklichkeit:

„Ein drittes Reich muß anerkannt werden. Was zu diesem gehört, stimmt mit den Vorstellungen darin überein, daß es nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann, mit den Dingen aber darin, daß es keines Trägers bedarf, zu dessen Bewußtseinsinhalte es gehört. So ist z. B. der Gedanke, den wir im pythagoreischen Lehrsatz aussprachen, zeitlos wahr, unabhängig davon wahr, ob irgendjemand ihn für wahr hält. Er bedarf keines Trägers. Er ist wahr nicht erst, seitdem er entdeckt worden ist, wie ein Planet, schon bevor jemand ihn gesehen hat, mit andern Planeten in Wechselwirkung gewesen ist.[1]

Gottlob Frege: Der Gedanke, S 69

Eine Drei-Welten-Lehre vertrat insbesondere auch Sir Karl Raimund Popper. Die Welt der objektiven Gedankeninhalte, die er schlicht „Welt 3“ nennt, werde zwar vom Menschen hervorgebracht, habe aber in der Folge eine eigene, von ihm unabhängige, objektive Existenz, wie es ähnlich auch Charles S. Peirce behauptet hatte. Das Bewusstsein vermittelt zwischen der physikalischen Welt und der „Welt 3“.

Für den englischen Mathematiker und theoretischen Physiker Sir Roger Penrose (* 1931) ist die primäre und höchste Wirklichkeit der platonisch-mathematische Logos, von dem die Welt der uns gegebenen physikalischen Realität nur eine kleine Teilmenge sei, da auch noch ganz andere Naturgesetze denkbar wären. Die Entstehung des Bewusstseins, das zwischen diesen beiden, sehr komplex miteinander verwobenen Welten vermittelt, versucht Penrose durch quantenmechanische Prozesse im hochentwickelten Nervensystem des Menschen zu erklären. Für diese dritte Welt, die Welt des bewussten menschlichen Geistes, erscheint Penrose dabei die prinzipielle Möglichkeit, den Logos erkennen zu können, von besonderer Bedeutung.

Die Drei-Welten-Kosmologie des Tengrismus

Schematische Zeichnung einer Schamanentrommel mit der darauf dargestellten Grundsymbolik der tengristischen Drei-Welten-Kosmologie. Der senkrechte Pfeil symbolisiert den Weltenbaum, der in der Mitte der Welt steht und Unterwelt, irdische Welt und Himmel miteinander verbindet. Die oben vom Horizont nach unten weisenden kleinen Striche symbolisieren die Erd- und Wassergeister.
Hauptartikel: Drei-Welten-Kosmologie

Im Mittelpunkt der Drei-Welten-Kosmologie des schamanischen Tengrismus steht der nicht-personifizierte Himmelsgott Tengri, der den „ewigen blauen Himmel“ (mongol. Mönkh khökh Tengeri), die obere Welt, die Himmelswelt, repräsentiert.

In der mittleren Welt steht der Mensch, der seine persönliche, in der Brust wohnende geistige Kraft, das Windpferd (mongol. *хиймори, Chiimori), so im Gleichgewicht zu halten sucht, dass er im harmonischen Einklang mit der Natur lebt, wobei ihm verschiedenste Naturgeister und Ahnen helfend zur Seite stehen, mit denen der Schamane in der durch Trance induzierten Ekstase verkehren und so auch böse Geister abwehren und Krankheiten heilen kann. Er ist der Mittler zwischen den Welten, die sich in einem ewigen geschlossenen Kreislauf bewegen.

Zu Füßen der Menschenwelt liegt die - ebenfalls nicht-personifizierte - fruchtbare Mutter Erde (mongol. Gazar Eje; türk. Yer Ana), die untere Welt, die mit ihren Töchtern den Menschen trägt und nährt. Prächtig wachsende Bäume zeigen an, dass die Erdenmutter gut gestimmt und mit den Menschen zufrieden ist. Die unterirdische Welt, die Unterwelt, in der auch die bösen Geister wohnen, wird von Erlik Khan (mongol. Erleg Han), einem Sohn des Himmelsgottes Tengri, beherrscht.

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Man sieht ein Ding, man hat eine Vorstellung, man faßt oder denkt einen Gedanken. Wenn man einen Gedanken faßt oder denkt, so schafft man ihn nicht, sondern tritt nur zu ihm, der schon vorher bestand, in eine gewisse Beziehung, die verschieden ist von der des Sehens eines Dinges und von der des Habens einer Vorstellung.