Gen

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Animiertes Strukturmodell einer DNA-Helix in B-Konformation. Die Stickstoff (blau) enthaltenden Nukleinbasen liegen waagrecht zwischen zwei Rückgratsträngen, welche sehr reich an Sauerstoff (rot) sind. Die Kohlenstoffatome sind grün dargestellt.
DNA unter dem Elektronenmikroskop

Gene bilden nach gegenwärtiger naturwissenschaftlicher Auffassung die materielle Basis der Erbanlage, durch die die biologische Information eines Lebewesens durch Reproduktion auf die folgende Generation weitergegeben wird. Die Bezeichnung „Gen“ wurde 1909 von dem dänischen Botaniker Wilhelm Ludvig Johannsen (1857-1927) geprägt[1].

Als Gen wird heute zumeist ein Abschnitt der DNA (Desoxyribonukleinsäure) bezeichnet, der in eine biologisch aktive RNA (Ribonukleinsäure) transkripiert wird, die regulatorische Aufgaben erfüllt oder der Proteinsynthese dient und damit das Eiweiß liefert, dass den Körper aufbaut. Die alte Definition, dass ein Gen jeweils ein Protein codiert, ist längst überholt[2]. Eine modernere Definition von 2007 lautet: „Das Gen ist eine Vereinigung genomischer Sequenzen, die einen kohärenten Satz potentiell überlappender funktioneller Produkte codieren.“[3]

Die Entdeckung der Gene

Die Existenz solcher materieller Erbfaktoren wurde erstmals von Johann Gregor Mendel vorgeschlagen, der 1854 begonnen hatte, die Vererbung von Merkmalen bei Erbsen zu untersuchen und dabei die später nach ihm benannten Mendelsche Regeln entdeckte und im Februar 1865[4][5] erst5mals vorstellte.

1869 entdeckte der Schweizer Arzt Friedrich Miescher, der im Labor von Felix Hoppe-Seyler im Tübinger Schloss.[6] in einem Extrakt aus Eiter eine durch milde Säurebehandlung aus den Zellkernen der Leukozyten[7] gewonnene Substanz, die er Nuklein nannte und heute als DNA wohl bekannt ist und als der gesuchte materielle Träger der Erbinformation gilt. 1919 identifizierte Phoebus Levene die Bestandteile der DNA, die aus vier verschiedenen stickstoffhaltigen Basen, einem Zucker (Ribose bzw. Desoxyribose) und einem Phosphatrest aufgebaut ist[8] und schlug eine kettenartige Struktur der DNA-Moleküle vor. Der genaue strukturelle Aufbau der DNA wurde 1953 von James Watson und Francis Crick in ihrem berühmten Artikel Molecular Structure of Nucleic Acids: A Structure for Deoxyribose Nucleic Acid beschrieben[9].

Genetische Variation

Genetische Variationen entstehen, wenn durch Mutation neue Variatianten eines Gens an einem bestimmten Genlocus (der physischen Position des Gens im Genom) eines Chromosoms gebildet werden[10]. Treten mehrerer Genvarianten innerhalb einer Population auf, liegt ein Polymorphismus (griech. πολυμορφισμός Vielgestaltigkeit) vor. Die Varianten können sich in einzelnen Positionen der Nukleotidsequenz unterscheiden und werden Allele (von griech. αλλήλων allélon „einander, gegenseitig“) genannt. Die relative Häufigkeit eines Allels innerhalb eine Population nennt man Allelfrequenz (auch: Allelhäufigkeit). Sie errechnet sich aus der Anzahl der Kopien eines bestimmten Allels dividiert durch die Gesamtzahl der Kopien aller Allele und verändert sich im Lauf der Evolution. Analog dazu gibt die Genfrequenz (auch: Genhäufigkeit) die relative Häufigkeit eines in mehreren Kopien vorliegenden Gens im Genom eines einzelnen Individuums an.

Die Gesamtheit aller Allele bildet den Genpool einer Population. Genetische Variation sind oft durch die Veränderung des Phänotyps erkennbar, bei Pflanzen z.B. durch eine andere Blütenfarbe. Sie können aber auch auf den Genotyp beschränkt bleiben und treten dann nicht augenfällig in Erscheinung.

Die Ergebnisse des Humangenomprojekts haben gezeigt, dass die Menschen weltweit in 99,9 % ihres Genoms übereinstimmen. Da das menschliche Genom aus etwa 23.000 Genen mit insgesamt 3,27 × 109 Basenpaaren besteht, ist die genetische Variation dennoch sehr hoch und umfasst nach heutiger Kenntnis mehr als 10 Millionen Polymorphismen und ständig werden neue entdeckt. Diese genetischen Variationen bestimmen den vererbten Anteil der phänotypischen Variationen, der sich durch Merkmale wie Hautfarbe, Körpergröße, Anfälligkeit für verschiedene Krankheiten und möglicherweise auch psychische Faktoren äußert.

Genregulation und Genexpression

Die Genexpression, im engeren Sinn also die Biosynthese der körpereigenen Proteine, hat eine entscheidende Bedeutung dafür, wie sich der Genotyp in der äußeren Erscheinung als Phänotyp manifestiert. Dazu ist für die Genregulation auf physischer Ebene ein komplexes System von Regulationsmechanismen nötig, das nach heutigem Wissensstand auf dem geordneten Zusammenspiel genetischer und epigenetischer Faktoren beruht.

Die Transkription der DNA in die für die zur Protein-Synthese benötigte RNA wird durch spezielle, sehr komplexe Enzyme, die sog. RNA-Polymerasen (genauer DNA-abhängige RNA-Polymerasen) katalysiert. Während Bakterien nur über eine einzige RNA-Polymerase verfügen, die für die Expression aller Gene verantwortlich ist, kann man bei Eukaryoten hingegen vier verschiedene Formen der RNA-Polymerase unterscheiden. 2006 wurde dem US-amerikanische Chemiker Roger D. Kornberg für die Aufklärung des Transkriptionsmechanismus mittels der RNA-Polymerasen der Nobelpreis für Chemie verliehen.

Genom

Die Gesamtheit aller Gene bildet das Genom, das den Genotyp des Lebenwesens bestimmt, und sich in identischer Form als Erbgut im Zellkern jeder einzelnen seiner Körperzellen befindet. Im Rahmen des im Herbst 1990 begründeten Human Genome Projects wurde der genaue Aufbau des menschlichen Genoms untersucht, das seit April 2003 offiziell als vollständig entschlüsselt gilt, wobei allerdings die Funktion vieler Gene noch nicht geklärt ist. Das menschliche Genom enthält rund 20.000 proteincodierende Genen[11], was verglichen mit oft viel primitiver erscheinenden Lebewesen überraschend wenig ist und nur etwa 1,06% der menschlichen DNA entspricht[12]. Nahezu 99% der menschlichen DNA codiert also keine Proteine!

Die Genomgröße ist durch die Menge der im Genom vorhandenen DNA bestimmt. Sie wird entweder in Pikogramm (pg) oder durch die Anzahl der vorhandenen Basenpaare (bp) angegeben. 1 pg doppelsträngiger DNA entspricht etwa 0,978·109 bp. Das menschliche Genom besteht aus etwa 23.000 Genen mit insgesamt 3,27 × 109 Basenpaaren. Aneinandergereiht ist die DNA einer menschlichen Zelle rund 1,80 m lang.

Morphogenese

Hauptartikel: Morphogenese

Es ist bis heute noch nicht ansatzweise gelungen, mit den beschriebenen physikalischen und biochemischen Prozessen die Morphogenese auch nur der einfachsten Zelle konkret zu erklären. So schreibt etwa Julius Thomas Fraser:

„Entgegen der Annahme, daß gewisse körperliche Kennzeichen in den Genen verankert seien, vermitteln diese wunderbaren tanzenden Dinge nicht «vom Vater die Statur, vom Mütterchen die Frohnatur». Nirgendwo ist im Verlauf und beim Kopieren der ursprünglichen Melodie etwas darüber gesagt worden, wie eine Zelle gebaut ist, ganz zu schweigen vom Körper. Das ursprüngliche Lied wird mit vielen Veränderungen nur als Fahrplan gebraucht, das den Ribosomen zeigt, wie und in welcher Reihenfolge sie Aminosäuren lehren können, einer bestehenden Umwelt Komponenten zu entnehmen, damit sie Proteine herstellen können.“ (Lit.: Fraser, S. 183)

Ähnlich betont auch Marek B. Majorek:

„Selbst wenn man aber auf der Basis der im Genom befindlichen „Information“ die Synthese bestimmter Proteine in bestimmten Zellarten erklären könnte, wäre das Rätsel der Morphogenese noch nicht gelöst. Denn das Hauptproblem des gegenwärtigen Erklärungsparadigmas liegt nicht darin, dass es nicht imstande ist, die Differenzierung der Zygote in unterschiedliche Zellarten befriedigend zu erklären, sondern dass es überhaupt nicht imstande ist, die Entstehung selbst einer einzigen Zelle, geschweige denn eines komplexen Organismus zu erklären. Im Erfolgsrausch der täglich neuen punktuellen Entdeckungen auf immer tieferen Ebenen der subzellularen Prozesse wird nämlich die unangenehme Tatsache völlig übersehen, dass die moderne Molekularbiologie uns im besten Fall Teileinsichten in die Mechanismen bietet, welche zur Fabrikation der Rohstoffe des Organismus, der Proteine, führen, dass sie uns aber keine Einsicht darin gibt, wie aus diesen Rohstoffen die komplexen Strukturen einer Zelle entstehen können, geschweige denn wie es dazu kommt, dass aus Millionen oder sogar Milliarden unterschiedlichen Zellen komplexe Organe gebildet werden und wie diese komplexen Organe zu einem harmonischen und weisen Zusammenwirken innerhalb eines Organismus gelangen.“ (Lit.: Majorek, S. 555)

Um die Morphogenese zu erklären, hat beispielsweise Rupert Sheldrake die - allerdings wissenschaftlich nur wenig anerkannte - Theorie des morphischen Feldes entwickelt bzw. weiterentwickelt und auch verschiedene Experimente zu ihrer Evaluierung durchgeführt bzw. vorgeschlagen.

Aus anthroposophischer Sicht steht hinter der in der Natur wirkenden Information als konkrete Realität die Welt der ätherischen Bildekräfte. Rudolf Steiner unterscheidet dabei verschiedene Arten von Ätherkräften: den Wärmeäther, den Lichtäther (der nichts mit dem veralteten und längst verworfenen Ätherkonzept der Physik zu tun hat), den Klangäther und den eigentlichen Lebensäther. Alle diese Kräfte sind an der Gestaltung der lebendigen Organismen im Wechselspiel mit den rein physischen Erbfaktoren mit beteiligt. Johannes W. Rohen schreibt daher bezüglich der Morphogenese:

„Der moderne Mensch wird natürlich an dieser Stelle sofort auf das Genom verweisen, in dem ja alle diese «ätherischen» Lebensprozesse, wie Vererbung, Rhythmik und Entwicklung, als «Programm» fixiert seien. Es ist natürlich richtig, dass die Chromosomen mit ihrer DNA ein genetisches Programm enthalten, das vom Organismus «nur» abgerufen zu werden braucht, um die entsprechenden Entwicklungsvorgänge in Gang zu setzen. Man hat diesen DNA-Code berechtigterweise mit einer Schrift verglichen, die insgesamt einen Text darstelle, der dann die «Befehle» für die notwendigen Lebensprozesse in der jeweiligen Entwicklungsphase erteilen soll. Derjenige, der sich mit diesen Erklärungen zufriedengibt, übersieht einen kardinalen Denkfehler. Wer liest denn diese Schrift - und wer erteilt letztlich die «Befehle»!? Ein chiffrierter Code hat ja keinen Inhalt - wie der Computer mit seinen zwei Zeichen (ja und nein oder + und -) zwar alles ver- und entschlüsseln kann, aber über die Bedeutung, d.h. den eigentlichen Inhalt, natürlich niemals etwas aussagen kann. Im Genom haben wir zwar eine «Geheimschrift des Lebendigen», nicht aber das Lebendige selbst vor uns. Der Ätherleib ist es, der diese Schrift entziffern und in «Befehle» umsetzen kann.“ (Lit.: Rohen, S. 20)

Gene werden vielfach auch für die Entstehung von Krankheiten verantwortlich gemacht. Volker Fintelmann hebt demgegenüber die Tätigkeit des menschlichen Ichs hervor, das die Gene gleichsam als Instrument benutzt, um darauf seine „Lebensmelodie“ zu spielen:

„Anthroposophie sieht im Ich den Teil des Menschen, der der Bestimmende oder „Verursachende“ ist. Ich ist substanziell auch Wille oder Intention. Deshalb ist das Genom die geschaffene Klaviatur, auf der das Ich seine Biografie komponiert, so wie der Musiker die Gesetzmäßigkeiten von Tönen, Tonarten, Intervallen, Rhythmen in der Musik nutzt, um seine Kompositionen zu schaffen. Wie alle Komponisten die absolut gleichen Grundlagen und Voraussetzungen haben, haben die Menschen ein einheitliches Genom, welches der geistige Kern oder das Ich nutzt, um seine „Lebensmelodie“[13] zu bilden. Das heißt aber auch: Jede Krankheit zeigt einen Zusammenhang mit der Ich-Tätigkeit und ist insofern immer individuell geprägt!“ (Lit.: Fintelmann, S. 221 f.)

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1.  Wilhelm Ludwig Johannsen: Elemente der exakten Erblichkeitslehre mit Grundzügen der biologischen Variationsstatistik. 1913 (Onlinefassung).
  2. Helen Pearson: What is a Gene?, in: Nature 441, S. 399 – 401 doi:10.1038/441398a pdf
  3. „The gene is a union of genomic sequences encoding a coherent set of potentially overlapping functional products.“ (Mark B. Gerstein et al.: What is a gene, post-ENCODE? History and updated definition, in: Genome Research 2007, 17, S. 669-681 doi:10.1101/gr.6339607 online)
  4. Uwe Hoßfeld, Michael V. Simunek: 150 Jahre Mendels Vortrag „Versuche über Pflanzen-Hybriden“. 2015, S. 238.
  5. J. G. Mendel: Versuche über Pflanzenhybriden. In: Verhandlungen des Naturforschenden Vereins Brünn. Band 4, 1865, S. 3–47.
  6. Hubert Mania: Ein Opfer der wissenschaftlichen Vorurteile seiner Zeit. Die DNS wurde bereits 1869 im Tübinger Renaissanceschloss entdeckt. Auf: Telepolis. 17. April 2004.
  7. Bärbel Häcker: DNS. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 316 f.; hier: S. 316.
  8.  P. Levene: The structure of yeast nucleic acid. In: J Biol Chem. 40, Nr. 2, 1919, S. 415–424 (http://www.jbc.org/content/40/2/415.citation).
  9. J. D. Watson, F. H. Crick: Molecular structure of nucleic acids. A structure for deoxyribose nucleic acid. In: Nature. Band 171, Nr. 4356, 1953, S. 737–738. PMID 13054692 (Volltext, PDF; 368 kB)
  10. David Sadava, David M. Hillis, H. Craig Heller, May R. Berenbaum: Purves Biologie. Dt. Übersetzung hrsg. von Jürgen Markl. 9. Auflage 2011. S. 1687.
  11. Wenn die Welt an einem Strang zieht: Das Humangenomprojekt (HGP). In: ngfn.de. Nationales Genomforschungsnetz, abgerufen am 31. Januar 2016.
  12. Deanna M. Church: Lineage-Specific Biology Revealed by a Finished Genome Assembly of the Mouse, in: PLoS Biol 7(5), 2009 doi:10.1371/journal.pbio.1000112 online
  13. Lawrence LeShan: Psychotherapie gegen den Krebs, Klett-Cotta, Stuttgart 1999, ISBN 978-3608912982