Dualismus

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Der Dualismus ist ein philosophisches System, das alles Weltgeschehen auf zwei grundsätzlich verschiedene und nicht aufeinander rückführbare Prinzipien gründet, wie etwa Gut und Böse, Diesseits und Jenseits oder Geist und Materie.

Historischer Hintergrund

Der Ursprung des Dualismus liegt in der urpersischen Kultur, die von dem beständig Kampf zweier geistiger Wesenheiten geprägt war. Ahura Mazdao, dem Gott des Lichts, stand Ahriman, der Geist der Finsternis, gegenüber. Sie waren allerdings Zwillinge, die aus Zurvan bzw. Zeruane Akarene, der „unerschaffenen Zeit“, entsprungen waren. Es gab also noch ein Bewusstsein für den gemeinsamen Ursprung. Als ethisch-religiöser Dualismus setzte sich das in nachchristlicher Zeit im Manichäismus fort, der das Weltgeschehen durch den Kampf von Gut und Böse bestimmt sieht.

Durch die sich in der griechisch-lateinischen Zeit entwickelnde Verstandes- und Gemütsseele wurde besonders stark der Gegensatz von Geist und Materie empfunden. Die Mythologie wurde durch die Philosophie ersetzt und damit trat auch der wesenhafte Kampf zwischen den Göttern in den Hintergrund. Viel stärker spürte man nun schon den Unterschied zwischen der eigenen Denktätigkeit und der äußerlich wahrgenommen Sinneswelt. Bereits Anaxagoras unterschied zwischen dem passiven, in eine chaotische Vielheit zersplitterten Stoff und dem aktiv ordnenden einheitlichen unpersönlichen Prinzip des Weltgeistes, des Nous (griech. νοῦς, nous). Platon stellte der Sinneswelt die Ideenwelt gegenüber und Aristoteles unterschied zwischen Stoff und Form bzw. Akt und Potenz. Im ethischen Dualismus der Stoiker stand die streng kausale Naturordnung der sittlichen Freiheit des Menschen gegenüber.

In der Neuzeit, mit dem wachsenden Ich-Bewusstsein des anbrechenden Bewusstseinsseelenzeitalter, wurde die Kluft, die zwischen Ich und Welt empfunden wurde, noch größer. René Descartes unterschied streng zwischen der res extensa und der res cogitans. Sein interaktionistischer Substanzdualismus verschärfte das Leib-Seele-Problem, das die Wissenschaft bis heute vor unlösbar scheinende Probleme stellt.

„Der Satz des Descartes «Cogito, ergo sum» ist eigentlich falsch. Der Satz müßte eigentlich heißen: Cogito, ergo non sum, ich denke, also bin ich nicht, denn das Denken beleuchtet niemals eine Realität, sondern im Gegenteil, es ist die Vernichtung der Realität. Erst wenn man durch Imagination, Inspiration und Intuition an das Ich herankommt, liegt die reale Gewißheit des Ich vor. Wenn wir uns angewöhnt haben, die Kriterien des Seins anzuwenden auf unsere Umgebung, so müssen wir sagen: Ich denke, also bin ich nicht. Gerade in diesem Nichtsein liegt die Möglichkeit der Aufnahme eines Neuen. Das ist dasjenige, was in der Intellektualität liegt. Die intellektualistischen Begriffe sind eigentlich gegenüber der Realität leer, sie sind Löcher im Weltenall, und das ist zur Entwickelung der Freiheit notwendig.“ (Lit.:GA 343a, S. 433)

John Lockes Unterscheidung der primären und sekundären Sinnesqualitäten verschärfte die Situation nur weiter. Dennoch prägte der cartesianische Dualismus das philosophisch-wissenschaftliche Denken bis heute nachhaltig. Karl Popper und John Eccles waren die bekanntesten interaktionistischen Dualisten des 20. Jahrhunderts[1], doch fanden auch sie keine überzeugende Brücke zwischen Sein und Bewusstsein. „Das schwere Problem des Bewusstseins[2] führt die Neurowissenschaftler und Philosophen an Grenzen, die sie nach wie vor nicht übersteigen können - ein Problem, auf das schon Emil du Bois-Reymond 1872 in seiner berühmten Ignorabimus-Rede hingewiesen hatte. Es wird nicht erkannt, dass unser Alltagsbewusstsein tatsächlich nur ein unwirkliches, d.h. nicht wirkungsmächtiges Spiegelbild ist. Dass gerade darin die Möglichkeit der Freiheit des Menschen liegt, hat Rudolf Steiner immer wieder betont.

„Hier, sehen Sie, liegt jene Schwierigkeit, auf welche die Philosophen fortwährend kommen, und die sie mit ihrer Philosophie nicht überwinden können, die Hauptschwierigkeit. Diesen Philosophen ist ja zunächst nichts anderes gegeben als dasjenige, was sie vorstellen. Aber bedenken Sie, daß aus der Vorstellung, aus dem Inhalt des Bewußtseins das Sein gerade herausgepreßt ist. Es kann nicht darinnen sein, denn was im Bewußtsein ist, ist nur Spiegelbild. Es kann das Sein nicht darinnen sein. Nun suchen die Philosophen das Sein durch das Bewußtsein, durch das gewöhnliche physische Bewußtsein. Sie können es so nicht finden. Und es ist ganz natürlich, daß solche Philosophien entstehen mußten wie die Kantsche zum Beispiel, die da sucht durch das Bewußtsein das Sein. Aber weil das Bewußtsein ganz naturgemäßerweise nur enthalten kann Bilder des Seins, kann man zu nichts anderem kommen als dazu, anzuerkennen, daß man an das Sein mit dem Bewußtsein niemals herankommen könne.“ (Lit.:GA 162, S. 31)

Zeitgenössische Philosophen und Bewusstseinsforscher wie etwa Daniel Dennett oder Susan Blackmore, die die Realität des gegenwärtigen menschlichen Bewusstseins bestreiten und es letztlich ganz wegerklären wollen, liegen damit richtiger als jene, die dem Bewusstsein eine eigenständige Wirkungsmächtigkeit zubilligen. Erstere landen damit zwar im einseitigen Materialismus, helfen zugleich aber auch, die falschen dualistischen Leib/Seele-Vorstellungen loszuwerden, die die abendländische Kultur nachhaltig geprägt haben und das Verständis für den wirklichen Geist bis zum heutigen Tag noch nachhaltiger erschweren als der Materialismus, der auf seinem Gebiet durchaus berechtigt ist.

„Es ist heute schon etwas durchaus Dilettantisches, den Materialismus immer nur widerlegen zu wollen. Die theoretischen Anschauungen, die sich auf den Materialismus berufen, die eine geistige Welt entweder in Zweifel ziehen oder ganz ableugnen, oder wenigstens die Erkenntnis von ihr in Zweifel ziehen oder ableugnen, diese Gesichtspunkte sind ja nicht das, was in erster Linie in Betracht kommt. Sondern was da in erster Linie in Betracht kommt, ist das ungeheuer Imponierende, das Bedeutungsvolle des Materialismus. Was nützt es denn schließlich, wenn die Leute aus irgendeinem Gemütszustande oder aus der religiösen Tradition heraus sagen, das Denken des Menschen, das Fühlen des Menschen, das Wollen des Menschen müsse doch etwas Selbständiges sein außerhalb des Gehirns, und die Wissenschaft der heutigen Zeit kommt dann und trägt - entweder durch das eine oder das andere Mittel, meistens dadurch, daß man an pathologischen Zuständen Gehirnforschung anstellt - Stück für Stück vom Gehirn ab und trägt damit scheinbar auch Stück für Stück die Seele des Menschen ab? Was nützt es weiter, wenn wir aus irgendeinem Gemütszustande oder aus der religiösen Tradition heraus von der Unsterblichkeit des Seelenlebens sprechen - und wenn dieses Seelenleben zum Beispiel erkrankt ist, uns gar nichts anderes einfallen kann, als zunächst an die Heilung des Gehirns oder des Nervensystems überhaupt zu denken? Das alles aber hat uns der Materialismus gebracht. Und viele, die heute den Materialismus widerlegen wollen, wissen eigentlich nicht, was sie tun; denn sie ahnen nicht, welche ungeheuere Bedeutung die Detailkenntnisse haben, die der Materialismus gebracht hat. Und sie ahnen nicht, was für eine Konsequenz für das Ganze der Menschenerkenntnis der Materialismus gebracht hat.“ (Lit.:GA 231, S. 59)

Schon in seinen erkenntnistheoretischen Grundlagenwerken, namentlich in seiner «Philosophie der Freiheit», hat Rudolf Steiner nachdrücklich betont, dass der Dualismus in unserer spezifisch menschlichen Organisation begründet ist, der die an sich einheitliche Welt in zwei unwirkliche Hälften auseinanderreißt. Die daraus resultierende Subjekt-Objekt-Spaltung ermöglich uns das Ich-Bewusstsein. Wir empfinden uns dadurch als abgesonderte Persönlichkeit der Welt gegenübergestellt. Beide - Persönlichkeit und Welt - sind dabei aber nur unwirkliche Spiegelbilder. Erst im Erkenntnisakt, in dem Wahrnehmung und Begriff wieder zu einer Ganzheit vereinigt werden, schließt sich diese Kluft, wodurch die Wirklichkeit bewusst ergriffen werden kann. Wir haben es also mit einem rein epistemologischen Dualismus zu tun, dem in Wirklichkeit ein ontologischer Monismus zugrunde liegt. Der ontologische Dualismus, wie in Descartes postulierte, entbehrt hingegen aus der Sicht Steiners jeder Grundlage.

Wenn unser gewöhnliches Tagesbewusstsein tatsächlich ein bloßes Spiegelbild ist, stellt sich natürlich die Frage: Was ist die Realität des Spiegel und welche Wirklichkeit spiegelt sich darin? Ganz grob gesprochen ist es der Geist, der sich im Leib spiegelt, der aber seinerseits nichts anderes ist als verdichteter Geist. Insofern wir derart den Geist zunächst durch das Denken in Form von Gedanken erleben, kann man auch sagen, dass sich dadurch im Bewusstsein die Weltgedanken spiegeln. Um diese auch in ihrer Wesenhaftigkeit erfassen zu können, bedarf es höherer Bewusstseinsstufen, die nur durch geistige Schulung erworben werden können. Genauer stellt das Rudolf Steiner so dar:

„Denken wir uns in einem schematischen Bilde die Welt als äußeren Kreis und uns ihr gegenüber (Zeichnung S. 30). Nicht wahr, zunächst wird es uns allen klar sein, daß wir uns ein Bild der Welt machen in unseren Gedanken. Wie wir zu bewußten Gedanken in der physischen Welt kommen, wir haben gestern davon gesprochen. Das, was in unserem physischen Inneren durch unsere Seele vorhanden ist als unsere Gedanken, wollen wir durch diesen Kreis bezeichnen (kleiner innerer Kreis). Und ich will sagen: Dieser Kreis soll dasjenige darstellen, was wir als Inhalt unserer Seele mit Hilfe unseres Leibes, als unsere Gedanken über die Welt empfinden.

Nun wissen wir aus den verschiedenen Betrachtungen, daß das, was wir also Gedanken nennen, in uns eigentlich beruht auf einer gewissen Spiegelung. Ich habe ja öfter den Vergleich gebraucht, daß wir eigentlich auch wachend im Grunde außerhalb unseres physischen Leibes sind, und der physische Leib dasjenige, was uns zum Bewußtsein kommt, wie ein Spiegel zurückwirft. Wir dürfen uns also eigentlich nicht, wenn wir uns als seelisch-geistige Wesen denken, da drinnen denken, wo - um es deutlich zu sagen - unsere Gedanken durch unseren Leib zum Vorschein kommen, sondern wir müssen uns denken außerhalb unseres physischen Leibes auch im Wachzustande. So daß wir uns mit unserem Geistig-Seelischen eigentlich in die Welt hinein zu denken haben.

Und was wird denn eigentlich gespiegelt? Nun, wenn in uns Gedanken auftreten, so wird eben etwas im Weltenall gespiegelt. Es sei dasjenige, was im Weltenall lebt und in uns gespiegelt wird, durch diesen Kreis angedeutet (grün). So wie ich den gelben Kreis hier im menschlichen Organismus habe als Spiegelbild von etwas im Weltenall, so will ich etwas, was sich in unseren Gedanken spiegelt, durch diesen grünen Kreis in der Welt selber bezeichnen. Und wir können sagen: Das, was hier durch diesen grünen Kreis bezeichnet wird, das ist eigentlich das Reale, das Wirkliche, wovon unsere Gedanken nur das Bild sind, jenes Bild, das von unserem Leibe zurückgeworfen wird. Das alles ist natürlich nur schematisch gemeint.

Zeichnung aus GA 162, S. 30
Zeichnung aus GA 162, S. 30

Fassen wir so im richtigen Sinne auf, was eigentlich geschieht, wenn wir uns der Welt gegenüberstellen, dann müssen wir sagen, es wird etwas in uns erzeugt: Die ganze Summe unserer Vorstellungen wird in uns erzeugt als ein bloßes Bild von etwas, was in der Welt draußen ist. All das, was da in unserer Intelligenz drinnen ist, ist ein Bild von etwas, was in der Welt draußen ist.

Diejenigen, welche von dem wahren Tatbestand solcher Dinge in der Welt immer etwas gewußt haben, haben daher davon gesprochen, daß das Wahre des menschlichen Gedankeninhaltes in Wahrheit als die Weltgedanken im Universum ausgebreitet ist, und daß dasjenige, was wir als Gedankeninhalt haben, eben nur das Bild der Weltgedanken ist. Es spiegeln sich in uns die Weltgedanken. Wäre unser wahres Wesen nur in unsern Gedanken, dann wäre dieses unser wahres Wesen selbstverständlich nur Bild. Aber aus dem ganzen Zusammenhang muß uns ersichtlich sein, daß unser wahres Wesen nicht im Kopf ist, sondern daß unser wahres Wesen in der Welt darinnen ist, daß wir uns mit den Weltgedanken selber in uns nur spiegeln. Und was wir in uns finden können durch den Spiegelungsapparat unseres Leibes, das ist Bild von unserer wahren Wirklichkeit. All das ist ja in verschiedenen Zusammenhängen schon betont worden.

Wenn nun im Tode der physische Leib sich auflöst, lösen sich selbstverständlich auch die Bilder auf, die in uns entstehen. Dasjenige, was von uns bleibt, unsere wahre Wirklichkeit, das ist im Grunde genommen das ganze Leben hindurch dem Kosmos eingefügt, und es entwirft von sich selber nur während unseres Lebens durch unsern Leib ein Spiegelbild von uns.“ (Lit.:GA 162, S. 29ff)

Dualismus und Monismus

Hauptartikel: Monismus

Die Gegenposition zum Dualismus ist der Monismus, der alles Weltgeschehen auf ein einziges Grundprinzip zurückführt. Okkasionalisten wie Nicolas Malebranche sahen dieses Grundprinzip in Gott selbst, der die Brücke zwischen Sein und Bewusstsein schlug: Wenn ich etwas tun will, so ist das ein immaterielles Ereignis in meinem Geist. Dieser Vorfall wird von Gott registriert und der Körper entsprechend in Gang gesetzt. Gottfried Wilhelm Leibniz näherte sich dem Monismus an, indem er in der Materie nur eine Erscheinungsform des Geistes sah, blieb aber zugleich auch dem Dualismus verhaftet, weil er die Seele als eine vom Leib verschiedene Einzelmonade auffasste. Eine vermittelnde Position nimmt der Eigenschaftsdualismus ein, für den Geist und Materie zwei verschiedene Eigenschaften ein und derselben Substanz sind. Einen solchen Standpunkt vertrat schon Baruch Spinoza. Zeitgenössische Vertreter des Eigenschaftsdualismus sind etwa David Chalmers und Harald Atmanspacher.

Rudolf Steiner machte in einem Brief an Ernst Haeckel seine strikt ablehnende Position zum Dualismus deutlich, an der sich auch in späteren Jahren nichts geändert hat. Die Anthroposophie kennt daher auch keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Diesseits und Jenseits. Jenseits im relativen Sinn ist nur das, was sich zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine bestimmte Person deren Erkenntnisfähigkeit entzieht. Diese Erkenntnisfähigkeit kann aber durch geistige Schulung immer weiter ausgebildet werden, sodass auch das vormals Jenseitige der Erfahrung, die aber nun keine sinnliche, sondern eine geistige ist, zugänglich wird. Die Kluft zwischen Diesseits und Jenseits besteht nicht in der Wirklichkeit, sondern nur in dem begrenzten, aber durchaus erweiterbaren Erkenntnisvermögen des individuellen Menschen.

„Ich kämpfe, seitdem ich schriftstellerisch tätig bin, gegen allen Dualismus und sehe es als die Aufgabe der Philosophie an, durch eine streng positivistische Analyse unseres Erkenntnisvermögens den Monismus wissenschaftlich zu rechtfertigen, also den Nachweis zu führen, daß die in der Naturwissenschaft gewonnenen Ergebnisse wirkliche Wahrheiten sind. Deshalb mußte ich mich ebenso gegen den Kantianismus mit seinen zweierlei Wahrheiten wie gegen das moderne «Ignorabimus» wenden.“ (Lit.:GA 39, S. 166)

Steiner vertrat stets einen geistigen Monismus, für den die Materie eine Erscheinungsform des Geistigen ist. Daher erschien ihm auch die Frage sinnlos, wie Geist und Materie - etwa in Form des Leib-Seele-Problems - wechselseitig aufeinander einwirken können; vielmehr gehe es darum, empirisch zu erforschen, wie der Geist seine verschiedenen Erscheinungsformen, zu denen auf elementarer Ebene auch die Materie zählt, hervorbringen könne.

„Kein naturwissenschaftlicher Denker wird je der Meinung sein, daß darüber, was im logischen Sinne wahr oder falsch ist, die körperlich-organischen Gründe Aufschluß geben können. Die geistigen Zusammenhänge können nur aus dem geistigen Leben heraus erkannt werden. Was logisch berechtigt ist, darüber wird immer die Logik, was künstlerisch vollkommen ist, darüber wird das ästhetische Urteil entscheiden. Ein anderes aber ist die Frage: Wie entsteht das logische Denken, wie das ästhetische Urteil als Funktion des Gehirnes? Über diese Frage allein spricht sich die vergleichende Physiologie und Gehirnanatomie aus. Und diese zeigen, daß das vernünftige Bewußtsein nicht für sich abgesondert existiert und das menschliche Gehirn nur benutzt, um sich durch dasselbe zu äußern, wie der Klavierspieler auf dem Klavier spielt, sondern daß unsere Geisteskräfte ebenso Funktionen der Form-Elemente unseres Gehirns sind, wie «jede Kraft die Funktion eines materiellen Körpers ist» (Haeckel, Anthropogenie).

Das Wesen des Monismus besteht in der Annahme, daß alle Weltvorgänge, von den einfachsten mechanischen an bis herauf zu den höchsten menschlichen Geistesschöpfungen, in gleichem Sinne sich naturgemäß entwickeln und daß alles, was zur Erklärung der Erscheinungen herangezogen wird, innerhalb der Welt selbst zu suchen ist. Dieser Anschauung steht der Dualismus gegenüber, der die reine Naturgesetzlichkeit nicht für ausreichend hält, um die Erscheinungen zu erklären, sondern zu einer über den Erscheinungen waltenden, vernünftigen Wesenheit seine Zuflucht nimmt. Diesen Dualismus muß die Naturwissenschaft, wie gezeigt worden ist, verwerfen.“ (Lit.:GA 30, S. 174)

Um zu veranschaulichen, dass die Materie nur eine Erscheinungsform des Geistes und keine separate Substanz ist, gebraucht Rudolf Steiner oft das Beispiel von Wasser und Eis, die auch nur unterschiedliche Aggregatzustände, d.h. verschiedene Verwandlungsformen ein und derselben Substanz sind:

„Oft ist ja hier betont worden, daß für die Geisteswissenschaft die Materie verdichteter Geist ist. Gebrauchen wir doch einmal einen Vergleich, den wir öfter angewendet haben, um zu zeigen, wie der Geistesforscher über Geist und Materie denkt. Denken Sie sich einmal, irgend jemand hätte vor sich durchsichtige Luft und es träte in dieser durchsichtigen Luft Wolkenbildung auf, als die Wirkung von einer Abkühlung. Das, was früher durchsichtig war, wird getrübt durch die Wolkenbildung; das, was früher Wasserdunst und nicht sichtbar war, wird zu Wasser. Vielleicht geht es weiter: Das Wasser gefriert zu Eis. Das Eis fällt in Stücken herunter. Nehmen wir an, es käme jemand und sagte: Unsinn, Dummheit ist es, daß das Wasser vorher in der Luft verteilt gewesen ist. Ich habe nichts davon gesehen! Das erste war das, was mir als Wolken entgegengetreten ist. Dann kommt einer, der kann auch die Wolken noch nicht sehen, der sieht erst etwas, wenn das Wasser gefriert, wenn Eis entsteht. Wenn man dem sagt: Was als Eis heute da ist, das war früher schon als Wasser da, so antwortet er: Ich habe nichts gesehen, Eis ist da und sonst nichts.

Aus solchen Gedanken muß die Antwort genommen werden, wenn jemand einem Geistesforscher Phantastik vorwerfen will, der sagt, zuerst war der Mensch nicht materiell vorhanden, auch nicht als Ätherleib, sondern der astralische Leib und das Ich waren zuerst vorhanden. Im Beginne unseres Erdendaseins waren astralischer Leib und Ich vorhanden.“ (Lit.:GA 56, S. 277)

Im geisteswissenschaftlichen Sinn ist alle Materie als zebrochene, zerstörte geistige Form aufzufassen; sie ist gleichsam der Trümmerhaufen des Geistes. Dieser Anschauung nähert sich auch die moderne Physik - allerdings vorerst rein abstrakt spekulativ und nicht durch unmittelbare geistige Anschauung. So meinte etwa der Quantenphysiker Hans-Peter Dürr:

„Die moderne Physik kommt nun zu der überraschenden Erkenntnis: Materie ist nicht aus Materie aufgebaut! Wenn wir die Materie immer weiter auseinandernehmen, in der Hoffnung die kleinste, gestaltlose, reine Materie zu finden, bleibt am Ende nichts mehr übrig, was uns an Materie erinnert. Am Schluss ist kein Stoff mehr, nur noch Form, Gestalt, Symmetrie, Beziehung.

Was bedeutet das? Wir haben eine Umkehrung: Das Primäre ist Beziehung, der Stoff das Sekundäre. Materie ist ein Phänomen, das erst bei einer gewissen vergröberten Betrachtung erscheint. Stoff ist geronnene Form. Vielleicht könnten wir auch sagen: Am Grunde bleibt nur etwas, was mehr dem Geistigen ähnelt – ganzheitlich, offen, lebendig: Potenzialität, die Kann-Möglichkeit einer Realisierung. Materie ist die Schlacke dieses Geistigen – zerlegbar, abgrenzbar, determiniert: Realität. In der Potenzialität gibt es keine ein-eindeutigen Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Die Zukunft ist wesentlich offen. Es lassen sich für das, was „verschlackt“, was real passiert, nur noch Wahrscheinlichkeiten angeben. Es gibt keine Teilchen, die unzerstörbar sind, die mit sich selbst identisch bleiben, sondern wir haben ein “feuriges Brodeln“, ein ständiges Entstehen und Vergehen. In jedem Augenblick wird die Welt neu geschaffen, aber im Angesicht, im „Erwartungsfeld“, der ständig abtretenden Welt.“ (Lit.: Dürr 2003)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Karl Popper, John Carew Eccles: Das Ich und sein Gehirn. 8. Auflage Piper, München u. a. 2002, ISBN 3-492-21096-1
  2. David Chalmers: The Character of Consciousness. Oxford University Press, Oxford 2010, ISBN 978-0195311112, p. 39