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Intelligenz
Intelligenz (lat. intelligentia „Einsicht, Erkenntnisvermögen“, intellegere „verstehen“; abgeleitet von intus „innen, drinnen, im Inneren, darin, inwendig“ bzw. inter „inmitten, zwischen, unter“ und legere „lesen, wählen“[1]; hebr. שָׂכַל sakal) bezeichnet heute im weitesten Sinne die kognitiven Fähigkeiten, Zusammenhänge zu erkennen, zu abstrahieren, optimale Strategien zur Problemlösung zu finden und aus den gewonnenen Erfahrungen zu lernen. Im einzelnen befähigt uns der Intellekt vor allem zum räumlichen Vorstellungsvermögen, zur vorausschauend Planung durch virtuelles Handeln im Vorstellungsraum, zum Zählen und Rechnen, zum Sprachverständnis und zur Wortflüssigkeit und Gewandtheit im eigenen sprachlichen Ausdruck, zum individuellen Gedächtnis als wesentlicher Grundlage unseres Ich-Bewusstseins, zur raschen und aufmerksamkeitsgelenkten Wahrnehmung und insbesondere zum logischen Denken, in dem sich der Geist durch das Werkzeug des Gehirns widerspiegelt. Diese Art der Intelligenz kann im Prinzip vollständig durch künstliche Intelligenz nachgebildet und in der Folge sogar weit übertroffen werden.
Diese an das Gehirn und die Sinnesorgane gebunden kognitiven Fähigkeiten, die heute für die Wissenschaften allein im Mittelpunkt des Interesses stehen, stellen allerings nur den geringeren Teil der menschlichen Intelligenz dar. Der Begriff der Intelligenz ist daher viel weiter zu fassen. Die eigentliche schöpferisch-intuitive Intelligenz des Menschen hat ihren Ursprung in der kosmischen Intelligenz, die auch in der ganzen Natur gestaltend wirkt. Diese kosmische Intelligenz entsteht aus dem Zusammenwirken geistiger Wesenheiten, die in ihrem geistigen Entwicklungsgrad über dem Menschen stehen. Im Mittelalter bezeichnete man sie darum als kosmische Intelligenzen. Sie sind es, die auch die ganze Natur gestalten und in jedem Naturwesen wirken. Was den Menschen von den anderen Naturwesen unterscheidet, ist, dass er im Zuge der Menschheitsentwicklung gelernt hat, diese kosmische Intelligenz immer aktiver zu ergreifen und zueigen zu machen, um dadurch immer bewusster und freier selbst schöpferisch unmittelbar aus dem Geist heraus tätig zu werden. Die Aufgabe der anthroposophischen Geisteswissenschaft ist es, diese Entwicklung immer weiter zu fördern.
„Der Geist ist Aktivität, ist immer Tätigkeit. Der Geist ist schöpferisch. Der Geist ist das absolut Produktive. Der Intellekt ist das passive Bild des Geistes.“ (Lit.: GA 305, S. 29)
Kosmische Intelligenz
Das Eigendenken, das eigenständige, nicht auf Offenbarung bzw. Inspiration gegründete menschliche Denken, wie es bereits von Aristoteles angestrebt und dann zunächst vom Arabismus aufgegriffen wurde, entfaltete sich in Europa erst richtig, als die kosmische Intelligenz Michael entsank und im 8. Jahrhundert n. Chr. in der Erdenregion ankam (Lit.: GA 240, S. 184).
„Wenn wir in uralte Zeiten der Menschheitsentwickelung zurückgehen - ich habe darauf schon hingewiesen hier in den Vorträgen - , so ist es beim Menschen nicht so, daß er die Gedanken aus sich heraus erzeugt, daß er über die Dinge durch seine eigene Kraft denkt. Denn diese innere Seelenfähigkeit des Denkens, diese innere Aktivität des Gedankenbildens ist ja eigentlich erst vollständig entwickelt seit dem 15. Jahrhundert, seit dem Eindringen der Bewußtseinsseele in die Menschheitsentwickelung. Und wenn wir in vorchristliche Zeiten zurückgehen, in alte Zeiten, so finden wir überall, daß die Menschen noch gar nicht das Bewußtsein haben, daß sie selbst denken; sie fühlen gar nicht, daß sie Gedanken haben, sondern sie empfinden: die Gedanken werden ihnen aus den Dingen geoffenbart. Die Intelligenz ist kosmisch überall ausgebreitet. In den Dingen ist die Intelligenz. Und wie man die Farben wahrnimmt, so nimmt man auch den intelligenten Inhalt, den Gedankeninhalt der Dinge wahr. Die Welt ist voller Intelligenz. Allüberall ist intelligentes Wesen. Der Mensch hat diese Intelligenz sich gewissermaßen im Lauf der neuesten Zeit angeeignet. Man möchte sagen: Die Intelligenz ist etwas, was im weiten Weltenall ausgebreitet ist, wovon der Mensch in der neueren Zeit überall einen Tropfen bekommen hat. Das ist dann der Mensch.
Beim alten Menschen war es aber so, daß er in jedem Augenblick, wo er dachte, sich dessen bewußt war, daß die Gedanken ihm inspiriert werden, geoffenbart werden. Er schrieb nur dem Weltenall Intelligenz zu, nicht sich.
Nun war zu allen Zeiten der Verwalter dieser kosmischen Intelligenz, die sich von der Sonne wie das Licht ausstrahlend über die ganze Welt verbreitet, eben der Geist, der mit dem Namen Michael bezeichnet wird. Michael ist der Verwalter der kosmischen Intelligenz. In der neueren nachchristlichen Zeit trat aber nun die bedeutsame Tatsache auf, daß nach dem Mysterium von Golgatha allmählich Michael die Verwaltung über die Intelligenz entfiel, daß sie ihm verlorenging. Solange die Erde besteht, hat Michael die kosmische Intelligenz verwaltet. Und wenn ein Mensch Gedanken, das heißt intelligenten Inhalt, in sich gefühlt hat, noch in der Alexander-, in der Aristoteleszeit, dann betrachtete er diese Gedanken nicht als seine eigenen Gedankeninhalte, sondern als die ihm durch die Michael-Macht geoffenbarten Gedanken, wenn man auch in jener heidnischen Zeit dieses Wesen anders bezeichnet hat. Aber dieser Gedankeninhalt entfiel Michael nach und nach. Und wir sehen, wenn wir in die geistige Welt hineinschauen, dieses Heruntersinken der Intelligenz von der Sonne auf die Erde, das sich vollzieht so bis gegen das 8. nachchristliche Jahrhundert hin. Im 9. nachchristlichen Jahrhundert, da beginnen die Menschen schon, ich möchte sagen, als Vorläufer der späteren, Eigenintelligenz zu entwickeln, da faßt die Intelligenz ihren Sitz in den Seelen der Menschen. Und Michael und die Seinen schauen hinunter von der Sonne auf die Erde und können sagen: Was wir durch Äonen verwaltet haben, das ist uns entsunken, das ist uns verlorengegangen, das ist hinuntergeströmt und ist jetzt in den Seelen der Menschen auf Erden.“ (Lit.: GA 240, S. 237ff)
Die höchste Form und Quelle aller Intelligenz ist die kosmische Intelligenz, die Rudolf Steiner knapp so charakterisiert:
„Intelligenz sind die gegenseitigen Verhaltensmaßregeln der höheren Hierarchien. Was die tun, wie sie sich zueinander verhalten, wie sie zueinander sind, das ist kosmische Intelligenz.“ (Lit.: GA 237, S. 168)
Intelligenz in der Natur
Insofern sich diese kosmische Intelligenz in der gesamten Natur in Form von Naturgesetzen widerspiegelt, ist auch diese insofern als intelligent anzusehen, als sie sich entsprechend der von der kosmischen Intelligenz repräsentierten Ordnung gestaltet und verhält, bis hinab in den anorganischen Bereich, unabhängig davon, ob damit Bewusstsein und Einsicht verbunden ist oder nicht. Naturgesetze sind, wie auch viele Physiker betonen, etwas Geistiges. Die Aufgabe der Naturwissenschaften ist es, die in der Natur waltende Intelligenz zu erforschen. So schreibt etwa der Quantenchemiker Walter Heitler:
„Ein mathematisch formuliertes Gesetz ist etwas Geistiges. Wir können es so nennen, weil es menschlicher Geist ist, der es erkennt. Der Ausdruck Geist mag heute, wo ein überbordender Materialismus und Positivismus seine zum Teil recht üblen Blüten treibt, nicht sehr populär sein. Aber eben deshalb müssen wir uns darüber klar werden, was Naturgesetz und Naturerkenntnis ist. Die Natur folgt also diesem nicht-materiellen geistigen Element, dem Gesetz. Folglich sind auch geistige Elemente in der Natur selbst verankert. Zu diesen gehört die Mathematik, die zur Formulierung des Gesetzes nötig ist, sogar hohe und höchste Mathematik. Anderseits ist der Forscher der begnadet ist, eine Entdeckung zu machen in der Lage, eben dieses die Natur durchdringende geistige Element zu durchdringen. Und hier zeigt sich die Verbindung zwischen dem menschlichen, erkennenden Geist und den in der Natur existierenden transzendenten Elementen. Am besten sehen wir die Sache, wenn wir uns der Platonischen Ausdrucksweise bedienen, obwohl Plato diese Art von Naturgesetz noch nicht kannte. Demnach wäre das Naturgesetz ein Urbild, eine «Idee» - im Sinne des griechischen Wortes Eidea - dem die Natur folgt und die der Mensch wahrnehmen kann. Das ist es dann, was man den Einfall nennt. Durch dieses Urbild ist der Mensch mit der Natur verbunden. Der Mensch, der es erkennen kann, die Natur, die ihm als Gesetz folgt.“
Heitler berief sich, ähnlich wie Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger, auch auf die Platonische Ideenlehre. Insbesondere in seiner Schrift Die Natur und das Göttliche wandte er sich dabei auch an ein breites Leserpublikum. Von seiner christlichen Überzeugung her war es ihm ein zentrales Anliegen, Beziehungen zwischen der physischen Erfahrungswelt und der metaphysischen Offenbarungswelt anhand von Texten aus dem Alten und Neuen Testament aufzudecken.
„Drei Dinge gehören zusammen: die Natur, die wir mit unseren Sinnen beobachten, die Welt der Transzendenz, die die Heimat der geistigen Urbilder ist, von denen die Natur durchwoben ist, und der menschliche Geist, der zu dieser Welt der Transzendenz Zugang hat und nach und nach Erkenntnis ihres Inhalts gewinnt.
Wir kommen nun zu einer zentralen Frage. Die Welt der Transzendenz besitzt offensichtlich Inhalte von nicht geringer Intelligenz. Selbst auf dem Gebiet der Mathematik und Physik werden wir noch lange nicht behaupten können, daß wir schon das ganze Maß dieser Intelligenz kennen und uns zugänglich gemacht haben. Wenn wir im nächsten Kapitel von biologischen Tatsachen und Prozessen sprechen werden, dann werden wir eine Ahnung davon erhalten, wie viel tiefer unser Intellekt auch im besten Fall steht als die «Intelligenz», besser gesagt Weisheit, die im Bau lebender Organismen vorliegt. Man wird kaum der Frage aus dem Weg gehen können, woher diese Weisheit oder Intelligenz kommt. Hat sie einfach von Ewigkeit her bestanden? Oder wer hat diese Gesetze erdacht? Unsere biologischen Kenntnisse deuten auf Entwicklung hin. Sollte es bei der Physik anders sein, sollten ihre Gesetze seit Ewigkeit gegolten haben? Wir werden sehen, daß dies kaum denkbar ist, daß auch diese Gesetze einmal entstanden sind. Viele Forscher, besonders vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte, haben mit Selbstverständlichkeit von einer göttlichen Schöpfung gesprochen. Die Welt der Transzendenz, die wir erkennen, ist Schöpfung eines unendlich überlegenen göttlichen Geistes. Der Urgrund, aus dem alles Sein floß, ist der Geist, den wir wegen seiner unfaßbaren Größe Gott nennen.“
Deutlich klingt hier der von Thomas von Aquin vertretene gemäßigte Ideenrealismus an. Thomas hatte unterschieden zwischen Universalien, die sich in der göttlichen Vernunft bilden und vor den Einzeldingen existieren (universalia ante rem), Universalien, die als Allgemeines in den Einzeldingen selbst existieren (universalia in re) und Universalien, die als Begriffe im Verstand des Menschen existieren, das heißt nach den Dingen (universalia post rem).
Naturgesetze beschreiben die einseitig räumliche und zeitliche Ordnung des kosmischen Geschehens, die nur eine schattenhafte Offenbarung der viel umfassenderen geistigen Weltordnung ist, die auch eine moralische Dimension mit umfasst. Beispiele elementarer Naturgesetze sind das Trägheitsgesetz, das Gravitationsgesetz, die Maxwellschen Gleichungen der Elektrodynamik, die Relativitätstheorie, die Quantentheorie usw.
„Die Naturgesetze sind Geist, nur daß der Mensch in der gewöhnlichen Anschauung diesen Geist nur in dem schattenhaften Abglanz der Gedanken wahrnimmt.“ (Lit.: GA 52, S. 208)
Künstliche Intelligenz
In diesem Sinn können auch vom Menschen entworfene tote bewusstlose Maschinen als „intelligent“ bezeichnet werden.
„Klar, Intelligenz ist ein vage definierter Begriff, deren Gipfel im allgemeinen Verständnis Genies wie Einstein oder Bach markieren und nicht Schneckenhäuser. Für Andy Adamatzky hat der Mensch jedoch nicht das Vorrecht auf Intelligenz. Seine Forschung wirft vielmehr die Frage auf, ob nicht sogar ein Schleimpilz intelligent ist, der ohne auch nur einen einzigen Irrweg einzuschlagen den direkten Weg durch ein Labyrinth zu einer Futterquelle findet. »Jede Form der Selbstorganisation, die Information verarbeitet, ist Intelligenz«, sekundiert ein Kollege Adamatzkys, der japanische Forscher Toshiyuki Nakagaki. Auch Information verarbeitende Maschinen, Computer also, wirken oft intelligent, was sich der Forschungszweig der »Künstlichen Intelligenz« zum Gegenstand gemacht hat.“ (Lit.: Meier, S. 5 [1])
Um ein bewusstes Denken, das dem des Menschen annähernd vergleichbar wäre, handelt es dabei allerdings nicht, sondern um eine tief unbewusste instiktive Intelligenz. Tatsächlich beschreibt Rudolf Steiner, dass die Instinkte der Tiere, auf dem weisheitsvollen Bau ihres physischen Leibs beruhen. Voll bewusste Intelligenz kann sich nur in einem Wesen entfalten, das wie der Mensch die vier grundlegenden Wesensglieder physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich besitzt. Jedes dieser Wesensglieder ist in gewissem Sinn „intelligent“ - ganz besonders der physische Leib aufgrund seiner langen Entwicklungszeit, die er bereits hinter sich hat. Und jedes dieser Wesensglieder verfügt auch über ein ihm eigentümliches Bewusstsein, das beim physischen Leib sehr umfassend, aber äußerst dumpf ist. Das Bewusstsein des Ätherleibs ist zwar schon heller, enspricht aber immer noch unserem traumlosen Schlafbewusstsein. Im Astralleib steigt es bis zum Traumbewusstsein auf. Erst durch das Ich erwacht das klare Selbstbewusstsein, in dem das menschliche Denken, das auf dem geordneten Zusammenspiel aller Wesensglieder beruht, voll bewusst in Erscheinung treten kann. Das geschieht zunächst in Form jenes mentalen Spiegelbildes, das wir aus unserem alltäglichen Denken kennen. Die eigentliche Wirklichkeit des Denkens eröffnet sich erst bei einer geistigen Schulung, durch die das Ich auch die höheren geistigen Wesenglieder, zunächst insbesondere das Geistselbst, entwickelt und bewusst mit ihnen umzugehen lernt. Den Anfang dieses Weges hat Rudolf Steiner bereits in seiner «Philosophie der Freiheit» beschrieben. Dieser Weg führt systematisch zur Entfaltung des reinen, sinnlichkeitsfreien Denkens (siehe unten), in dem die erste Berührung mit der in allen Naturreichen gestaltend wirkenden Ideenwelt stattfindet (vgl. dazu auch das oben angeführte Zitat von W. Heitler).
Tierische und menschliche Intelligenz
Was den Unterschied zwischen tierischer und menschlicher Intelligenz betrifft, schreibt Peter Heusser:
„Unter Intelligenz kann man umfassend ein mentales Vermögen verstehen, sich nach logisch intelligiblen Gesetzmäßigkeiten zu verhalten. Aus dieser Perspektive spielt es zunächst keine Rolle, ob dieses Verhalten bewusst ist oder nicht bzw. ob diese Gesetzmäßigkeiten eingesehen werden oder nicht. So sind die Bauleistungen von Bibern, Schwalben und Wespen oder die Fliegerakrobatik von Möwen intelligent, indem dabei nach statischen bzw. aerodynamischen Gesetzmäßigkeiten verfahren wird, allerdings ohne dass bei den Tieren von logischer Einsicht in diese Gesetze die Rede sein könnte. Ähnlich ist es beim vorwissenschaftlichen menschlichen Hausbau wie z.B. bei den Iglus von Eskimos oder bei der Kunst des Bumerang-Werfens der australischen Aborigines. «Intelligent» kann also der weitgehend unbewusste Instinkt sein, intelligent ist auch das schon deutlicher ins Bewusstsein tretende Gefühl (siehe z.B. Daniel Golemans «Emotionale Intelligenz»; Goleman, 1996), intelligent können auch mehr oder weniger bewusste spontane oder erlernte Handlungen sein, ohne dass sie auf intellektuelle Einsicht in den logischen Gehalt der dabei angewandten Intelligenz beruhen müssten, so z.B. beim erwähnten Instrumentengebrauch von Tieren aufgrund mentaler Repräsentation von Antezedenz-Konsequenz-Folgen oder beim Bumerang-Werfen. All diesen Arten des Verhaltens ist Intelligenz inhärent, aber nicht bewusst. Das gilt im Grunde genommen auch schon für rein organische oder auch anorganische Geschehnisse wie z.B. die Morphogenese von Pflanzen oder die Bildung von Kristallen nach mathematisch-geometrischen Gesetzmäßigkeiten. Erst das entwickelte menschliche Denken kann sich all diese dem Anorganischen, Organischen und Mentalen zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten bewusst machen, indem es diese in sich zur Erscheinung bringt, eine mentale Leistung, die das Tier offenbar nicht vermag.
Was aber unterscheidet diese Denkleistung des Menschen von derjenigen des Tieres? Ihre Geistigkeit, ihre Aktivität, ihre Voll- und Selbstbewussteit und ihre Objektivität und Universalität. Geistig ist diese Tätigkeit, indem sie in nichts anderem als der vollbewussten Durchdringung des rein ideellen, d. h. geistigen Inhalts der entsprechenden Gesetze besteht. Aktiv, selbst- und vollbewusst ist sie, weil dieses denkende Durchdringen von Gesetzen ausschließlich durch eine voll- und selbstbewusste aktive Denkleistung des entsprechenden Individuums möglich ist. Und objektiv und universell ist sie, weil sie die universellen, allgemeinen und objektiven Gesetze durchdringt, die von allen individuellen, besonderen Fällen, für die diese Gesetze Geltung haben, absehen und lediglich deren Allgemeines beinhalten, welches überdies für alle Denker in gleicher Weise gilt.“ (Lit.: Heusser, S. 216f.)
So hatte auch schon Rudolf Steiner in seiner «Philosophie der Freiheit» argumentiert:
„Unser Denken ist nicht individuell wie unser Empfinden und Fühlen. Es ist universell. Es erhält ein individuelles Gepräge in jedem einzelnen Menschen nur dadurch, daß es auf sein individuelles Fühlen und Empfinden bezogen ist. Durch diese besonderen Färbungen des universellen Denkens unterscheiden sich die einzelnen Menschen voneinander. Ein Dreieck hat nur einen einzigen Begriff. Für den Inhalt dieses Begriffes ist es gleichgültig, ob ihn der menschliche Bewußtseinsträger A oder B faßt. Er wird aber von jedem der zwei Bewußtseinsträger in individueller Weise erfaßt werden.“ (Lit.: GA 4, S. 90)
Die sinnliche Intelligenz als mentales Spiegelbild der kosmischen Intelligenz
Die sinnliche Intelligenz des Menschen ist ein durch das physische Gehirn zurückgeworfenes, flüchtiges irdisches mentales Schattenbild der kosmischen Intelligenz. Durch ihren reinen Bildcharakter, aus dem die geistige Wirklichkeit ausgelöscht ist, bildet sie eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung der menschlichen Freiheit.
Zu einer wirklichen Erkenntnis führt der auf den Intellekt gegründete Intellektualismus nicht; dazu ist der Intellekt auch gar nicht da, wie Rudolf Steiner nachdrücklich betont:
„Ja, zu den alten Menschen haben die Naturerscheinungen so gesprochen, daß sie ihnen Geistiges offenbart haben. Aus jeder Quelle, aus jeder Wolke, aus jeder Pflanze hat Geistiges gesprochen. Die Menschen haben dadurch, daß sie in ihrer Art die Naturerscheinungen und Naturwesen kennenlernten, das Geistige kennengelernt. Das ist nun nicht mehr der Fall. Ein Zwischenzustand ist nur der Zustand des Intellektualismus. Denn dieser Intellektualismus, was hat er denn als seine tiefste Eigentümlichkeit? Daß man mit ihm, mit der reinen Intellektualität, überhaupt nichts erkennen kann. Der Intellekt ist nämlich gar nicht zum Erkennen da. Das ist der große Irrtum, dem sich der Mensch hingeben kann, daß der Intellekt zum Erkennen da sei. Erkennen werden die Menschen erst wiederum, wenn sie eingehen auf dasjenige, was der geisteswissenschaftlichen Forschung zugrunde liegt, was zum mindesten durch Imagination vermittelt wird. Erkennen werden die Menschen erst wiederum, wenn sie sich sagen: In alten Zeiten haben aus den Naturerscheinungen geistig-göttliche Wesenheiten gesprochen. Für den Intellekt sprechen sie nicht. Für die höheren, für die übersinnlichen Erkenntnisse werden zwar nicht die Naturerscheinungen unmittelbar sprechen, denn die Natur wirkt als solche stumm, aber es werden zu dem Menschen Wesenheiten sprechen, die ihm in Imaginationen erscheinen werden, die ihn inspirieren werden, mit denen er intuitiv vereinigt wird, und die er wiederum wird auf die Naturerscheinungen beziehen können. - So kann man sagen: In alten Zeiten ist dem Menschen durch die Natur das Geistige erschienen. In unserem Zwischenzustande hat der Mensch den Intellekt. Die Natur bleibt geistlos. Der Mensch wird sich hinaufschwingen zu einem Zustande, wo er wieder erkennen kann, wo ihm zwar die Natur nicht mehr vom Göttlich- Geistigen sprechen wird, wo er aber das Göttlich-Geistige in übersinnlicher Erkenntnis ergreifen wird, und wo er dadurch wiederum dieses Geistige auf die Natur wird beziehen können.“ (Lit.: GA 200, S. 86f)
Das Gehirn, das uns die Gedanken als Bild spiegelt, wurde selbst zuerst von Gedanken aufgebaut - von den wirklichen, schöpferischen, nicht bloß bildhaften Gedanken, denen zugleich eine bedeutsame Heilkraft innewohnt:
„Tatsächlich ist ursprünglich das Organ des Menschen, das seine Tätigkeit ausführt, von dieser Tätigkeit selbst aufgebaut: Das Gehirn ist ursprünglich von Gedanken aufgebaut. Das Blut entwickelt das Gefühlsleben. Ohne warmes Blut gibt es kein Gefühlsleben. Tatsächlich ist aber das Blut ursprünglich von dem Gefühlsleben aufgebaut. Damit haben wir einen ganz neuen Gesichtspunkt gewonnen. Nun sagen wir uns: Gewiß, mit dem, was heute der Mensch durch sein Gehirn an diesen oder jenen Vorstellungen hervorbringt, können wir sein Gehirn nicht ändern. Aber hinter diesem Gehirn stehen die anderen Gedanken, welche die materialistische Wissenschaft gar nicht kennt und die das Gehirn erst aufgebaut haben. Diese Gedankenwelt muß man eben kennenlernen, sie ist die schöpferische Gedankenwelt. So daß man zwischen den gewöhnlichen Gedanken und einer die Welt durchflutenden - wirklich durchflutenden - Gedankenwelt zu unterscheiden hat. Weil das Gehirn aus der Gedankenwelt geboren ist, ist der menschliche Geist imstande, nicht nur solche Gedanken hervorzubringen, welche der Gedankenwelt des Gehirns entsteigen, sondern auch an jener Gedankenwelt teilzuhaben, die hinter der physischen Organisation waltet. Dadurch lernt man das Gedankenleben beherrschen. Man heilt also auch nicht mit logischen Gründen, sondern dadurch, daß man viel tiefer in die geistigen Gebiete hineindringt. Es ist möglich, wenn die Gedanken aus der wirklichen geistigen Welt herausgeholt werden, rein vom Gedanken aus den physischen Organismus zu verändern und den kranken Organismus wieder gesund zu machen.“ (Lit.: GA 96, S. 97f)
Intelligenz und Todeskräfte
Die menschliche Intelligenz, der menschliche Verstand, hängt eng mit den Todeskräften zusammen, die im Organismus walten.
„Denn, sehen Sie, man wird den Verstand dadurch kennenlernen, daß er tätig sein wird, man wird die gepriesene Intellektualität kennenlernen, und es wird sich herausstellen, was sie eigentlich ist, diese Intellektualität, was es ist, dieses Entstehen von Bildern. Man begreift es nur, wenn man etwas ins Auge faßt, was ich hier auch schon öfters auseinandergesetzt habe: Wir können fühlen, wir können wollen, indem wir leben, aber wir könnten nicht, wenn wir nur lebten, auch denken. Das könnten wir nicht. Wir können denken nur aus dem Grunde, weil wir fortwährend das Todesprinzip in uns tragen. Das ist dieses große Geheimnis der Menschen, daß gewissermaßen von den Sinnen aus - wenn ich das Auge nehme als den Repräsentanten der Sinne (siehe Zeichnung) - fortwährend strömt durch dasjenige, was man als Nerv auffaßt, Zerstörendes in den Menschen hinein. Es ist, wie wenn der Mensch von den Sinnen aus durch die Nervenstränge mit einem sich zerbröckelnden Materiellen ausgefüllt würde.
Wenn Sie sehen, wenn Sie hören, oder auch, wenn Sie nur Warmes fühlen, es ist wie ein von den Sinnen nach innen sich zerbröckelndes Materielles. Dieses sich zerbröckelnde Materielle, das muß erfaßt werden von demjenigen, was aus dem Inneren des Menschen ausströmt. Es muß gewissermaßen verbrannt werden. Wir müssen fortwährend, indem wir denken, gegen den in uns waltenden Tod kämpfen. Der Mensch weiß heute eben nicht, weil er sich nur bewußt ist seines Denkens als Spiegelbilder, daß er im Grunde genommen nur lebt mit dem, was nicht Kopf ist, daß der Kopf eigentlich nur ein fortwährend absterbendes Organ ist. Wir wären fortwährend der Gefahr des Sterbens ausgesetzt, wenn nur das geschehen würde, was in unserem Kopfe ist. Dieses fortwährende Sterben wird nur verhindert dadurch, daß der Kopf mit dem anderen Organismus verbunden ist und die Vitalität des anderen Organismus das Sterben verhindert. Wenn der Mensch sich aneignen wird diesen tätigen Verstand - so wie sich angeeignet hat die Menschheit in der Griechen-, in der Römerzeit die tätige Phantasie, während die Imagination des alten atavistischen Hellsehens eine passive Phantasie war - , dann wird er in sich selber wahrnehmen das fortwährende Absterben eines Teiles seines Wesens. Das wird wichtig sein. Denn so, wie wir hineinwachsen müssen in einen Bewußtseinszustand, durch den wir das fortwährende Absterben eines Teiles unseres Wesens wahrnehmen, so hat eine alte Menschheit, die aber noch bis in die Griechenzeit hineinragte, wahrgenommen dasjenige, was im Vitalitätsprinzip des Menschen lebt, was im Willen lebt und in dem mit dem Willen zusammenhängenden Stoffwechsel lebt. Da lebt dasjenige, was das Absterbeprinzip bekämpft, was fortwährend des Menschen Absterbeprinzip lähmt.
Man konnte sagen: In dieser Beziehung waren die Alten besser daran, als diejenigen sein werden, die da nachkommen in unserem Zeitalter. Die Alten haben wahrgenommen, indem sie ein instinktives Hellsehen gehabt haben, die Vitalität, das Leben. Mit dieser Vitalität, mit diesem Leben ist eben im Zusammenhange das Heilungsprinzip. Wir sterben zwar nicht dadurch, daß unser Kopf sterben will, aber wir tragen fortwährend Krankheitskeime in uns durch unseren Kopf dadurch, daß er das Organ unseres Denkens ist, und haben fortwährend nötig, den Tribut abzutragen an unser Denken, der darin besteht, daß wir dem krankmachenden Kopf entgegensetzen die Heilungskräfte des übrigen Organismus. Heute wird es noch wenig bemerkt, allein es werden auftreten Krankheitsformen - Sie wissen ja, daß sie sich ändern - , bei denen man den Ausgang aus dem menschlichen Haupte besser bemerken wird, als man das für viele Krankheiten der Gegenwart bemerkt. Dann wird man einsehen, daß im Grunde genommen der ganze gesunde Prozeß des Menschen, der in ihm verläuft, ein Heilungsvorgang ist gegen die Schädigung unseres Intellektlebens. Während die Alten also von ihrer Wissenschaft, von ihrer Erkenntnis sagen konnten, daß in ihr etwas Heilendes ist, wird man in der Zukunft sagen müssen: Das, was wir aus unserem Verstande machen, das, was aus dem wird, worauf wir heute so stolz sind, das wird uns in der Zukunft zeigen, daß, wenn es allein waltet, die Menschen nach und nach in die Dekadenz, in die völlige Dekadenz verfallen würden, daß dagegen geltend gemacht werden muß ein Wissen, das wiederum entgegenstellen kann heilende Kräfte.“ (Lit.: GA 198, S. 31ff)
Das heißt nun keineswegs, dass wir deswegen auf den Gebrauch des Verstandes verzichten sollten oder könnten, aber er muss vom passiven zum aktiven Verstand weiter entwickelt werden.
„Ich könnte mir zwar denken, daß es auch Menschen geben könnte, die nunmehr sagen: Also verhindern wir einmal das Gescheitwerden durch den Verstand, schaffen wir den Intellekt ab - es gibt ja auch solche Menschen, die dafür sorgen möchten, daß der Intellekt sich nicht entwickelt - , dann braucht man seine Schäden nicht zu heilen. - Aber mit diesem jesuitischen Prinzip kann der wahre Fortschritt der Menschen nichts gemein haben, sondern es handelt sich darum, daß schon einmal die Entwickelung der Menschen so sein müßte, daß dasjenige, was aus des Menschen Seelenkräften sich entwickelte, das Heilsame, daß das herauf sich entwickelte bis zum Intellekt; sonst wird es sich abwärts entwickeln und den Menschen in den Niedergang hineinbringen. Dagegen muß sich geltend machen dasjenige, was aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis kommt und was fortwährend entgegenwirken kann den Niedergangskräften, die gerade aus dem einseitigen Intellekte kommen.“ (S. 34)
Irrtum, Täuschung und das Böse
Es gibt allerdings - vor allem für unsere gegenwärtige Kulturepoche und für die zukünftigen Kulturepochen - noch eine andere Bedeutung der Intelligenz, die gewissermaßen ihre Kehrseite darstellt:
„Wir werden als Menschheit einlaufen in eine Entwicklung der Intelligenz so, dass die Intelligenz wird die Neigung haben, nur das Falsche, den Irrtum, die Täuschung zu begreifen, und auszudenken nur das Böse.
Das wussten ja die Geheimschüler und wussten namentlich die Eingeweihten seit einer gewissen Zeit, dass die menschliche Intelligenz entgegengeht ihrer Entwicklung nach dem Bösen hin, dass es immer mehr und mehr unmöglich wird, durch die bloße Intelligenz das Gute zu erkennen. Die Menschheit ist heute in diesem Übergange. Wir können sagen: Gerade noch gelingt es den Menschen, wenn sie ihre Intelligenz anstrengen und nicht ganz besonders wilde Instinkte tragen, nach dem Lichte des Guten etwas hinzuschauen. Aber diese menschliche Intelligenz wird immer mehr und mehr die Neigung bekommen, das Böse auszudenken und das Böse dem Menschen einzufügen im Moralischen, das Böse in der Erkenntnis, den Irrtum.
Das war einer der Gründe, warum die Eingeweihten sich die Männer der Sorge nannten, weil in der Tat, wenn man in dieser Einseitigkeit, wie ich es jetzt auseinandergesetzt habe, die Entwicklung der Menschheit betrachtet, so macht sie Sorge; Sorge gerade wegen der Entwicklung der Intelligenz. Es ist schließlich gar nicht umsonst, dass die Intelligenz dem gegenwärtigen Menschen so viel Stolz und Hochmut einflößen kann.“ (Lit.: GA 296, S. 89).
"Es wäre natürlich eine völlig falsche Spekulation, zu glauben, daß man etwa die Intelligenz unterdrücken soll. Die Intelligenz darf nicht unterdrückt werden, aber es gehört für den Einsichtigen in der Zukunft ein gewisser Mut dazu, der Intelligenz sich hinzugeben, weil die Intelligenz die Versuchung bringt zum Bösen und zum Irrtum und weil wir in der Durchdringung der Intelligenz mit dem Christus-Prinzip finden müssen die Möglichkeit, diese Intelligenz umzuwandeln. Ganz und gar ahrimanisch würde die Intelligenz der Menschen, wenn das Christus-Prinzip die Seelen der Menschen nicht durchdränge.
Sie wissen ja, wie vieles da ist, in der Entwickelung der Menschheit ersichtlich ist, besonders in der Gegenwart, von dem, was für den Einsichtsvollen schon zeigt, daß die Dinge sich so ankündigen, wie ich sie eben charakterisiert habe. Man denke nur, was das dritte von den Entwickelungsgliedern, die durch den Materialismus der Menschheit drohen, über die Menschen heute schon bringt. Sehen Sie, wenn Sie bedenken, mit wie viel Grausamkeiten die heutige Kulturentwickelung durchsetzt ist, die sich kaum vergleichen lassen mit den Grausamkeiten barbarischer Zeitalter, dann werden Sie kaum zweifeln können, daß sich die Morgenröte für den Abstieg der Intelligenz deutlich ankündigt. Man sollte nicht in oberflächlicher Weise die sogenannten Kulturerscheinungen unseres Zeitalters betrachten, man sollte wahrhaftig nicht daran zweifeln, daß die Menschen der Gegenwart sich aufraffen müssen zu einem wirklichen Erfassen des Christus-Impulses, wenn sie einer heilsamen Entwickelung entgegengehen wollen. Es ist zweierlei heute schon stark zu bemerken: Menschen, die sehr intelligent sind und die einen deutlichen Hang zum Bösen haben; und es ist auf der anderen Seite zu bemerken, wie viele Menschen unbewußt diesen Hang zum Bösen dadurch unterdrücken, nicht bekämpfen, daß sie ihre Intelligenz schlafen lassen. Schläfrigkeit der Seele oder aber bei wachen Seelen ein starker Hang zum Bösen und zum Irrtum, das ist in der Gegenwart durchaus zu bemerken." (Lit.: GA 296, S. 93f)
Durch den ahrimanischen Einfluss droht das Denken immer stärker an das physische Gehirn gebunden, d.h. immer mehr materialisiert zu werden, wodurch der Mensch zu einem bloßen Denkautomaten herabsinken und sein unsterblich Geistig-Seelisches verlieren würde.
"Nun hat Ahriman sich die Intellektualität in einer Zeit angeeignet, als er sie nicht in sich verinnerlichen konnte. Sie blieb eine Kraft in seinem Wesen, die mit Herz und Seele nichts zu tun hat. Als kalt-frostiger, seelenloser kosmischer Impuls strömt von Ahriman die Intellektualität aus. Und die Menschen, die von diesem Impuls ergriffen werden, entwickeln eine Logik, die in erbarmungs- und liebeloser Art für sich selbst zu sprechen scheint - in Wahrheit spricht eben Ahriman in ihr -, bei der sich nichts zeigt, was rechtes, inneres, herzlich-seelisches Verbundensein des Menschen ist mit dem, was er denkt, spricht, tut." (Lit.: GA 26, S. 115)
"Man hat heute die Meinung, wenn man von Materialismus spricht, daß der Materialismus eine falsche Weltanschauung ist, daß er abzulehnen ist, weil er nicht richtig ist. So einfach verhält sich die Sache nicht. Der Mensch ist ein seelisch-geistiges Wesen, er ist ein leiblich-physisches Wesen. Aber das Leiblich-Physische ist ein getreues Abbild des Seelisch-Geistigen, insofern wir leben zwischen Geburt und Tod. Und wenn die Menschen so verphilistert sind in den materialistischen Gedanken, wie das geworden ist im Laufe des 19. Jahrhundertsund bis in die Gegenwart hinein, dann wird immer mehr das Leiblich- Physische ein Abdruck dieses Seelisch-Geistigen, das selbst in den materialistischen Impulsen lebt. Dann ist es nicht etwas Falsches, wenn man sagt, das Gehirn denkt, dann wird es richtig. Es werden durch das Fest-darin-Stecken im Materialismus nicht bloß Menschen erzeugt, die schlecht denken über das Leibliche, Seelische und Geistige, sondern es werden materiell denkende und materiell fühlende Menschen erzeugt. Das heißt, der Materialismus bewirkt, daß der Mensch ein Denkautomat wird, daß der Mensch ein Wesen wird, das als physisches Wesen denkt, fühlt und will. Und es ist nicht bloß die Aufgabe der Anthroposophie, an die Stelle einer falschen Weltanschauung eine richtige zu setzen — das ist eine theoretische Forderung —, das Wesen der Anthroposophie heute besteht darin, daß angestrebt wird nicht nur eine andere Idee, sondern eine Tat: das Geistig-Seelische wieder herauszureißen aus dem Leiblich-Physischen, den Menschen heraufzuheben in die Sphäre des Geistig-Seelischen, damit er nicht ein Denk-, Fühl- und Empfindungsautomat sei. Die Menschheit steht heute in der Gefahr — einiges soll auch morgen im Zweigvortrag angedeutet werden —, das Seelisch-Geistige zu verlieren." (Lit.: GA 300a, S. 163f)
Eine der Nebenwirkungen der falsch angewandten Intelligenz ist auch, dass diese sich mit den dämonischen Kräften verbunden hat, welche die Katastrophen des 20. Jahrhunderts erst erklärbar machen.
"Wenn die Menschen auch den Geist verleugnen, sie werden den Geist nicht los. Der Geist ist unabänderlich mit der Menschheit verbunden. Nur, wenn die Menschen dem Genius eines Zeitalters absagen, dann tritt an sie heran der Dämon dieses Zeitalters. Und als der Intellekt so weit war am Beginne des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts, daß er ganz und gar nur dem Mechanismus des physischen Leibes folgte, selbst automatisch, mechanisch wurde und damit auf seine höchste Stufe kam, da benahm sich der Intellekt so, wie der Mensch sich benimmt, wenn er dem Genius absagt. Dann faßt ihn der Dämon des Zeitalters. Der Intellekt hatte sich getrennt von der Seele." (Lit.: GA 255, S. 166)
Das reine, sinnlichkeitsfreie Denken
Die höchste Form der menschlichen Intelligenz ist das reine sinnlichkeitsfreie Denken. Sein Inhalt sind zunächst reine Begriffe ohne unmittelbaren Bezug zu sinnlichen Wahrnehmungen und die sich aus den Begriffen selbst ergebenden wechselseitigen gesetzmäßigen Beziehungen zueinander. Inhaltlich ist diese Form des Denkens völlig unabhängig von der Sinnes- und Gehirntätigkeit. Das reine Denken unterscheidet sich dadurch von der gewöhnlichen Verstandestätigkeit, durch die wir die sinnlichen Erfahrungen denkend zu durchdringen versuchen.
„Warum für meine Beobachtung der Donner auf den Blitz folgt, weiß ich nicht ohne weiteres; warum mein Denken den Begriff Donner mit dem des Blitzes verbindet, weiß ich unmittelbar aus den Inhalten der beiden Begriffe. Es kommt natürlich, gar nicht darauf an, ob ich die richtigen Begriffe von Blitz und Donner habe. Der Zusammenhang derer, die ich habe, ist mir klar, und zwar durch sie selbst.
Diese durchsichtige Klarheit in bezug auf den Denkprozeß ist ganz unabhängig von unserer Kenntnis der physiologischen Grundlagen des Denkens. Ich spreche hier von dem Denken, insoferne es sich aus der Beobachtung unserer geistigen Tätigkeit ergibt. Wie ein materieller Vorgang meines Gehirns einen andern veranlaßt oder beeinflußt, während ich eine Gedankenoperation ausführe, kommt dabei gar nicht in Betracht. Was ich am Denken beobachte, ist nicht: welcher Vorgang in meinem Gehirne den Begriff des Blitzes mit dem des Donners verbindet, sondern, was mich veranlaßt, die beiden Begriffe in ein bestimmtes Verhältnis zu bringen. Meine Beobachtung ergibt, daß mir für meine Gedankenverbindungen nichts vorliegt, nach dem ich mich richte, als der Inhalt meiner Gedanken; nicht nach den materiellen Vorgängen in meinem Gehirn richte ich mich. Für ein weniger materialistisches Zeitalter als das unsrige wäre diese Bemerkung natürlich vollständig überflüssig. Gegenwärtig aber, wo es Leute gibt, die glauben: wenn wir wissen, was Materie ist, werden wir auch wissen, wie die Materie denkt, muß doch gesagt werden, daß man vom Denken reden kann, ohne sogleich mit der Gehirnphysiologie in Kollision zu treten.“ (Lit.: GA 4, S. 44f)
Die menschliche Intelligenz und die Aufbaukräfte der Erde
Die Intelligenz des Menschen hat auch eine große Bedeutung für die ganze Erde - allerdings nicht im Wachzustand, sondern wenn der Mensch schläft. In der Intelligenz, die im Schlaf unbewusst im Menschen bzw. in der Menschheit insgesamt wirkt, liegen die Aufbaukräfte der Erde begründet.
„Vom Einschlafen bis zum Aufwachen ist der Mensch mit seinem Ich und seinem astralischen Leib in einem Zustande, den wir gewöhnlich dadurch bezeichnen, daß wir figürlich sagen: Das Ich und der astralische Leib sind außerhalb des physischen Leibes. Aber da ist der Mensch eben durchaus ein geistig-seelisches Wesen, und da entwickelt er die Kräfte, die gerade wirksam werden zwischen dem Einschlafen und Aufwachen. Und während dieser Zeit steht er durch diese Kräfte in Beziehung zu alldem, was den Erdenplaneten aufbaut, was zu den zerstörenden Kräften die aufbauenden Kräfte hinzubringt. Wenn Sie auf der Erde niemals herumgehen würden, so würden die zerstörenden Kräfte, die eigentlich von Ihrem Willen ausgehen, nicht innerhalb des mineralischen, des pflanzlichen, des tierischen Reiches auf der Erde wirken. Wenn Sie auf der Erde niemals schlafen würden, so würde von Ihrer Intelligenz nicht dasjenige ausgehen, was die Erde immer wiederum aufbaut. Auch die eigentlich aufbauenden Kräfte unseres Erdenplaneten liegen in der Menschheit selbst. Ich sage nicht: Im einzelnen Menschen. - Ich habe ausdrücklich vorher gesagt, wie diese einzelnen Ursachen zusammenhängen. Aber in der ganzen Menschheit liegen die Kräfte auch für den Aufbau, und zwar in dem intelligenten Pol des menschheitlichen Wesens; aber nicht bei der Tagesintelligenz. Die Tagesintelligenz ist etwas, was sich wie ein Totes hineinstellt in das Erdenwerden. Die Intelligenz des Menschen, die für ihn unbewußt während des Schlafens wirkt, ist eigentlich dasselbe, was den Erdenplaneten fortwährend aufbaut. Ich will Ihnen damit nur begreiflich machen, daß Sie unrecht tun, wenn Sie die zerstörenden und aufbauenden Kräfte unseres Erdenballes außerhalb des Menschen suchen; sie müssen Sie gerade im Menschen suchen.“ (Lit.: GA 191, S. 233f)
Siehe auch
Literatur
- Walter Heitler: Naturwissenschaft ist Geisteswissenschaft, Die Waage, Zürich 1972
- Walter Heitler: Die Natur und das Göttliche. Klett und Balmer, Zug 1974, ISBN 3-7206-9001-6
- Jeff Hawkins: Die Zukunft der Intelligenz: Wie das Gehirn funktioniert und was Computer davon lernen können, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006, ISBN 978-3499621673
- Hans Bonneval: Revolution im Denken: Rudolf Steiner. Warum Computer nicht denken können, BoD, Norderstedt 2017, ISBN 978-3743157521
- Ray Kurzweil: Das Geheimnis des menschlichen Denkens: Einblicke in das Reverse Engineering des Gehirns, Lola Books 2014, ISBN 978-3944203065, eBook ASIN B01348W39K
- Ray Kurzweil: Die Intelligenz der Evolution, KiWi-Taschenbuch 2016, ISBN 978-3462049428, Kiepenheuer & Witsch eBook, ASIN B01FENJJH2
- Nick Bostrom: Superintelligenz: Szenarien einer kommenden Revolution, Suhrkamp Verlag 2016, ISBN 978-3518586846, eBook ASIN B00OTQKXJE
- Christian J. Meier: Suppenintelligenz (TELEPOLIS): Die Rechenpower aus der Natur, Heise Medien GmbH & Co. KG 2017, ISBN 978-3957881014, eBook ASIN B076CQBPMC
- Daniel Goleman, Friedrich Griese (Übers.): EQ. Emotionale Intelligenz, dtv Verlagsgesellschaft 1997, ISBN 978-3423360203
- Daniel Goleman, Reinhard Kreissl (Übers.): Soziale Intelligenz: Wer auf andere zugehen kann, hat mehr vom Leben, Droemer TB 2017, ISBN 978-3426301623
- Anton Hügli, Poul Lübcke (Hg.): Philosophielexikon. Rowohlts Enzyklopädie, TB, Reinbek bei Hamburg 2005, S. 320
- Christian Geyer (Hrsg.): Hirnforschung und Willensfreiheit: Zur Deutung der neuesten Experimente, 9. Auflage, Suhrkamp Verlag 2004, ISBN 978-3518123874
- Klaus-Jürgen Grün (Hrsg.), Gerhard Roth (Hrsg.): Das Gehirn und seine Freiheit, 3. Auflage, Vandenhoeck & Ruprecht 2006, ISBN 978-3525490853
- Frank Rösler: Psychophysiologie der Kognition: Eine Einführung in die Kognitive Neurowissenschaft, Springer-Verlag 2012, ISBN 978-3827425997
- Peter Heusser: Anthroposophie und Wissenschaft: Eine Einführung. Erkenntniswissenschaft, Physik, Chemie, Genetik, Biologie, Neurobiologie, Psychologie, Philosophie des Geistes, Anthropologie, Anthroposophie, Medizin, Verlag am Goetheanum, Dornach 2016, ISBN 978-3723515686
- Rudolf Steiner, Andreas Neider (Hrsg.): Der elektronische Doppelgänger und die Entwicklung der Computertechnik, Futurum Verlag 2013, ISBN 978-3856363642; Kindle Edition 2015, ASIN B0195VK6WG
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Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
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Weblinks
- Die Wurzeln der Intelligenz - Website
Einzelnachweise
- ↑ Es handelt sich in diesem Sinn um ein „Lesen“ in den Dingen, durch das sich deren innere Gesetzmäßigkeit enthüllt, die ihr Wesen bestimmen. Zugleich ist es aber auch ein Lesen zwischen den Dingen und uns, da sich deren Wesen nur dann enthüllt, wenn wir ihnen unsere aktive geistige Tätigkeit entgegentragen. Erst in der Vereinigung der objektiv gegebenen und der subjektiv hervorgebrachten Faktoren dringen wir zur Wirklichkeit vor, wie das Rudolf Steiner ausführlich schon in seiner «Philosophie der Freiheit» besprochen hat. Das Denken ist weder subjektiv noch objektiv, sondern übergreift beide.